Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anl. 1 BKV in der gesetzlichen Unfallversicherung
Anwendbarkeit der Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist nur noch die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2108 (im Folgenden BK 2108)
der Anlage 1 zu
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) streitig.
Der am 1953 geborene Kläger, der von 1968 bis 1971 den Beruf des Blechners und Installateurs erlernte, war anschließend in
seinem Ausbildungsbetrieb ohne Unterbrechung bis Ende 2003 beschäftigt.
Er war nach seinen Angaben etwa zur Hälfte als Installateur bzw. Blechner eingesetzt, mit Ausnahme der Jahre 1987 bis 1993
(ein Drittel Installateur, zwei Drittel Blechner) und ab 1994 (ausschließlich Blechbearbeitung). Als Blechner stellte er Dachrinnen
und Fallrohre, Gaubenverkleidungen und Dächer her und montierte diese. Dabei fielen zu hebende und tragende Lasten bis 50
kg, nach späteren Angaben des Klägers auch darüber an. Als Installateur war er mit dem Verlegen von Wasser- und Abwasserrohren
beschäftigt, wobei ab den 1990er-Jahren Kunststoffrohre anstelle von auch auf der Schulter getragenen Gussrohren mit Durchmessern
bis 100 mm und Gewichten bis zu 35 kg zum Einsatz kamen. Daneben mussten auch Werkzeuge bis 50 kg getragen werden. Teilweise
mussten die Tätigkeiten auch in extremer Rumpfbeugehaltung verrichtet werden. Hinsichtlich der Einzelheiten der vom Kläger
angegebenen Belastungen wird auf den von ihm ausgefüllten Erhebungsbogen (Bl. 17 VerwA) und die Dokumentationen des Technischen
Aufsichtsdienstes - TAD - (Bl. 27 ff. SG-Akten, Bl. 3 ff. LSG-Akte) Bezug genommen.
Erstmals im Jahre 1980 traten beim Kläger Rückenschmerzen auf (vgl. Angaben des Klägers im Formular Arbeits-/Krankheitsanamnese,
Bl. 11 VerwA). Vom 08.01. bis 07.02.1987 und dann erneut vom 06.09. bis 08.09.1989 war der Kläger wegen Lumboischialgien arbeitsunfähig.
Weitere Daten der Krankenkasse liegen dann erst wieder für die Zeit ab Mai 1996 vor. Hiernach war der Kläger zunächst vom
18.06.2002 bis 03.11.2002 und dann erneut vom 16.05.2003 bis 06.06.2003 wegen eines Zervicalsyndroms arbeitsunfähig. Am 18.08.2003
trat erneut Arbeitsunfähigkeit wegen Lumboischialgie bei im Magnetresonanztomogramm (MRT) vom Juli 2003 u.a. beschriebenem
Bandscheibenvorfall L5/S1 ein, die bis zum 05.09.2004 andauerte und zunächst zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers
führte. Schon davor hatte der Kläger seit Jahren Lumboischialgien mit Ausstrahlung ins Gesäß (Befundbericht Dr. S. vom September
2003, Bl. 31 VerwA).
Im Juni 2003 zeigte der Kläger bei der Beklagten das Vorliegen einer BK 2108 und 2109 an, worauf die Beklagte nach Auswertung
des vom Kläger ausgefüllten "Erhebungsbogen zur Ermittlung der Belastung der Wirbelsäule", Beiziehung medizinischer Unterlagen
sowie des Vorerkrankungsverzeichnisses der A. - Die Gesundheitskasse S.O.und Hinzuziehung einer beratungsärztlichen Stellungnahme
des Arztes für Arbeits- und Sozialmedizin Dr. F. (keine ausreichende berufliche Belastung, multisegmentale Bandscheibendegeneration
in der HWS und LWS bei Morbus Scheuermann, kein belastungskonformes Schadensbild) mit Bescheid vom 11.02.2004 die Anerkennung
einer BK 2108 bzw. 2109 ablehnte. Der dagegen ohne Begründung eingelegte Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid
vom 10.12.2004).
Am 21.12.2004 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Auf Veranlassung des SG hat die Beklagte die auf der Grundlage eines mit dem Kläger geführten Gesprächs erstellte Belastungsdokumentation ihres technischen
Aussichtsbeamten Dipl.-Ing. K. vorgelegt. Da der Kläger den nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MDD) ermittelten Dosisrichtwert
von täglich 5.500 Nh nicht in der überwiegenden Anzahl der Arbeitsschichten überschritten habe und er im Übrigen auch keine
schweren Lasten mit Gewichten von mehr als 50 Kilogramm auf der Schulter getragen habe, seien weder die arbeitstechnischen
Voraussetzungen der BK 2108 noch der BK 2109 erfüllt. Gestützt hierauf hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.02.2007 und der Begründung abgewiesen, die Anerkennung der streitigen BKen scheitere
bereits an den fehlenden arbeitstechnischen Voraussetzungen für diese BKen.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 23.02.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 02.03.2007 beim Landessozialgericht
(LSG) Berufung (L 10 U 1139/07) eingelegt. Eine bei ruhendem Verfahren durchgeführte Neuberechnung der Hebe- und Tragebelastungen nach dem MDD und der zeitweisen
Tätigkeit in extremer Rumpfbeuge auf der Grundlage eines von Dipl.-Ing. S. mit dem Kläger geführten Gesprächs unter Berücksichtigung
des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5 hat ergeben, dass der Kläger einer Gesamtbelastungsdosis von 12,8 MNh ausgesetzt war.
Der Senat hat sodann das Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. H. auf Grund Untersuchung des Klägers im März 2010 eingeholt.
Der Sachverständige hat die Beschwerden des Klägers nicht auf die Veränderungen der Bandscheiben im Bereich der LWS zurückgeführt
und das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS im Sinne der BK 2108 daher verneint. Auf Antrag des Klägers
gemäß §
109 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) hat das SG darüber hinaus das Gutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin Prof. Dr. B.-A. aufgrund Untersuchung des Klägers im Januar
2011 und Mitberücksichtigung des neurologischen Zusatzgutachtens des Dr. Kilburg sowie des radiologischen Zusatzgutachtens
des Dr. T. eingeholt. Unter Anwendung der Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der
Lendenwirbelsäule (sog. Konsensempfehlungen, in Trauma und Berufskrankheit 2005, 211 ff.) ist er zunächst von der Konstellation
B 2 ausgegangen und hat dementsprechend einen Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit bejaht.
Gegen die Schlussfolgerung des Sachverständigen hat die Beklagte insbesondere eine mangelnde Plausibilität der zeitlichen
Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung (34 Jahre wirbelsäulenbelastende Tätigkeit bei nur minimal über dem Grenzwert
liegender Exposition und Kreuzschmerzen bereits seit 1980) eingewandt und die beratungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. T.
, Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie, und der Radiologin Dr. L. vorgelegt.
Hiergegen hat sich der Sachverständige Prof. Dr. B.-A. ergänzend geäußert. Im Hinblick auf den von Dr. T. erhobenen Einwand,
er habe den Bandscheibenschaden im Bereich der HWS nicht berücksichtigt, hat er ausgeführt, es liege - anders als zunächst
angenommen -nicht die Fallkonstellation B 2, sondern die Konstellation B 4 vor. Dabei sei jedoch gleichermaßen ein Zusammenhang
zwischen den beruflichen Einwirkungen und der Erkrankung zu bejahen. Soweit Dr. T. auf eine biomechanisch nicht plausible
Lokalisation der lumbalen Chondrosen hingewiesen hat, hat er auf die Konsensempfehlungen verwiesen, die für die B-Konstellationen
keine Aussage enthielten, in welchen Segmenten die Schädigung lokalisiert sein müsse, wenn mehrere Segmente befallen seien.
Die Konstellation B 4 sei zweifelsfrei erfüllt. Hiergegen hat die Beklagte die weitere Stellungnahme des Dr. T. vorgelegt,
der an seiner bisher vertretenen Auffassung festgehalten hat. Auch der erneut befasste Sachverständige Prof. Dr. B.-A. hat
an seinem bisher vertretenen Standpunkt festgehalten. Die Beklagte hat schließlich noch die beratungsärztliche Stellungnahme
des Arztes für Orthopädie Dr. S. vorgelegt, der von einem generalisierten Schadensbild und einem für eine berufsbedingte Erkrankung
untypischen Schadensbild im Bereich der LWS ausgegangen ist, was die Annahme der Konstellation B 4 ausschließe.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 21.02.2007 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids
vom 11.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.12.2004 zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach Nr. 2108
der Anlage 1 zur
BKV anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der
Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§
143,
144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Anerkennung einer BK Nr. 2108 der Anlage 1 zur
BKV. Soweit der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren auch eine Anerkennung der BK Nr. 2109 der Anlage 1 zur
BKV sowie die Gewährung von Verletztenrente begehrt hat, hat er dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mehr aufrecht
erhalten.
Die Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung der noch streitigen BK ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
zulässig. Mit der Anfechtungsklage nach §
54 Abs.
1 SGG begehrt der Kläger die Aufhebung der die Anerkennung der streitigen BK ablehnenden Verwaltungsentscheidungen. Nach der Rechtsprechung
des BSG kann der Versicherte an Stelle gerichtlicher Feststellung (§
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG, vgl. hierzu u.a. BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 46/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 3) auch die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles als Element eines jeglichen
Leistungsanspruchs im Wege der Verpflichtungsklage verlangen (Urteil vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R in SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 mit weiteren Ausführungen zur Anspruchsgrundlage; speziell zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles
und damit auf eine Berufskrankheit übertragbar BSG, Urteil vom 15.05.2012, B 2 U 8/11 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 20).
Allerdings hat das SG diese Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 11.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 09.12.2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte
es ablehnte, die Erkrankung des Klägers als BK 2108 anzuerkennen. Denn das Vorliegen einer solchen BK ist beim Kläger nicht
festzustellen.
BKen sind nach §
9 Abs.
1 Satz 1 des
Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (
SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und
die Versicherte infolge einer der den Versicherungsschutz nach den §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Erkrankungen als BKen zu bezeichnen,
die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen
durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§
9 Abs.
1 Satz 2 erster Halbsatz
SGB VII).
Für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur
BKV müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Bei dem Versicherten muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS
vorliegen, die durch langjähriges berufsbedingtes Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte
Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung entstanden ist. Die Erkrankung muss darüber hinaus den Zwang zur Unterlassung aller
gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeiten tatsächlich
erfolgt sein.
Hierbei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die
als Folge geltend gemachte Gesundheitsstörung - hier also eine bandscheibenbedingte Erkrankung - erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger
Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht
angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden
Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität)
eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls
mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht
auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen
als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben
(vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht
werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des
Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen
Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Der Senat hat bereits Zweifel, ob der Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK 2108 erfüllt.
Das so genannte und hier von der Beklagten der Beurteilung zu Grunde gelegte MDD ist ein Verfahren zur Bewertung der beim
Einzelnen auftretenden tatsächlichen Belastung im Hinblick auf die in der BK 2108 aufgeführten Kriterien (langjähriges Heben
oder Tragen schwerer Lasten bzw. langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung), also zur Beurteilung, ob die arbeitstechnischen
Voraussetzungen vorliegen (s. im Einzelnen: BK-Report Wirbelsäulenerkrankungen 2/03, herausgegeben vom Hauptverband der gewerblichen
Berufsgenossenschaften - BK-Report -). Hintergrund des MDD ist die Erkenntnis, dass insbesondere bei Beschäftigten in Pflegeberufen,
Betonbauern und Hafenarbeitern nach epidemiologischen Studien von einem signifikant erhöhten Risiko in Bezug auf die Entwicklung
bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS auszugehen ist und dass weniger häufig auftretende hohe Kompressionskräfte eine
höhere Schädigungswirkung besitzen als häufige Belastungen mit niedriger Höhe. Letzteres führt zum so genannten quadratischen
Ansatz, bei dem die überproportionale Gewichtung der auf das Wirbelsäulensegment einwirkenden Kompressionskraft (hervorgerufen
insbes. durch das zu bewältigende Gewicht) durch eine Quadrierung der Expositionshöhe erfolgt. Zur Abgrenzung zwischen (für
die BK 2108 relevanten) schweren und (unerheblichen) allgemeinen Hebe- und Tragetätigkeiten geht das MDD von der Annahme aus,
dass bei Männern ab 40 Jahren ab 20 kg, bei Frauen ab 40 Jahren ab 10 kg vom Heben einer schweren Last zu sprechen sei, wobei
biomechanische Messungen und Berechnungen beim Heben und Tragen von Lasten am Übergang der Lendenwirbelsäule zum Kreuzbein
bestimmte Druckkraftwerte (in Newton - N -) ergeben. Auf diesen Grundlagen wurde die Belastung der genannten Berufsgruppen
ermittelt und für eine Acht-Stunden-Schicht aufaddiert. Für die Beschäftigten in Pflegeberufen - insoweit bezogen sich die
Studien fast ausschließlich auf Frauen - ergab sich eine kumulierte LWS-Belastungsdosis von knapp 4.000 Nh, für Betonbauer
bzw. Hafenarbeiter - fast ausschließlich männliche Beschäftigte - eine solche von bis über 6.000 bzw. über 13.000 Nh je Schicht.
Davon abgeleitet geht das MDD von einer erforderlichen Mindestexposition i. S. einer kritischen Dosis je Schicht für Frauen
von 3.500 Nh (= 3,5 Kilo-Newton-Stunden - kNh -) und für Männer von 5.500 Nh (= 5,5 kNh) bzw. für das gesamte Berufsleben
von 17 Mega-Newton-Stunden (MNh = 106 Nh) für Frauen bzw. 25 MNh für Männer aus.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18. März 2003, B 2 U 13/02 R in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 1) dient das MDD letztendlich der Konkretisierung der in der BK 2108 verwendeten unbestimmten
Rechtsbegriffe. Es ist als Zusammenfassung wissenschaftlicher Erfahrungstatsachen ein geeignetes Modell, die kritische Belastungsdosis
eines Versicherten zu ermitteln und in Beziehung zu seinem Erkrankungsrisiko zu setzen. Dabei ist zu beachten, dass die Schwellen-
oder Dosiswerte des MDD keine festen Grenzwerte, sondern Orientierungswerte sind, die eine Hilfe bei der Beurteilung des medizinischen
Zusammenhangs zwischen versicherter Einwirkung und Erkrankung darstellen.
Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R) ist derzeit trotz diverser Schwächen des MDD an diesem Berechnungsmodell in modifizierter Form als Grundlage für die Konkretisierung
der im Text der BK 2108 zur Kennzeichnung der beruflichen Einwirkungen verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe festzuhalten,
weil aktuell kein den wissenschaftlichen Erkenntnisstand besser abbildendes Alternativmodell zur Verfügung steht. Allerdings
ist auf eine Mindesttagesdosis zu verzichten und sind die Richtwerte des MDD für die Gesamtbelastungsdosis (s.o.: 17 MNh für
Frauen bzw. 25 MNh für Männer) zu halbieren, sodass von einem langjährigen Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. einer langjährigen
Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung auszugehen ist, wenn mindestens die Hälfte des nach dem MDD ermittelten Wertes für
die Gesamtbelastungsdosis (für Frauen also 8,5 MNh und für Männer 12,5 MNh) erreicht oder überschritten wird. Wird der so
ermittelte Grenzwert (so ausdrücklich das BSG, a.a.O.) unterschritten, ist ein rechtlich wesentlicher Kausalzusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung ausgeschlossen,
sodass es keiner weiteren Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf
(BSG, a.a.O.).
Zwar erreicht der Kläger diesen Grenzwert von 12,5 x 106 Nh (= 12,5 MNh) mit der vom TAD ermittelten Gesamtbelastungsdosis
von 12,8 x 106 Nh (vgl. Bl. 8 f. LSG-Akte) knapp, so dass nach der oben dargelegten Rechtsprechung des BSG die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2108 erfüllt wären.
Indessen ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass sich die Berechnungen des TAD auf den gesamten Zeitraum der Tätigkeit
des Klägers von August 1968 bis Mitte 2002 beziehen. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte der Kläger schon seit Jahren Lumboischialgien
mit Ausstrahlung ins Gesäß (Befundbericht des Dr. S. vom September 2003, Bl. 31 VerwA), was schließlich im Jahre 2003 zum
radiologischen Nachweis fortgeschrittener degenerativer Veränderungen, insbesondere im Wirbelsäulensegment L5/S1 führte (Befundbericht
Dr. R. vom 30.07.2003, s. auch die beratungsärztlich Stellungnahme von Dr. L. Bl. 265 LSG-Akten, das radiologische Gutachten
Dr. T. und die zusammenfassende Stellungnahme Prof. Dr. B.-A. vom 25.04.2012: "fortgeschrittene, altersuntypische Chondrose
in den Segmenten L5/S1, L2/3, L1/2), die hier - zunächst unabhängig von der Frage nach der Ursache - als bandscheibenbedingte
Erkrankung anzusehen ist (hierzu später). Bestanden aber Mitte 2003 schon seit Jahren Lumboischialgien mit Ausstrahlung ins
Gesäß, deren Erklärung dann in den degenerativen Veränderungen des Segmentes L5/S1 gefunden wurde (Befundbericht Dr. Scheremet,
a.a.O. mit OP-Indikation), ist davon auszugehen, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung im Bereich L5/S1 bereits schon zu
einem früheren Zeitpunkt entstanden war. Angesichts des nur geringfügig (mit 0,3 MNh) überschrittenen Grenzwertes begründet
dies Zweifel, ob der Kläger im Zeitpunkt der Entstehung der bandscheibenbedingten Erkrankung bereits den Grenzwert erreicht
hatte. Immerhin hat der TAD für die letzten 8,5 Jahre der Tätigkeit als Blechner eine anteilige Belastung von 1,78 MNh errechnet,
was eine Jahresdosis von 0,21 MNh (1,78:8,5) ergibt. Sollte somit - wofür die Dokumentation im erwähnten Befundbericht des
Dr. S. spricht - im Juli 2003 die bandscheibenbedingte Erkrankung schon seit wenigstens zweieinhalb Jahren bestanden haben
(also seit mindestens 2001), wäre der für Mitte 2002 vom TAD ermittelte Gesamtdosiswert um die für den Zeitraum Anfang 2001
bis Mitte 2002 (=1,5 Jahre) angefallenen Belastungen und damit um 0,315 (Jahresdosis 0,21 x 1,5) zu reduzieren, was zur Unterschreitung
des Grenzwertes führen würde. Dann aber ist nach der beschriebenen Rechtsprechung des BSG ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Erkrankung und Belastung ausgeschlossen.
Hieran ändern auch die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. B.-A. zu den entsprechenden Einwänden von
Dr. T. nichts. Zwar teilt der Senat die Bedenken von Prof. Dr. B.-A. , soweit sie sich auf den von Dr. T. angesichts der für
1987 und 1989 dokumentierten Lumboischialgien angenommenen Beginn der bandscheibenbedingten Erkrankung schon damals beziehen,
auch weil in den Folgejahren keine entsprechenden weiteren Erkrankungen dieser Art dokumentiert sind. Allerdings gilt der
Einwand von Prof. Dr. B.-A. , Lumboischialgien i.S. von Schmerzen im unteren Bereich des Rückens mit Ausstrahlung in die Beine
könnten auch andere Ursachen als eine bandscheibenbedingte Erkrankung haben und eine solche bandscheibenbedingte Erkrankung
sei erst 2003 gesichert worden, gerade nicht für die 2003 von Dr. Scheweret schon für Jahre zuvor dokumentierten Lumboischialgien,
die - wie ausgeführt - dann schließlich zur Diagnose der hier gerade in Rede stehenden bandscheibenbedingten Erkrankung führten.
Soweit der Kläger in einigen Passagen die vom TAD zuletzt zu Grunde gelegten Belastungen "korrigiert", führt dies zu keinem
anderen Ergebnis. Das Tragen der Rohrleitungen ist vom TAD vor/neben dem Körper in die Berechnungen eingestellt worden. Der
Kläger gibt in Korrektur der Berechnungen des TAD hierzu an (Bl. 76 LSG-Akte), die Rohre seien auf der Schulter getragen worden.
Nach den maßgebenden biomechanischen Gesetzen (s. hierzu Jäger u.a., Retrospektive Belastungsermittlung für risikobehaftete
Tätigkeitsfelder, Arbeitsmedizin - Sozialmedizin - Umweltmedizin [ASU] 1999, 101 ff., 112 ff.; BK-Report Wirbelsäulenerkrankungen
2/03, herausgegeben vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften) ist beim Tragen von Lasten auf der Schulter
im Vergleich mit dem Tragen einer Last vor oder neben dem Körper die Druckkraft (F) auf die Bandscheibe geringer (Tragen auf
der Schulter F = 1000 N + 60 N/kg x Lastgewicht, beim Tragen vor und neben dem Körper F = 1000 N + 85 N/kg x Lastgewicht,
Lit. a.a.O.). Darüber hinaus korrigiert der Kläger das vom TAD für die Blechrollen zu Grunde gelegte Gewicht von 40 bis 50
kg auf 130 bis 200 kg sowie die Länge der Bleche (vgl. Bl. 70 LSG-Akte). Soweit er damit die zu hebenden Lasten beim Einlegen
der Rollen in die Maschine mit Hilfe des Arbeitskollegen nach oben "korrigieren" möchte, folgt ihm der Senat nicht. Denn dies
würde im Falle der behaupteten Mithilfe nur eines Mitarbeiters ein Hebegewicht von 70 bis 100 kg bedeuten. Damit aber setzt
sich der Kläger in Widerspruch zu seinen von Dipl.-Ing. K. erhobenen und vom Kläger nach eigener Korrektur eigenhändig unterschriebenen
Angaben im ersten TAD-Bericht (Bl. 137 f. VerwA = Bl. 312 f. SG-Akte). Dort hat der Kläger in Bezug auf die Blechnerarbeiten und gerade die Vorbereitungsarbeiten in der Werkstatt zu hebende
Lastgewichte bis 50 kg angegeben.
Unabhängig von der Frage nach dem Erreichen des vom BSG vorgegebenen Grenzwertes wäre - zugungsten des Kläger das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen i.S. des, allerdings
knappen, Erreichens des Grenzwertes mit den vom TAD ermittelten 12,8 MNh unterstellt - indessen der ursächliche Zusammenhang
zwischen den beruflichen Expositionen und Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit
zu bejahen.
Im Sinne der BK 2108 leidet der Kläger nach Überzeugung des Senats an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Unter
bandscheibenbedingten Erkrankungen sind Bandscheibendegeneration (Diskose), Instabilität im Bewegungssegment, Bandscheibenvorfall
(Prolaps), degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten (Osteochondrose), knöcherne Ausziehungen an den vorderen
seitlichen Randleisten der Wirbelkörper (Spondylose), degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke (Spondylarthrose) mit den
durch derartige Befunde bedingten Beschwerden und Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule zu verstehen (BSG, Urteil vom 31.05.2005, B 2 U 12/04 R in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 unter Verweis auf die Begründung in BR-Drucks 773/92 S. 8 zur Zweiten Änderungsverordnung,
durch welche die BK 2108 in die Berufskrankheitensliste aufgenommen worden ist). Dies bedeutet, dass eine bandscheibenbedingte
Erkrankung neben den beschriebenen röntgenologisch feststellbaren Veränderungen auch ein Krankheitsbild erfordert, das über
einen längeren Zeitraum andauert, also chronisch oder zumindest chronisch wiederkehrend ist, und zu Funktionseinschränkungen
führt, die eine Fortsetzung der Tätigkeit unmöglich macht (BSG, a.a.O.).
Klinisch waren im Zeitraum der Tätigkeitsaufgabe sowohl an der LWS als auch an der HWS Beschwerden in Form eines chronisch
rezidivierenden Lumbal- und Zervikalsyndroms wiederholt manifest geworden. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS -
aber auch der HWS - liegt somit vor. Hiervon geht auch die Beklagten aus. Diesbezüglich hat der Beratungsarzt der Beklagten
Dr. T. ausgeführt, dass die kernspintomographisch nachgewiesene Chondrose Grad III im Segment L5/S1 mit einer klinischen Symptomatik
korreliert, weshalb eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS zu bejahen ist. Auch der auf Antrag des Klägers gemäß §
109 SGG gehörte Sachverständige Prof. Dr. B.-A. hat das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS bejaht. Die demgegenüber
von dem Sachverständigen Dr. H. vertretene Auffassung, eine bandscheibenbedingte Erkrankung liege nicht vor, weil der Beschwerdezustand
auch andere Ursachen als die Erkrankung der Bandscheibe im Bereich von L5/S1 haben könne, teilt der Senat nicht. Denn der
Sachverständige lässt dabei zum einen unberücksichtigt, dass für die Annahme einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS
nicht erforderlich ist, dass der Beschwerdezustand ausschließlich auf die Bandscheibenschädigung zurückzuführen ist; statt
dessen ist vielmehr eine wesentliche Mitursächlichkeit ausreichend. Zum anderen ist für den erforderlichen Nachweis einer
bandscheibenbedingten Erkrankung nicht erforderlich, dass sich gerade im Zeitpunkt der Begutachtung die Beschwerden auf die
Bandscheibe zurückführen lassen. Insoweit hat Dr. H. die schon früher gestellten Diagnosen, insbesondere die Beurteilung von
Dr. S. im erwähnten Befundbericht einschließlich der von ihm gestellten OP-Indikation außer Acht gelassen.
Indessen kann der Senat die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der bandscheibenbedingten Erkrankung
des Klägers und den dargelegten beruflichen Expositionen in Form des Hebens und Tragens schwerer Lasten bzw. Tätigkeiten in
extremer Rumpfbeugehaltung nicht bejahen.
Angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen, der Dauer der zu berücksichtigenden Zeiträume
und des Fehlens eines eindeutig abgrenzbaren Krankheitsbildes, das für Belastungen durch Heben und Tragen oder Arbeit in Rumpfbeugehaltung
typisch ist, stellt sich letztlich entscheidend nur die Frage nach einer wesentlichen Mitverursachung der LWS-Erkrankung durch
die versicherten Einwirkungen (BSG, Urteil vom 27.06.2006, B 2 U 13/05 R in SozR 4-2700 § 9 Nr.
9 m.w.N.). Aus diesen Gründen ist auch §
9 Abs.
3 SGB VII, unabhängig von seinem Inkrafttreten erst am 01.01.1997, bei der BK Nr. 2108 nach heutigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand
nicht anwendbar (BSG, a.a.O.).
In Übereinstimmung mit den Standardwerken von Mehrtens/Perlebach (
Berufskrankheiten-Verordnung, M 2108 Anm 7), Schönberger/Mehrtens/Valentin (Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, 2003, S 577 ff) und den Konsensempfehlungen
(a.a.O.) sind folgende Kriterien zu Grunde zu legen (BSG, a.a.O.): Die belastenden Einwirkungen, das Krankheitsbild, insbesondere ob ein altersuntypischer Befund und ein belastungskonformes
Schadensbild vorliegen, eine zeitliche Korrelation zwischen den Einwirkungen und dem Erkrankungsverlauf, das Vorliegen von
konkurrierenden Ursachen wie z.B. Schadensanlagen.
Die Frage, welche Voraussetzungen zur Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der schädigenden Einwirkung und der
Erkrankung einer BK vorliegen müssen, ist unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde
nach dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten (BSG, a.a.O. m.w.N.) Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse
anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über
die also, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht. Hierbei stellen die Konsensempfehlungen
(a.a.O.) für den Senat eine für die Beurteilung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS relevante Grundlage dar, indem
sie den derzeit aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse auf diesem Gebiet wiedergeben. Dies ergibt sich auch aus den
Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B.-A. , der sich bei seiner Bewertung ausdrücklich auf die Konsensempfehlungen
bezieht.
Prof. Dr. B.-A. hat unter Heranziehung der Konsensenpfehlungen zuletzt das Vorliegen der dort beschriebenen Konstellation
B 4 bejaht und dementsprechend den ursächlichen Zusammenhangs zwischen den beruflichen Belastungen und der vorliegenden bandscheibenbedingte
Erkrankung der LWS für wahrscheinlich erachtet. Diese Konstellation hat - siehe die zusammenfassende Darstellung der Konsensempfehlungen
im Gutachten von Prof. Dr. B.-A. - die nachfolgenden Voraussetzungen:
1. Eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS liegt vor 2. Die Exposition ist ausreichend 3. Es besteht eine
plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingte Erkrankung (z.B. ausreichende Exposition muss der
Erkrankung vorausgehen; Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nimmt mit der Länge des Zeitraums zwischen Ende der Exposition
und erstmaliger Diagnose der Erkrankung ab). 4. Lokalisation: Die bandscheibenbedingte Erkrankung betrifft L5/S1 und/oder
L4/L5 5. Ausprägung des Bandscheibenschadens: Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall 6. Wesentliche konkurrierende
Ursachenfaktoren sind nicht erkennbar 7. Keine Begleitspondylose 8. Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben
- bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 "black disc" im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden
Segmenten oder besonders intensive Belastung; Anhaltspunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10
Jahren oder besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen, Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes
durch hohe Belastungsspitzen. 9. Ein gleichzeitig an der HWS bestehender Bandscheibenschaden ist schwächer ausgeprägt als
an der LWS.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B.-A. liegen diese Kriterien im Falle des Klägers vor. Ihrem Wortlaut
entsprechend angewandt mag dies durchaus zutreffend sein. Angesichts des Umstandes, dass die von der Konsensarbeitsgruppe
für die Zusammenhangsbeurteilung beschriebenen typischen Fallkonstellationen jedoch auf Grundvoraussetzungen beruhen, deren
Kriterien für die Bejahung der Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs einer Abwägung bedürfen, verbietet sich nach
Auffassung des Senats jedoch eine schematische Anwendung dieser "typischen" Konstellationen, wie dies Prof. Dr. B.-A. vornimmt.
Eine darüber hinausgehende Begründung eines ursächlichen Zusammenhangs hat der gerichtliche Sachverständige nicht gegeben.
Soweit die Anwendung der B-Konstellationen eine ausreichende Exposition voraussetzt (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 217 mittlere
Spalte), lässt sich dies nach Auffassung des Senats nicht ohne weiteres unter Hinweis darauf bejahen, dass der Kläger mit
der nach dem MDD ermittelten und - wie dargelegt - zu Gunsten des Klägers angenommene Gesamtdosis von 12,8 MNh den Grenzwert
entsprechend des Urteils des BSG vom 30.10.2007 (a.a.O.) von 12,5 MNh überschritten hat, wovon der Sachverständigen Prof. Dr. B.-A. - wie seinem Gutachten
zu entnehmen ist - aber ausgeht. Denn bei diesem Grenzwert handelt es sich - wie bereits erwähnt - lediglich um die untere
Belastungsdosis, die erreicht sein muss, damit überhaupt ein relevanter Zusammenhang zwischen versicherter Einwirkung und
der eingetretenen Erkrankung in Betracht gezogen werden kann. Denn ist dieser Grenzwert unterschritten, ist nach den Ausführungen
des BSG (a.a.O.) ein rechtlich wesentlicher Kausalzusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung ausgeschlossen, sodass es weiterer
Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall nicht mehr bedarf. Ist damit aber
schon bei einer Belastungsdosis ((12,5 MNh), die nur geringfügig unter der Dosis liegt, die beim Kläger festzustellen ist
(12,8 MNh), ein wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung gänzlich zu verneinen, kann nicht unkritisch
nur wegen Überschreitung der Hälfte der nach dem MDD im Sinne einer kritischen Dosis erforderlichen Mindestexposition von
25 MNh, von einer ausreichenden Exposition ausgegangen werden. Da das Erkrankungsrisiko beim Kläger daher unter Berücksichtigung
der nur knapp erreichten kritische Belastungsdosis zu beurteilen ist, vermag sich der Senat vom Vorliegen einer typischen
Fallkonstellation nicht zu überzeugen.
In seinen Bedenken bestätigt sieht sich der Senat gerade auch dadurch, dass Grundlage der Konsensempfehlungen, soweit sie
eine ausreichende Exposition voraussetzen, nicht der vom BSG in seiner Entscheidung vom 18.11.2008, B 2 U 14/08 R konstituierte untere Grenzwert in Höhe der Hälfte der nach dem MDD erforderlichen Mindestexposition von 25 MNh gewesen sein
konnte. Denn zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Konsensempfehlungen im Jahr 2005 lag diese Entscheidung des BSG noch nicht vor. Der Senat sieht daher keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass als ausreichende Exposition im Sinne
der Konsensempfehlungen bereits eine Gesamtbelastungsdosis angesehen werden kann, die weit unterhalb der kritischen Mindestexposition
nach dem MDD von 25 MNh liegt. Hierauf hat bereits Dr. H. in seinem Gutachten zutreffend hingewiesen und dargelegt, dass sich
angesichts der nur geringen Exposition auch nur eine geringe Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs ergebe.
Die schematische Anwendung der B 4-Konstellation durch den Sachverständigen Prof. Dr. B.-A. lässt darüber hinaus auch eine
weitere nach den Konsensempfehlungen zu berücksichtigende Grundvoraussetzungen für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs
zwischen Exposition und Erkrankung unberücksichtigt. Denn soweit eine Betonung der Bandscheibenschäden an den unteren drei
Segmenten der LWS eher für einen Ursachenzusammenhang spricht, während eine Aussparung der unteren zwei Segmente der LWS eher
gegen eine berufliche Verursachung spricht (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 216 rechte Spalte), liegt die Besonderheit im
vorliegenden Fall gerade darin, dass zwar der Schwerpunkt der Bandscheibenschädigung im Bereich L5/S1 liegt, sich jedoch im
Bereich von L4/L5 nach übereinstimmender Beurteilung sowohl von Dr. Lenk, Dr. T. und Dr. S. wie auch nach dem radiologischen
Gutachten von Dr. T. und dem folgend Prof. Dr. B.-A. im Jahr 2003 und damit nach Aufgabe der Tätigkeit gerade keine Veränderung
der Bandscheibe zeigte. Wenn aber - und dies hat auch Prof. Dr. B.-A. nicht in Zweifel gezogen - gerade das Segment L4/5 trotz
der beruflichen Expositionen keine Bandscheibenveränderungen zeigte, kann nicht mehr von einer Betonung der Schäden im Bereich
der unteren drei Segmente gesprochen werden.
Somit liegt gerade eine Aussparung in einem der beiden unteren LWS-Segmente (nämlich L4/5) vor, was eher gegen eine berufliche
Ursache der Schädigung spricht. Hierauf hat insbesondere Dr. T. und später auch nochmals Dr. S. hingewiesen. Dabei kommt es
nicht entscheidungserheblich darauf an, ob es - so die Diskussion zwischen Dr. T. und Prof. Dr. B.-A. - angesichts der Verteilung
von Kompressionskräften beim Heben und Tragen von Lasten zu einer gleichmäßgen Belastung aller LWS-Segmente kommt und inwieweit
- sollte diese Annahme zutreffen - dies vergleichbare Veränderungen in den betroffenen Bandscheiben und Wirbelkörpern erwarten
lässt. Denn maßgebend ist für den Senat, dass das Segment L4/5 trotz der beruflichen Expositionen noch Mitte 2003 keinerlei
Veränderungen im Bereich der Bandscheibe aufwies. Dabei geht auch Prof. Dr. B.-A. - wie in seiner letzten ergänzenden Stellungnahme
ausführlich dargelegt - davon aus, dass dieses Segment beim schweren Heben und Tragen maßgeblich belastet wird. Er hat sogar
dargelegt (Bl. 299/300 LSG-Akte), dass bei der wichtigsten Lastenhandhabung im Sinne der BK 2108, dem beidhändigen Heben von
Lasten, von deutlich höheren Druckkräften im Bereich der beiden unteren LWS-Segmente im Vergleich zu den oberen LWS-Segmenten
auszugehen sei. Er hat hierzu das Schaubild aus einer Studie wiedergegeben, wonach in den Segmenten L5/S1 und L 4/5 mit Abstand
die höchsten Druckkräfte auf die Bandscheibe wirken. Dies bestätigt aber die von Dr. T. und Dr. S. formulierten Bedenken.
Wenn die Bandscheiben der unteren beiden LWS-Segmente den höchsten Druckkräften ausgesetzt sind, ist es nicht, jedenfalls
nicht ohne weiteres nachvollziehbar, dass die beruflichen Expositionen, denen der Kläger ausgesetzt war, nur in einem dieser
Segmente zu einer Schädigung der Bandscheibe im Sinne einer Chondrose führten, nicht aber im anderen Segment. Insoweit hätte
es einer nachvollziehbaren Erklärung bedurft, die aber auch Prof. Dr. B.-A. nicht hat liefern können. Er verweist stattdessen
lapidar auf die Konsensempfehlungen, die diese Problematik aber gerade nicht behandeln, als Grundvoraussetzung aber ein belastungskonformes
Schadensbild verlangen (a.a.O., S. 212 rechte Spalte unten), wozu gerade das entsprechende Verteilungsmuster der Bandscheibenschäden
gehört (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 214 linke Spalte oben). Zutreffend zitiert Prof. Dr. B.-A. zwar die Konsensempfehlungen
(a.a.O., S. 217 mittlere Spalte unten) dahingehend, dass beim Vorliegen einer altersuntypischen mindestens zweitgradigen Chondrose
oder eines Prolaps in den Segmenten L 4/5 und/oder L 5/S1 eine Fallkonstellation B zu prüfen ist. Die Vorgabe, ein solcher
Schaden müsse im Bereich L 4/5 "und/oder" L 5/S1 vorliegen, lässt aber nicht den Schluss zu, dass eines der beiden Segmente
überhaupt keine Veränderungen der Bandscheibe, die auf das Einwirken von Druckkräften zurückgeführt werden können, aufweisen
kann. Vielmehr wird damit nur ein Mindestschaden (altersuntypische mindestens zweitgradige Chondrose) definiert, der sich
an wenigstens einem der untersten LWS-Segmente manifestieren muss. Dies korreliert mit den oben schon wiedergegebenen Ausführungen
von Prof. Dr. B.-A. zur Verteilung der Druckkräfte und damit dem Umstand, dass - so ausdrücklich Prof. Dr. B.-A. - nicht zwingend
von einer gleichmäßigen Verteilung der Druckkräfte und damit einer gleichmäßigen Verteilung des Schadensbildes an der Bandscheibe
auszugehen ist. Umgekehrt ist dann zu erwarten, dass bei entsprechender Exposition jedenfalls feststellbare Veränderungen
an den beiden am meisten betroffenen Segmente L 4/5 und L5/S1 auftreten, wenn auch nicht in gleichem Ausmaß. Dass aber eines
dieser Segmente, wie beim Kläger, überhaupt keine Veränderung aufweist, spricht - so überzeugend Dr. T. und Dr. S. - gegen
eine Schädigung der LWS im Sinne der BK 2108.
Nach alledem vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass beim Kläger im Sinne der Konsensempfehlungen eine typische,
der Konstellation B 4 zuzuordnende Fallkonstellation, bei der ein ursächlicher Zusammenhang zwischen beruflicher Exposition
und der Erkrankung zu bejahen ist, vorliegt.
Weitere Argumente, die die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs nahelegen könnten, sind nicht erkennbar. Soweit Dr. H.
vorsorglich darauf hingewiesen hat, es liege bei Annahme einer bandscheibenbedingten Erkrankung und ausreichender Exposition
die Fallkonstellation B 3 vor, führt dies zu keinem für den Kläger günstigen Ergebnis. Denn für die Fallkonstellation B 3
bestand gerade kein Konsens, so dass auch kein wahrscheinlicher ursächlicher Zusammenhang zu bejahen ist. Im Übrigen trifft
diese Beurteilung von Dr. H. nicht zu. Dr. H. hat insoweit nicht erkannt, dass sich - insoweit zutreffend Prof. Dr. B.-A.
- die Höhenminderung an mehreren Bandscheiben zeigt, also ein Zusatzkriterium nach B 2 vorliegt, was gerade B 3 ausschließt.
Im Ergebnis vermag der Senat somit die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen den beruflichen Expositionen
und der bandscheibenbedingten Erkrankung des Klägers im Bereich der LWS nicht zu begründen. Dies geht nach den dargelegten
Grundsätzen zu Lasten des Klägers.
Die Berufung des Klägers kann daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.