Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung bei Diabetes mellitus Typ IIb und
Hyperlipidämie bei Adipositas
Tatbestand:
Streitig ist ein krankheitsbedingter Mehrbedarf des Klägers für kostenaufwändige Ernährung bei Diabetes mellitus Typ IIb und
Hyperlipidämie bei Adipositas.
Der 1960 geborene Kläger bezieht seit 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II). Bis 30.06.2006 wurden die Leistungen einschließlich eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von
51,13 EUR monatlich bewilligt (zuletzt mit Bescheid vom 23.12.2005 in Höhe von 889,90 EUR). Den Fortzahlungsantrag vom 06.06.2006
ergänzte der Kläger nach Aufforderung durch die Beklagte um die ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. F. vom
19.06.2006, in der bestätigt wurde, dass beim Kläger wegen Hyperlipidämie bei Adipositas eine lipidsenkende Reduktionskost
und bei Diabetes mellitus-Typ IIb eine Diabetes-Reduktionskost mit Auflage zur Gewichtsreduktion von 91 kg auf 84 kg Körpergewicht
erforderlich sei. Mit Bescheid vom 21.06.2006 bewilligte die Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für
die Zeit vom 01.07. bis 31.12.2006 nur noch in Höhe von 838,77 EUR - ohne Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung. Zur Begründung
führte sie aus, dass ein Mehrbedarf bei Diabetes mellitus Typ IIb und Hyperlipidämie, die auf Adipositas beruhten, nicht gewährt
werde und die bisherige Gewährung fälschlicherweise erfolgt sei. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid
vom 18.07.2006 unter Hinweis auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge und die mittlerweile
angepassten Empfehlungen der Bundesagentur für Arbeit bezüglich der Zuerkennung eines Mehrbedarfszuschlags zurückgewiesen.
Mit der dagegen am 09.08.2006 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) eingegangenen Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, die ärztlich bescheinigte Diabetes-Reduktionskost könne im
Rahmen der Deckung des üblichen Lebensbedarfs nur zu höheren Beträgen als "Normalernährung" erworben werden, weil eine fettarme,
eiweißreiche und kohlenhydratarme Kost wesentlich teurer zu erwerben sei, als eine vergleichbare durchschnittliche Kohlenhydrate
enthaltende Kost. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge unterlägen der gerichtlichen
Kontrolle und dürften keine pauschale Anwendung finden, vielmehr sei eine Einzelfallprüfung erforderlich. Gleiches gelte für
den "Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändige Ernährung" des Arbeitsausschusses
der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe. Ferner seien solche Empfehlungen im zeitlichen Verlauf häufig einem Wandel unterzogen.
Bemerkenswert sei, dass für vergleichbare Kostformen beispielsweise bei Leberinsuffizienz, Niereninsuffizienz und sonstigen
Erkrankungen, ein Mehrbedarf vorgesehen sei. Im Übrigen habe die Beklagte in der Vergangenheit unbeanstandet den Mehrbedarf
bewilligt. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 08.01.2007 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die
Notwendigkeit eines kostenaufwändigen Ernährungsmehrbedarfs aus medizinischen Gründen der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliege.
Unter Hinweis auf die BT- Drucksache 15/1516 Seite 57 seien nach Auffassung des Gesetzgebers zur Konkretisierung die Empfehlungen
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zur Angemessenheit des Mehrbedarfs heranzuziehen. Ein Abweichen
von diesen Empfehlungen halte das Bundesverfassungsgericht für begründungsbedürftig. Als weitere Entscheidungshilfe komme
insbesondere der "Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei kranhkeitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung" des Arbeitsausschusses
der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe aus dem Jahr 2002 in Betracht. Weder nach den Empfehlungen noch nach dem Begutachtungsleitfaden
sei bei den Erkrankungen des Klägers ein Mehrbedarf vorgesehen. Erforderlich seien danach eine ausgewogene Mischkost oder
zur Gewichtsnormalisierung empfohlene Reduktionskost, die nicht mit Mehrkosten verbunden seien. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens
sei nicht erforderlich gewesen.
Gegen das am 15.01.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12.02.2007 Berufung eingelegt und sein Begehren im Wesentlichen
mit der gleichen Begründung weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt - sinngemäß -, das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 8. Januar 2007 aufzuheben und den Bescheid
der Beklagten vom 21. Juni 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juli 2006 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2006 einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen
Gründen in Höhe von 51,13 EUR monatlich zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Im Erörterungstermin am 25.04.2007 hat sich der Kläger mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß §
124 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) einverstanden erklärt, die Beklagte hat dem schriftlich zugestimmt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und
des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Die vom SG zugelassene und daher statthafte (§§
143,144 Abs.
3 SGG), im Übrigen form- und fristgerecht (§
151 SGG) eingelegte zulässige Berufung, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Zu Recht hat
das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger
Ernährung aus medizinischen Gründen.
Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 21.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.07.2006, mit dem
die Beklagte dem Kläger Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 19 ff. SGB II unter Ausschluss eines
Mehrbedarfs gemäß § 21 SGB II für den Zeitraum vom 01.07. bis 31.12.2006 bewilligt hat.
Das SG hat die gesetzlichen Voraussetzungen und die zur Konkretisierung maßgeblichen Kriterien, insbesondere die "Empfehlungen für
die Gewährung von Krankenkostenzulagen in der Sozialhilfe" des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (Kleinere
Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Heft 48, 2. völlig neu bearbeitete Auflage 1997 - im
Folgenden: Empfehlungen) zutreffend zitiert und zu Recht festgestellt, dass danach für die Erkrankungen des Klägers an Diabetes
mellitus Typ IIb und Hyperlipidämie bei Adipositas ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nicht erforderlich ist,
weil eine kostenneutrale Reduktionskost ausreichend ist (vgl. Empfehlungen aaO., Tabelle S. 36 zu Diabetes mellitus Typ IIb,
S. 40 zu Hyperlipidämie bei Übergewicht). Der Senat nimmt hierauf Bezug, sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe
ab und weist die Berufung aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils gem. §
153 Abs.
2 SGG als unbegründet zurück. Ergänzend wird dazu ausgeführt, dass die Empfehlungen auf medizinische und ernährungswissenschaftliche
Erkenntnisse gestützt sind und durch die Bezugnahme des Gesetzgebers darauf den Stellenwert eines antizipierten (vorweggenommenen)
Sachverständigengutachtens einnehmen (Münder aaO.; Hessisches LSG, Beschlüsse vom 14.11.2006 - L 9 SO 62/06 ER - und 05.02.2007
- L 7 AS 241/06 ER - m. w. N.). Als solche geben sie den Gerichten und den Sozialleistungsträgern verlässliche Informationen zur einheitlichen
Verwaltungshandhabung. Einer Einzelfallprüfung durch Einholung eines Gutachtens bedarf es jedenfalls dann nicht, wenn - wie
hier - keine Gesichtspunkte für eine Abweichung vom Regelfall vorgetragen und nach Aktenlage ersichtlich sind. Soweit der
Kläger auf einen häufigen Wandel im zeitlichen Verlauf im Hinblick auf Empfehlungen hinweist, ergeben sich keine Anhaltspunkte,
dass sich ein Wandel zugunsten des Klägers vollzogen haben könnten. Für die Erkrankung Diabetes mellitus Typ IIb haben sich
keine von den Empfehlungen abweichenden medizinischen Erkenntnisse ergeben. Alle neueren Veröffentlichungen verneinen einen
erhöhten krankheitskostenbedingten Mehraufwand für diese Erkrankung. Diskutiert wird vielmehr, ob sich für andere Diabetesformen,
die aber beim Kläger nicht vorliegen, Änderungen zu Ungunsten der Betroffenen feststellen lassen (vgl. Lederer, Begutachtungsprobleme
bei Arbeitslosigkeit - Krankheit- Gesundheit - aus Sicht des öffentlichen Gesundheitsdienstes" in MED SACH 103 1/2007, S.
22 und Jonke, "... aus Sicht des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung" aaO., S. 16). Daraus, dass die Beklagte in
der Vergangenheit einen Mehrbedarf bewilligt hat, kann er keine über den jeweiligen Bewilligungszeitraum hinausgehenden Ansprüche
herleiten. Die Beklagte ist nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, ein in zutreffender Weise erkanntes, den gesetzlichen
Voraussetzungen nicht entsprechendes Verwaltungshandeln für zukünftige Bewilligungszeiträume zu korrigieren.
Abschließend kann offen bleiben, ob zur Beurteilung der hier streitigen Problematik auch auf andere hierzu veröffentlichte
Schriften zurückgegriffen werden kann - etwa auf den "Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger
Ernährung" des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe, Landschaftsverband Westfalen-Lippe 2002 oder "Das
Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner (BDEM) e.V. und anderen". Dies wird zum Teil
verneint (Münder in LPK-SGB II, § 21 Rn 28 unter Hinweis auf OVG NI vom 13.10.2003).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG).