Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Angemessenheit der Miete in Freiburg; Verfassungsmäßigkeit
von § 22 SGB II
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Übernahme der vollen Kosten der Unterkunft für die
Zeit vom 1. Juli 2008 bis 31. März 2009 hat.
Die Klägerin ist 1950 geboren und seit 2002 ohne Beschäftigung. Nach dem Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe
bezieht sie seit 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II (Alg II). Sie bewohnt seit 1985 eine 76,83 qm große 3-Zimmerwohnung in
F., für die sie seit 1. November 2007 497,- EUR Kaltmiete bezahlte, darüber hinaus eine Heizkosten- und Warmwasserpauschale
von zunächst 37,50 EUR sowie weitere Nebenkosten (Betriebskosten) von monatlich 107,50 EUR. Die von der Klägerin bewohnte
Wohnung liegt in einem zwischen 1961 und 1977 hergestellten Mehrfamilienhaus.
Für die Stadt F. ist ein qualifizierter Mietspiegel erstellt. Für die Zeit ab 1. März 2007 (Datenerhebung im Juni und Juli
bzw. September 2006; gültig bis Dezember 2008) wies der Mietspiegel für eine 45 qm große Wohnung einen durchschnittlichen
Basismietpreis von 7,51 EUR je qm aus. Zusätzlich werden für bestimmte Ausstattungsvarianten Zu- bzw. Abschläge vorgesehen.
Im Textteil des Mietspiegels ist des Weiteren ausgeführt, dass auch der F. Mietspiegel eine Spannbreite der Mietpreise ausweisen
solle. In Abweichung vom Mietspiegel 2004, der konkrete Cent-Beträge als Spannengrenze vorgesehen habe, stelle man auf Prozentwerte
um. Damit werde der bislang für alle Wohnungsgrößen gleich bleibende feste Cent-Betrag an die Wohnfläche gekoppelt und mögliche
Ungleichbehandlungen von Wohnungen ausgeschaltet. Die Berechnung der Standardschätzfehler für verschiedene Wohnungstypen habe
Prozentwerte zwischen 3% und 9% um die durchschnittliche ortsübliche Vergleichsmiete bei Zugrundelegung einer Sicherheitswahrscheinlichkeit
von 99% ergeben. Um keine anwenderunfreundlichen Differenzierungen vornehmen zu müssen, werde als einheitliche Ober- und Untergrenze
der Spanne der höchste Wert, nämlich 9% verwendet. Entsprechende Ausführungen finden sich zum Mietspiegel 2009 (Anerkennung
durch Gemeinderatsbeschluss vom 10. Februar 2009), wobei der durchschnittliche Quadratmeterpreis hier auf 7,87 EUR festgesetzt
wurde.
Der Klägerin wurden neben den Grundsicherungsleistungen zunächst die vollen Kosten der Unterkunft bezahlt, ab 1. Januar 2005
427,50 EUR Grundmiete, anteilige Heizkosten von 28,50 EUR sowie sonstige Nebenkosten von 114,18 EUR, insgesamt 570,18 EUR.
Mit Schreiben vom 8. August 2005 wurde der Klägerin von der Rechtsvorgängerin des Beklagten (im Folgenden auch: Beklagter)
mitgeteilt, dass die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch seien. Die Mietobergrenze sei ab 1. April 2003 auf 5,62 EUR je
qm festgesetzt worden, so dass ihre Miete bei einer angemessenen Wohnungsgröße von 45 qm die Mietobergrenze um 174,60 EUR
übersteige. Sie werde daher aufgefordert, binnen sechs Monaten die Unterkunftskosten zu senken bzw. nachzuweisen, dass sie
kontinuierlich nach einer preisgünstigeren Wohnung gesucht, eine solche aber nicht gefunden habe. Zugleich wurde die Klägerin
aufgefordert, sich beim städtischen Amt für Liegenschaften und Wohnungswesen sowie der F. Stadtbau GmbH wegen einer Sozialwohnung
zu melden. Dieser Aufforderung kam die Klägerin im August 2005 nach. Auf ihren Folgeantrag übernahm der Beklagte auch ab April
2006 die tatsächlichen Kosten der Unterkunft. Unter dem 9. März 2006 wurde die Klägerin erneut unter Fristsetzung von sechs
Monaten zur Kostensenkung aufgefordert.
Dagegen wandte sich die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten (Schriftsatz vom 6. April 2006) und brachte vor, ihre Mutter
sei derzeit von Freitag bis Sonntag in der Wohnung; sie beabsichtige, ihre 83jährige Mutter ganz bei sich aufzunehmen, falls
dies in den nächsten Jahren notwendig werden sollte. Angesichts des zudem günstigen Quadratmeterpreises der Wohnung sei diese
angemessen.
Aktenkundig ist eine Gesprächsnotiz vom 27. März 2006, wonach die Klägerin bei der persönlichen Vorsprache mehrere Zeitungsausschnitte
für Wohnungsangebote vorgelegt habe, um zu dokumentieren, dass es in F keinen Wohnraum für 5,62 EUR je qm gebe. Sie sei darauf
hingewiesen worden, dass sie zum einen im Umland günstigeren Wohnraum finde, zum anderen, dass der Miethöchstpreis von 252,90
EUR auch bei höherem Quadratmeterpreis aber kleinerer Wohnung eingehalten werden könne. Vergleichbare Gesprächsvermerke finden
sich von Dezember 2006 und Juli 2007. Im Juli 2007 gab sie zudem an, dass sie versuchen wolle, ein Zimmer an Wochenendpendler
unterzuvermieten.
Auch ab 1. Oktober 2006 bzw. 1. April 2007 gewährte der Beklagte die vollen Unterkunftskosten. Unter dem 17. Juli 2007 schloss
der Beklagte mit der Klägerin eine Einzelvereinbarung zur Senkung der unangemessenen Miete. Danach erklärte sich der Beklagte
zur Übernahme der vollen Kosten der Unterkunft bereit, solange die Klägerin Bemühungen nachweise, die Miete auf die angemessenen
Unterkunftskosten zu senken. Die Klägerin erklärte sich bereit, ab Oktober 2007 die überhöhten Kosten als Eigenanteil zu übernehmen.
Mit Bescheid vom 5. September 2007 bewilligte der Beklagte ab 1. Oktober 2007 Kosten der Unterkunft in Höhe von insgesamt
576,44 EUR, ab 1. November 2007 unter Berücksichtigung der gestiegenen Grundmiete in Höhe von insgesamt 645,94 EUR. Mit Bescheid
vom 18. September 2007 nahm der Beklagte sodann eine angemessene Grundmiete ab 1. Oktober 2007 von monatlich 252,90 EUR an
und bewilligte insgesamt Kosten der Unterkunft in Höhe von 401,84 EUR (Grundmiete 252,90 EUR, Heizkosten 30,97 EUR [37,50
EUR abzüglich 6,63 EUR für Warmwasseraufbereitung], Neben-/Betriebskosten 107,50 EUR).
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein mit der Begründung, auf Basis des Mietspiegels der Stadt F. lasse sich die abstrakte
Angemessenheitsgrenze der Unterkunftskosten nicht bestimmen. Mit Änderungsbescheid vom 10. Dezember 2007 bewilligte der Beklagte
ab 1. Oktober 2007 aufgrund der neuen Mietobergrenze in Höhe von 290,70 EUR Kosten der Unterkunft von insgesamt 439,64 EUR.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2007 hob der Beklagte den Bescheid vom 5. September 2007 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ab 1. Oktober 2007 teilweise auf und wies nach Erteilung des Änderungsbescheids vom 10. Dezember 2007 den Widerspruch als
unbegründet zurück. Die Mietobergrenze belaufe sich jetzt auf 290,70 EUR. Dagegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht
F. (SG; Az.: S 13 AS 188/08). Im Klageverfahren änderte der Beklagte die angefochtenen Bescheide ab und gewährte ab Oktober 2007 bis 31. März 2008 die
vollen Unterkunftskosten.
Mit Bewilligungsbescheid vom 25. März 2008 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen vom 1. April bis 30. September
2008 von monatlich 786,44 EUR, davon 439,64 EUR Kosten der Unterkunft (Kaltmiete 290,70 EUR; Heizung 30,97 EUR, laufende Nebenkosten
in Höhe von insgesamt 117,97 EUR [107,50 EUR Vorauszahlungspflicht + 10,50 EUR Müllgebühren). Mit weiterem Bescheid vom 25.
März 2008 wurden Leistungen für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis 31. März 2009 in gleicher Höhe bewilligt. Mit (nicht in den
Verwaltungsakten dokumentierten) Bescheiden vom 18. Mai 2008 änderte der Beklagte die Bewilligung für die Zeit vom 1. Juli
2008 bis 30. September 2008 und vom 1. Oktober 2008 bis 31. März 2009 ab und bewilligte wegen der Anhebung des Leistungsbetrags
zur Sicherung des Lebensunterhalts von 347,- EUR auf 351,- EUR Leistungen in Höhe von 790,64 EUR.
Gegen die Bescheide vom 18. Mai 2008 erhob die Klägerin im Hinblick auf die Höhe der anerkannten Kosten der Unterkunft Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 15. Juli 2008 wurden die Widersprüche zurückgewiesen.
Dagegen hat die Klägerin am 8. August 2008 Klagen zum Sozialgericht F. (SG) erhoben. Mit Beschluss vom 3. März 2009 wurden die Verfahren (S 13 AS 3993/08 und S 13 AS 3994/08) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. Juli 2009 gab der Beklagte
ein "Teilanerkenntnis" ab und übernahm rückwirkend ab 1. November 2008 bis 31. März 2009 eine angemessene Kaltmiete von 305,10
EUR. Mit Urteil vom 10. Juli 2009 wurden die Klage(n) abgewiesen.
Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 22. Juli 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. August 2009 Berufung eingelegt
(damaliges Az.: L 1 AS 3815/09). Sie wiederholte ihr bisheriges Vorbringen und trug zur Begründung weiter vor, seit dem Verlust des Arbeitsplatzes 2002,
eines guten Freundes, des Vaters und ihres Hundes im gleichen Jahr sei es immer wieder zu depressiven Einbrüchen gekommen.
In dieser Situation sei das stabile soziale Umfeld von großer Bedeutung und bei einem Umzug gefährdet. Sie werde zudem 2013
abschlagsfrei in Altersrente gehen. Ihr sei ein Umzug deshalb nicht zuzumuten.
Mit Urteil vom 5. Juli 2010 hat der erkennende Senat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Mietspiegel der Stadt F. sei grundsätzlich
geeignet, Grundlage eines schlüssigen Konzepts für die Ermittlung der Vergleichsmiete zu bilden. Der Beklagte habe daraus
in der Umsetzung der ermittelten Daten auch die richtigen Schlüsse gezogen. Die von dem Beklagten zugrunde gelegte Miethöhe
von 6,46 EUR bzw. 6,78 EUR pro qm und die sich daraus ergebende Obergrenze für einen 1-Personenhaushalt von 290,40 EUR bzw.
305,10 EUR entspreche dem Mietniveau in der Stadt F. im unteren Segment des Wohnungsmarktes für Wohnungen der Größe bis 45
qm. Der Beklagte könne insoweit auf den qualifizierten Mietspiegel 2007 der Stadt F. (gültig von März 2007 bis Dezember 2008)
zurückgreifen. Hilfesuchenden nach dem SGB II seien Wohnungen mit überwiegend einfacher Bodenausstattung (Abschlag 6%), ohne Gegensprechanlage und Türöffner (Abschlag
4%) und an Durchgangsstraßen (Abschlag 5%) zumutbar. Der Beklagte habe die Klägerin bereits mit Schreiben vom 8. August 2005
und 9. März 2006 darauf hingewiesen, dass die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch seien. Am 17. Juli 2007 habe sich zudem
die Klägerin gegenüber dem Beklagten einverstanden erklärt, ab Oktober 2007 die Unterkunftskosten, soweit sie nicht angemessen
sind, selbst zu tragen. Der Klägerin sei darüber hinaus ein Umzug innerhalb des Vergleichsraums der Stadt F. möglich und zumutbar.
Es sei weder davon auszugehen, dass kein angemessener Wohnraum zu finden sei, noch, dass gesundheitliche Gründe einem Umzug
entgegenstünden. Wegen der weiteren Ausführungen des Senats wird auf das - beiden Beteiligten bekannte - Urteil vom 5. Juli
2010 verwiesen.
Die Klägerin hat die vom Senat zugelassene Revision beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt (Az.: B 14 AS 106/10 R).
Mit Urteil vom 13. April 2011 hat das BSG auf diese Revision hin das genannte Urteil des Senats vom 5. Juli 2010 aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung zurückverwiesen, da aufgrund der tatsächlichen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden könne,
ob die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung vom 1. Juli 2008 bis zum
31. März 2009 habe. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach der Verwaltungsvorschrift des Wirtschaftsministeriums
Baden-Württemberg zur Sicherung von Bindungen in der sozialen Wohnraumförderung vom 12. Februar 2002 (GABl S. 240, i.d.F.
vom 22. Januar 2004, GABl S. 248) sei für Ein-Personen-Haushalte von einer Wohnfläche von 45 qm auszugehen. An dieser Regelung
für die Belegung von gefördertem Wohnraum sei auch für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 SGB II anzuknüpfen. Als den maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum habe der erkennende Senat zu Recht die Stadt F. zugrunde gelegt.
In Ermangelung eines anderen schlüssigen Konzepts könne zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete auf die F. Mietspiegel
2007 und 2009 zurückgegriffen werden. Qualifizierte Mietspiegel i.S. des §
558d Bürgerliches Gesetzbuch - wie diese Mietspiegel - könnten Grundlage der Bestimmung der angemessenen Miete nach § 22 Abs. 1 SGB II sein. Gemäß den genannten Mietspiegeln sei von einer Kaltmiete pro Quadratmeter von 7,51 EUR im Jahr 2008 und von 7,87 EUR
im Jahr 2009 für eine Wohnfläche von 45 qm auszugehen. Ob das weitere Vorgehen des erkennenden Senats, von diesen Durchschnittsbeträgen
entsprechend der Systematik der Mietspiegel Abschläge zu machen von zB 6 % für eine überwiegend einfache Bodenausstattung,
geeignet sei, um dem angemessenen einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Wohnungsstandard Rechnung zu tragen, könne
zweifelhaft sein, weil statistische Nachweise fehlten, denen entnommen werden könne, dass es entsprechende Wohnungen in ausreichender
Zahl in F. gebe. Das entsprechende Ermittlungsdefizit liege auch dem Vorbringen der Klägerin zugrunde, dass für die derart
aus den Mietspiegeln abgeleiteten angemessenen Nettokaltmieten keine Wohnung auf dem Wohnungsmarkt zu bekommen sei. Eine objektive
Unmöglichkeit, eine Wohnung zu dem nach dem Mietspiegel angemessenen Quadratmeterpreis zu finden, sei zu verneinen, weil es
in Deutschland derzeit keine allgemeine Wohnungsnot gebe und allenfalls in einzelnen Regionen Mangel an ausreichendem Wohnraum
bestehe. Dass es aber Wohnungen zu den vom erkennenden Senat abstrakt angemessenen Quadratmeter-Nettokaltmieten im örtlichen
Vergleichsraum F. in einer bestimmten Häufigkeit gebe, sei nicht festgestellt worden. Die angemessenen kalten Betriebskosten
müssten ebenfalls noch abstrakt ermittelt werden. Gründe, warum die Klägerin über den abgelaufenen Sechs-Monats-Zeitraum des
§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II hinaus einen höheren Anspruch auf Leistung für die Unterkunft als die abstrakt angemessenen Beträge habe, seien nicht zu
erkennen. Die Klägerin habe jedoch Anspruch auf eine Leistung für die Heizung im streitigen Zeitraum in Höhe von 31,17 EUR
monatlich (Heizkosten und Warmwasserpauschale von 37,50 EUR abzüglich einer Pauschale für die Warmwasserbereitung von 6,33
EUR). Wegen der weiteren Ausführungen des BSG wird auf das - beiden Beteiligten bekannte - Urteil vom 13. April 2011 verwiesen.
Das Verfahren ist am 17. August 2011 erneut beim erkennenden Senat anhängig geworden.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 26.01.2012 mitgeteilt, dass für die Zeit vom 1. Juli 2008 bis 31. Januar 2009 Kosten der
Unterkunft ausgehend von einer Kaltmiete von 337,95 EUR und für die Zeit vom 1. Februar bis 31. März 2009 ausgehend von einer
Kaltmiete von 354,15 EUR unter Berücksichtigung der Entscheidung des Gemeinderates der Stadt F. vom 13. Dezember 2011 gewährt
werden. Der Beklagte hat diesbezüglich die Gemeinderats-Drucksache G-11/272 vorgelegt.
Die Klägerin hat das "Teilanerkenntnis" angenommen und darüber hinaus im Wesentlichen geltend gemacht, dass das "neue Konzept"
des Beklagten nicht überzeuge. Die Bezugnahme auf die Basismiete schließe Wohnungen ein, die bereits vermietet seien. Die
Diskrepanz zwischen Mieten von Wohnungen, die vermietet seien und Mieten von Wohnungen, die auf dem Markt tatsächlich angeboten
würden, liege in F. bei 20 Prozent. Darüber hinaus seien stetig steigende Mieten zu verzeichnen. Diese Mietsteigerungen berücksichtige
der Beklagte nicht. Die Basismiete sei letztlich ein willkürlicher Wert. Die Bezugnahme auf den Median sei nicht ausreichend,
um das untere Segment des Mietwohnungsmarktes abzubilden. Des Weiteren ergebe sich aus dem Urteil des SG Mainz vom 8. Juni
2012 (S 17 AS 1452/09), dass § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II mit Art.
1 Abs.
1 Grundgesetz (
GG), Art.
20 Abs.
3 GG jedenfalls dann nicht vereinbar sei, wenn man die Vorschrift als "Mietobergrenze" auslege. Die durchschnittlichen kalten
Betriebskosten beliefen sich zudem im Jahr 2009 auf 1,90 EUR.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts F. vom 10. Juli 2009 aufzuheben, die Bescheide des Beklagten vom 18. Mai 2008 in der Gestalt
der Widerspruchsbescheide vom 15. Juli 2008 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, für die Zeit vom 1. Juli 2008 bis
zum 31. März 2009 monatlich Leistungen für die Unterkunft und Heizung in Höhe von 683,74 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung wird ausgeführt, mit dem Rückgriff auf die aus den jeweiligen qualifizierten Mietspiegeln ersichtliche Basismiete
ohne weitere Abzüge werde den Anforderungen des BSG entsprochen. Die kalten Betriebskosten der Klägerin lägen ohnehin über dem abstrakt angemessenen Wert von 74,25 EUR für 2008
bzw. 72,45 EUR für 2009 (ausgehend von durchschnittlichen kalten Betriebskosten von 1,65 EUR und 1,61 EUR x 45 qm). Die durchschnittlichen
kalten Nebenkosten würden auf Grundlage des Betriebskostenspiegels für Deutschland West des Deutschen Mieterbundes berechnet.
Allerdings würden bestimmte Posten (Heizung, Warmwasser und Müll) heraus gerechnet, da diese bereits bei der Leistungsgewährung
berücksichtigt würden. Die Pauschale für 2008 in Höhe von 1,65 EUR pro qm setze sich beispielsweise wie folgt zusammen: Grundsteuer
0,21 EUR, Wasser/Abwasser 0,41 EUR, Aufzug 0,14 EUR, Straßenreinigung 0,05 EUR, Gebäudereinigung 0,16 EUR, Gartenpflege 0,09
EUR, Allgemeinstrom 0,05 EUR, Schornsteinreinigung 0,04 EUR, Versicherung 0,13 EUR, Hauswart 0,20 EUR, Sonstige 0,05 EUR +
Antenne / Kabel 0,12 EUR. Inwiefern die Aussagen im Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 auf das hiesige Verfahren übertragbar
seien, erschließe sich nicht, da in Worms offensichtlich die Kosten der Unterkunft auf Grundlage eines anderen Konzepts als
in F. berechnet würden. Zudem lägen bei der Klägerin die Kosten der Unterkunft deutlich über den üblichen Unterkunftskosten
für einen Ein-Personen-Haushalt im Stadtgebiet F., so dass sich aus dem genannten Urteil keine Übernahmepflicht der tatsächlichen
Unterkunftskosten herleiten ließe.
Am 4. April 2012 fand mit den Beteiligten ein Erörterungstermin statt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift
vom 4. April 2012 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten
und die Gerichtsakten aller Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§
143,
144,
151 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig. Sie ist auch teilweise begründet. Denn
die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung von monatlichen Leistungen für die Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 1. Juli
bis 31. Dezember 2008 in Höhe von insgesamt 487,09 EUR und vom 1. Januar bis 31. März 2009 in Höhe von insgesamt 503,29 EUR.
Das Urteil des Sozialgerichts F. vom 10. Juli 2009 und die Bescheide des Beklagten vom 18. Mai 2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide
vom 15. Juli 2008 (§
95 SGG) waren daher insoweit abzuändern. Einen darüber hinausgehenden Anspruch hat die Klägerin hingegen nicht. Die Berufung war
daher im Übrigen zurückzuweisen.
Streitgegenstand des Verfahrens sind höhere Ansprüche der Klägerin auf Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung im
Zeitraum vom 1. Juli 2008 bis 31. März 2009, wobei zwischen den Beteiligten aufgrund des "Teilanerkenntnisses" des Beklagten
mittlerweile unstreitig ist, dass (neben den Aufwendungen für die kalten Betriebs- und die Heizkosten) als Kosten für die
Kaltmiete für die Zeit vom 1. Juli 2008 bis 31. Januar 2009 (zumindest) 337,95 EUR und für die Zeit vom 1. Februar bis 31.
März 2009 (zumindest) 354,15 EUR zu zahlen sind. Hierbei weist der Senat aber darauf hin, dass der Mietspiegel 2009 bereits
seit Januar 2009 anzuwenden ist, was daraus folgt, dass der Mietspiegel 2007 nur bis Dezember 2008 Gültigkeit besaß. Unter
Berücksichtigung der Heizkosten in Höhe von 31,17 EUR und der kalten Betriebskosten in Höhe von 117,97 EUR ergibt sich damit
ein Gesamtbetrag für die Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 1. Juli 2008 bis 31. Dezember 2008 in Höhe von
487,09 EUR und vom 1. Januar bis 31. März 2008 in Höhe von 503,29 EUR.
Einen darüber hinausgehenden Anspruch hat die Klägerin hingegen nicht.
Die Klägerin erfüllt die in § 7 SGB II normierten Voraussetzungen für die Gewährung von Grundsicherungsleistungen, die auch die Kosten der Unterkunft und Heizung
umfassen. Diese werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II).
Zutreffend (vgl. BSG vom 7. November 2006 - B 7b AS 18/06 R = BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 3; vom 18. Juni 2008 - B 14/7b AS 44/06 R, veröffentlicht in [...]; vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R, veröffentlicht in [...]) ist der Beklagte in Anlehnung an das landesrechtlich geregelte Wohnungsbindungsrecht für Ein-Personenhaushalte
von einer angemessenen Wohnfläche von 45 m2 ausgegangen (Verwaltungsvorschrift des Wirtschaftsministeriums B.-W. zur Sicherung von Bindungen in der sozialen Wohnraumförderung
- VwV-SozWo vom 12. Februar 2002 [GABl S. 240] i.d.F. der VwV vom 22. Januar 2004 [GABl S. 248]). Dies hat das BSG in seiner Entscheidung vom 13. April 2011 (B 14 AS 106/11 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 46 RdNr. 20) bestätigt.
Die Wohnungsgröße der Klägerin übersteigt mit 76,83 qm den als angemessen anzusehenden Wert erheblich. Diese Überschreitung
der angemessenen Wohnungsgröße wäre nur dann grundsicherungsrechtlich unbeachtlich, wenn das Produkt von Mietpreis und Quadratmeter
dennoch angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II wäre, was hier jedoch nicht der Fall ist, denn die tatsächliche Miete der Klägerin übersteigt die hier angemessene Referenzmiete
von 337,95 EUR bzw. 354,15 EUR erheblich.
Zur Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze hat das BSG in seiner Entscheidung vom 7. November 2006 (SozR 4-4200 § 22 Nr. 3) eine in mehreren Schritten vorzunehmende Prüfungsreihenfolge entwickelt. Danach ist in einem ersten Schritt die abstrakt
angemessene Wohnungsgröße und der Wohnungsstandard zu bestimmen und in einem zweiten Schritt festzulegen, auf welchen räumlichen
Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist. Stehen diese Kriterien fest, ist in einem dritten Schritt
nach der Produkttheorie zu ermitteln, wie viel auf diesem Wohnungsmarkt für eine einfache Wohnung aufzuwenden ist.
Als maßgeblicher örtlicher Vergleichsraum ist die Stadt F. zugrunde zu legen (BSG, Urteil vom 13. April 2011 - B 14 AS 106/10 R = = SozR 4-4200 § 22 Nr. 46 RdNr. 21).
Zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete ist ein sog. schlüssiges Konzept zugrunde zu legen. Das BSG hat in der bereits genannten Revisionsentscheidung ausgeführt (BSG, a.a.O., RdNr. 24 ff.), zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete könne in Ermangelung eines anderen schlüssigen Konzepts
auf die F. Mietspiegel 2007 und 2009 zurückgegriffen werden. Qualifizierte Mietspiegel im Sinne des §
558 d Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) - wie diese Mietspiegel - könnten Grundlage der Bestimmung der angemessenen Miete nach § 22 Abs. 1 SGB II sein (unter Verweis auf die Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 - B 14/7b AS 44/06 R - RdNr. 16; BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 30/80 R - BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 27/09 R - BSG, Urteil vom 19. Oktober 2007 - B 14 AS 50/10 R - jeweils in [...]).
Hierbei kann in zulässiger Weise die in dem Mietspiegel angeführte Standardwohnung (errichtet in der Zeit zwischen 1961 und
1977, in einem Mehrfamilienhaus mit mindestens fünf Wohnung pro Hauseingang, normale Art und Beschaffenheit, mit durchschnittlicher
Wohnungsausstattung) zugrunde gelegt werden (BSG, a.a.O., RdNr. 25). Dem entsprechend ist gemäß den Mietspiegeln der Stadt F. für eine Wohnung mit einer Wohnfläche von 45
qm für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 ein Quadratmeterpreis von 7,51 EUR und für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 ein Quadratmeterpreis
von 7,87 EUR zugrunde zu legen. Dies ergibt für eine 45 qm-Wohnung eine angemessene monatliche Kaltmiete in Höhe von von 337,95
EUR (für die Zeit bis Ende 2008) bzw. 354,15 EUR (ab Januar 2009). Die Auffassung der Klägerin, wonach die Basismiete letztlich
ein willkürlicher Wert und die Bezugnahme auf den Median nicht ausreichend sei, um das untere Segment des Mietwohnungsmarktes
abzubilden, teilt der Senat unter Berücksichtigung des bereits genannten Urteils des BSG vom 13. April 2011 (a.a.O.) nicht. Zum einen ist der Senat bereits gemäß §
170 Abs.
5 SGG an die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts gebunden. Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass nach §
558d Abs.
2 BGB der qualifizierte Mietspiegel - wie vorliegend geschehen - im Abstand von zwei Jahren der Marktentwicklung anzupassen ist.
Damit kann sichergestellt werden, dass die Basismiete für eine Standardwohnung zutreffend und aktuell ermittelt wird. Etwaige
Mietpreissteigerungen können durch den gesetzlich vorgegebenen Anpassungsrhythmus hinreichend berücksichtigt werden. Schließlich
nimmt der Beklagte auch keine weiteren Abschläge vor, um dem (an sich maßgeblichen) angemessenen einfachen, im unteren Marktsegment
liegenden Wohnungsstandard Rechnung zu tragen (hierzu sogleich).
Weitere Abschläge von den Durchschnittsmietpreisen (Basismiete) des qualifizierten F. Mietspiegels 2007 und 2009 sind nach
dem "Teilanerkenntnis" des Beklagten nicht vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund bedarf es deshalb keiner weiteren Ermittlungen,
ob es Wohnungen zu den abstrakt angemessenen Quadratmeter-Nettokaltmieten im örtlichen Vergleichsraum F. im streitigen Zeitraum
in einer bestimmten Häufigkeit gegeben hat; dies steht vielmehr aufgrund der qualifizierten Mietspiegel, die zur Bestimmung
des angemessenen Quadratmeterpreises für die Kaltmiete zugrunde gelegt wurden, und der Anwendung des Durchschnittswertes dieser
Mietspiegel fest (vgl. BSG, a.a.O., RdNr. 30). Die zugrunde zulegenden Quadratmeterpreise umfassen damit auch die Wohnungen, bei denen wegen ausstattungs-
oder lagebedingter Nachteile noch Abzüge vorgenommen werden und die deshalb zu einem niedrigeren Quadratmeterpreis vermietet
werden. Ein höherer Anspruch (im Hinblick auf die Nettokaltmiete) steht der Klägerin jedenfalls nicht zu.
An diesem Ergebnis ändert auch die Entscheidung des SG Mainz vom 8. Juni 2012 (S 17 AS 1452/09; dem folgend SG Dresden, Urteil vom 25. Januar 2013 - S 20 AS 4915/11; SG Leipzig, Urteil vom 15. Februar 2013 - S 20 AS 2707/12) nichts, wonach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II als gesetzliche Anspruchsgrundlage den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die das BVerfG im Urteil vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09 u.a. = SozR 4-4200 § 20 Nr. 12) beschrieben habe, nicht genüge. Der Senat folgt dieser Auffassung ausdrücklich nicht. Der
Gesetzgeber war - auch im Hinblick auf Art.
1 Abs.
1 und 20 Abs.
1 GG - grundsätzlich berechtigt, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig
zu machen, dass diese "angemessen" sind. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art.
1 Abs.
1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art.
20 Abs.
1 GG sichert nach der Rechtsprechung des BVerfG (a.a.O.) jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die
für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich
sind. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" i.S. von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II bietet mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept (vgl. hierzu nur BSG, Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R - BSGE 104, 192; BSG, Urteil vom 20. August 2009 - B 14 AS 41/08 R; BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 - B 14/7b AS 44/06 R - FEVS 60, 145; BSG, Urteil vom 19. März.2008 - 11b AS 41/06 R; zur Kritik hieran bezüglich der hohen Anforderungen zuletzt Groth, SGb 2013, 249), gerade ein - vom BVerfG im genannten Urteil gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht
sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten
für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich
betont hat, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum
zukommt, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasst
(BVerfG, a.a.O., RdNr. 138). Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" und der insofern gefestigten Rechtsprechung
des BSG werden jedoch die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer
Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit können im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen
Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis "Wohnen") unerlässlich
sind. Die vom SG Mainz (a.a.O.) präferierte "verfassungskonforme Auslegung" in der Weise, dass unangemessen im Sinne des §
22 Abs. 1 Satz 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft sind, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare
Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen ("offenkundiges Missverhältnis"), stellt letztendlich nichts anderes als
eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im
Hinblick auf das vom BVerfG (a.a.O.) geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige (!) Verfahren zur Ermittlung
der Bedarfe nicht zu überzeugen vermag. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden soll, ob und
ggf. in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten "deutlich über den üblichen Unterkunftskosten" liegen und mithin
ein "offenkundiges Missverhältnis" besteht, hat das SG Mainz im genannten Urteil nicht dargelegt. Vielmehr greift es zur Ermittlung
der ortsüblichen Verhältnisse auf einen qualifizierten Mietspiegel zurück, der jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. nur Urteil vom 13. April 2011- B 14 AS 106/10 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 46 RdNr. 24) in Ermangelung eines anderen schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete
herangezogen werden kann.
Die Klägerin hat schließlich keinen Anspruch auf Zahlung von mehr als 117,97 EUR für die kalten Betriebs- bzw. Nebenkosten.
Denn hierbei handelt es sich um die tatsächlich anfallenden und von der Klägerin geltend gemachten kalten Nebenkosten. Dies
ergibt sich aus dem Schreiben der Karlsruher Lebensversicherung AG vom 27. August 2007 (Bl. 254 ff. der Verwaltungsakte).
Die monatliche Vorauszahlungspflicht für die kalten Nebenkosten beträgt danach 107,50 EUR. Die Müllgebühr für einen 1-Personenhaushalt
beläuft sich im streitigen Zeitraum auf 10,47 EUR.
Die kalten Betriebskosten, die zu der ermittelten - abstrakt angemessenen - Nettokaltmiete noch hinzuzurechnen sind, müssen,
damit zunächst die abstrakt angemessene Leistung für die Unterkunft ermittelt wird, grundsätzlich abstrakt ermittelt werden.
Dazu kann nach der Rechtsprechung des BSG auf Betriebskostenübersichten zurückgegriffen werden, möglichst allerdings auf örtliche Übersichten wegen der regionalen
Unterschiede insbesondere bei Ver- und Entsorgungsdienstleistungen (vgl BSG, a.a.O., RdNr. 27 m.w.N.). Neben den (nichtamtlichen) Übersichten in Mietspiegeln kommen auch Übersichten der örtlichen Interessenverbände
in Betracht, die an der Anerkennung des Mietspiegels beteiligt waren. So ist es auch zulässig, die vom Deutschen Mieterbund
für das gesamte Bundesgebiet aufgestellte Übersichten zugrunde zu legen, wenn gerade das örtliche Niveau hierdurch besser
abgebildet werden kann (BSG, Urteil vom 10. Oktober 2010 - B 14 AS 50/10 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 42 RdNr. 34). Vorliegend errechnet der Beklagte die durchschnittlichen kalten Nebenkosten auf Grundlage
des Betriebskostenspiegels für Deutschland West des Deutschen Mieterbundes und nimmt hierbei Abschläge für bestimmte Posten
(Heizung, Warmwasser und Müll) vor. Daraus ergibt sich rein rechnerisch eine Pauschale für 2008 in Höhe von 1,65 EUR pro qm,
die sich wie folgt zusammensetzt: Grundsteuer 0,21 EUR, Wasser/Abwasser 0,41 EUR, Aufzug 0,14 EUR, Straßenreinigung 0,05 EUR,
Gebäudereinigung 0,16 EUR, Gartenpflege 0,09 EUR, Allgemein Strom 0,05 EUR, Schornsteinreinigung 0,04 EUR, Versicherung 0,13
EUR, Hauswart 0,20 EUR, Sonstige 0,05 EUR + Antenne / Kabel 0,12 EUR. Die von dem Beklagten bereits anerkannten kalten Betriebskosten
der Klägerin in Höhe von insgesamt 117,97 EUR liegen damit deutlich Vielfaches höher als die abstrakt angemessenen kalten
Betriebskosten (74,25 EUR für 2008 bzw. 72,45 EUR für 2009; ausgehend von durchschnittlichen kalten Betriebskosten von 1,65
EUR und 1,61 EUR x 45 qm), so dass es vorliegend auch nicht auf die Frage ankommt, ob örtliche Übersichten (wegen der regionalen
Unterschiede) zur Ermittlung der abstrakten kalten Nebenkosten heranzuziehen wären.
Die Klägerin hat darüber hinaus Anspruch auf eine Leistung für die Heizung im streitigen Zeitraum von 31,17 EUR monatlich
(Heizkosten und Warmwasserpauschale von 37,50 EUR abzüglich einer Pauschale für die Warmwasserbereitung von 6,33 EUR).
Die Prüfung der Angemessenheit der Leistung für die Heizung hat nicht nur getrennt von der für die Unterkunft zu erfolgen,
sondern auch nach eigenen Regeln: Die Angemessenheit der Aufwendungen für die Heizung ist - mangels anderer Zahlen - so lange
zu bejahen, wie die Kosten unter dem Grenzbetrag eines bundesweiten oder kommunalen Heizspiegels liegen (BSG, Urteil vom 13. April 2011 - B 14 AS 106/10 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 46 RdNr. 41 ff. m.w.N.). Abzuziehen ist jedoch bei einer Warmwasserbereitung über die Heizung der
Anteil, der für die Warmwasserbereitung im Rahmen der Haushaltsenergie in der Regelleistung enthalten ist. Die Klägerin hat
tatsächlich eine Heizkosten- und Warmwasserpauschale in Höhe von 37,50 EUR monatlich zu zahlen. Deren Angemessenheit ist nicht
zu beanstanden, weil der Jahresbetrag dieser Pauschale inklusiv der Kosten der Warmwasserbereitung (37,50 x 12 = 450) unter
dem jeweils niedrigsten Grenzbetrag der bundesweiten Heizspiegel für die Abrechnungsjahre 2008 (14,60 EUR/qm x 45 qm = 657
EUR) und 2009 (12,10 EUR/qm x 45 qm = 544,50 EUR) liegt (BSG, a.a.O., RdNr. 43). Von diesen 37,50 EUR sind 6,33 EUR für die Warmwasserbereitung abzuziehen (BSG, a.a.O., RdNr. 44 m.w.N.).
Gründe, warum die Klägerin über den abgelaufenen Sechs-Monats-Zeitraum des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II hinaus einen höheren Anspruch auf Leistung für die Unterkunft als die nach den obigen Ausführungen abstrakt angemessenen
Beträge haben sollte, liegen nicht vor.
Der Ablauf der Sechs-Monats-Frist ergibt sich aus dem Leistungsbezug der Klägerin seit dem 1. Januar 2005 und dem vorliegend
umstrittenen Zeitraum vom 1. Juli 2008 bis 31. März 2009. Der Beklagte hat die Klägerin bereits mit Schreiben vom 8. August
2005 und 9. März 2006 darauf hingewiesen, dass die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch seien. Am 17. Juli 2007 hat sich
die Klägerin gegenüber dem Beklagten zudem einverstanden erklärt, ab Oktober 2007 die Unterkunftskosten, soweit sie nicht
angemessen sind, selbst zu tragen. Der Beklagte hat die Klägerin jedenfalls ausreichend auf die aus seiner Sicht angemessene
Kaltmiete hingewiesen und darauf aufmerksam gemacht, dass er die höheren Kosten der Klägerin nur noch bis 30. September 2007
tragen würde.
Der Klägerin ist darüber hinaus ein Umzug innerhalb des Vergleichsraums der Stadt F. möglich und zumutbar. Der Senat ist weder
davon überzeugt, dass kein angemessener Wohnraum zu finden ist, noch, dass gesundheitliche Gründe einem Umzug entgegen stehen.
Der Beklagte hat zwar mehr als zwei Jahre die unangemessenen Unterkunftskosten der Klägerin getragen, obwohl er die Klägerin
mehrfach zur Senkung der Kosten aufgefordert hat. Daraus lässt sich jedoch weder ein Anspruch der Klägerin auf fortwährende
Kostentragung noch ein insoweit schutzwürdiges Vertrauen ableiten. Die Klägerin hat im streitigen Zeitraum (und bis heute)
keine hinreichenden Anstrengungen erkennen lassen, sich tatsächlich um günstigeren Wohnraum zu bemühen.
Soweit sie sich bei städtischen Wohnungsgesellschaften in eine Vormerkliste für Sozialwohnungen hat eintragen lassen, erfüllt
dies nicht die an Kostensenkungsbemühungen zu stellenden Anforderungen. Die Klägerin hat aber auch auf andere Weise nicht
nachgewiesen, dass sie sich tatsächlich ernsthaft um eine Senkung ihrer Wohnkosten bemüht. Sie hat auch auf Nachfrage des
Gerichts nicht vorgetragen, warum sie z.B. nicht ein Zimmer ihrer 3-Zimmerwohnung untervermietet hat oder Nachweise darüber
vorgelegt, dass sie sich tatsächlich um günstigen Wohnraum bemüht hat, der - auch bei städtischen Wohnungsgesellschaften,
wie auch die im Urteil des SG dokumentierten Rechercheergebnisse belegen - den Angemessenheitskriterien Rechnung trägt.
Die von der Klägerin behaupteten gesundheitlichen Einschränkungen, die einem Umzug entgegen stünden, sind ebenfalls nicht
ausreichend, um eine Übernahme der unangemessenen Kosten zu begründen. In seiner Entscheidung vom 19. Februar 2009 (B 4 AS 30/08 R) hat das BSG beispielhaft Umstände aufgeführt, die der Zumutbarkeit eines Umzugs entgegen stehen können und sie in der Entscheidung vom
17. Dezember 2009 um gesundheitliche Gründe ergänzt. So kann es aufgrund einer Erkrankung erforderlich sein, die bisherige
Wohnung beizubehalten, weil sie etwa mit Hilfsmitteln ausgestattet ist, die auf die spezielle gesundheitliche Situation des
betreffenden Hilfebedürftigen zugeschnitten sind. Andere gesundheitliche Einschränkungen, verbunden mit einem "Hilfesystem"
im Umfeld können ebenfalls dazu führen, dass die Umzugsalternative nur im eng begrenzten sozialen Umfeld zu suchen ist. Derartige
Umstände sind jedoch im vorliegenden Fall nicht vorhanden.
Die behandelnden Ärztinnen der Klägerin haben zwar in ihren sachverständigen Zeugenaussagen ausgeführt, dass zu erwarten steht,
dass es die Klägerin psychisch belastet, wenn sie das gewohnte Wohnumfeld verlassen muss, da sie in der Vergangenheit auf
Verlusterlebnisse regelmäßig mit psychischen Entgleisungen reagiert habe. Doch genügt dies nicht, von einer Unzumutbarkeit
des Umzugs auszugehen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass es sicherlich eine gewisse Umstellung abverlangt, wenn eine Person,
die jahrzehntelang in ein und derselben Wohnung lebt, gezwungen wird, den Wohnraum aufzugeben. Allerdings ist nach den vorliegenden
sachverständigen Zeugenaussagen nicht davon auszugehen, dass die Klägerin bereits ohne den Wohnungswechsel so psychisch krank
ist, dass diese Erkrankungen per se einer räumlichen Veränderung entgegenstehen. Auch die mit dem Wohnungswechsel gegebenenfalls
verbundenen Beeinträchtigungen sind, berücksichtigt man die Krankheitsgeschichte der Klägerin, nicht so gravierend, dass die
Klägerin diese nicht - auch unter Zuhilfenahme ihrer behandelnden Ärztinnen - überwinden könnte. Die Klägerin hätte sich zudem,
da sie schon seit fast fünf Jahren von ihrer Verpflichtung, die Kosten der Unterkunft zu senken, weiß, auch um eine Wohnung
im näheren örtlichen Umfeld bemühen können, wenn ihr - so ihr Vortrag - dieses wichtig ist. Allein der Umstand, dass sie in
dieser Zeit keine ernsthaften Bemühungen unternommen hat, ihre Wohnkosten zu senken, kann nicht zu einer weitergehenden Verpflichtung
des Grundsicherungsträgers führen. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen
sei, sich überhaupt auf Wohnungssuche zu begeben, liegen erst recht nicht vor. Weder den Akten noch den Auskünften der behandelnden
Ärztinnen kann entnommen werden, dass die - erwerbsfähige und deshalb Leistungen nach dem SGB II beziehende - Klägerin nicht in der Lage ist, sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern.
Der Verweis der Klägerin auf ihr Alter, ihren möglichen baldigen Renteneintritt und ihre "Lebensleistung" beinhaltet keine
Gründe, die eine Ausnahme und insbesondere die von der Klägerin begehrte Erhöhung ihrer Wohnfläche um 15 qm zu rechtfertigen
vermögen (BSG, Urteil vom 13. April 2011 - B 14 AS 106/10 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 46 RdNr. 36). Das "Aufrechterhalten des sozialen Umfeldes", eine "affektive Bindung" an einen bestimmten
Stadtteil oder ein Alter von z.B. 56 Jahren stehen einem Umzug nicht entgegen (BSG, a.a.O., RdNr. 37). Darüber hinaus hat die Klägerin in der letzten mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie - wegen befürchteter
Abschläge - nicht vorzeitig die Altersrente beantragen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Hierbei hat der Senat - unter Beachtung des Ausgangs des Revisionsverfahrens - berücksichtigt, dass der Klägerin ursprünglich
insgesamt 439,64 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung bewilligt wurden, sie die Zahlung von insgesamt 683,74 EUR beantragt
und (nur) einen Anspruch auf Zahlung von 487,09 EUR bzw. 503, 29 EUR hat. Dies entspricht einem Obsiegen von ungefähr einem
Drittel.
Die Revision war nicht erneut zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 SGG nicht erfüllt sind.