Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte berechtigt ist, von der Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers monatlich
Beträge abzuzweigen.
Der am 12.10.1955 geborene Kläger bezieht seit 01.09.1986 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Beklagten. Der Kläger
ist ledig und Vater der am 27.07.1978 geborenen Tochter C. K. Da der Kläger seiner Unterhaltspflicht gegenüber seiner Tochter
C. nicht nachgekommen war und die Tochter deshalb vom Landratsamt - Jugendamt - L. ab 27.07.1996 Hilfe für junge Volljährige
erhalten hatte, wurde ein Teil der Rente an das Landratsamt L. gezahlt. Nachdem das Landratsamt L. der Beklagten mitgeteilt
hatte, dass die Hilfegewährung für die Tochter C. eingestellt wurde, beendete die Beklagte die Abzweigung zum 30.11.1998.
Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - W. vom 20.11.2002 wurde der Kläger verurteilt, unter Anrechnung
des hälftigen Kindergeldes Unterhalt (ab 01.01.2001) iHv 100 % des jeweiligen Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe nach
§ 1 der Regel-Betrags-Verordnung für die am 08.06.1999 als nichteheliche Tochter des Klägers geborene J. M. H. (Beigeladene
zu 2) zu zahlen. Nachdem der Kläger seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen ist, leistete der Beigeladene zu 1,
der eine Pflegschaft für die Beigeladene zu 2 übernommen hat, dieser Unterhaltsvorschuss und machte nach Auslaufen des Unterhalsvorschusses
im Rahmen der Pflegschaft für die Beigeladene zu 2 die Unterhaltsansprüche geltend. Die Beklagte zweigte zeitweise entsprechende
Beträge von der Rente des Klägers ab. Gegen die Abzweigung zugunsten des Beigeladenen zu 1 und des Landkreises L. (wegen der
Tochter C.) wandte sich der Kläger in verschiedenen Gerichtsverfahren (zB Sozialgericht (SG) Konstanz S 8 RJ 1063/04, S 8 R 686/08, S 8 R 3240/08; Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) L 9 R 3983/04). Er führte jeweils aus, zeugungsunfähig und nicht der Vater der Kinder zu sein. Nach einer Auskunft der Beklagten im Verfahren
L 11 R 1061/09 vom 20.04.2009 wurden bis zu diesem Zeitpunkt für Unterhaltsansprüche der Beigeladenen zu 2 zu Gunsten des Landkreises R.
folgende Abzweigungen von der Rente des Klägers vorgenommen: vom 01.05.2003 bis 30.06.2003 monatlich 40,48 EUR vom 01.07.2003
bis 31.03.2004 monatlich 45,56 EUR vom 01.04.2004 bis 30.06.2005 monatlich 38,37 EUR
Zeitweise wurde die Rente des Klägers in voller Höhe ausbezahlt, da sich aufgrund des Mindestselbstbehalts kein abzweigbarer
Betrag ergeben hatte.
Der Beklagten teilte der Beigeladene zu 1 am 15.07.2010 als Beistand der Beigeladenen zu 2 mit, dass die monatlichen Unterhaltsverpflichtungen
des Klägers derzeit 272,00 EUR ausmachten, der Kläger diesen Ansprüchen nicht nachkomme und auf die Abtretung weiterhin bestanden
werde. Mit Schreiben vom 15.07.2010 hörte die Beklagte den Kläger zu einer monatlichen Abzweigung an. Sie führte aus, der
Kläger erhalte eine Rente iHv monatlich 793,67 EUR, der monatliche Mindestselbstbehalt laut Düsseldorfer Tabelle betrage 770,00
EUR, es sei beabsichtigt, den Unterschiedsbetrag von 23,67 EUR an den Beigeladenen zu 1 zu zahlen. Mit Schreiben vom 05.08.2010
teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass ab 01.09.2010 monatlich 770,00 EUR ausbezahlt würden, 23,67 EUR würden monatlich
an den Beigeladenen zu 1 gezahlt.
Hiergegen legte der Kläger mit einem am 13.08.2010 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben Widerspruch ein. Er machte die
Notwendigkeit einer verfassungsgerichtlichen Abklärung geltend und vertrat die Auffassung, dass das Verfahren auf Anerkennung
der Vaterschaft ohne seine "Anerkennungsunterschrift" rechtswidrig gewesen sei. Er sei nicht der Vater der Beigeladenen zu
2. Die Rente werde rechtswidrig gekürzt. Mit Bescheid vom 06.12.2010 stellte die Beklagte wegen einer Änderung des Krankenversicherungsbeitrags
die Rente zum 01.01.2011 neu fest. Dem Kläger wurden weiterhin monatlich 770,00 EUR ausbezahlt, an den Beigeladenen zu 1 wurden
21,03 EUR abgezweigt. Dagegen hat der Kläger am 13.12.2010 Widerspruch erhoben und ua ausgeführt, ihm stehe eine Mindestpension
von 1.400,00 EUR zu. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.02.2011 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers zurück. Zur Begründung
führte sie ua aus, liege ein Unterhaltstitel vor, so habe der Rentenversicherungsträger allein diesen Titel zu beachten und
keine eigenen Feststellungen zu treffen. Auch bei Vorliegen eines Unterhaltstitels müsse dem Unterhaltspflichtigen nach der
Abzweigung ein angemessener Betrag verbleiben. Angemessen sei der sich aus der Düsseldorfer Tabelle ergebende Selbstbehalt.
Aus den vorliegenden Unterlagen sei nicht ersichtlich, dass dem Kläger ein höherer Betrag verbleiben müsse. Entsprechende
Gesichtspunkte seien nicht vorgetragen worden. Der abzutrennende Betrag von derzeit 21,03 EUR monatlich sei nach pflichtgemäßem
Ermessen festgestellt worden. Die Bescheide vom 05.08.2010 und 06.12.2010 seien nicht zu beanstanden.
Bereits am 11.01.2011 hatte der Kläger bei SG Ulm Klage erhoben, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 01.02.2011 an das
SG Konstanz verwiesen hat. Der Kläger hat unter Vorlage ärztlicher Unterlagen im Wesentlichen ausgeführt, er sei zeugungsunfähig
und nicht der Vater der Beigeladenen zu 2, weshalb die Rente nicht gekürzt werden dürfe. Das SG hat mit Urteil vom 18.08.2011 die Klage abgewiesen. Laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen
bestimmt seien, könnten nach §
48 Abs
1 Satz 1
SGB I in angemessener Höhe an den Ehegatten oder Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner
gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung nicht nachkomme. Die Unterhaltspflicht ergebe sich aus dem Urteil des Amtsgerichts W.;
das Vorbringen des Klägers, zeugungsunfähig zu sein ändere nichts, denn die später festgestellte Zeugungsunfähigkeit sage
nichts über den Zustand zum Zeitpunkt der Zeugung der Beigeladenen zu 2 aus. Auch seien die Grenzen der Angemessenheit eingehalten,
die sich nach dem Selbstbehalt der Düsseldorfer Tabelle bestimme. Danach betrage beim nicht erwerbstätigen Unterhaltsverpflichteten
der Selbstbehalt 770,00 EUR, worin 360,00 EUR für eine Warmmiete enthalten seien. Eine Erhöhung des Selbstbehalts scheide
aus. Auch habe die Beklagte, wenn auch nur knapp so doch Ermessen ausgeübt.
Nach Verkündung des Urteils hat der Kläger mit einem an "alle Gerichte Baden-Württemberg - Polizei - Staatsanwaltschaft -
, gerichteten Schreiben, beim LSG am 17.08.2011, beim SG am 26.08.2011 eingegangen, ausgeführt, alle Vaterschaftsverfahren seit 1978 seien gefälscht; es hätten gar keine DNA-Gutachten
erstellt werden können.
Gegen das ihm am 26.08.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.09.2011 beim LSG Berufung eingelegt. Ihm stehe nach Beamtenrecht
eine Mindestpension iHv 1.400,00 EUR zu. Die illegale Abzweigung sei einzustellen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18.08.2011 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 05.08.2010 und 06.12.2010
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.02.2011 sowie die Bescheide vom 07.06.2011 und vom 08.02.2013 abzuändern und
die Beklagte zu verurteilen, ihm die Rente ungekürzt und ohne Abzweigung zugunsten des Beigeladenen zu 1 auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 08.02.2013 abzuweisen.
Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten; sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Sie hat noch die Bescheide
vom 05.08.2010, 06.12.2010, 07.06.2011 und 08.02.2013 vorgelegt.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Mit Schreiben vom 16.01.2013 ist der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 17.03.2009 (B 14 AS 34/07 R) aufgefordert worden, seine Kosten für Unterkunft und Heizung nachzuweisen. Hierzu hat sich der Kläger mit Schreiben vom
23.01.2013 geäußert, darin aber lediglich sein bisheriges Vorbringen - verfassungswidrige Vaterschaftsanerkennung - wiederholt
und keine Angaben zu Kosten der Unterkunft und Heizung gemacht. In der mündlichen Verhandlung hat er erklärt, er bewohne eine
Eigentumswohnung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie
die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist gemäß §§
143,
144,
151 Abs
1 SGG statthaft und zulässig, aber unbegründet. Die Bescheide der Beklagten vom 05.08.2010 und vom 06.12.2010 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28.02.2011 sowie die Bescheide vom 07.06.2011 und vom 08.02.2013 sind rechtmäßig und verletzten
den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat rechtmäßig entschieden, dass von der monatlichen Rente des Klägers ein
Betrag iHv 23,67 EUR vom 01.09.2010 bis zum 31.12.2010, iHv 21,03 EUR vom 01.01.2011 bis zum 30.06.2011, iHv 28,88 EUR vom
01.07.2011 bis zum 30.06.2012 und iHv 15,42 EUR ab dem 01.07.2012 an den Beigeladenen zu 1 ausgezahlt und so der Anspruch
des Klägers durch Zahlung an den Beigeladenen zu 1 erfüllt wird.
Streitgegenstand sind die Bescheide vom 05.08.2010 und vom 06.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2011
sowie die Bescheide vom 07.06.2011 und vom 08.02.2013. Die Bescheide vom 07.06.2011 und vom 08.02.2013 ändern die Höhe der
monatlichen Abzweigung und werden daher - entsprechend dem Hinweis vom 13.05.2013 - gemäß §§
96,
153 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Gegenstand des Berufungsverfahrens (Leitherer in Meyer-Ladewig,
SGG, 10. Aufl. §
96 RdNr 12a). Über den Bescheid vom 07.06.2011 entscheidet das LSG im Rahmen der Berufung (Behrend in Hennig
SGG, § 96 RdNr 49). Wird ein Bescheid nach Zustellung des SG-Urteils, aber vor Einlegung der Berufung nach §
96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens, liegt eine Klageänderung kraft Gesetzes bereits im Klageverfahren vor. Über die Rechtmäßigkeit
eines solchen Bescheides ist nach den Grundsätzen zu entscheiden, die die Rechtsprechung für die Fälle entwickelt hat, in
denen das SG übersehen hat, dass ein neuer Verwaltungsakt gemäß §
96 Abs
1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist (vgl BSG 26.5.2011, B 10 EG 12/10 R, SozR 4-7837 § 4 Nr 2 mwN). Dementsprechend muss das LSG bereits im Wege der Überprüfung des Urteils des SG über die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides mit entscheiden (BSG 20.12.2012, B 10 EG 19/11 R, [...]). Der Bescheid vom 08.02.2013 ist nach §
153 Abs
1 i.V.m. §
96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Über diesen Bescheid entscheidet das LSG erstinstanzlich auf Klage (Behrend
aaO). Die früheren Bescheide haben sich nicht erledigt, da die Beklagte die aufschiebende Wirkung der Klage nicht beachtet
und die Verwaltungsakte vollzogen hat.
Richtige Klageart ist in der vorliegenden Konstellation die (isolierte) Anfechtungsklage (§
54 Abs
1 Satz 1, Abs
2 SGG). Der Kläger wendet sich gegen die ihn belastende Regelung, wonach ein Teil der ihm zustehenden Rente nicht an ihn, sondern
an den Beigeladenen zu 1 ausgezahlt wird. Eine (erneute) Verurteilung der Beklagten zur Rentengewährung ist nicht notwendig
und wäre auch nicht zulässig, da die Rente dem Kläger weiterhin in vollem Umfang gewährt wird. Mit der Auszahlung der abgezweigten
Beträge wird die Leistung nur auf andere Weise erfüllt (ausführlich hierzu BSG 13.05.1987, 7 RAr 13/86, SozR 1200 § 48 Nr 11).
Nach §
48 Abs
1 Satz 1
SGB I können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den
Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht
nicht nachkommt. Die Auszahlung kann auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Ehegatten oder den Kindern Unterhalt
gewährt (§
48 Abs
1 Satz 4
SGB I).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor, weil der Kläger seiner Unterhaltspflicht gegenüber der
Beigeladenen zu 2 nicht nachgekommen ist. Der Kläger ist aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts - Familiengerichts
- W. zur Zahlung von Unterhalt an die Beigeladene zu 2 verpflichtet. Die Rechtskraft dieses Urteils bindet den Kläger und
ist auch vom Senat zu beachten. Die wiederholte Behauptung des Klägers, er sei nicht der Vater der Beigeladenen zu 2 ist im
vorliegenden Verfahren irrelevant. Der Kläger erfüllt auch die ihm in Folge des Urteils des Amtsgerichts - Familiengericht
- W. feststehende gesetzliche Unterhaltsverpflichtung nicht. Daher war die Beklagte gemäß §
48 Abs
1 Satz 1
SGB I berechtigt, Teile der dem Kläger zustehenden monatlichen Rente in angemessener Höhe zugunsten der Beigeladenen zu 2 an den
Beigeladenen zu 1 abzuzweigen und an diesen auszubezahlen. Da der Beigeladene zu 1 den Unterhaltsanspruch der Beigeladenen
zu 2 im Rahmen der ihm übertragenen Pflegschaft/Beistandschaft gemäß §
1712 BGB geltend macht, handelt es sich vorliegend um eine Abzweigung nach §
48 Abs
1 Satz 1
SGB I und nicht um eine solche nach §
48 Abs
1 Satz 4
SGB I.
Bei der Anwendung des §
48 Abs
1 SGB I ist zu unterscheiden, ob der Unterhaltsanspruch tituliert ist oder nicht. Liegt kein Titel vor, muss der Leistungsträger
nach den Maßstäben des Zivilrechts eigenständig prüfen, ob eine konkrete Pflicht zur Zahlung von Unterhalt an den Angehörigen
besteht. Das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht setzt Unterhaltsfähigkeit nach den Vorschriften des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (
BGB) voraus; unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne
Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren (§
1603 Abs
1 BGB). Bei der Prüfung der Unterhaltsfähigkeit hat das BSG in Fällen, in denen kein Unterhaltstitel vorliegt, jedenfalls in den sog alten Bundesländern die Praxis gebilligt, die Düsseldorfer
Tabelle als allgemein geeigneten Maßstab für die Berechnung des Selbstbehalts des Leistungsberechtigten zu Grunde zu legen
(BSG 08.03.2009, B 11 AL 30/08 R, SozR 4-1200 § 48 Nr 4; ebenso LSG Niedersachsen-Bremen 23.02.2012, L 9 AS 764/11, [...]). In diesem Fall gehört die Frage, wie hoch der Selbstbehalt ist zu den Tatbestandsvoraussetzungen des §
48 SGB I. Liegt dagegen - wie hier - ein Unterhaltstitel vor, steht das Bestehen einer Unterhaltspflicht fest. Der Feststellung einer
Unterhaltspflicht und der Leistungsfähigkeit des Leistungsempfängers durch den Leistungsträger bedarf es in diesen Fällen
nicht mehr, sodass auch die Frage des angemessenen Selbstbehalts für den Unterhaltsschuldner nur im Rahmen der Ermessenserwägungen
der Beklagten eine Rolle spielen kann (BSG 17.03.2009, B 14 AS 34/07 R, SozR 4-1200 § 48 Nr 3).
Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, steht die Abzweigung im Ermessen des Leistungsträgers. Dem Leistungsträger steht
grundsätzlich die Wahl zwischen mehreren rechtlich möglichen Verhaltensweisen zu, erforderlich ist lediglich, dass er sich
für sein Verhalten auf sachgerechte Gründe berufen kann und beruft. Er kann, auch wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen
gegeben sind, von einer Abzweigung absehen, wenn sie ihm nach den Umständen des Einzelfalles nicht angezeigt erscheint. Dabei
besteht auch Ermessen hinsichtlich des zeitlichen Beginns der Abzweigung und der Höhe des ausgezahlten Betrages (BSG 17.03.2009 aaO mwN). Eine Ermessensreduzierung auf Null kommt in Betracht, wenn entweder keine andere Entscheidung als eine
vollständige Abzweigung oder eine Ablehnung hätte getroffen werden können (BSG 08.03.2009 aaO). Die Beklagte hat spätestens im Widerspruchsbescheid ihr Ermessen ausgeübt. Ermessensfehler sind nicht vorhanden.
Insbesondere hat die Beklagte die Höhe des dem Kläger zustehenden Selbstbehalts in einer den Kläger nicht benachteiligenden
Weise festgesetzt. Die unterschiedlichen Abzweigungsbeträge in den nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangenen Bescheiden
sind durch Erhöhungen der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sowie Rentensteigerungen bedingt.
In den Fällen, in denen ein Unterhaltstitel vorliegt, ist die Höhe des angemessenen Selbstbehalts im Rahmen der Ermessensausübung
zu ermitteln. Da eine materiell-rechtliche Prüfung des Unterhaltsanspruchs in diesem Fall nicht stattfindet, sind Maßstab
nicht die für das Erkenntnisverfahren, sondern die für das Vollstreckungsverfahren maßgeblichen Vorschriften. Ansonsten würden
in systemwidriger Weise Elemente des Erkenntnis- und des Vollstreckungsverfahrens miteinander vermengt. Bei feststehenden
Unterhaltsforderungen ist die Entscheidung über die Abzweigung vollstreckungsähnlicher Natur. Es besteht in einem solchen
Fall in aller Regel auch kein Grund, den Unterhaltsverpflichteten im Rahmen des §
48 Abs
1 SGB I besser zu stellen als in der Vollstreckung. Andererseits wird durch die Anwendung des §
850d ZPO sichergestellt, dass nicht mehr abgezweigt wird als gepfändet werden kann. Einen ihn über Gebühr belastenden Titel muss der
Unterhaltsschuldner im dafür vorgesehenen Verfahren, etwa nach §
323 ZPO ändern lassen. Dieses Verfahren soll und kann durch §
48 Abs
1 SGB I nicht ersetzt werden (BSG 17.03.2009 aaO mwN). Der unpfändbare notwendige Unterhalt des Schuldners im Sinne des §
850d Abs
1 Satz 2
ZPO entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zuletzt BGH 05.08.2010, VII ZB 17/09, VII ZB 18/09, FamRZ 2010, 1798), grundsätzlich dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des 3. und 11. Kapitels des SGB XII (BGH 12.12. 2007, VII ZB 38/07, NJW-RR 2008, 733, 734; 23.02.2005, XII ZR 114/03, BGHZ 162, 234, 245). Die Miet- und Heizkosten des Vollstreckungsschuldners müssen grds nach dem tatsächlichen Aufwand ermittelt werden,
soweit er nicht im Einzelfall unangemessen hoch ist (BGH 18.07.2003, IXa ZB 151/03, NJW 2003, 2918).
Die Beklagte hat zumindest im Widerspruchsbescheid das ihr zustehende Ermessen nach §
48 Abs
1 Satz 1 i.V.m. §
39 SGB I ausgeübt und dabei erkennen lassen, dass sie die gesamte Situation des Kläger berücksichtigt und auch die Möglichkeit der
Festsetzung eines höheren Selbstbehalts nach Darlegung eines entsprechenden Bedarfs geprüft hat. Dies reicht nach Überzeugung
des Senats aus. Im vorliegenden Fall ist die Beklagte zwar von einem falschen Maßstab ausgegangen, weil sie die Höhe des Selbstbehalts
nach der Düsseldorfer Tabelle bestimmt hat. Allein deshalb liegt aber noch kein Ermessensfehler vor. Denn es kann grundsätzlich
davon ausgegangen werden, dass der notwendige Selbstbehalt nach dem materiellen Unterhaltsrecht größer ist als der notwendige
Unterhalt des Vollstreckungsschuldners (vgl hierzu BGH 18.07.2003, IXa ZB 151/03, NJW 2003, 2918). Da die Beklagte im Rahmen der Anhörung (Schreiben vom 15.07.2010, Bl 464 der Vw-Akten) dargelegt hat, von welchen Rechengrößen
sie ausgeht (Selbstbehalt in Höhe von 770 EUR), hätte der Kläger darlegen können, dass und weshalb dieser Betrag in seinem
Fall nicht ausreicht, um zB seine Kosten der Unterkunft zu begleichen. Da er dies nicht getan hat, brauchte die Beklagte keine
weiteren Ermittlungen mehr anzustellen und bei der Ermessensausübung hierauf nicht mehr näher einzugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs
2 Nr
1 und
2 SGG liegen nicht vor.