Vormerkung einer Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung
Unwiderruflichkeit einer erteilten Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im sozialgerichtlichen
Verfahren
Anforderungen an das Entfallen des maßgeblichen begrenzten krankenversicherungsrechtlichen Berufsschutzes für die bei Beginn
der Erkrankung ausgeübte Tätigkeit
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Vormerkung der Zeit vom 05.10.2013 bis 28.02.2017 als Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit.
Die 1962 geborene Klägerin ist seit 1979 bei der jetzigen I. als Kundenberaterin beschäftigt. Ab 05.10.2010 war sie wegen
Gesichtsschmerzen bei einer Diagnose einer Trigeminusneuralgie rechts arbeitsunfähig erkrankt. Der Versuch einer stufenweisen
Wiedereingliederung ab Januar 2011 schlug fehl. Die Klägerin bezog ab April 2011 Krankengeld und nach Aussteuerung Arbeitslosengeld
bis Juli 2013. Von ihrem behandelnden Hausarzt wurde sie weiterhin laufend arbeitsunfähig geschrieben. Zwischenzeitlich begehrte
die Klägerin mehrfach Rente wegen Erwerbsminderung (vgl. auch Berufungsverfahren L 5 R 941/19).
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 15.04.2019 nach § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch <SGB VI> die im Versicherungsverlauf
enthaltenen Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, also die Zeiten bis 31.12.2012, verbindlich fest. Dabei
berücksichtigte sie auch die Zeit nach dem Ende des Arbeitslosengeldbezugs (03.07.2013) bis 04.10.2013 als Zeit der Arbeitsunfähigkeit
ohne Beitragszahlung. Mit Bescheid vom 16.09.2019 lehnte die Beklagte die Vormerkung der Zeit vom 04.10.2013 bis 28.02.2017
als Anrechnungszeit ab, weil eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Vorschriften nicht vorgelegen habe. Die berücksichtigungsfähige
Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit im Sinne des §
58 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI ende mit Ablauf des Dreijahreszeitraums. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2019 zurück.
Das Sozialgericht Freiburg (SG) hat die hiergegen am 16.12.2019 erhobene Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.07.2020 abgewiesen. Nach §
58 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI seien Anrechnungszeiten Zeiten, in denen Versicherte wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen seien oder Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten hätten. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit im Sinne des §
58 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI sei nach der für das Gericht überzeugenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) mit dem der Arbeitsunfähigkeit im Sinne des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch <SGB V>) deckungsgleich. Arbeitsunfähigkeit liege nach der Rechtsprechung des BSG solange ein Arbeitsverhältnis fortbestehe dann vor, wenn die zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit verrichtete Beschäftigung
nicht mehr ausgeübt werden könne. Eine "Verweisbarkeit" komme nur im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses und der arbeitsvertraglichen
Rechte und Pflichten in Betracht. Bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bleibe die zuletzt verrichtete Tätigkeit
grundsätzlich weiterhin Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Allerdings sei der Kreis der möglichen "Verweisungstätigkeiten"
auf gleich oder ähnlich geartete Tätigkeiten erweitert. Der hierdurch krankenversicherungsrechtlich gewährte Berufsschutz
sei jedoch grundsätzlich auf einen Dreijahreszeitraum begrenzt. Dies folge aus §
48 Abs.
2 SGB V. Nach §
48 Abs.
1 Satz 1
SGB V erhielten Versicherte Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit
jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Für
Versicherte, die im letzten Dreijahreszeitraum wegen derselben Krankheit für 78 Wochen Krankengeld bezogen hätten, bestehe
nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums ein neuer Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Krankheit, wenn sie bei Eintritt
der erneuten Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krankengeld versichert seien und in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate
nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig und erwerbstätig gewesen seien oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden
hätten (§
48 Abs.
2 SGB V). Aus dieser Regelung ergebe sich eine grundsätzliche Begrenzung des sich aus einer Beschäftigung ergebenden Krankengelds
für die Dauer von 78 Wochen gewährenden Versicherungsschutzes im Falle einer Erkrankung wegen derselben Krankheit auf einen
Zeitraum von drei Jahren. Nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums könne ein Anspruch auf Krankengeld nur unter den in
§
48 Abs.
2 SGB V genannten Voraussetzungen entstehen. Hieraus folge eine grundsätzliche Begrenzung des krankenversicherungsrechtlichen Berufsschutzes.
Vom Vorliegen der Voraussetzungen des §
48 Abs.
2 SGB V könne im Fall der Klägerin nicht ausgegangen werden. Die Klägerin selbst mache geltend, die Arbeitsunfähigkeit habe durchgehend
fortbestanden.
Gegen den dem Klägerbevollmächtigten am 24.07.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 11.08.2020 Berufung zum Landessozialgericht
Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Er hat entgegen seiner Ankündigung keine Anträge gestellt und die Berufung trotz mehrmaliger
Erinnerung nicht begründet.
Auch die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Nachfolgend hat eine weitere
Klägerbevollmächtigte die anwaltliche Vertretung der Klägerin angezeigt und mit Schreiben vom 26.03.2021 eingehend Stellung
genommen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, sowie die Verwaltungsakte
der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§
143,
144,
151 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne
mündliche Verhandlung entscheidet (§
124 Abs.
2 SGG), ist jedenfalls unbegründet.
Das vom ursprünglich alleine bevollmächtigten Rentenberater mit Schreiben vom 03.03.2021 erteilte Einverständnis mit einer
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach §
124 Abs.
2 SGG ist als Prozesshandlung jedenfalls nach Eingang der Einverständniserklärung der Beklagten grundsätzlich unwiderruflich. Ein
Widerruf der Einverständniserklärung ist nicht erfolgt und wäre auch nicht wirksam. Zwar verliert die Einverständniserklärung
ihre Wirksamkeit bei wesentlicher Änderung der Prozesslage (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG 13. Aufl. 2020, §
124 Rn. 3e m.w.N.), eine solche ist jedoch nach dem 03.03.2021 nicht eingetreten. Auch das Schreiben der weiteren Klägerbevollmächtigten
vom 26.03.2021 enthält kein erhebliches neues Vorbringen oder neue Beweismittel. Weitere Gesichtspunkte für die Annahme einer
wesentlichen Änderung der Prozesslage nach dem 03.03.2021 sind nicht ersichtlich. Allein die Bitte der weiteren Klägerbevollmächtigten
um Anberaumung einer mündlichen Verhandlung trotz Einverständniserklärung mit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
veranlasst den Senat bei abgeschlossenen Ermittlungen nicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Es wird darauf hingewiesen, dass sich bei fehlendem Berufungsantrag regelmäßig schon keine formelle Beschwer feststellen lässt
(Schreiber in: Fichte/Jüttner,
SGG, 3. Aufl. 2020, §
143 Rn. 10f; Kühl in: Fichte/Jüttner,
SGG, 2. Aufl. 2014, §
92 Rn. 1) und die Berufung in einem solchen Fall folglich unzulässig ist. Der Berufungsschriftsatz vom 11.08.2020 enthält weder
Antrag noch Berufungsbegründung. Vielmehr teilte der bevollmächtigte Rentenberater darin mit, dass diese nachgereicht würden.
Das Gericht hat die Vorlage einer Berufungsbegründung zweimal - zuletzt unter Fristsetzung zum 14.02.2021 - angemahnt. Auch
im Rahmen der Zustimmungserklärung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hat der bevollmächtigte Rentenberater keine
Anträge gestellt. Auch die weitere Klägerbevollmächtigte hat keine Anträge gestellt.
Der Senat unterstellt aber im Sinne der Klägerin (Meistbegünstigungsgrundsatz) unter Berücksichtigung des Schreibens der weiteren
Klägerbevollmächtigten vom 26.03.2021 im vorliegenden Fall, dass auch im Berufungsverfahren weiter die Vormerkung der Zeit
vom 05.10.2013 bis 28.02.2017 als Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit begehrt wird. Die so verstandene Berufung ist jedoch
unbegründet. Auf die zutreffenden Gründe im angefochtenen Gerichtsbescheid des SG wird vollinhaltlich verwiesen (§
153 Abs.
2 SGG). Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des BSG an, wonach der begrenzte krankenversicherungsrechtliche Berufsschutz für die bei Beginn der Erkrankung ausgeübte Tätigkeit
entfällt, wenn ein auf die Beschäftigung bezogenes Versicherungsverhältnis entfallen ist, spätestens mit Ende des ersten Dreijahreszeitraums
(vgl. BSG, Urteil vom 25.02.2004 - B 5 RJ 30/02 R -, in juris). Hierbei ist im konkreten Fall der Klägerin zu berücksichtigen, dass diese jedenfalls vom 03.04.2012 bis 02.07.2013
Arbeitslosengeld bezogen und demnach nicht mehr in einem Versicherungspflichtverhältnis wegen Beschäftigung gestanden hat.
Es kann deshalb dahinstehen, ob das Arbeitsverhältnis formal noch bestand. Eine Beschäftigung gegen Entgelt als Voraussetzung
für eine Versicherungspflicht wegen Beschäftigung (§
1 Satz 1 Nr. 1
SGB VI) lag nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Nr. 1 und 2
SGG).