Gründe:
I.
Der Kläger, der die Bundesrepublik Deutschland 1977 mit seiner Mutter verlassen hatte, nimmt die Beklagte auf Hilfe zum Lebensunterhalt
für Zeiten verschiedener Auslandsaufenthalte in Anspruch. Im Revisionsverfahren geht es noch um die Zeiträume vom 1. Dezember
1984 bis 14. März 1985 und vom 23. Juli 1985 bis einschließlich Juli 1989. In dem erstgenannten Zeitraum hatten sich der Kläger
und seine Mutter, die an einer schizophrenen Psychose litt und im Juli 1989 verstorben ist, in Marokko, Frankreich und Luxemburg,
in dem letztgenannten Zeitraum in Großbritannien, Frankreich, der Schweiz und abermals Großbritannien aufgehalten.
Erstmals unter dem 1. Mai 1979 hatte der Kläger bei der Beklagten laufende Hilfe zum Lebensunterhalt im Ausland beantragt
und dies damit begründet, er halte sich mit seiner Mutter, die eine niedrige Versorgungs- und Erwerbsunfähigkeitsrente beziehe
und selbst zusätzliche Hilfe zum Lebensunterhalt nach Kriegsopferfürsorgerecht beantragt habe, im Ausland auf, weil er unter
dem Vorwand einer geistigen Störung aus dem juristischen Vorbereitungsdienst der Beklagten entlassen worden und in der Bundesrepublik
Deutschland aus politischen Gründen an Leib und Leben gefährdet sei; er habe sich seit geraumer Zeit im Ausland vergeblich
um Arbeit bemüht und sei ohne Einkommen und Vermögen. Daraufhin hatte die Beklagte dem Kläger, der sich nunmehr in Großbritannien
aufhielt, für März bis November 1984 Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt.
Nachdem die Zahlungen ab dem 1. Dezember 1984 mit der Begründung eingestellt worden waren, der Kläger habe Großbritannien
verlassen und sei nach Marokko verzogen, stellte der Kläger am 4. Februar 1985 von Paris aus bei der Beklagten einen erneuten
Sozialhilfeantrag. Durch Schreiben vom 28. März 1985 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Hiergegen hat der Kläger am 9.
April 1985 Klage erhoben und die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt "vom 1. Dezember 1984
bis 15. März 1985" beantragt.
Mit Schreiben vom 24. April 1985 hat er sodann, nachdem er am 15. März 1985 aus Luxemburg nach Deutschland abgeschoben worden
und nach Großbritannien ausgereist war, bei der Deutschen Botschaft in London die Wiederaufnahme der Sozialhilfezahlungen
beantragt. Unter dem 11. Juli 1985 teilte ihm die Botschaft - ohne Rechtsmittelbelehrung - mit, daß die Beklagte Leistungen
ablehne.
Nachdem er mit einem am 17. Juli 1985 beim Verwaltungsgericht Hamburg gestellten Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung,
der Beklagten am 23. Juli 1985 zugestellt, erfolglos geblieben war, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Oktober 1989 den
Klagezeitraum auf die Zeit bis einschließlich Juli 1989 erweitert und Verzinsung des Klageanspruchs beantragt. Das Verwaltungsgericht
hat die Klage ab gewiesen.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers hinsichtlich des von der Revision erfaßten Klagezeitraums aus folgenden
Gründen zurückgewiesen:
Soweit die Klage die Bewilligung von Sozialhilfe für den erweiterten Klagezeitraum betreffe, sei sie im wesentlichen deshalb
unzulässig, weil der Kläger, nachdem sein Antrag vom 24. April 1985 unter dem 11. Juli 1985 bestandskräftig abgelehnt worden
sei, keinen neuen Hilfeantrag bei der Beklagten gestellt habe. Für die Zeit davor sei die Klage unbegründet, weil der Kläger
in dem insoweit maßgeblichen Zeitraum keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland im Sinne von § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG gehabt habe. Ein tatsächlicher bzw. nur vorübergehender Aufenthalt genüge hierzu nicht, sondern es müsse sich eine gewisse
(örtliche, soziale, berufliche usw.) Verfestigung des Aufenthalts im Ausland vollzogen haben, die es für den Hilfesuchenden
nicht zumutbar erscheinen lasse, ihn auf das inländische Sozialhilfeangebot zu verweisen. In objektiver Hinsicht seien maßgeblich
die Dauer des Aufenthaltes und - als entscheidendes Indiz für das Bestehen des Lebensmittelpunktes der betreffenden Person
- das Wohnen sowie eine wirtschaftliche (ggf. berufliche) und soziale Eingliederung am Aufenthaltsort. § 119 Abs. 1
BSHG erfordere daher entgegen der Auffassung des Klägers nicht nur einen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland schlechthin, sondern
einen solchen an einem bestimmten Ort in einem ausländischen Staat.
Bei Anwendung dieser Kriterien habe der Kläger in Marokko (ab Mitte November 1984 in Rabat), Frankreich (ab Mitte Dezember
1984 in Paris) und Luxemburg (ab Anfang bis Mitte März 1985) in objektiver Hinsicht schon in Anbetracht der jeweils kurzen
Aufenthaltsdauer keinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt. Dafür spreche bezüglich des Aufenthalts in Paris auch, daß der Kläger
nach seiner Darstellung dort obdachlos gewesen sei. Er habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt auch nicht in Großbritannien gehabt.
Dort sei der Aufenthalt von einem häufigen Ortswechsel gekennzeichnet gewesen und habe der Kläger sich nicht länger als jeweils
sechs Monate aufhalten dürfen.
Für eine analoge Anwendung des § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG auf jene Fälle, in denen - wie hier - der Hilfesuchende weder im Ausland noch in der Bundesrepublik Deutschland seinen gewöhnlichen
Aufenthalt habe, sei kein Raum. Fehle es an der für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland erforderlichen Aufenthaltsverfestigung,
sei der Hilfesuchende auf das inländische Sozialhilfeangebot zu verweisen. Zumindest - wenn nicht sogar im besonderen Maße
- müsse auch bei Nichtseßhaften die unerläßliche räumlich-sachliche Bindung zwischen dem Hilfeempfänger und dem Sozialhilfeträger
gewährleistet bleiben, solle der mit der Sozialhilfe verfolgte Zweck nicht verfehlt werden. Außerdem sei § 119
BSHG als Ausnahmeregelung einer über ihren Wortlaut hinausgehenden Ausweitung ihres Anwendungsbereichs nicht zugänglich. Bei dieser
Sachlage könne dahingestellt bleiben, ob der Sozialhilfeanspruch des Klägers auch daran scheitere, daß seine Heimführung geboten
gewesen sei bzw. er sich durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit selbst hätte helfen können.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt eine Verletzung von §
75
VwGO, §§ 5, 119
BSHG und Art.
3 Abs.
1
GG.
Die Beklagte und der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht verteidigen das angefochtene Urteil.
II.
Die Revision ist begründet. Die das Berufungsurteil tragenden rechtlichen Erwägungen sind mit Bundesrecht nicht vereinbar
(§
137 Abs.
1 Nr.
1
VwGO). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (§
144 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2
VwGO).
1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Klage sei hinsichtlich des erweiterten Klagezeitraums unzulässig, weil
die Gewährung von Sozialhilfe an den Kläger hinsichtlich eines Teiles dieses Zeitraums bestandskräftig abgelehnt worden sei
und es hinsichtlich des daran anschließenden Zeitraums an einem Antrag des Klägers gegenüber der Beklagten fehle. Mit dieser
Begründung verstößt das Berufungsurteil gegen §
75
VwGO und geht es bei der Annahme eines Verwaltungsakts von unzutreffenden Voraussetzungen aus.
Zwar ist dem Berufungsgericht darin zu folgen, daß die Zulässigkeit der Klage sich nach §
75
VwGO beurteilt und daß diese Regelung die vorherige Stellung eines Antrags auf Vornahme des eingeklagten Verwaltungsakts auch
dann voraussetzt, wenn der Verwaltungsakt auch ohne Antrag ergehen kann oder gar von Amts wegen erlassen werden muß. Dies
ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes, das voraussetzt, daß ein "Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts" unbeschieden
geblieben ist. Gleiches folgt aber auch aus der Systematik sowie aus Sinn und Zweck der Vorschrift: Wegen des Grundsatzes
der Gewaltenteilung ist es zunächst Sache der Verwaltung, sich mit (vermeintlichen) Ansprüchen des einzelnen zu befassen (siehe
BVerwG, Urteil vom 16. Januar 1986 - BVerwG 5 C 36.84 - [Buchholz 436. 0 § 39
BSHG Nr. 5, S. 12]). Dementsprechend sieht §
75 Satz 2
VwGO eine Sperrfrist vor, die einer verfrühten und deshalb unter Rechtsschutzgesichtspunkten (noch) nicht gerechtfertigten Klageerhebung
entgegenwirken, der Behörde dadurch angemessene Zeit zu einer ausreichenden Sachprüfung gewährleisten und auf diese Weise
zugleich die Gerichte entlasten soll (BVerwGE 42, 108 [110]). Diesen Zweck könnte die Sperrfrist des §
75 Satz 2
VwGO nicht erfüllen, wenn sie - bei Fehlen eines vorausgegangenen Antrages - mit der Klageerhebung selbst in Lauf gesetzt werden
könnte.
Mit Bundesrecht nicht vereinbar ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe, bevor er seine Klage auf den
Zeitraum bis einschließlich Juli 1989 erweitert habe, bei der Beklagten keinen auf diesen Zeitraum bezogenen (neuen) Sozialhilfeantrag
gestellt, während über den gestellten Antrag schon bestandskräftig entschieden worden sei.
Hier kann dahinstehen, ob ein solcher Antrag in dem am 17. Juli 1985 beim Verwaltungsgericht gestellten Antrag des Klägers
auf Verpflichtung der Beklagten zu Sozialhilfeleistungen im Wege einstweiliger Anordnung gesehen werden kann, der der Beklagten
am 23. Juli 1985 zugestellt worden war; denn jedenfalls hatte der Kläger (bereits) unter dem 24. April 1985 die "sofortige
Wiederaufnahme (der) Sozialhilfezahlungen" förmlich beantragt. Dieser Antrag war gemäß §
16 Abs.
2 Satz 1
SGB I unverzüglich an die Beklagte weiterzuleiten. Der Feststellung im Berufungsurteil (S. 21), daß "durch den mit dem Schreiben
der Deutschen Botschaft (in London) vom 11. Juli 1985 übermittelten Bescheid der Beklagten" bestandskräftig über diesen Antrag
entschieden worden sei, kann nicht gefolgt werden. Durch jenes Schreiben, dem selbst keinerlei Merkmale anhaften, aus denen
auf das Vorliegen eines Verwaltungsakts (§ 31
SGB X) geschlossen werden könnte, wurde dem Kläger auch kein Verwaltungsakt der Beklagten übermittelt. Das Oberverwaltungsgericht
hat bei der Bewertung dieses Schreibens als Verwaltungsakt daran angeknüpft, daß die Beklagte in einem Schreiben an die Botschaft
vom 6. Juni 1985 zu dem Hilfeersuchen des Klägers abschlägig dahingehend Stellung genommen habe, daß der Kläger entsprechend
einem Vorschlag der Botschaft an die britischen Sozialbehörden zu verweisen sei (S. 11 unten des Berufungsurteils). Diese
Stellungnahme stellt indessen nach deren objektivem Sinngehalt keine rechtsverbindliche Regelung im Sinne des § 31
SGB X dar; es ist auch nicht ersichtlich, daß die Beklagte mit der Mitteilung an die Botschaft ein Ersuchen verbunden hätte, dem
Kläger die Mitteilung als Verwaltungsakt bekanntzugeben (vgl. zum Erfordernis des Zustellungswillens BVerwGE 16, 165; 29, 321). Handelt es sich demnach um die bloße Mitteilung einer Stellungnahme ohne Regelungscharakter, kann offenbleiben, ob die
Feststellung des Berufungsgerichts, mit dem Schreiben der Botschaft sei ein "Bescheid der Beklagten" bekanntgegeben worden,
auf einer unrichtigen Rechtsanschauung beruht oder aber als Feststellung tatsächlichen Charakters zu verstehen ist; denn auch
letztere wäre, weil offensichtlich aktenwidrig, für das Revisionsgericht nicht nach §
137 Abs.
2
VwGO bindend (vgl. z.B. BVerwGE 79, 291 [297 f.]).
Der Sozialhilfeantrag des Klägers vom 24. April 1985 war folglich noch unbeschieden, als der Kläger im Oktober 1989 sein Klagebegehren
auf die Zeit bis einschließlich Juli 1989 ausgedehnt hat. Da die Erhebung einer Untätigkeitsklage nicht befristet ist, waren
im Zeitpunkt der mündlichen Berufungsverhandlung (März 1992) mithin die Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Klage nach
§
75
VwGO auch für die Klageerweiterung erfüllt. Das Berufungsgericht hätte demzufolge das gesamte Klagebegehren auf seine materielle
Berechtigung hin überprüfen müssen.
2. Auch in materiellrechtlicher Hinsicht steht das Berufungsurteil mit Bundesrecht nicht im Einklang.
a) Zwar trifft die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts zu, daß sich das Klagebegehren nicht unmittelbar auf § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG (in der hier noch maßgeblichen Fassung vom 24. Mai 1983 - BGBl I S. 613 -) stützen läßt. Nach dieser Bestimmung setzt die Leistung von Sozialhilfe für Deutsche im Ausland voraus, daß diese ihren
gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben und im Ausland der Hilfe bedürfen. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten,
daß der Kläger in der Zeit von Dezember 1984 bis Mitte März 1985 keinen "gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland" im Sinne von
§ 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG hatte.
Der unbestimmte Gesetzesbegriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" ist aus Sinn, Zweck und Regelungszusammenhang der jeweiligen
Norm heraus auszulegen, in der er gebraucht wird (vgl. auch BSG, Urteil vom 9. Oktober 1984 - 12 RK 5/83 - [SozR 5750 Art. 2 § 51 a
ArVNG Nr. 58, S. 118]; Urteil vom 16. Oktober 1986 - 12 RK 13/86 - [SozR 1200 § 30 SGB 1 Nr. 10, S. 9 f.]). Im vorliegenden Zusammenhang steht das Verständnis dieses Begriffs in § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG in Rede. Deshalb ist hier nicht zu erörtern, welche Bedeutung ihm im Zusammenhang mit der von der Revision angeführten Regelung
des § 5
KonsularG zukommt. Aus Sinn und Zweck des § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG folgt, daß unter einem "gewöhnlichen Aufenthalt" im Sinne dieser Vorschrift ein Aufenthalt an einem Ort im Ausland zu verstehen
ist, an dem eine Person nicht nur vorübergehend den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen hat, was eine gewisse Verfestigung
der Lebensverhältnisse an dem betreffenden Ort insbesondere in familiärer, sozialer und beruflicher Hinsicht voraussetzt.
Hierzu kann es in aller Regel nur kommen, wenn der Aufenthalt auf Dauer angelegt ist und eine entsprechende Dauer auch erlangt
hat, ein dauerhafter Aufenthalt also keinen objektiven Hindernissen begegnet (vgl. auch BSGE 49, 254 [256]). Demgemäß kann ein "gewöhnlicher Aufenthalt" im Sinne von § 119
BSHG beispielsweise nicht angenommen werden, wenn es um einen Aufenthalt an wechselnden Orten im Ausland von jeweils nur kurzer
Dauer geht oder der Aufenthalt rechtlich befristet ist.
Sinn und Zweck des § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG gebieten dieses Verständnis des Begriffs "gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland" aus folgenden Erwägungen: § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG ist, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat (S. 30 f. des Berufungsurteils), vor dem Hintergrund der Frage zu
sehen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein im Ausland befindlicher und auf Sozialhilfe angewiesener Deutscher auf das
inländische Sozialhilfeangebot verwiesen werden darf. Die Regelung erstreckt das staatliche Angebot an Sozialhilfeleistungen
auf in wirtschaftliche Not geratene deutsche Staatsangehörige im Ausland und nimmt damit Rücksicht auf die erreichte Einbindung
des Hilfebedürftigen in sein dortiges Umfeld. Dieser gesetzliche Grundgedanke erfordert eine Auslegung der Vorschrift dahin,
daß das Vorhandensein eines festen Lebensmittelpunktes im Ausland wesentliche Voraussetzung des "gewöhnlichen Aufenthalts
im Ausland" ist. Auf sich beruhen kann demzufolge, ob ein solches Normverständnis nicht auch, wie das Oberverwaltungsgericht
meint, geboten ist, um die zur Feststellung der Leistungsberechtigung unerläßliche räumlich-sachliche Bindung zwischen dem
Hilfeempfänger und dem Sozialhilfeträger zu gewährleisten.
Dieser Auslegung des Begriffs "gewöhnlicher Aufenthalt" in § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG steht nicht entgegen, daß nach der Legaldefinition in §
30 Abs.
3 Satz 2
SGB I jemand seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" dort hat, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem
Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Zwar wird damit - in Anlehnung an die Begrifflichkeit des Steuerrechts
(siehe BTDrucks 7/3786, S. 5 zu § 30; vgl. auch BSGE 45, 95 [98 f.]; 49, 254 [255 f.]) - maßgeblich auf die Verweildauer abgehoben, so daß die Existenz eines Lebensmittelpunktes und
ebenso Kriterien wie "familiäre, berufliche und gesellschaftliche Bindungen" (vgl. Nr. 4 Sätze 2 und 3 des Anwendungserlasses
zu §
9
AO vom 18. Januar 1990 - BStBl I 1990, 50 -) nicht die Bedeutung konstitutiver Merkmale eines "gewöhnlichen Aufenthalts" haben, sondern sich als bloße Indizien für
sein Vorhandensein und Anhaltspunkte zu seiner Ermittlung verstehen lassen. Dies mag es bei einem von der Begrifflichkeit
des Steuerrechts bestimmten Verständnis des Begriffs des "gewöhnlichen Aufenthalts" ermöglichen, die Begriffe "Ort" und "Gebiet"
im weitesten Sinne, also auch als "Land" ohne Bindung an einen bestimmten Ort zu verstehen (vgl. BFH, Urteil vom 24. Januar
1964 - III 252/61 - [HFR 1965 Nr. 69]). Doch ist §
30 Abs.
3 Satz 2
SGB I - mag die Regelung ansonsten auch für alle Sozialleistungsbereiche gelten (vgl. dazu BSG, Urteil vom 16. Oktober 1986 - 12 RK 13/86 - [a.a.O.]) - im Bereich des Sozialhilferechts aufgrund des Vorbehalts in §
37 Satz 1
SGB I nur anwendbar, soweit sich aus dem Bundessozialhilfegesetz nichts Abweichen des ergibt. Dies ist in bezug auf die Regelung des § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG aber der Fall.
Daß mit dem Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" in § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG einerseits und in §
30 Abs.
3 Satz 2
SGB I andererseits Unterschiedliches geregelt ist, zeigen die unterschiedlichen Rechtsfolgen und der jeweils verschiedene Regelungszweck
beider Vorschriften: §
30 Abs.
3 Satz 2
SGB I definiert den Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" des Absatzes 1 dieser Vorschrift. Dort ist der räumlichpersonelle Geltungsbereich
des Gesetzes umschrieben. Dabei bezweckt die Anknüpfung an einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich
des Gesetzes, eine mißbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch eine nur formale Begründung eines Inlandswohnsitzes
zu verhindern (vgl. BTDrucks 7/3786, [a.a.O.]); fehlt es an einem "gewöhnlichen Aufenthalt" im Inland, ist der Zugang zum
Sozialleistungsangebot der Bundesrepublik Deutschland somit verschlossen. Demgegenüber wird durch § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG der Kreis möglicher Sozialhilfeberechtigter über den Personenkreis des §
30 Abs.
1
SGB I hinaus auf Deutsche im Ausland erweitert; fehlt ein "gewöhnlicher Aufenthalt" im Sinne von § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG, bleibt diesen Personen, wenn ihnen Hilfe im Ausland verweigert wird, jedoch die Alternative, um Sozialhilfe im Inland nachzusuchen.
Diese Unterschiede der gesetzlichen Regelungen rechtfertigen es, sie so auszulegen, daß - wogegen sich die Revision wendet
- Sozialhilfe im Ausland an strengere tatbestandliche Voraussetzungen geknüpft wird als Hilfeleistungen im Inland. Dies erfolgt,
indem der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" im Sinne von § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG in einem engeren Sinn verstanden und mit Rücksicht auf die besondere Zielsetzung dieser Vorschrift an das Merkmal "Mittelpunkt
der Lebensbeziehungen" gebunden wird.
Die Auffassung der Revision, daß ein "gewöhnlicher Aufenthalt" im Sinne von § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG nicht auf einen bestimmten Ort im Ausland bezogen sein müsse, findet im Gesetz nach alledem keine Stütze.
Die Voraussetzungen eines "gewöhnlichen Aufenthalts" im vorstehenden Sinne hat der Kläger nicht erfüllt. Das Oberverwaltungsgericht
hat für die Zeit von Dezember 1984 bis Mitte März 1985 auf die Nichtseßhaftigkeit des Klägers, seine zeitweise Obdachlosigkeit,
auf die jeweils kurze Dauer seiner Aufenthalte in Marokko, Frankreich und Luxemburg sowie auf den häufigen Ortswechsel und
die Befristung seines aufenthaltsrechtlichen Status in Großbritannien abgestellt. Es kann dahinstehen, inwieweit das Merkmal
der Seßhaftigkeit - der Kläger betrachtet sich nicht als nichtseßhaft und begründet dies damit, daß er seine pflegebedürftige
Mutter habe begleiten müssen - für das Vorhandensein eines gewöhnlichen Aufenthalts erforderlich ist (verneinend: Mergler/Zink,
BSHG, Kommentar, Stand: Juli 1994, § 103 Rn. 37); denn jedenfalls genügen die vom Berufungsgericht - nach §
137 Abs.
2
VwGO das Revisionsgericht bindend - festgestellten Umstände, um die Auslandsaufenthalte des Klägers als nur vorübergehend einzustufen.
Dies gilt für die kurze Dauer des Aufenthalts an wechselnden Orten im Ausland, insbesondere aber auch für die vom Oberverwaltungsgericht
festgestellte rechtliche Befristung des Aufenthalts, wie sie in dem Touristenstatus des Klägers während seines Aufenthalts
in Großbritannien angelegt war. Solche zeitlichen Aufenthaltsbeschränkungen hindern eine Prognose, der Aufenthalt werde "bis
auf weiteres" (vgl. Nr. 3. 2.1 des von der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe herausgegebenen
Leitfadens zur Gewährung von Sozialhilfe an Deutsche im Ausland nach § 119
BSHG) andauern, für den Betreffenden bestehe die "gute Möglichkeit eines weiteren Verbleibs" (BSG, Urteil vom 16. Oktober 1986
- 12 RK 13/86 - [a.a.O. S. 10]) an dem betreffenden Ort; sie lassen im Gegenteil "ein Ende des Aufenthalts erwarten" (vgl. BSGE 62, 67 [69]). Schon die Befristung macht deutlich, daß der Aufenthalt kein Dauerzustand werden soll (BSG, Urteil vom 20. Mai 1987
- 10 RKg 18/85 - [SozR 5870 § 1
BKGG Nr. 12, S. 28]).
b) Die Revision hat jedoch deshalb Erfolg, weil das Berufungsgericht zu Unrecht eine analoge Anwendung von § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG für ausgeschlossen gehalten hat.
Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts läßt sich nicht damit begründen, daß § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG - wie das Berufungsgericht meint - eine Ausnahmevorschrift darstellt. Ein Rechtssatz des Inhalts, daß eine Ausnahmevorschrift
nicht entsprechend angewendet werden dürfe, besteht nicht (BVerwGE 61, 169 [172]). Entscheidend ist vielmehr, ob die gesetzliche Zielsetzung einer solchen Vorschrift deren Ausdehnung zuläßt. Dies
ist bei § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG der Fall. Nach dessen gesetzlichem Zweck einer Rücksichtnahme auf bestehende Bindungen im Ausland ist es in Anbetracht der
allgemeinen Zielsetzung der Sozialhilfe gemäß § 1 Abs. 2
BSHG nicht von vornherein ausgeschlossen, Sachverhalte in die durch § 119 Abs. 1 Satz 1 BSHG bewirkte räumlichpersonelle Erweiterung des staatlichen Sozialhilfeangebots einzubeziehen, die zwar nicht durch die vom Gesetz
sonst vorausgesetzte Einbindung des Hilfebedürftigen in sein ausländisches Umfeld, jedoch durch das Merkmal der Unzumutbarkeit
einer Rückkehr in das Inland gekennzeichnet sind. Dies gilt für solche Fälle, in denen der Hilfebedürftige einerseits keine
anderweitige Hilfe im Ausland erhält (vgl. § 119 Abs. 3 Satz 1 BSHG), er sich andererseits aber ungeachtet etwaiger Bindungen an einen Lebensmittelpunkt im Ausland nicht auf das inländische
Sozialhilfeangebot verweisen zu lassen braucht, weil von ihm nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten eine Rückkehr in das
Inland jedenfalls im Hilfezeitraum nicht zu verlangen ist. Als Grund für eine solche Unzumutbarkeit der Rückkehr kommt hier
die familiäre Rücksichtnahme auf die Krankheit der Mutter in Betracht: Der Kläger hat geltend gemacht, er habe seine pflegebedürftige
Mutter begleiten müssen, die wegen ihrer psychischen Krankheit die Bundesrepublik Deutschland verlassen und dorthin nicht
habe zurückkehren können. Hierzu hat die Vorinstanz jedoch - von ihrem Rechtsstandpunkt aus, auf dessen Grundlage es auf etwaige
Rückkehrhindernisse nicht ankam, folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Da es dem Revisionsgericht verwehrt ist, den
Sachverhalt von sich aus in tatsächlicher Hinsicht aufzuklären, muß die Sache nach §
144 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2
VwGO an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden, damit dieses die notwendigen Ermittlungen - auch bezogen auf den erweiterten
Klagezeitraum und die sonstigen Voraussetzungen der Leistung von Sozialhilfe nach § 119
BSHG a.F. - nachholen kann.
Beschluß
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Revisionsverfahren auf (12 mal 700 DM =) 8400 DM als den
Jahresbetrag der vom Kläger eingeklagten Sozialhilfeleistungen festgesetzt (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG).