Anspruch auf Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung für Unterkunft und Verpflegung in einem Diabetes-Dorf;
Abgrenzung zwischen vollstationärer Krankenhausbehandlung und stationärer medizinischer Rehabilitation
Tatbestand
Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung von Kosten für Unterkunft und Verpflegung im Diabetes-Dorf
A. im Zeitraum vom 27.04.2010 bis zum 10.11.2010 iHv 5.032,06 € geltend.
Die im Jahr 1992 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Seit Dezember 1999 leidet die Klägerin
an einem insulinpflichtigen und schwer einstellbaren Diabetes mellitus (dysregulativer Typ I Diabetes mellitus). Mehrere (auch
stationäre) Versuche, ihren Stoffwechsel einzustellen, brachten keinen ausreichenden Erfolg. Sie absolvierte deshalb im Jahr
2010 vier Aufenthalte im Diabetes-Dorf A.. Dort wurde durch einen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Arzt eine
Insulinpumpenkorrektureinstellung vorgenommen. Die ärztliche Behandlung wurde als Sachleistung (ambulante Behandlung) der
Beklagten erbracht. Die Kosten für die Unterkunft und Verpflegung, die sich für die vier Aufenthalte auf insgesamt 5.032,06
€ beliefen, zahlte die Klägerin.
Das Diabetes-Dorf wurde vom Internisten und Diabetologen Dr. T., damals leitender Oberarzt der Diabetesklinik B. M., aufgebaut.
Es besteht derzeit aus einem Praxishaus, in dem Dr. T. zusammen mit einer ebenfalls zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen
Ärztin eine Gemeinschaftspraxis betreibt, drei Mehrfamilienhäusern, einem kombinierten Rat- und Kinderhaus und einem Versandhandelhaus.
Träger dieser Einrichtung ist seit 1994 die Firma Diabetes-Dorf-A. GmbH (Handelsregister Amtsgericht Ulm HRB 6.), deren Geschäftsführer
Dr. T. ist. In jedem der Mehrfamilienhäuser leben idR für knapp drei Wochen maximal je neun Typ-1-Diabetiker bzw deren Angehörige,
die gemeinsam an- und abreisen. Zuständig für die Häuser ist je eine Bezugsperson aus dem Behandlerteam. Unter Alltagsbedingungen
lernen sie sich in die Pumpentherapie ein. Unterstützt werden sie von Betreuern. Lernen, üben, Essen bereiten, essen, Diskussionen
zur Therapiefindung, Anpassungsübungen, ärztliche und psychologische Gespräche, erforderlichenfalls Behandlungen, und Haushaltsarbeiten
wechseln einander ab. Das Diabetes-Dorf kann maximal 59 Typ-1-Diabetiker beherbergen. Es gibt eine 365-Tage-Rund-um-die-Uhr-Notfallbetreuung.
Die Gemeinschaftspraxis ist mit allen medizinischen Geräten für eine auf Typ-1-Diabetiker spezialisierte Einrichtung ausgestattet.
Am 19.04.2010 hatte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine ambulant überwachte Insulinpumpentherapie
- Korrektureinstellung mit intensiver Schulung im Diabetes-Dorf A. beantragt. Dr. T. teilte in dem Kostenübernahmeantrag mit,
dass die Klägerin seit August 2006 mit Insulinpumpen aufgrund der unzureichenden Stoffwechseleinstellbarkeit behandelt werde.
Die momentane Therapieeinstellung habe jedoch noch nicht zu einem befriedigenden Ergebnis geführt und reiche auch nicht aus,
um die Klägerin langfristig vor Folgeschäden durch die Unterzuckerung zu schützen. Für die differenzierte Einstellung der
Insulinpumpe reichten reine Ambulanz-, Telefon- und Briefkontakte nicht aus, da es einer sehr zeitintensiven Schulung und
eines Lernens und Vergleichens im Rahmen einer Diabetikergruppe bedürfe. Deshalb sei es nötig, dass sich die Klägerin für
knapp drei Wochen ausschließlich ihrer Insulinpumpentherapie widmen könne (Bl 12-14 der Verwaltungsakte). Es werde daher die
Übernahme der Kosten für Unterbringung und Verpflegung iH der Fallpauschale von 1.224,03 € für die Insulinpumpentherapie-Ersteinstellung
bzw der Korrektureinstellung gebeten. Die Klägerin fügte des Weiteren dem Antrag Befundberichte über die bisherige Behandlung
des Diabetes mellitus bei (Bl 15-22 der Verwaltungsakte).
Die Beklagte beauftragte Dr. B. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit der Erstellung
eines Gutachtens nach Aktenlage. Dieser kam in dem am 12.05.2010 erstellten Gutachten zum Ergebnis, dass die fortgesetzte
Insulinpumpentherapie medizinisch begründet sei. In Anbetracht der dargestellten krankheitsimmanenten Entwicklung/Instabilität
der Glukosehomöostase bei initial erfolgreichem Insulinpumpeneinsatz könne die gleichzeitige Intensivierung der Patientenschulung
im Umgang mit Erkrankung, BZ-Steuerung und Hilfsmittelbedienung als medizinisch erforderlich angesehen werden. Alternativ
wäre bei der beschriebenen Blutzuckerstoffwechsellage die erneute stationäre Aufnahme nach §
39 SGB V in einer entsprechenden Fachklinik indiziert. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 09.06.2010 ab und führte zur
Begründung aus, dass die von der Klägerin beantragte Schulung in Form eines Campaufenthaltes angeboten werde. Aus Gründen
der Wirtschaftlichkeit und der besseren Übertragbarkeit des Erlernten in den Alltag seien Patientenschulungen ambulant und
wohnortnah zu erbringen. Eine Übernahme der Kosten scheide daher aus.
Die Klägerin legte hiergegen am 07.07.2010 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass es sich um eine äußerst qualifizierte
und hochwertige Behandlung im Diabetes-Dorf A. handle. Der Aufenthalt von drei Wochen bringe ihr persönlich eine größere Verbesserung
ihrer Krankheitssituation als die seit ca sieben Jahren ständigen Aufenthalte in Spezialkliniken. Sie sei in den vergangenen
Jahren bei sehr vielen Spezialisten in Behandlung gewesen und es sei nicht gelungen, die täglich massiven Blutzuckerschwankungen
zu kontrollieren. In ihrem Krankheitsfall handle es sich nicht um ein alltägliches Krankheitsbild, sondern es liege eine Kombination
aus Krankheitsbildern Diabetes mellitus Typ I, einem MODY-3-Diabetes, Insulin-Antikörper- und Rezeptor-Antikörpern vor. Auch
liege ein enger Austausch zwischen Dr. T. und dem ambulant behandelnden Diabetologen Dr. F. vor. Dr. T. habe nach gut sieben
Jahren vergeblicher Therapieversuche und täglicher massiver Blutzuckerschwankungen endlich eine konkrete Lösung und einen
sinnvollen Therapieansatz des Krankheitsbildes finden können. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom
01.09.2010 zurück und führte zur Begründung aus, dass die Krankenkasse wirksame und effiziente Patientenschulungsmaßnahmen
nach §
43 Abs
1 Nr
2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) erbringen könne. Voraussetzung für die Inanspruchnahme zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei, dass entsprechend
der gemeinsamen Empfehlung der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Förderung und Durchführung von Patientenschulungen, die
Patientenschulung ambulant und wohnortnah erfolge. Das Bundesversicherungsamt habe den gesetzlichen Krankenkassen die Kostenbeteiligung
an Schulungscamps und Freizeiten grundsätzlich untersagt. In begründeten Ausnahmen, zB wenn ambulante Schulungsmaßnahmen nicht
zur Verfügung stünden, sei es möglich, sich auch an stationär durchgeführten Schulungen zu beteiligen. Erstattungsfähig seien
dann jedoch ausschließlich die reinen Schulungskosten. Bei den beantragten Kosten handele es sich jedoch um die zusätzlich
anfallenden Übernachtungs- und Verpflegungskosten. Diese entstünden, weil die Schulung nicht ambulant und wohnortnah erbracht
werde. Damit könne eine Kostenübernahme nicht erfolgen.
Die Klägerin hat am 13.09.2010 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und zur Begründung angeführt, dass sie seit acht Jahren sich in verschiedenen Diabetes-Einrichtungen, wie Schwerpunktpraxen,
Diabetes-Kliniken, Kreiskrankenhaus, Uni-Kliniken, in Behandlung befunden habe und trotzdem die häufigen und lebensgefährlichen
Stoffwechselentgleisungen nicht hätten gebessert werden können. In den vier Aufenthalten bei Dr. T. sei es gelungen, unter
Einsatzes eines Medikaments Blutzuckerwerte fast wie ein gesunder Mensch zu erreichen. Es handle sich auch nicht um ein Schulungscamp
oder eine Schulungsfreizeit, da es hauptsächlich um Diagnostik und Therapie gegangen sei. Angesichts der jahrelangen Bemühungen
in bereits differenzierteren Strukturen sei der Verweis auf ambulante Schulungen sowie die telefonische Beratung bei der Beklagten
überheblich und lebensgefährlich. Auch seien die Kosten im Diabetes-Dorf A. für je 18 Tage mit 1.224,03 € erheblich geringer
als die Kosten für alle zuvor genehmigten, erfolglos agierenden Therapieeinrichtungen.
Auf Anforderung des SG hat die Klägerin die Rechnungen über die Kosten für Unterbringung und Verpflegung vom 27.04. bis zum 10.11.2010 iHv 5.032,06
€ übersandt (Bl 28-31 der Verwaltungsakte). Dr. T. hat mit Schreiben vom 31.01.2011 darauf hingewiesen, dass er auch gegenüber
der Klägerin deutlich gemacht habe, dass es sich bei einer Kostenzusage um eine Einzelfallentscheidung handle und er keinen
Vertrag mit der Krankenkasse habe.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 01.08.2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein Anspruch des Versicherten auf Unterkunft
und Verpflegung im Zusammenhang mit einer Krankenbehandlung sei gesetzlich nur bei der Krankenhausbehandlung nach §
39 Abs
1 Satz 3
SGB V und bei einer stationären Rehabilitationsmaßnahme nach §
40 Abs
2 Satz 1
SGB V vorgesehen. Das Diabetes-Dorf A. sei jedoch weder ein zugelassenes Krankenhaus noch eine Rehabilitationseinrichtung mit Versorgungsvertrag.
Den Anspruch auf ärztliche Krankenbehandlung nach §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V habe die Beklagte erfüllt, da die diagnostischen und therapeutischen Leistungen im Rahmen der Aufenthalte der Klägerin als
Sach- bzw Dienstleistung der Klägerin zur Verfügung gestellt und über die Versichertenkarte abgerechnet worden seien. §
28 Abs
1 SGB V sehe jedoch bei ambulanten Behandlungen keinen Anspruch für Unterkunfts- und Verpflegungskosten vor. Auch aus dem Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005, Az 1 BvR 347/98, folge nichts anderes. Auch hieraus ergebe sich lediglich ein Anspruch auf die diagnostische und therapeutischen ärztlichen
Leistungen, nicht jedoch auf die Übernahme von Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Die für die Klägerin bestimmte Ausfertigung
des Urteils ist vom SG am 15.08.2011 zur Post gegeben worden.
Die Klägerin hat hiergegen am 06.09.2011 Berufung eingelegt und zur Begründung angeführt, bei dem Krankheitsbild, welches
bei ihr vorliege, handele es sich nicht um eine Krankheitssituation, welche auf standardisierte Art und Weise therapiert werden
könne. Aufgrund der Komplexität und Einzigartigkeit der Zusammensetzung ihrer Krankheitsbilder (vier verschiedene Diabetesformen,
zwei davon besonders gefährlich, da ständig lebensbedrohlich und in ihrer Kombination hoch wahrscheinlich einmalig) sei ihre
Erkrankung jahrelang nicht diagnostiziert bzw adäquat behandelt worden. Auf ausdrückliche Empfehlung ihres behandelnden Diabetologen
Oberarzt Dr. L. F. von der Kinderklinik B., habe sie sich daraufhin zu Dr. T. in Behandlung begeben. Es habe zwei Ansätze
bedurft, in denen Dr. T. eine endgültige und die Therapie ermöglichende Diagnose aufgestellt habe. Währenddessen sei es jedoch
notwendig und unabdingbar gewesen, dass sie vor Ort und unter seiner ständigen Beobachtung gestanden habe. Bei dem ersten
Therapieansatz seien ihr im Rahmen einer Immunadsorption die betroffenen Antikörper entzogen worden, worauf wieder die Wirkung
von Insulin gesichert und eine standardisierte Diabeteseinstellung möglich gewesen sei. Dieser Erfolg habe aber nur wenige
Wochen angehalten und habe dann eine weitere Immunadsorption erfordert. Mit Medikamenten wie Cell-Cept, Cortison und Cortison
mit Immurek sei versucht worden, die Neubildung der Insulin- und Rezeptor-Antikörper zu unterdrücken, doch auch diese Therapiemaßnahme
und Erfolge seien nur von kurzer Dauer und nicht zufriedenstellend gewesen, sodass zwischendrin immer wieder Immunadsorptionstherapien
stattgefunden hätten. Aktuell habe sie eine Rituximab-Therapie begonnen, welche die Produktion der Antikörper unterdrücken
solle. Sollte auch dieser Versuch ohne Erfolg bleiben, bestehe nur noch die Möglichkeit der Knochenmarkstransplantation, um
die Bildung der Antikörper, welche die Wirkung von Insulin einschränkten oder gar verhinderten, zu unterdrücken.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 01.08.2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09.06.2010 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 01.09.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.032,16 € zu zahlen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat zur Berufungserwiderung angeführt, die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung der Klägerin sei von
ihr zu keinem Zeitpunkt bezweifelt worden sei. Die während der Aufenthalte der Klägerin im Diabetes-Dorf A. notwendigen ärztlichen
Leistungen seien von der Beklagten als Sachleistung gewährt worden. Die begehrten Unterbringungs- und Verpflegungskosten stellten
jedoch keine Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung dar, sodass eine Kostenübernahme ausgeschlossen sei. Es handle
sich weder um Krankenhausbehandlungen nach §
39 SGB V noch um stationäre Rehabilitationsleistungen nach §
40 SGB V. Auch eine vertragliche Vereinbarung über die Leistungserbringung im Diabetes-Dorf existiere nicht. Zudem habe die Klägerin
die Leistungen bereits vor einer Entscheidung der Beklagten in Anspruch genommen, sodass der erforderliche Kausalzusammenhang
zwischen Leistungsablehnung und Kostenentstehung nach §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V fehle.
Der Senat hat Dr. F., Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums S./B., als sachverständigen Zeugen schriftlich
vernommen. In seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 28.06.2012 hat Dr. F. mitgeteilt, dass trotz Ausschöpfung aller ambulanter
wie stationärer Maßnahmen keine Verbesserung der Gesamtlage habe erreicht werden können. Die Möglichkeit der vertragsärztlichen
Versorgung seien allesamt ausgeschöpft worden und ohne Erfolg geblieben. Deshalb sei eine Mitbetreuung und Beurteilung durch
Dr. T. angestrebt worden. Es habe weiterhin eine hohe Gefahr einer diabetischen Entgleisung mit ketoazidotischem Koma bestanden.
Diese Erkrankung habe potentiell tödlich verlaufen können. Die individuelle Höhe des Risikos eines tödlichen Verlaufes könne
nicht angegeben werden. Auch habe die Behandlung aufgrund der aktuellen Entgleisungsgefahr sowie der Spätkomplikation des
Diabetes mellitus, welche durch eine dauerhaft erhöhte Stoffwechsellage früher einträten, nicht verschoben werden können.
Die Folgebehandlungen hätten nicht in einem zugelassenen Krankenhaus, einer zugelassenen Rehabilitationseinrichtung oder einer
ambulanten vertragsärztlichen Einrichtung vor Ort erbracht werden können. Der Verlauf der Erkrankung im Fall der Klägerin
sei auch zwei ausgewiesenen Diabetesspezialisten bei Kindern und Jugendlichen, wie Prof. Dr. N. in T. und Prof. Dr. D. in
H., nicht bekannt gewesen. Dr. T. habe dann die Diagnose einer Insulinresistenz durch Antikörper nachgewiesen und zudem den
so genannten Doppeldiabetes mit Nachweis einer Genmutation für eine eigentlich ganz andere Diabetesform erhoben. Es liege
daher ein sehr speziell gelagerter und extrem seltener Verlauf eines Jugendlichen-Diabetes vor. Die im Diabetes-Dorf durchgeführte
Diagnostik und Behandlung habe die entscheidende Wendung in diesem Fall ergeben und habe bis heute bedeutsame therapeutische
Konsequenzen. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf Bl 45-122 der Berufungsakte verwiesen.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§
143,
144,
151 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 09.06.2010
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.09.2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs
1 i.V.m. Abs
4 SGG) ist der Bescheid der Beklagten vom 09.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.09.2010, mit dem die Beklagte
die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Verpflegung abgelehnt hat. Nachdem die Klägerin sich die entsprechenden Leistungen
selbst beschafft hat, richtet sich ihr Leistungsbegehren auf einen Kostenerstattungsanspruch iHv 5.032,06 €.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V. Danach gilt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung
zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der
Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§
13 Abs
3 Satz 1
SGB V). Die Vorschrift ersetzt einen Sachleistungsanspruch durch einen Kostenerstattungsanspruch, wenn die Krankenkasse eine Leistung
wegen ihrer Dringlichkeit nicht mehr rechtzeitig erbringen konnte oder zu Unrecht abgelehnt hat. In anderen Fällen selbstbeschaffter
Leistungen besteht keine Leistungspflicht der Krankenkasse. Die Regelung des §
13 Abs
3 S 1
SGB V will Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Naturalleistung
nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Naturalleistungsgrundsatzes dadurch
absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke besteht. Eine Versorgungslücke besteht
nicht, wenn der Versicherte eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Anspruch nehmen kann, aber nicht will
(zum Ganzen BSG 03.07.2012, B 1 KR 6/11 R, BSGE 111, 137). Im Fall der Klägerin ist es aber gerade umgekehrt: Sie wollte und will eine GKV-Leistung in Anspruch nehmen, konnte diese
aber aufgrund der Besonderheiten des bei ihr bestehenden Krankheitsbildes nicht (mehr) in ausreichendem Maße erhalten.
Die Kostenübernahme scheitert nicht daran, dass die Klägerin die Entscheidung der Beklagten über den Kostenübernahmeantrag
vom 19.04.2010 nicht abgewartet und mit der Behandlung bei Dr T. am 27.04.2010 begonnen hat. Eine vorherige Entscheidung der
Beklagten bedurfte es hier nicht, da es sich bei der Behandlung der Klägerin im Diabetes-Dorf um eine unaufschiebbare Leistung
nach §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V gehandelt hat. Eine Leistung ist dann unaufschiebbar, wenn eine Leistungserbringung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung
so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubs bis zu einer Entscheidung der
Krankenkasse mehr besteht (BSG 25.09.2000 B 1 KR 5/99 R, [...]; Wagner in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Kommentar, Stand: November 2012, § 13 Rn. 26
ff.). Nach der Aussage von Dr. F. vom 28.06.2010 (Blatt 45 bis 122 der Berufungsakte) waren sämtliche Therapieversuche zuvor
gescheitert und es bestand weiterhin die ständige Gefahr einer diabetischen Entgleisung mit ketoazidotischem Koma. In einem
solchen Fall muss ein Versicherter nicht die Entscheidung der Krankenkasse über einen Antrag auf Gewährung der Behandlung
als Sachleistung abwarten.
Die von der Klägerin geltend gemachten Unterkunfts- und Verpflegungskosten im Diabetes-Dorf sind als im Rahmen einer stationären
Krankenhausbehandlung angefallene Kosten zu erstatten. Nach §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V idF vom 19.08.2007 haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen,
zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst auch die
Krankenhausbehandlung (§
27 Abs
1 Satz 2 Nr
5 SGB V). Gemäß §
39 Abs
1 Satz 1
SGB V in der vom 25.03.2009 bis zum 31.12.2011 geltenden Fassung wird Krankenhausbehandlung vollstationär, teilstationär, vor-
und nachstationär (§
115a SGB V) sowie ambulant (§
115b SGB V) erbracht. Versicherte haben gemäß §
39 Abs
1 Satz 2
SGB V Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§
108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre,
vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Ob und ggf
mit welcher Dauer Krankenhausbehandlung erforderlich ist, ist nach der Rechtsprechung des BSG von der Krankenkasse und im Streitfall von den Gerichten selbstständig zu prüfen und zu entscheiden, ohne dass dabei den
Krankenhausärzten eine Einschätzungsprärogative zukommt. Entscheidend ist, ob nach den objektiven medizinischen Befunden und
wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung eine Krankenhausbehandlung erforderlich war, eine solche den
medizinischen Richtlinien, Leitlinien und Standards entsprach und nicht im Widerspruch zur allgemeinen oder besonderen ärztlichen
Erfahrung stand (so zum Abrechnungsstreit zwischen Krankenhaus und Krankenkasse BSG 22.04.2009, B 3 KR 24/07 R, SozR 4-2500 § 109 Nr 18).
Die Klägerin hatte einen Anspruch auf Krankenhausbehandlung. Sie leidet an einer extrem seltenen Kombination von Diabetes-Erkrankungen.
Es bedurfte nach mehreren Klinikaufenthalten der Erfahrung und Kompetenz des Dr. T., um überhaupt die Art der Erkrankung feststellen
zu können. Ab dem Jahr 2008 fiel auf, dass die Klägerin hohe Insulindosen (teilweise 300 bis 400 Einheiten pro Tag) benötigte,
welche auch stationär verabreicht wurden, um normnahe Blutzuckerwerte zu erreichen. Der besondere Krankheitsverlauf bei der
Klägerin war auch ausgewiesenen Spezialisten für diese Erkrankung nicht bekannt. Dr. T., der vom Oberarzt der Kinderklinik
B. erstmals am 10.02.2010 hinzugezogen wurde, gelang dann der Nachweis einer Insulinresistenz durch Antikörper. Zudem liegt
bei der Klägerin ein sog Doppeldiabetes aufgrund einer Genmutation vor. All dies entnimmt der Senat der schriftlichen Zeugenaussage
des Dr. F.. Nach seinen Angaben war die bei der Klägerin vorliegende medizinische Konstellation selbst ausgewiesenen Diabetesspezialisten
nicht bekannt und wurde auch in Fachkreisen intensiv diskutiert bis hin zur Konsultation eines Spezialisten in London (siehe
Korrespondenz mit PD Dr. N., Leiter der Diabetologie der Klinik für Kinder und Jugendmedizin T. vom 02.10.2009, Blatt 65/66
der Senatsakte sowie Korrespondenz zwischen PD Dr. N. mit Prof. D., Kinderkrankenhaus H., Prof. F., Universitätsklinik T.
und Dr. F. sowie zwischen Prof. D. und J. A., L. Blatt 115 bis 122 der Senatsakte). Die Befundberichte und fachlichen Diskussionen
belegen, dass der Erkrankungsverlauf der Klägerin sowohl in der Diagnose der Ursachen als auch der Auswahl der Behandlungsmethoden
selbst unter Einsatz sämtlicher bisher bekannter Mittel nicht beherrschbar war (siehe Email von Prof. Dr. D. " ... die aktuelle
Situation macht mich offen gestanden sprachlos und ratlos" Blatt 115). Folgerichtig beschreibt Dr. F. in seiner sachverständigen
Zeugenaussage die Konsultation von Dr. T. als letzten Rettungsanker, da die Möglichkeiten der vertragsärztlichen Versorgung
allesamt ausgeschöpft waren. Auch Dr. T. selbst bezeichnet in seinem Arztbrief an Dr. S., Chefarzt der Medizinischen Klinik
. des C. - Krankenhauses in B. M. vom 28.06.2010 (Blatt 53/54 der Senatsakte) den Fall der Klägerin als "sehr seltene, besonders
extreme Form eines Mehrfach - Diabetes".
Die Aufenthalte der Klägerin im Diabetes-Dorf dienten neben der Durchführung einer exakten Diagnostik auch der Therapie der
Erkrankung. Diese gestaltete sich besonders schwierig, da der Ausfall der Inulin produzierenden Zellen einerseits die Gabe
von Insulin erforderte, andererseits die bei der Klägerin vorhandenen Antikörper gegen Insulin, diesem Therapieansatz entgegenwirkten.
Um immunsuppressive Maßnahmen, die mit erheblichen Nebenwirkungen einhergehen können, zu vermeiden oder hinauszuzögern, wurde
auch eine Immunadsorptionstherapie eingeleitet. Dies ergibt sich aus dem ausführlichen Arztbrief des Dr. T. vom 28.06.2010
(Bl 53 ff der LSG-Akte). Es ist offensichtlich und bedarf deshalb keines weiteren Beweises, dass eine Einstellung dieses Diabetes
angesichts der Komplexität der Erkrankung nur unter Mitwirkung und ständiger Kontrolle eines Facharztes sowie entsprechend
kompetenter nichtärztlicher Mitarbeiter bedurfte und hierzu die Anwesenheit der Klägerin im Diabetes-Dorf über mehrere Tage
notwendig war. Im Übrigen hat Dr. T. bereits bei der Antragstellung ausführlich geschildert, weshalb im konkreten Fall rein
ambulante Maßnahmen nicht mehr ausreichend waren (Bl 12 bis 14 der Verwaltungsakte). Dem hat auch der von der Beklagten eingeschaltete
MDK nicht widersprochen.
Die Klägerin hat im Diabetes-Dorf auch rein tatsächlich eine vollstationäre Krankenhausbehandlung erhalten. Erstreckt sich
eine Krankenbehandlung nach dem zeitlichen Ausmaß über mehrere Tage und Woche und ist die ständige Anwesenheit des Versicherten
erfordert, handelt es sich nach dem Umfang und den Anforderungen nicht mehr um ambulante Behandlungsmaßnahmen, sondern um
eine stationäre Krankenbehandlung, die nach der Überwachungsintensität und der Therapiefrequenz die sachlichen und personellen
Mittel eines Krankenhauses erfordert. Eine vollstationäre Behandlung iS einer physischen und organisatorischen Eingliederung
in das spezifische Versorgungssystem eines Krankenhauses ist dann gegeben, wenn sie sich nach dem ärztlichen Behandlungsplan
des in der Vorausschau zeitlich mindestens einen Tag und eine Nacht erstreckt (vgl BSG 28.02.2007, B 3 KR 17/06 R, SozR 4-2500 § 39 Nr 8). Nach Ansicht des Senats sind die vier Aufenthalte der Klägerin im Jahr 2010 im Diabetes-Dorf als eine einheitliche
Behandlungsmaßnahme zu betrachten, weil sie von vornherein darauf ausgerichtet waren, die erheblichen Schwierigkeiten bei
der Einstellung des Diabetes in den Griff zu bekommen.
Die Behandlung im Diabetes-Dorf ist nicht als stationäre Rehabilitationsmaßnahme anzusehen. Die Abgrenzung zwischen vollstationärer
Krankenhausbehandlung und stationärer medizinischer Rehabilitation ist bisweilen schwierig, weil Rehabilitationseinrichtung
und Krankenhaus sich darin decken, dass beide auf die Behandlung von Krankheiten und die Beseitigung ihrer Folgen beim Betroffenen
gerichtet sind (BSG 20.01.2005, B 3 KR 9/03 R, BSGE 94, 139-149 = SozR 4-2500 § 112 Nr 4 = [...]). Deshalb kann eine Unterscheidung im Wesentlichen nur nach der Art der Einrichtung,
den Behandlungsmethoden und dem Hauptziel der Behandlung getroffen werden, die sich auch in der Organisation der Einrichtung
widerspiegeln (BSG 19.11.1997, 3 RK 21/96, SozR 3-2500 §
107 Nr 1 = [...]). Anhaltspunkte zur Differenzierung bietet §
107 SGB V: Nach §
107 Abs
2 Nr
1 Buchst b und Nr
2 SGB V dienen Rehabilitationseinrichtungen der stationären Behandlung der Patienten, um "eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern oder im Anschluss an Krankenhausbehandlung den dabei erzielten Behandlungserfolg
zu sichern oder zu festigen, auch mit dem Ziel, eine drohende Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen,
zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (Rehabilitation)". Es ist zudem erforderlich,
dass diese Einrichtungen "fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders
geschultem Personal darauf eingerichtet sind, den Gesundheitszustand der Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend
durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie,
ferner durch andere geeignete Hilfen, auch durch geistige und seelische Einwirkungen, zu verbessern und den Patienten bei
der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen". Krankenhäuser sind demgegenüber "Einrichtungen, die der Krankenhausbehandlung
oder Geburtshilfe dienen, fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung stehen, über ausreichende, ihrem Versorgungsauftrag
entsprechende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen und nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten
und mit Hilfe von jederzeit verfügbarem ärztlichem, Pflege-, Funktions- und medizinisch-technischem Personal darauf eingerichtet
sind, vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten der Patienten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten, Krankheitsbeschwerden zu lindern oder Geburtshilfe zu leisten" (§
107 Abs
1 Nr
1 bis
3 SGB V). Die Rechtsprechung hat ua daraus als besondere Mittel des Krankenhauses auf eine apparative Mindestausstattung, ein geschultes
Pflegepersonal und einen jederzeit präsenten bzw rufbereiten Arzt geschlossen (vgl BSG 20.01.2005, aaO mwN), jedoch im Hinblick auf das Merkmal "Krankenhausbehandlung" weder den Einsatz aller dieser Mittel gefordert
noch stets als ausreichend angesehen. Regelmäßig ist eine Gesamtschau unter Berücksichtigung der Verhältnisse des einzelnen
Falles erforderlich, die jedoch nur nach objektiven Merkmalen und Kriterien erfolgen kann (BSG 20.01.2005, aaO mwN; zum Ganzen Urteil des Senats vom 14.05.2013, L 11 KR 567/12).
Während der Aufenthalte der Klägerin im Diabetes - Dorf wurden von Dr T. vorrangig diagnostische und therapeutische Maßnahmen
durchgeführt, um Art und Ausmaß der Erkrankung sowie die Wirkungsweise und Wechselwirkungen einer möglichen Therapie zu erforschen
und die sich hieraus ergebende Therapiemöglichkeiten festzulegen. Hierbei handelt es sich eine ärztliche Hilfeleistung, die
dazu dient, die Krankheit der Klägerin zu erkennen und zu heilen bzw zu lindern, und die sich nicht in der Linderung der Krankheitsbeschwerden
bzw Sicherung des vorangegangenen Behandlungserfolges erschöpft. Dr T. hat auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
nochmals dargelegt, dass die Klägerin während der gesamten Behandlungsdauer unmittelbar überwachungsbedürftig war, um Reaktionen
des Körpers wie bsp eine diabetische Entgleisung mit ketoazidotischem Koma auf die verschiedenen Behandlungsmaßnahmen frühzeitig
zu erkennen und zu behandeln. Angesichts der Häufigkeit der Entgleisungen in der Vergangenheit (siehe Bericht Dr. F. vom 28,96,2912
sowie die beigefügten Arztberichte Blatt 45 bis 122 der Senatsakte) war die notwendige ständige Überwachung der Klägerin nicht
nur rein routinemäßiger Natur, sondern durch die konkrete Gefahr einer Dekompensation bedingt.
Zwar richtet sich der Anspruch auf Krankenhausbehandlung nur auf eine Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus iSd §
108 SGB V und das Diabetes-Dorf A. verfügt weder über eine Zulassung als Krankenhaus nach §
108 SGV noch als Rehabilitationseinrichtung nach §
111 SGB V. Der Senat nimmt diesbezüglich auf das Schreiben von Dr. T. vom 31.01.2011 (Blatt 32/33 der SG - Akte) Bezug. Dr. T. selbst verfügt nur über eine Zulassung zur ambulanten Krankenbehandlung als niedergelassener Vertragsarzt
(vgl Auskunft der Beklagten vom 06.12.2010 Blatt 25/26 der SG - Akte). Doch steht die fehlende Zulassung der Einrichtung als Krankenhaus im vorliegenden Fall einem Anspruch auf Kostenerstattung
nicht entgegen. Bei rechtswidriger Ablehnung stationärer Behandlung sind die Aufwendungen für die Inanspruchnahme eines nicht
zugelassenen Krankenhauses nicht nur erstattungsfähig, wenn ein Vertragskrankenhaus mangels ausreichender Informationsmöglichkeiten
des Versicherten nicht erreichbar gewesen ist. Versicherte, denen ihre Krankenkasse rechtswidrig Leistungen verwehrt, sind
vielmehr nicht prinzipiell auf die Selbstbeschaffung der Leistungen bei zugelassenen Leistungserbringern verwiesen. Sie müssen
sich nur eine der vorenthaltenen Naturalleistung entsprechende Leistung verschaffen, dies aber von vorneherein privatärztlich
außerhalb des Leistungssystems (BSG 11.09.2012, B 1 KR 3/12 R, [...]).
Das BSG hat dies - in Abgrenzung von seiner früheren Rechtsprechung - ausdrücklich für den Fall entschieden, in dem der Leistungsantrag
von der Krankenkasse wegen angeblich fehlender medizinischer Notwendigkeit zu Unrecht abgelehnt worden war. Dies gilt nach
Ansicht des Senats aber auch im vorliegenden Fall, in dem die beantragte Leistung nicht wegen angeblich fehlender medizinischer
Notwendigkeit abgelehnt, sondern verkannt wurde, dass eine Behandlung nur noch Aussicht auf Erfolg in einer nicht zugelassenen
Einrichtung hatte. Davon konnte hier ausgegangen werden. Denn die Versicherte leidet an einer extrem seltenen, ohne adäquate
Behandlung rasch tödlich verlaufenden Krankheit, unternahm deswegen zahlreiche Behandlungen und Behandlungsversuche in zugelassenen
Einrichtungen, die ohne durchschlagenden Erfolg geblieben sind, und bei Dr. T. handelt es sich um einen in der Fachwelt anerkannten
Experten, der gerade wegen seiner Kompetenz von der behandelnden Klinik empfohlen worden war.
Überdies ist die Verpflichtung der Rechtsprechung zu einer grundrechtsorientierten Leistungsauslegung des geltenden Rechts,
die vom BVerfG im sog Nikolausbeschluss vom 06.12.2013 (1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25) gefordert wurde, zu beachten. Diese hat zur Folge, dass insbesondere in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder
regelmäßig tödlichen Erkrankung, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden fehlen, von der Krankenkasse auch bislang nicht
anerkannte Behandlungsmethoden finanziert werden müssen, wenn diese eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende
Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen.
Der Senat überträgt die Vorgaben der Rechtsprechung des BVerfG auf den vorliegenden Fall, in dem als "letzter Rettungsanker"
(so wörtlich Dr. F. in seiner Auskunft gegenüber dem Senat) nur noch die Behandlung in einem nicht zugelassenen Krankenhaus
verbleibt, so dass auch nach der gebotenen grundrechtsorientierten Auslegung die Übernahme der kompletten Kosten der stationären
Behandlung bei Dr. T., also nicht nur die reinen Behandlungskosten sondern auch die Unterkunfts- und Verpflegungskosten von
der Beklagten zu übernehmen sind. Nach der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. F. bestand eine akute Gefahr diabetischer
Entgleisungen mit ketoazidotischem Koma, welche potentiell tödlich verlaufen könne sowie die Gefahr des vorzeitigen Eintritts
von Spätkomplikationen durch die dauerhaft erhöhte Stoffwechsellage. Die permanenten Entgleisungen sind durch die beigefügten
Befundberichte belegt (siehe bsp Befundbericht vom 22.03.2010 von Dr. F. über den stationären Aufenthalt vom 15.03.2010 bis
zum 24.03.2010 Blatt 57 der Senatsakte). Eine lebensbedrohliche Erkrankung ist danach zu bejahen. Auch stand - wie vom Senat
bereits dargelegt wurde - eine erfolgversprechende Behandlung innerhalb des Versorgungssystems der Beklagten nicht mehr zur
Verfügung, da alle Behandlungsversuche gescheitert waren. Zudem war nach der Einschätzung der behandelnden Ärzte durch die
Überweisung der Klägerin an Dr. T. eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder zumindest positive Einwirkung auf
den Krankheitsverlauf gegeben. Der Senat schließt dies aus der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. F., wonach Dr. T. auch
schon andere schwierige Fälle behandelt habe und daher als letzte Hoffnung anzusehen war. Danach waren nicht nur die reinen
Behandlungskosten, sondern auch die Unterbringungs- und Verpflegungskosten als stationäre Behandlungskosten zu übernehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG liegen zur Überzeugung des Senats nicht vor, da es sich zum einen um einen absoluten Einzelfall handelt und zum anderen der
Senat nicht von der Rechtsprechung des BSG insbesondere zur gebotenen grundrechtsorientierten Auslegung abweicht (vgl hierzu BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 4).