Gründe:
I.
Die Kläger wenden sich gegen die Rückforderung laufender Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt für die Monate Dezember
1987 bis März 1988.
Der Kläger zu 1, der mit seiner damaligen Ehefrau und seiner im Jahre 1984 geborenen Tochter, der Klägerin zu 2, in Haushaltsgemeinschaft
lebte, beantragte im November 1987 bei der Beklagten für sich und die Klägerin zu 2 die Gewährung von Sozialhilfe. Die Frage
nach den Einkommensverhältnissen beantwortete er in dem von ihm unterschriebenen Antragsformular unter der Versicherung, daß
die Angaben vollständig und wahrheitsgemäß seien, wie folgt: Er erhalte lediglich Kindergeld für die Klägerin zu 2. Seine
Ehefrau beziehe 748 DM monatlich an darlehensweisen Leistungen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz. Sie sei bei dem Arbeitsamt als arbeitssuchend ohne Leistungsanspruch gemeldet.
Die Beklagte bewilligte daraufhin durch Bescheid vom 10. Dezember 1987 den Klägern ab dem 1. Dezember 1987 Hilfe zum Lebensunterhalt
mit der Maßgabe, daß die Bewilligung nicht "über den laufenden Monat hinaus" gelten solle und "in jeder weiteren Zahlung von
Sozialhilfe ein neuer Bewilligungsbescheid zu sehen" sei. In einem Antrag auf Weiterzahlung laufender Sozialhilfe vom 13.
Januar 1989 ließ der Kläger zu 1 die Frage, ob er oder die in seinem Haushalt lebenden Personen einen Antrag u.a. auf Arbeitslosenhilfe
gestellt hätten, unbeantwortet. Die Kläger bezogen Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beklagten bis einschließlich Mai 1989;
danach verzogen sie in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Sozialhilfeträgers.
Im September 1990 erfuhr die Beklagte durch fernmündliche Mitteilung des Arbeitsamtes, daß die Ehefrau des Klägers zu 1 nach
erfolgreicher Führung eines Sozialgerichtsprozesses Arbeitslosenhilfenachzahlungen erhalten hatte bzw. erhalten sollte. Im
Juni 1988 waren ihr für die Zeit vom 1. Dezember 1987 bis zum 31. März 1988 3672,30 DM nachgezahlt worden. Für die Zeit vom
1. April 1988 bis zum 31. Mai 1989 hatte sie 11121,80 DM zu erwarten. Für diese Zeit machte die Beklagte gegenüber dem Arbeitsamt
mit Erfolg einen Erstattungsanspruch geltend. Für den Zeitraum von Dezember 1987 bis März 1988, für den die Nachzahlung bereits
ausgezahlt worden war, hob die Beklagte nach Anhörung der Kläger mit zwei Bescheiden vom 18. Februar 1991 die Bewilligung
der Sozialhilfe, gestützt auf § 45
SGB X, auf und forderte Rückzahlung der erbrachten Leistungen, und zwar vom Kläger zu 1 nach Abzug eingenommenen Wohngeldes 1694,86
DM und von der Klägerin zu 2984,82 DM. Sie begründete die Rückforderung damit, daß der Kläger zu 1 den Antrag seiner Ehefrau
auf Arbeitslosenhilfe pflichtwidrig verschwiegen habe.
Ihre nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheide vom 13. August 1991) erhobene Klage haben die Kläger u.a.
wie folgt begründet: Der Kläger zu 1 habe von den Zahlungen des Arbeitsamtes an seine Ehefrau keine Kenntnis erhalten. Die
Formulare seien von seiner Ehefrau ausgefüllt und von ihm lediglich unterschrieben worden. Er beherrsche die deutsche Sprache
nicht so gut, daß er die Hinweise auf seine Mitwirkungs- und Mitteilungspflichten ohne weiteres habe verstehen können.
Mit Schriftsatz vom 11. Oktober 1991 hat die Beklagte den an die Klägerin zu 2 gerichteten Rückforderungsbescheid um das eingenommene
Kindergeld auf 400,82 DM reduziert. Insoweit haben die Beteiligten die Hauptsache für erledigt erklärt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage, soweit sie noch rechtshängig war, unter analoger Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Satz 3 SGB X abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberverwaltungsgericht unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die
Bescheide der Beklagten vom 18. Februar 1991 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 13. August 1991 aufgehoben, und
zwar im wesentlichen aus folgenden Gründen:
Zutreffend sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, daß die Hilfe zum Lebensunterhalt keine rentengleiche Dauerleistung
darstelle und der Bewilligungsbescheid deshalb kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Sinne des § 48 Abs. 1
SGB X sei. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts komme hier aber auch eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 1
SGB X nicht in Betracht. Die Vorschriften der §§ 44 ff. SGB X bildeten ein in sich geschlossenes System, das die Heranziehung sonstiger Bestimmungen zur Begründung von Ersatzansprüchen
gegen den Leistungsempfänger ausschließe. Eine erweiternde oder analoge Anwendung der §§ 44 ff. SGB X auf Sachverhalte, die von dem Wortlaut der einzelnen Bestimmungen nicht erfaßt würden, müsse die Geschlossenheit dieses Regelungssystems
wahren und dürfe nicht Strukturprinzipien der jeweils in Rede stehenden Sozialleistungen verletzen. Die von dem Verwaltungsgericht
vorgenommene analoge Anwendung des § 48 Abs. 1
SGB X halte diese Grenzen nicht ein. Denn sie verstoße entweder gegen § 47 Abs. 1
SGB X, indem sie einen Widerruf für die Vergangenheit zulasse, oder aber gegen den sozialhilferechtlichen Grundsatz, daß rechtmäßig
gewährte Sozialhilfe nicht rückwirkend dadurch rechtswidrig werden könne, daß dem Hilfeempfänger später eine andere auf denselben
Leistungszeitraum bezogene soziale Leistung zufließe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils
begehrt. Sie rügt Verletzung der §§ 48, 50
SGB X.
Die Kläger verteidigen das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II.
Die Revision der Beklagten, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 in Verbindung mit § 125 Abs. 1 Satz 1
und §
101 Abs.
2
VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist nicht begründet, so daß sie zurückzuweisen ist (§
144 Abs.
2
VwGO). Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß die rückwirkende Aufhebung der Bewilligungsbescheide für die Monate Dezember
1987 bis März 1988 und die Rückforderung der für diese Zeit gezahlten Sozialhilfeleistungen keinen Bestand haben können.
Abgesehen davon, daß die Aufhebung der Sozialhilfebescheide wegen des 1989 erfolgten Umzugs der Kläger in den Zuständigkeitsbereich
eines anderen Sozialhilfeträgers schon an der fehlenden örtlichen Zuständigkeit der Beklagten scheitern kann (vgl. § 44 Abs. 3 und § 42
SGB X), ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, daß § 48
SGB X, der von den Vorinstanzen zu Recht als für die Rückgängigmachung der Sozialhilfebewilligungen allenfalls in Betracht zu ziehende
Ermächtigungsnorm angesehen worden ist, die angefochtenen Bescheide nicht zu rechtfertigen vermag. Dabei kann offenbleiben,
ob die hier ergangenen, aneinandergereihten "Monatsbescheide" im Umfang ihres jeweiligen zeitlichen Geltungsanspruchs als
Verwaltungsakte mit Dauerwirkung im Sinne des § 48 Abs. 1
SGB X aufgefaßt werden könnten. Denn unabhängig davon konnte sich die Beklagte für die von ihr erlassenen Aufhebungsbescheide nicht
auf diese Vorschrift berufen.
§ 48
SGB X erlaubt eine Aufhebung dauerwirksamer Sozialleistungsbescheide mit Wirkung für die Vergangenheit mit der Folge, daß die erbrachten
Leistungen nach § 50 Abs. 1
SGB X zu erstatten sind, nur unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2. Von den dort normierten Ermächtigungstatbeständen
kommen hier nach Lage des Falles allein die Nummern 2 und 3 in Betracht.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene
einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse
vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Vorausgesetzt ist dabei, daß während der Dauer der Wirksamkeit des
Verwaltungsakts eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eintritt (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X) und dem Betroffenen eine Mitteilungspflicht gerade in bezug auf diese Änderungen obliegt. Diese Voraussetzungen sind nicht
gegeben. Denn die Verletzung von Mitteilungspflichten, die dem Kläger zu 1 von der Beklagten vorgeworfen wird, bezieht sich
nicht auf Veränderungen der den aufgehobenen Verwaltungsakten zugrunde liegenden Verhältnisse, sondern auf diese Grundlagen
selbst, auf den - für das Ergehen dieser Verwaltungsakte unerheblichen - Umstand nämlich, daß die Ehefrau des Klägers zu 1
Arbeitslosenhilfe beantragt hatte. Darüber hinaus erfaßt § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
SGB X nur solche Änderungen, die während der Geltungsdauer des jeweiligen Verwaltungsakts eintreten. Änderungen nach Außerkrafttreten
des Bewilligungsbescheides, wie sie hier in den Nachzahlungen von Arbeitslosenhilfe an die Ehefrau des Klägers zu 1 gesehen
werden könnten, bleiben insoweit außer Betracht. Denn eine fiktive Rückdatierung des Zeitpunkts der Änderung der Verhältnisse
sieht § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X nur für die Fallgruppe des Satzes 2 Nr. 3 vor (vgl. BSGE 74, 287 [291]; Steinwedel, in: KassKomm § 48
SGB X Rn. 47, 57).
§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 in Verbindung mit Satz 3 SGB X trägt die angefochtenen Aufhebungsbescheide ebenfalls nicht. Insoweit fehlt es an der von § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X aufgestellten Voraussetzung, daß der für die betroffene Sozialleistung geltende besondere Teil des Sozialgesetzbuchs - hier
das Bundessozialhilfegesetz (vgl. Art. II § 1 Nr. 15 SGB - AT -) - die Anrechnung des in Gestalt der Arbeitslosenhilfenachzahlungen "nachträglich" zugeflossenen Einkommens
auf einen zurückliegenden Zeitraum vorschreibt. Dies gilt auch dann, wenn mit dem Bundessozialgericht davon auszugehen sein
sollte, daß es für die Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X genügt, wenn der besondere Teil die rückwirkende Anrechnung "nicht ausschließt" (vgl. BSGE 59, 111 [114]). Denn auch in diesem Sinne schließt das geltende Sozialhilferecht eine rückwirkende Anrechnung nachträglich zugeflossenen
Einkommens gegenüber dem Hilfeempfänger aus.
Nach Wesen, Sinn und Zweck ist Sozialhilfe öffentliche Hilfe in gegenwärtiger Not (BVerwGE 90, 160 [162]). Deshalb hat der Senat in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz "Keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" betont
(BVerwGE 90, 154 [156] m.w.N.), und deshalb kommt es für die (rechtmäßige) Gewährung von Sozialhilfe auf die tatsächliche Lage des Hilfesuchenden
im Zeitraum des Bedarfs an (BVerwGE 58, 146 [150] m.w.N.). Weil danach die tatsächlichen und nicht die rechtlichen Verhältnisse entscheidend sind, stehen - unabhängig
von der Frage, ob auf sie ein Rechtsanspruch besteht - nur tatsächlich erhaltene oder erhältliche Mittel von dritter Seite
als "bereite Mittel" der Selbsthilfe im Sinne des § 2 Abs. 1
BSHG entgegen (vgl. BVerwGE 5, 27 [30] sowie Urteil vom 12. Oktober 1993 - BVerwG 5 C 38.92 - [Buchholz 436.0 § 2
BSHG Nr. 16 S. 15] m.w.N.). Sind die Mittel, wie hier die Leistungen der Arbeitslosenhilfe, im Bedarfszeitraum tatsächlich nicht
verfügbar, sondern müssen sie erst vor Gericht erstritten werden, ist Sozialhilfe (regelmäßig) zu gewähren, um die gegenwärtige
Notlage zu beheben (vgl. BVerwGE 58, 146 [150]).
Die danach rechtmäßige Gewährung von Sozialhilfe wird nicht dadurch rückwirkend rechtswidrig, daß eine vorrangige Sozialleistung,
auf die im und für den Zeitraum des Bedarfs Anspruch bestand, nachträglich bewilligt wird. Das ist mit Rücksicht auf den Charakter
der Sozialhilfe als Hilfe zur Überwindung einer gegenwärtigen Notlage denkgesetzlich nicht möglich. Besteht eine Notlage und
wird aus diesem Grund Sozialhilfe rechtmäßig gewährt, dann ist die Notlage behoben und der aus Anlaß dieser Notlage entstandene
Sozialhilfefall erledigt (BVerwGE 58, 146 [150 f.]). Nur eine gesetzliche Fiktion könnte bewirken, daß die tatsächliche Notlage im Bedarfszeitraum im nachhinein als
nicht vorhanden gewesen und die Hilfegewährung als zu Unrecht erfolgt anzusehen ist. Eine derartige Regelung aber fehlt im
Bundessozialhilfegesetz.
Sie folgt auch nicht aus einem Gebot der nachträglichen Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe. Denn dieser wird
gegenüber dem Hilfeempfänger und den mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen im nachhinein nur in den Fällen wiederhergestellt,
in denen das Gesetz dies ausdrücklich anordnet (vgl. z.B. § 11 Abs. 2 Satz 2, § 29 Satz 2, § 43 Abs. 1 Satz 2 BSHG). Für Fälle der vorliegenden Art fehlt eine entsprechende Bestimmung. Unbeschadet dieser und der in den §§ 92 ff. BSHG getroffenen - hier nicht einschlägigen - Regelungen ist deshalb rechtmäßig gewährte Sozialhilfe nach der Konzeption des Bundessozialhilfegesetzes
grundsätzlich nicht zurückzuzahlen (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1992 - BVerwG 5 C 40.90 - [Buchholz 435.12 § 50
SGB X Nr. 8 S. 13] m.w.N.).
Statt dessen ist dem Sozialhilfeträger zur Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe gegenüber anderen vorrangigen Sozialleistungen
das Rechtsinstitut der Erstattung an die Hand gegeben, das jedenfalls im Regelfall den finanziellen Zustand herstellt, wie
er bei rechtzeitiger Erfüllung des vorrangigen Sozialleistungsanspruchs bestanden hätte (§§ 102 ff., 107 SGB X). Wo dies im Einzelfall aus welchen (tatsächlichen oder rechtlichen) Gründen auch immer nicht möglich ist, etwa weil der
vorrangig verpflichtete Leistungsträger in Unkenntnis der Leistung des nachrangig verpflichteten seinerseits befreiend an
den Sozialleistungsempfänger geleistet hat (§ 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X), muß dies so lange hingenommen werden, wie der Gesetzgeber die geltende Rechtslage nicht geändert (s. in diesem Zusammenhang
auch die Überlegungen zur - jedenfalls grundsätzlichen - Nichtanwendbarkeit des § 48
SGB X im Bereich der Sozialhilfe in BTDrucks 8/2034 S. 34 zu § 43) und eine den Doppelbezug von Sozialleistungen im Bereich des Sozialhilferechts schlechthin vermeidende Regelung (im Bundessozialhilfegesetz und/oder im Zehnten Buch Sozialgesetzbuch) nicht getroffen hat. Mit den Mitteln richterlicher Rechtsfortbildung jedenfalls
kann der sozialpolitisch unerwünschte Doppelbezug von Sozialleistungen insoweit nicht verhindert werden. Denn die §§ 44 ff. SGB X bilden ein geschlossenes System der Aufhebung von Verwaltungsakten und der Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen (vgl.
BVerwGE 91, 13 [16]). Mit ihm hat der Gesetzgeber eine umfassende und abschließende Abwägung zwischen den rechtsstaatlichen Prinzipien der
Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns und der Rechtssicherheit, die für den Bürger insbesondere Vertrauensschutz bedeutet,
getroffen; dies schließt eine analoge Anwendung dort geregelter Eingriffsermächtigungen zu Lasten des Bürgers aus (vgl. BSGE
69, 255 [258 f.]).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
154 Abs.
2
VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus §
188 Satz 2
VwGO.