Keine Versicherungspflicht im Wege der Entsendung in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des SGB IV – hier in die Türkei - bei Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Merkmale des Beschäftigungsverhältnisses im Ausland
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG).
Am 30.10.2013 beantragte die Klägerin für ihren am 30.09.2013 geborenen Sohn E. A. A. K. Elterngeld für den 1.-12. Lebensmonat
bei der Beklagten. Im Antrag gab sie an, dass ihr Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland sei. Der Ehemann der
Klägerin (E) gab an, dass er in der Türkei erwerbstätig und für begrenzte Zeit dahin entsendet sei.
Die Klägerin war bei der S. AG beschäftigt und bezog vom 23.08.2013 bis 29.11.2013 einen Arbeitgeberzuschuss zum Mutterschaftsgeld
iHv 68,55 € kalendertäglich. Die A. Baden-Württemberg, bei der die Klägerin freiwillig gesetzlich versichert war, zahlte im
gleichen Zeitraum kalendertäglich 13 € Mutterschaftsgeld.
Mit Schreiben vom 05.11.2013 forderte die Beklagte von der Klägerin weitere Angaben zum Aufenthalt in Deutschland und zur
Entsendung ihres Ehemannes. E teilte daraufhin mit, dass er zusammen mit seiner Frau zum 01.12.2013 eine möblierte Wohnung
in Istanbul beziehen werde. Während der Entsendung würden sie das Haus in ... Ö. behalten und regelmäßig in Deutschland sein.
Beigefügt war eine Bestätigung der Arbeitgebern des E, der R. D. Deutschland GmbH (im Folgenden "R."), wonach E im Auftrag
des Konzerns seit dem 01.09.2013 für die Dauer von voraussichtlich fünf Jahren bei der Schwestergesellschaft R. D. T. A. S.,
D. D. (im Folgenden "R. Türkei"), in Istanbul/Türkei eingesetzt sei. Es handle sich nicht um eine Entsendung im Sinne des
§
4 SGB IV, vielmehr sei der Abschluss einer Ausnahmevereinbarung bei der D. beantragt worden. Die in Deutschland anteilig ausgezahlten
Entgelte sowie Sozialversicherungsbeiträge würden in vollem Umfang an die Gesellschaft in die Türkei weiterbelastet.
Mit Bescheid vom 09.12.2013 lehnte die Beklagte die Gewährung von Elterngeld ab. Zur Begründung führte sie aus, dass Anspruch
auf Elterngeld nur bestehe, wenn die Klägerin ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe oder sie als
Ehegatte eines entsandten Arbeitnehmers gemäß §
4 SGB IV dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliege. Dies sei unter anderem nur dann der Fall, wenn, anders wie hier, sich
der Arbeitsentgeltanspruch gegen den inländischen Arbeitgeber richte.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren berief sich die Klägerin auf eine Ausnahmevereinbarung bezüglich des Auslandseinsatzes
ihres Ehemannes. R. übersandte der Beklagten ein Schreiben des GKV Spitzenverbandes vom 07.01.2014, wonach das Zustandekommen
einer Ausnahmevereinbarung gemäß Art 9 des deutsch-türkischen Abkommen über Soziale Sicherheit bescheinigt wird. Darin heißt
es: "Daher gelten für Herrn K. [...] für die Zeit vom 01.09.2013 bis 31.08.2016 weiterhin die deutschen Rechtsvorschriften über
soziale Sicherheit. Diese Ausnahmevereinbarung gilt für die Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung sowie die Arbeitsförderung
(Arbeitslosenversicherung) und das Kindergeld. Wie Sie uns bestätigt haben, werden Sie die Melde- und Beitragspflichten zur
Sozialversicherung in diesen Zweigen so erfüllen, als ob die Beschäftigung in Deutschland ausgeübt würde."
Die Klägerbevollmächtigte teilte mit, dass sich die Klägerin und das gemeinsame Kind vermehrt beim Ehemann in der Türkei aufhalte.
Erstmals sei sie am 30.10.2013 zu ihrem Ehegatten gereist. Das Wohneigentum in Deutschland werde weiterhin von der Klägerin
als Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt genutzt. Das Kind werde in seiner Entwicklung von Kinderärzten in Deutschland betreut.
Zudem stehe die Klägerin noch im Arbeitsverhältnis bei S., sie habe lediglich drei Jahre Erziehungsurlaub.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe seit dem 30.10.2013 weder
Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Eine Entsendung gemäß §
4 SGB IV liege ausweislich der Bestätigung des Arbeitgebers des Ehemannes nicht vor. Aus der vorgelegten Ausnahmevereinbarung nach
dem deutsch-türkischen Abkommen über Soziale Sicherheit ergebe sich unter Verweis auf das Urteil des Senats vom 18.12.2013
(L 11 EG 4650/12) nichts anderes. Für den Anspruch auf Elterngeld genüge es nicht, dass nur ein Rumpfarbeitsverhältnis fortbestehe. Ebenso
reiche es nicht aus, dass aufgrund über- oder zwischenstaatlichen Rechts Sozialversicherungspflicht (in einzelnen Sozialversicherungszweigen)
begründet werde. Auch für die Zeit von der Geburt des Kindes am 30.09.2013 bis zum 29.10.2013 bestehe kein Anspruch auf Elterngeld.
Dies resultiere zum einen aus dem Umstand, dass Elterngeld mindestens für zwei Monate bezogen werden müsse und wegen des Fehlens
des gewöhnlichen Aufenthalts ab dem zweiten Lebensmonat des Kindes kein Anspruch bestehe. Zum anderen würde sich wegen Anrechnung
von Mutterschaftsgeld für die ersten zwei Lebensmonate des Kindes ebenfalls kein Anspruch auf Elterngeld ergeben.
Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 30.07.2014 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Sie hat auf Anforderung des Gerichts mitgeteilt, dass sie sich im Zeitraum vom 30.09.2013 bis 29.09.2014 ausschließlich
vom 18.05.2014 bis 23.05.2014 und vom 12.08.2014 bis 17.08.2014 in Deutschland aufgehalten habe. Sie übersandte zudem die
zwischen ihrem Ehemann und R. geschlossene Zusatzvereinbarung zum Auslandseinsatz (Entsendevereinbarung).
Mit Urteil vom 15.06.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass bis zum 30.10.2013 unabhängig vom Innehaben eines Wohnsitzes
oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland wegen des Bezugs von Mutterschaftsgeld und eines Arbeitgeberzuschusses kein Anspruch
auf Elterngeld bestanden habe. Seit dem 30.10.2013 habe die Klägerin nicht mehr ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt
in Deutschland. Ihre Aufenthalte in Deutschland hätten nur besuchsweisen Charakter, welche nicht zur Begründung eines Lebensmittelpunkt
und damit eines Wohnsitzes führen könnten. Wegen der Begründung eines neuen Wohnsitzes in der Türkei habe die Klägerin im
maßgeblichen Zeitraum auch nicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. E unterliege nicht gemäß §
4 SGB IV dem deutschen Sozialversicherungsrecht. Dies habe R. bereits im Verwaltungsverfahren mitgeteilt. Während des Auslandsaufenthalts
zahle R. dem E zwar anteilig Arbeitsentgelt aus und trage Sozialversicherungsbeiträge. Maßgeblich sei aber nicht, von wem
E das Arbeitsentgelt ausgezahlt bekomme, sondern wer letztendlich die Kosten steuerrechtlich geltend mache. Dies sei hier
R. Türkei. Zu einem anderen Ergebnis führe auch nicht das deutsch-türkische Abkommen über Soziale Sicherheit. Dieses sei nur
deshalb anwendbar, weil keine Entsendung im Sinne des §
4 SGB IV vorliege. Zudem beziehe sich das Abkommen nach dessen Wortlaut nicht auf das Elterngeld. Das insofern in Deutschland lediglich
weiter bestehende Rumpfarbeitsverhältnis des E sei nicht ausreichend, um einen Anspruch auf Elterngeld zu begründen.
Gegen das am 19.06.2015 zugestellte Urteil haben die Klägerbevollmächtigten am 13.07.2015 Berufung zum Landessozialgericht
Baden-Württemberg eingelegt.
Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe ihren allgemeinen Wohnsitz ausschließlich in Deutschland. Das hier vorhandene Haus
sei vollständig eingerichtet und jederzeit bewohnbar. Es werde durch einen Hausmeisterservice instandgehalten. Ihr Ehegatte
beziehe sein Gehalt weiter von R. in Deutschland. Er müsse auch regelmäßig mehrmals jährlich an Meetings in Deutschland teilnehmen.
Der Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses liege deshalb in Deutschland. Es bestehe eben nicht nur ein Rumpfarbeitsverhältnis.
§
4 SGB IV sei auf ihn anwendbar. Die Klägerin meint, sie sei eine mitreisende Ehegattin eines entsandten Arbeitnehmers.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15.06.2015 sowie den Bescheid vom 09.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 09.07.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den 1. bis 12. Lebensmonat ihres am 30.09.2013 geborenen
Sohnes Elterngeld in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass keine Entsendung gemäß §
4 SGB IV vorliege. Die Kosten des Auslandseinsatzes des Ehemanns der Klägerin würden von R. komplett der türkischen Gesellschaft in
Rechnung gestellt. Es komme allein auf die endgültige wirtschaftliche Belastung an.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster
und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§
143,
144,
151 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne
mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 09.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2014,
mit dem der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Elterngeld mangels Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland
abgelehnt worden ist.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Sie hat
keinen Anspruch auf Gewährung von Elterngeld.
Der Anspruch der Klägerin richtet sich allein nach dem mit Wirkung zum 01.01.2007 eingeführten Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (< BEEG >; Gesetz vom 05.12.2006, BGBl I 2748) in der bis 31.12.2014 gültigen Fassung. Das zwischenstaatliche Abkommen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Türkei über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl 1965 II, Seite 1170) idF des Änderungsabkommens vom 28. Mai 1969 (BGBl 1972 II, Seite 2), des Zwischenabkommens vom 25. Oktober 1974 (BGBl 1975 II, Seite 374) und des Zusatzabkommens vom 2. November 1984 (BGBl II 1986, Seite 1040) enthält keine Bestimmungen zum Elterngeld. In Art 2 des Abkommens ist zum sachlichen Geltungsbereich geregelt, dass sich
das Abkommen auf die deutschen Rechtsvorschriften über die Krankenversicherung sowie den Schutz der erwerbstätigen Mutter,
soweit sie die Gewährung von Geld- und Sachleistungen durch die Träger der Krankenversicherung zum Gegenstand haben, die Unfallversicherung,
die Rentenversicherung und die hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung, die Altershilfe für Landwirte sowie das Kindergeld
für Arbeitnehmer bezieht.
Nach § 1 Abs 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (Nr 1), mit seinem
Kind in einem Haushalt lebt (Nr 2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit
ausübt (Nr 4).
Gem § 4 Abs 3 BEEG kann ein Elternteil mindestens für zwei und höchstens für zwölf Monate Elterngeld beziehen. Lebensmonate des Kindes, in denen
einem Elternteil nach § 3 Abs 1 Nummer 1 bis 3 BEEG anzurechnende Einnahmen zustehen, gelten als Monate, für die dieser Elternteil Elterngeld bezieht.
Die genannten Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Zwar lebte sie im hier streitigen Zeitraum mit ihrem am 30.09.2013
geborenen Sohn E. in einem Haushalt zusammen und erzog und betreute dieses Kind selbst. Sie übte in den ersten zwölf Lebensmonaten
auch keine Erwerbstätigkeit aus. Die Klägerin hatte jedoch ab dem zweiten Lebensmonat von E. (30.10.2013 bis mindestens 29.09.2014)
weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Da jedoch gemäß § 4 Abs 3 BEEG die Voraussetzungen für die Gewährung von Elterngeld mindestens zwei Monate lang vorliegen müssen, besteht auch für den ersten
Lebensmonat des Kindes kein Anspruch.
Im Übrigen würde unabhängig von der Frage des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes das von der Klägerin vom 23.08.2013
bis 29.11.2013 bezogene Mutterschaftsgeld in Höhe von kalendertäglich 13 € und der Arbeitgeberzuschuss zum Mutterschaftsgeld
von der S. AG iHv 68,55 € kalendertäglich gem § 3 BEEG auf zustehendes Elterngeld angerechnet. Da die Mutterschaftsleistungen die Höhe des Elterngeldes übersteigen, kann für die
ersten zwei Lebensmonate des Kindes zeitgleich kein Elterngeld gewährt werden.
Zur Auslegung des Begriffs des Wohnsitzes in § 1 Abs 1 Nr 1 BEEG ist die allgemein im Sozialrecht geltende Regelung des §
30 Abs
3 SGB I heranzuziehen. Dabei sind gemäß §
37 Satz 1 i.V.m. §
68 Nr 15
SGB I die Besonderheiten des BEEG zu berücksichtigen (BSG 30.09.2010, B 10 EG 9/09 R, [...]RdNr 56). Dementsprechend ist der Begriff des Wohnsitzes bzw des gewöhnlichen Aufenthaltes hier nicht nur der sachliche
Anknüpfungspunkt für den persönlichen Anwendungsbereich der Vorschriften des Sozialgesetzbuchs bzw der besonderen Teile dieses
Gesetzbuchs. Es handelt sich vielmehr um ein materielles Tatbestandsmerkmal (vgl Schlegel in jurisPK-
SGB I, §
30 RdNr 14).
Nach §
30 Abs
3 Satz 1
SGB I hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung
beibehalten und benutzen wird. Dabei sind die objektiven Verhältnisse entscheidend, die den Schluss auf den Willen zur Wohnsitzbegründung
zulassen müssen (Buchner/Becker in
Mutterschutzgesetz, Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, 8. Auflage, § 1 BEEG RdNr 7). Die polizeiliche Meldung allein reicht nicht aus (BSG 10. 12.1985, 10 RKg 14/85, SozR 5870 §
2 Nr
44). Ob die Voraussetzungen des §
30 Abs
3 Satz 1
SGB I vorliegen, ist im Wege der vorausschauenden Betrachtungsweise zu beurteilen. Denn die Rechtsprechung des BSG bezieht in die Beantwortung der Frage, wann diese Voraussetzungen vorliegen, auch ein prognostisches Element mit ein. Dies
gilt auch für die Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthaltes, den jemand dort hat, wo er sich unter Umständen aufhält, die
erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§
30 Abs
3 Satz 2
SGB I). Die Bejahung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland nach §
30 Abs
3 SGB I hängt daher auch von einer Prognose über die Dauer des Aufenthalts einer Person in Deutschland ab (BSG 03.12.2009, B 10 EG 6/08 R, SozR 4-7833 § 1 Nr 10).
Ein Doppelwohnsitz im In- und Ausland bzw ein Auseinanderfallen von Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt soll nach der Rechtsprechung
des BSG im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) möglich sein, erfordert jedoch hinreichend intensive Beziehungen
zum Inland (Schlegel in jurisPK-
SGB I, § 30 RdNr 41 mit Verweis auf BSG 28.02.1980, 8b RKg 6/79, SozR 5870 § 1 Nr 7). Eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort steht der Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht entgegen. Allerdings
reicht die Feststellung, dass ein Auslandsaufenthalt ausschließlich der Durchführung einer zeitlich befristeten Maßnahme dient
und der Betroffene die Absicht hat, nach dem Abschluss der Maßnahme zurückzukehren, allein nicht aus, vom Fortbestand des
bisherigen Wohnsitzes während des Auslandsaufenthalts auszugehen. Die Feststellung der Rückkehrabsicht besagt grundsätzlich
nichts darüber, ob der Inlandswohnsitz während des vorübergehenden Auslandsaufenthaltes beibehalten oder aufgegeben und nach
der Rückkehr neu begründet wird. Der Inlandswohnsitz wird in solchen Fällen nur dann beibehalten, wenn der Betroffene entweder
seinen Lebensmittelpunkt weiterhin am bisherigen Wohnort hat (keine Wohnsitzbegründung am Ort des Auslandsaufenthalts) oder
er zwar keinen einheitlichen Lebensmittelpunkt mehr hat, er aber nunmehr über zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse verfügt
(zwei Wohnsitze) und einer davon am bisherigen Wohnort liegt (BSG 28.05.1997, 14/10 RKg 14/94, SozR 3-5870 § 2 Nr 36 zum Kindergeld). Dabei kann die Unterhaltung der Wohnung im Inland mit der jederzeitigen Möglichkeit der dauerhaften
Rückkehr hierfür genügen (BSG 26.07.1979, 8b RKg 12/78, SozR 5870 § 1 Nr 4 zum Kindergeld). Bei von vornherein auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalten, reichen die Feststellung
der Rückkehrabsicht und der Möglichkeit der jederzeitigen Rückkehr in die Wohnung allerdings allein nicht aus, um die Aufrechterhaltung
des Inlandswohnsitzes anzunehmen (BSG 28.05.1997, 14/10 RKg 14/94, SozR 3-5870 § 2 Nr 36). Auch kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken, die
nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen und daher nicht "zwischenzeitliches Wohnen" in der bisherigen Wohnung
bedeuten, ändern daran nichts (BSG 28.05.1997, 14/10 RKg 14/94, SozR 3-5870 § 2 Nr 36 mwN; ebenso BFH 14.10.2011, III B 202/10, [...], zu §
8 der
Abgabenordnung mwN).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hatte die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum vom 30.10.2013 bis mindestens 29.09.2014
keinen inländischen Wohnsitz und keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des §
30 Abs
3 SGB I in Deutschland. Die Klägerhin hielt sich ab 30.10.2013 in Istanbul/Türkei auf, weil ihr Ehemann für die geplante Dauer von
fünf Jahren ab 01.09.2013 bei dem in der Türkei ansässigen Unternehmen R. Türkei beschäftigt war. Die Klägerin flog am 30.10.2013
zusammen mit ihrem Sohn nach Istanbul und hielt sich ab dann mit der gesamten Familie dort auf. Der Lebensmittelpunkt der
Klägerin befand sich damit in der Türkei. Das Ehepaar hatte zwar ihr Haus in Deutschland nicht aufgegeben. Dieses war vollständig
eingerichtet und konnte genutzt werden. Auch bestand für das Haus ein Vertrag mit einem Hausmeisterservice und es fielen weitere
übliche Kosten an (Strom, Wasser, Rundfunkgebühren, Internetanschluss). E war jedoch vertraglich in der Türkei gebunden und
war nicht in der Lage, ohne Vertragsbruch frei über das Ende seines Auslandsaufenthalts zu entscheiden (anders in dem vom
BSG am 26.07.1979 entschiedenen Fall, 8b RKg 12/78, SozR 5870 § 1 Nr 4 zum Kindergeld). Die Wohnung in Deutschland wurde auch lediglich für kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder
familiären Zwecken von der Klägerin und deren Ehegatten genutzt. Das steht für den Senat aufgrund der vorgelegten Flugtickets
und der eigenen Angaben der Klägerin fest. Ausschließlich vom 18.05.2014 bis 23.05.2014 und vom 12.08.2014 bis 17.08.2014
hielt sie sich im streitgegenständlichen Zeitraum in Deutschland auf. Ihr Ehemann war ebenfalls in dieser Zeit und zusätzlich
für Meetings bei R. vom 15. bis 16.01.2014 sowie vom 18. bis 23.07.2014 in Deutschland. Dabei kommt es nicht darauf an, dass
während des Aufenthalts in der Türkei soziale Kontakte zu Familienmitgliedern und Freunden der Eheleute in Deutschland gepflegt
wurden und eine passive Mitgliedschaft im örtlichen Fußballverein in Ö. bestand. Auch nicht relevant ist, dass die Vorsorgeuntersuchungen
des Sohnes beim Kinderarzt in Deutschland durchgeführt wurden. Entscheidend ist vielmehr, dass sich nicht nur die Klägerin,
sondern auch ihr Ehemann und ihr Sohn die überwiegende Zeit in der Türkei aufhielten. Damit hatte die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt
an den Einsatzort ihres Ehemannes in der Türkei verlagert und hielt sich dort - auch aus prognostischer Sicht - nicht nur
vorübergehend auf. Bestätigt wird diese Wertung von den Ausführungen der Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 06.11.2014
an das SG. Dort stellte sie klar, dass die Klägerin den Anspruch nicht aufgrund Ihrer Anwesenheitszeit in Deutschland geltend mache,
sondern weil der Wohnsitz hier sei und es sich bei der Klägerin um eine mitreisende Ehegattin eines entsandten Arbeitnehmers
handle.
Auch die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 Satz 1 BEEG sind nicht erfüllt. Danach hat Anspruch auf Elterngeld auch, wer, ohne eine der Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr 1 zu erfüllen,
nach §
4 SGB IV dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt oder im Rahmen seines in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen
Dienst- oder Amtsverhältnisses vorübergehend ins Ausland abgeordnet, versetzt oder kommandiert ist (Nr 1), Entwicklungshelfer
oder Entwicklungshelferin im Sinne des § 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes ist oder als Missionar oder Missionarin der Missionswerke und -gesellschaften, die Mitglieder oder Vereinbarungspartner des
Evangelischen Missionswerkes Hamburg, der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen e.V., des Deutschen katholischen Missionsrates
oder der Arbeitsgemeinschaft pfingstlich-charismatischer Missionen sind, tätig ist (Nr 2) oder die deutsche Staatsangehörigkeit
besitzt und nur vorübergehend bei einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung tätig ist, insbesondere nach den Entsenderichtlinien
des Bundes beurlaubte Beamte und Beamtinnen, oder wer vorübergehend eine nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes oder § 29 des Bundesbeamtengesetzes zugewiesene Tätigkeit im Ausland wahrnimmt (Nr 3). Dies gilt auch für mit der nach Satz 1 berechtigten Person in einem Haushalt
lebende Ehegatten, Ehegattinnen, Lebenspartner oder Lebenspartnerinnen (§ 1 Abs 2 Satz 2 BEEG).
Keiner der genannten Ausnahmetatbestände des § 1 Abs 2 BEEG ist vorliegend erfüllt. E unterlag insbesondere nicht nach §
4 SGB IV dem deutschen Sozialversicherungsrecht gem § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1, Satz 2 BEEG.
Nach §
4 SGB IV gelten die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung, soweit sie eine Beschäftigung voraussetzen,
auch für Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein
Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder
vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist. Nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck des §
4 SGB IV setzt ein fortbestehendes Versicherungspflichtverhältnis zunächst voraus, dass vor Beginn der Entsendung ein Beschäftigungsverhältnis
mit dem entsendenden Arbeitgeber in Deutschland bestanden hat (BT-Drucks 7/4122, 30; BSG 05.12.2006, B 11a AL 3/06 R, SozR 4-2400 § 4 Nr 1 mwN). Erforderlich ist ferner, dass das Beschäftigungsverhältnis während der Zeit der Entsendung fortbesteht und dass
es nach Beendigung der Entsendung weiter geführt werden soll, weshalb §
4 Abs
1 SGB IV eine "im Voraus" feststehende zeitliche Begrenzung fordert (BSG 05.12.2006, B 11a AL 3/06 R, SozR 4-2400 § 4 Nr 1 mwN). Maßgebend ist, wo der Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Merkmale des Beschäftigungsverhältnisses liegt
(BSG 05.12.2006, B 11a AL 3/06 R, SozR 4-2400 § 4 Nr 1 mwN). Voraussetzung ist regelmäßig, dass der im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer organisatorisch in den Betrieb des
inländischen Arbeitgebers eingegliedert bleibt, wesentliche Elemente eines Beschäftigungsverhältnisses (vgl §
7 Abs
1 Satz 2
SGB IV) erfüllt werden und sich der Anspruch auf Arbeitsentgelt gegen den inländischen Arbeitgeber richtet (BSG 05.12.2006, B 11a AL 3/06 R, SozR 4-2400 § 4 Nr 1 mwN). Bei der Entsendung zu einem rechtlich selbstständigen Unternehmen innerhalb eines Konzerns, aber auch bei der
Entsendung zu einer rechtlich und selbständigen Zweigniederlassung eines Unternehmens, bestimmt sich der Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses
nach den tatsächlichen Merkmalen der Beschäftigung und nicht nach dem Arbeitsvertrag mit dem entsendenden Unternehmen.
Gemessen an diesen Voraussetzungen lag der Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Merkmale des Beschäftigungsverhältnisses
des E in der Türkei. Eine echte Entsendung lag nicht vor. Die vorgelegte Bescheinigung der inländischen Arbeitgeberin vom
29.11.2013 enthält eine zutreffende Beschreibung des Sachverhalts, indem sie deutlich macht, dass keine Entsendung vorgelegen
hat. Auch der Umstand, dass eine Ausnahmevereinbarung nach Art 9 des deutsch-türkischen Abkommens über Soziale Sicherheit
beantragt wurde und zustande kam, spricht gegen eine Entsendung iSd §
4 SGB IV. Denn beim Vorliegen der Voraussetzungen für eine Entsendung hätte es keiner Ausnahmevereinbarung bedurft, weil nach Art
6 des Abkommens der Entsendefall bereits abschließend geregelt ist. Auch die Entsendevereinbarung, die zwischen E und R. geschlossen
worden ist, geht in Nr 13 davon aus, dass eine Ausnahmevereinbarung nach dem Sozialversicherungsabkommen notwendig ist. Nicht
maßgeblich ist jedoch, auf welchem Formblatt die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften bescheinigt wird.
E war ab 01.09.2013 bei einer rechtlich selbständigen Schwestergesellschaft (R. Türkei) als "Head of Management Center Istanbul"
beschäftigt. Schon die rechtliche Selbstständigkeit der Einsatzgesellschaft in einem Konzern spricht gegen eine Ausstrahlung
im Sinne des §
4 SGB IV (vgl BSG 05.12.2006, B 11a AL 3/06 R, SozR 4-2400 § 4 Nr 1; Urteile des Senats vom 17.07.2012, L 11 EG 2929/10; 22.01.2013, L 11 EG 3335/12).
Unter Zugrundelegung der im Klageverfahren vorgelegten Entsendevereinbarung sowie unter Berücksichtigung der von der Klägerbevollmächtigten
erwähnten und vom Senat als zutreffend unterstellten Aussagen der Mitarbeiterin der Personalabteilung von R. steht für den
Senat fest, dass zwischen E und R. Türkei kein eigener Arbeitsvertrag geschlossen worden ist, sich der vertragliche Entgeltanspruch
ausschließlich gegen die deutsche Gesellschaft richtete, der vertragliche Arbeitsort in Deutschland verblieb und sich die
deutsche Gesellschaft vorbehalten hat, E während der Dauer des Einsatzes jederzeit mit sofortiger Wirkung zurück zu berufen,
sofern organisatorische oder andere Gründe dies erforderlich machen würden. Der Auslandseinsatz war auf fünf Jahre befristet.
Der Umstand, dass der Entgeltanspruch nach dem Vertrag ausschließlich gegen die deutsche Arbeitgeberin bestand, führt im konkreten
Fall nicht zur Annahme einer Entsendung gem §
4 SGB IV. Denn zum einen erhielt E tatsächlich gerade nicht sein vollständiges Arbeitsentgelt von der deutschen Gesellschaft, sondern
anteilsmäßig auch von R. Türkei. Dass nach der Entsendevereinigung E selbst die gesplittete Auszahlung des Entgelts festlegen
konnte, ist nach Ansicht des Senats nicht entscheidend. Zum anderen hat die Arbeitgeberin bescheinigt, dass die anteilig von
ihr ausgezahlten Entgelte sowie die Sozialversicherungsbeiträge in vollem Umfang an die Gesellschaft in die Türkei weiter
belastet werden. Tatsächlicher Kostenträger war deshalb die Einsatzgesellschaft. Mögliche konzerninterne Finanzausgleiche
sind unerheblich (BSG 05.12.2006, B 11a AL 3/06 R, SozR 4-2400 § 4 Nr 1).
Für den Senat steht nach Auswertung sämtlicher vorliegenden Unterlagen und Angaben der Beteiligten eindeutig fest, dass der
Schwerpunkt der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisses bei der ausländischen Gesellschaft lag. Das inländische Arbeitsverhältnis
mit R. tritt hierbei in den Hintergrund. Denn es fehlt diesbezüglich an tatsächlichen Beschäftigungsmerkmalen und an einer
wesentlichen tatsächlichen Eingliederung in den inländischen Betrieb. Dies zeigt sich unter anderem auch daran, dass trotz
fehlender vertraglicher Regelung bzgl. der Übertragung des allgemeinen Weisungsrecht auf R. Türkei, dieses Weisungsrecht zumindest
teilweise auf R. Türkei tatsächlich übertragen wurde. Dies ergibt sich zB aus Nr 25 der Entsendevereinbarung, wonach nicht
innerhalb eines Jahres genommene Urlaubstage nur auf das Folgejahr übertragen werden können, wenn eine schriftliche Zustimmung
auch des Line Managers von R. Türkei vorliegt.
Eine entsprechende Anwendung des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BEEG auf den vorliegenden Fall scheidet aus. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ist Voraussetzung, dass §
4 SGB IV erfüllt ist. Eine erweiternde Auslegung der elterngeldrechtlichen Regelungen kommt nicht in Betracht (Buchner/Becker, BEEG, § 1 RdNr 18). Die vorliegende Zahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung über eine Ausnahmevereinbarung nach Art 9 des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens genügt nicht. §
6 SGB IV findet keine Anwendung. Der Gesetzgeber hat die insoweit anders lautende Vorschrift des Bundeserziehungsgeldgesetzes (§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG) gerade nicht übernommen.
Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nicht (vgl Senatsurteil vom 24.03.2015, L 11 EG 272/14).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.