LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.04.2016 - 11 KR 3930/15
Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung für die Behandlung in einer Privatklinik als unaufschiebbare Leistung
bei vergeblichem Bemühen um ein stationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus
Verordnet der behandelnde Vertragsarzt wegen eines dringenden Behandlungsbedarfs eine stationäre Krankenhausbehandlung und
wird diese Behandlung am dritten Tag nach der Ausstellung der ärztlichen Verordnung in einer nicht zugelassenen Privatklinik
angetreten, hat die Versicherte einen Anspruch auf die Erstattung der in der Privatklinik entstandenen Kosten. In einem solchen
Fall ist in der Behandlung eine unaufschiebbare Leistung iSd § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V, aber kein Notfall iSd § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V zu sehen, wenn sich die Versicherte vor Aufnahme der privatärztlichen Behandlung vergeblich um eine stationäre Behandlung
in einem zugelassenen Krankenhaus bemüht hat und die Krankenkasse ihr auf telefonische Nachfrage keine Klinik benennen konnte,
in der die Versicherte umgehend hätte aufgenommen werden können.
Vorinstanzen: SG Stuttgart 24.07.2015 S 10 KR 6091/13
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24.07.2015 abgeändert und die Beklagte verurteilt,
der Klägerin 7.495,60 € nebst 5% Zinsen hieraus über dem Basiszins seit 28.10.2013 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung
zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kostenerstattung iHv 7.775,60 € für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung in einer
Privatklinik.
Die 1962 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Im Mai 2013 erkrankte sie an einer Gastroenteritis.
Im Rahmen dieser Erkrankung exazerbierte eine bereits vorbestehende generalisierte Angsterkrankung. Nachdem die Klägerin bei
mehreren Ärzten und in Krankenhäusern vorstellig geworden war, suchte sie im Juni 2013 Dr. S. auf, bei dem sie bis 2011 bereits
eine Psychotherapie durchgeführt hatte. Unter dem 11.06.2013 verordnete Dr. S. Krankenhausbehandlung mit den Diagnosen exazerbierte
Angststörung und akute Anorexie. Er riet zu einer Behandlung in der Universitätsklinik T.. Nachdem die Klägerin weder dort
noch im Klinikum N. in C.-H. aufgenommen werden konnte und auch eine telefonische Anfrage des Ehemannes beim Diakoniekrankenhaus
S. ohne Erfolg blieb, schlug Dr. S. eine Behandlung in der Privatklinik F. in T.-N. vor. Am 13.06.2013 nahm der Ehemann der
Klägerin telefonisch Kontakt zur Beklagten auf und bat um Kostenübernahme für die stationäre Behandlung in der Klinik F..
In einer E-Mail vom gleichen Tag an die Beklagte führte der Ehemann der Klägerin aus: "Wie bereits erwähnt waren wir bereits
vor Ort bei den umliegenden Krankenhäusern, die aber eine Wartezeit von ca 8-10 Wochen für eine Aufnahme nannten. ... Da meine
Frau in den letzten 4 Wochen ca 10 kg abgenommen hat und zZt ua auch nicht in der Lage ist dieses E-Mail zu schreiben, ist
eine sofortige Klinikaufnahme zwingend erforderlich. Ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich täglich rapide. ...In der
Klinik F. wäre eine sofortige Aufnahme möglich. ..." Beigefügt war ein Befundbericht von Dr. S. vom 13.06.2013.
Die Beklagte übersandte unter dem 14.06.2013 eine Anfrage an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg
(MDK), ob eine sofortige Behandlung stationär durchgeführt werden müsse und bat um Benennung von Kliniken in Wohnortnähe.
Der MDK führte aus, dass die akute klinische Verschlechterung einer Angststörung sowie einer Anorexie eine stationäre Krankenhausbehandlung
erfordere. Die Behandlung sei in der örtlich zuständigen Psychiatrischen Fachklinik möglich und indiziert, hier bestehe Aufnahmepflicht.
Eine Notwendigkeit zur Behandlung in einer Privatklinik sei sozialmedizinisch nicht gegeben.
Mit Bescheid vom 21.06.2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da Anspruch auf vollstationäre Krankenhausbehandlung nur in
einem zugelassenen Krankenhaus bestehe.
Bereits am 14.06.2013 hatte die Klägerin die stationäre Behandlung in der Klinik F. begonnen. Unter dem 28.06.2013 übersandte
die Klinik F. einen als Widerspruch überschriebenen Bericht über die stationäre Behandlung an den MDK mit den Diagnosen schwere
depressive Episode mit somatoformen Beschwerden (F32.2), generalisierte Angststörung (F41.1) und Verdacht auf akute atypische
Anorexie. Am 30.06.2013 legte die Klägerin Widerspruch ein. Mit Gutachten vom 25.07.2013 führte der MDK aus, die Notwendigkeit
der Behandlung in einer Privatklinik könne nicht bestätigt werden. Ein medizinischer Notfall mit Gefahr für Leib oder Leben,
bei dem ein Vertragskrankenhaus nicht zur Verfügung stehe, habe nicht vorgelegen. Vorrangig sei auf das Klinikum N. C.-H.,
evtl auch das Klinikum S. oder die Psychiatrische Universitätsklinik T. zu verweisen. Eine Versorgungslücke bestehe nicht,
in der Klinik F. würden keinen besonderen Therapieformen vorgehalten. Der behandelnde Arzt hätte eine Aufnahme in die für
den Wohnort zuständige Psychiatrische Fachklinik bewirken müssen. Auf Anfrage der Beklagten, ob mit den genannten Diagnosen
eine Aufnahme zur stationären Behandlung am 14.06.2013 möglich gewesen wäre, bestätigte das Klinikum N. C.-H., dass eine Wartezeit
von 6-8 Wochen bestehe. Für das Klinikum S., Krankenhaus B. C. teilte Prof. Dr. B. mit, eine Aufnahme sei innerhalb weniger
Tag zur Krisenbehandlung möglich gewesen, die führenden Erkrankungen würden jedoch besser in einer psychosomatischen Klinik
behandelt, hier seien idR längere Wartezeiten erforderlich. Die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik R.-S.-S.
in S. teilte im August 2013 mit, eine Aufnahme wäre innerhalb von Tagen nach einem ambulanten Vorgespräch möglich gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei der Klinik F. handele es sich um keine
zur Vertragsbehandlung zugelassene Klinik, so dass bereits unter diesem Aspekt keine Kostenübernahme erfolgen könne. Der MDK
habe festgestellt, dass die erforderliche stationäre Krankenhausbehandlung in zugelassenen örtlichen Fachkliniken erfolgen
könne, hier bestehe Aufnahmepflicht. In S. wäre eine Aufnahme innerhalb weniger Tage möglich gewesen. Die Voraussetzungen
für eine Kostenerstattung lägen nicht vor, weder sei eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht worden, noch
habe die Krankenkasse zu Unrecht eine Leistung abgelehnt und seien dadurch bei der Versicherten Kosten entstanden.
Hiergegen richtet sich die am 28.10.2013 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage. Das SG hat den behandelnden Arzt Dr. S. schriftlich als sachverständigen Zeugen vernommen. Unter dem 10.09.2014 hat Dr. S. ausgeführt,
vor dem Hintergrund der Konfrontation von Erkrankungen aus dem näheren Umfeld und eigener unklarer abdominaler Beschwerden
hätten sich bei der Klägerin im Verlauf des Mai 2013 erneut massive Ängste entwickelt. Die Klägerin habe zunehmend weniger
Nahrung zu sich nehmen können und innerhalb von 4 Wochen 7 kg abgenommen auf unter 50 kg bei einer Größe von 164 cm. Die versuchte
Aufnahme in T. und C.-H. sei abgelehnt worden aufgrund einer Überbelegung in beiden Häusern. Die Klägerin hätte auf dem Gang
liegen müssen. Vor diesem Hintergrund habe sich die Situation zugespitzt, zumal die Klägerin weiterhin nicht in der Lage gewesen
sei, Nahrung aufzunehmen. Es sei eine Notfallsituation entstanden, die eine Notfallbehandlung erforderlich gemacht habe. Die
Privatklinik in F. sei zur Aufnahme bereit gewesen.
Mit Urteil vom 24.07.2015 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin die für die stationäre Behandlung vom 14.06.
bis 12.07.2013 in der Klinik F. entstandenen Kosten iHv 7.775,60 € nebst 5% Zinsen hieraus über dem Basiszins seit dem 28.10.2013
zu erstatten. Die Klinik F. sei kein zugelassenes Krankenhaus iSv § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch ( SGB V), dennoch habe die Klägerin Anspruch auf Erstattung der angefallenen Kosten. Ein Notfall iSv § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V habe nicht vorgelegen, was bereits durch das vergebliche Bemühen um Aufnahme in ein Vertragskrankenhaus belegt sei. Der Kostenerstattungsanspruch
sei aber nach § 13 Abs 3 SGB V begründet. Das SG gehe davon aus, dass die Beklagte die begehrte Leistung zu Unrecht abgelehnt habe. Es dürfe nicht übersehen werden, dass
die Klägerin an gravierenden psychischen Problemen gelitten habe und vor allem vergeblich versucht habe, in einem zugelassenen
Krankenhaus aufgenommen zu werden. Die vorliegenden Erkrankungen hätten nach dem Bericht von Dr. S. in zumutbarer Zeit und
nicht erst nach Wochen einer Behandlung zugeführt werden müssen. Dass ein enormer Leidensdruck bestanden habe, ergebe sich
bereits daraus, dass sich die Klägerin schließlich in die weit (ca 130 km) von ihrem Wohnort entfernte Privatklinik begeben
habe. Das Vorbringen der Klägerin werde gestützt durch die im Widerspruchsverfahren eingeholten Auskünfte. Prof. Dr. B. habe
zwar eine Kurzbehandlung innerhalb weniger Tage für möglich gehalten, allerdings sei die Klinik keine Spezialklinik zur Behandlung
der damals bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen und somit kein geeignetes Krankenhaus. Die Auskunft des R.-S.-S. stehe
dem Anspruch ebenfalls nicht entgegen, denn es sei unklar, wann ein Termin für ein ambulantes Vorgespräch hätte stattfinden
können und die Angabe einer Aufnahme innerhalb von Tagen danach sei äußerst vage. Dem Einwand der Beklagten, die Klägerin
hätte kurzfristig in einem zugelassenen Krankenhaus eine stationäre Behandlung erhalten können, sei damit der Boden entzogen.
Berufe sich die Beklagte darauf, dass Leistungen nur in einem zugelassenen Krankenhaus abgerufen werden dürften, müsse auch
ein entsprechendes Krankenhaus vorhanden sein, das die Aufnahme in angemessenem Zeitraum gewährleisten könne. Dem sei hier
nicht so gewesen. Bei dem gravierenden Krankheitsbild sei der Klägerin nicht zuzumuten gewesen, noch Wochen auf eine stationäre
Behandlung zu warten.
Gegen das ihr am 10.09.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 16.09.2015 eingelegte Berufung der Beklagten. Ansprüche
nach § 13 Abs 3 Satz 1 2. Alt SGB V seien nur gegeben, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe und dadurch dem Versicherten Kosten für
die selbstbeschaffte Leistung entstanden seien. Hier fehle es bereits am erforderlichen Kausalzusammenhang, da die stationäre
Aufnahme bereits am 14.06.2013 erfolgt sei, die Leistungsablehnung aber erst mit Bescheid vom 21.06.2013. Nachdem drei zur
Vertragsbehandlung zugelassene Einrichtungen (Uniklinik T., ZfP C.-H., Diakonieklinikum S.) die Aufnahme abgelehnt hätten,
hätte die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme mit der Beklagten bestanden, um gemeinsam nach einer geeigneten wohnortnahen Klinik
zu suchen. Dies gelte umso mehr, als nach der Aussage des Dr. S. vom 10.09.2014 die Beschwerden bereits seit längerem angedauert
hätten. Eine Kontaktaufnahme mit der Beklagten sei jedoch nicht erfolgt. Vielmehr habe sich die Klägerin auf eigene Kosten
in die Privatklinik F. begeben und mache hinterher die Kosten geltend. Bereits einen Tag nach Antragstellung habe sie ihre
Wunscheinrichtung aufgesucht, so dass der Beklagten ein angemessener Zeitraum zur Bearbeitung des Leistungsantrags nicht zur
Verfügung gestanden habe. Hinzu komme, dass sich im Nachhinein herausgestellt habe, dass zugelassene Kliniken zur Verfügung
gestanden hätten (Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik S. in B. C., R.-S.-S. S.). Auch die Aussage des
SG, dass es der Klägerin nicht zumutbar gewesen sei, noch Wochen auf eine stationäre Behandlung in einer Vertragsklinik warten
zu müssen, entbehre jeglicher Grundlage. Eine Notfallbehandlung, welche die Klinik dann als Naturalleistung erbringen müsse,
liege nicht vor.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24.07.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Eine Notfallbehandlung, welche ohnehin keinen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB V auslösen könne, habe nicht vorgelegen. Die Behandlung sei nicht so dringlich gewesen, dass bereits die Zeit für die Auswahl
eines zugelassenen Leistungserbringers gefehlt habe. Im Zeitpunkt der tatsächlichen Erbringung durch die Privatklinik F. habe
es sich jedoch um eine unaufschiebbare Behandlung gehandelt, denn es habe keine Möglichkeit eines weiteren Aufschubs und Zuwartens
auf eine Entscheidung der Beklagten bestanden. Unaufschiebbar könne eine Behandlung auch werden, wenn der Versicherte mit
der Ausführung so lange warte, bis die Leistung zwingend erbracht werden müsse (unter Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG>
08.09.2015, B 1 KR 14/14 R). Dies sei hier der Fall. Dr. S. schreibe in seinem Befundbericht vom 13.06.2013, dass zur Abwendung einer weiteren Verschlechterung
und insbesondere einer Chronifizierung eine Akutbehandlung dringend erforderlich sei. Die Klinik F. habe im Schreiben vom
28.06.2013 bestätigt, dass die stationäre Aufnahme bei Verschlechterung des ängstlich-depressiven Syndroms mit Gewichtsverlust
und lebensüberdrüssigen Gedanken dringend indiziert gewesen sei und die Aufnahme daher notfallmäßig erfolgt sei. Da der Klägerin
eine andere zeitnahe Aufnahmemöglichkeit nicht bekannt gewesen sei, habe sie sich in der Klinik F. behandeln lassen dürfen.
Ergänzend hat die Klägerin die Rechnung der Klinik F. vom 15.07.2013 vorgelegt. Gefordert werden darin für 28 Tage der Basispflegesatz
Psychiatrie (116,50 €) und der Abteilungspflegesatz Psychiatrie (161,20 €), insgesamt 7.775,60 €, welche die Klägerin bereits
bezahlt hat. Den ebenfalls in der Rechnung ausgewiesenen 1-Bettzimmerzuschlag (1.232 €) hat die Klägerin mit der Klage nicht
geltend gemacht.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider
Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat nur zu einem geringen Teil Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nur insoweit begründet, als von dem Erstattungsbetrag
noch die gesetzliche Zuzahlung in Abzug zu bringen ist. Der Bescheid der Beklagten vom 21.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 09.10.2013 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der für
die stationäre Behandlung in der Klinik F. angefallenen Kosten abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung und damit iHv 7.495,60
€.
Anspruchsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch ist § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung,
wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Fall 1) oder sie eine Leistung zu
Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (Fall 2). Ein
Anspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V setzt in beiden Regelungsalternativen einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus, also einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch
des Versicherten gegen seine Krankenkasse und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus,
dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder
Dienstleistung zu erbringen haben (vgl BSG 24.09.1996, 1 RK 33/95, BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12).
Der Anspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 ist zudem nur gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs
rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang
zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung
eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, Breithaupt 2010, 914 mwN). Der Versicherte darf sich insbesondere nicht - unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse
ausfällt - von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung bei einem nicht zugelassenen Leistungserbringer festgelegt
haben (BSG 16.12.2008, B 1 KR 2/08 R, [...]). Da hier die Behandlung bereits vor der Entscheidung der Krankenkasse über den Antrag begonnen worden ist, fehlt
es insoweit an der erforderlichen Kausalität zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung.
Es liegt jedoch der Fall einer unaufschiebbaren Leistung vor, weshalb die Klägerin vorliegend berechtigt gewesen ist, zu Lasten
der gesetzlichen Krankenversicherung die stationäre Behandlung in einem nicht zugelassenen Krankenhaus in Anspruch zu nehmen.
Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach § 13 Abs 1 SGB V darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs 2 SGB V) Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch ( SGB IX) - im vorliegenden Fall nicht einschlägig, weil keine Leistungen zur Teilhabe streitig sind - vorsieht. Die Krankenbehandlung
umfasst unter anderem die Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V) durch zugelassene Krankenhäuser (§§ 39 Abs 1 Satz 2, 108 SGB V). Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Kostenerstattung wegen der Inanspruchnahme einer Leistung eines krankenversicherungsrechtlich nicht zugelassenen
Leistungserbringers grundsätzlich ausgeschlossen (BSG 15.04.1997, 1 RK 4/96, BSGE 80, 181, SozR 3-2500 § 13 Nr 14; 02.11.2007, B 1 KR 14/07 R, BSGE 99, 180, SozR 4-2500 § 13 Nr 15). Die Klinik F. ist unstreitig kein zugelassenes Krankenhaus iSv § 108 SGB V.
Die Regelung des § 13 Abs 3 S 1 SGB V will Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Naturalleistung
nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Naturalleistungsgrundsatzes dadurch
absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke besteht. Eine Versorgungslücke besteht
nicht, wenn der Versicherte eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen kann, aber nicht will (zum
Ganzen BSG 03.07.2012, B 1 KR 6/11 R, BSGE 111, 137). Nur wenn die rechtswidrige Leistungsablehnung der Krankenkasse eine privatärztliche Selbstbeschaffung durch den Versicherten
erzwingt, ziehen die Bestimmungen für privatärztliche Leistungen und nicht diejenigen für das Naturalleistungssystem die Grenzen
für die Verschaffung einer entsprechenden Leistung (vgl BSG 11.09.2012, B 1 KR 3/12 R, BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23); der Leistungserbringer muss jedoch die entsprechende Qualifikation zur Ausübung der Heilkunde besitzen (BSG 20.02.2004, B 1 KR 10/03 B, [...]). Gleiches gilt für die Fälle einer unaufschiebbaren Leistung.
Eine Versorgungslücke in diesem Sinn liegt hier vor. Die stationäre Behandlung war am 14.06.2013 unaufschiebbar und konnte
tatsächlich von der beklagten Krankenkasse nicht als Sachleistung zur Verfügung gestellt werden. Dadurch sind der Klägerin
Kosten erstatten, die im notwendigen Umfang (hier die in Rechnung gestellten Kosten iHv 7.775,60 € abzüglich der gesetzlichen
Zuzahlung) zu erstatten sind. Die Erforderlichkeit einer stationären Krankenhausbehandlung steht hier schon aufgrund der Aussagen
des verordnenden Arztes Dr. S. und der dies bestätigenden Gutachten des MDK vom 17.06.2013 und 25.07.2013 zur Überzeugung
des Senats fest. Auch hinsichtlich der Behandlungsdauer von 28 Tagen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Behandlung
angesichts des damaligen Zustands der Klägerin insoweit nicht notwendig gewesen wäre, dies behauptet nicht einmal die Beklagte.
Problematisch ist allerdings die Abgrenzung zwischen Notfall und unaufschiebbarer Behandlung. Ein Notfall iSv § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V begründet grundsätzlich keinen Kostenerstattungsanspruch, sondern führt dazu, dass die Leistung als Naturalleistung erbracht
wird und der Leistungserbringer die Vergütung nicht vom Versicherten verlangen kann. Bei stationärer Notfallbehandlung in
einem nicht zugelassenen Krankenhaus richtet sich der Vergütungsanspruch allein gegen die Krankenkasse (BSG 09.10.2001, B 1 KR 6/01 R, BSGE 89, 39 = SozR 3-2500 § 13 Nr 25). Ein Notfall liegt dann vor, wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen so dringlich ist, dass
es bereits an der Zeit für die Auswahl eines zugelassenen Therapeuten und dessen Behandlung fehlt, also ein unmittelbar aufgetretener
Behandlungsbedarf sofort befriedigt werden muss (BSG 18.07.2006, B 1 KR 24/05 R, BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9). So lag der Fall hier nicht. Dr. S. hat unter dem 11.06.2013 regulär eine stationäre Krankenhausbehandlung
verordnet, in den Folgetagen hat die Klägerin gerade versucht, ein zugelassenes Krankenhaus zu finden, welches die gebotene
Behandlung durchführen kann. Schon dies zeigt, dass noch ein gewisser zeitlicher Spielraum vorhanden war. Dem steht nicht
entgegen, dass sowohl Dr. S. als auch die behandelnden Ärzte der Klinik F. die Aufnahme als "notfallmäßig" schildern. Darin
wird nach Auffassung des Senats lediglich ein dringender Behandlungsbedarf zum Ausdruck gebracht, nicht jedoch ein Notfall
iSv § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V. Bestätigt wird diese Einschätzung auch durch die Rechnungstellung der Klinik F., denn wäre diese selbst von einem Notfall
ausgegangen, hätte sie keine Rechnung an die Klägerin stellen dürfen. Im Übrigen wird diese Sichtweise auch vom MDK geteilt,
der ebenfalls davon ausgeht, dass keine Notfallbehandlung vorlag.
Dies schließt jedoch das Vorliegen einer unaufschiebbaren Leistung nicht aus. Soll der 1. Variante des § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V überhaupt ein Anwendungsbereich zukommen (zu diesem Gesichtspunkt auch BSG 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R, [...]), muss es Fälle geben, in denen die Behandlung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines
nennenswerten Aufschubs mehr besteht, um die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten (so die Definition des BSG zur Unaufschiebbarkeit, vgl BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4), ein Notfall im oben dargelegten Sinne jedoch (noch) nicht vorliegt. Ein derartiger Fall liegt zur
Überzeugung des Senats hier vor. Der Gesundheitszustand der Klägerin hatte sich im Juni 2013 gravierend verschlechtert, nachdem
im Rahmen der Behandlung ab Mai 2013 zunächst kein Ansatz für wirksame therapeutische Maßnahmen gefunden werden konnte, insbesondere
auch noch unklar war, ob eine somatische Ursache für die abdominellen Beschwerden und die Gewichtsabnahme der Klägerin bestand.
Erst am 11.06.2013 erfolgte sodann die Verordnung einer stationären Krankenhausbehandlung im Hinblick auf die psychischen
Erkrankungen der Klägerin. Zu diesem Zeitpunkt war das Gewicht der Klägerin bereits auf unter 50 kg gesunken und die Klägerin
konnte weiterhin keine Nahrung zu sich nehmen, wie Dr. S. in seinem Befundbericht vom 13.06.2013 beschreibt. Im Erörterungstermin
am 05.04.2016 hat die Klägerin hierzu ausgeführt, sie habe es sogar mit Astronautennahrung versucht, jedoch immer weiter abgenommen.
Im Hinblick auf die Ausführungen von Dr. S. vom 13.06.2013, die Klägerin könne mit einfachsten Alltagsanforderungen nicht
mehr klar kommen - gekümmert hat sich insoweit um alles der Ehemann - ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass inzwischen ein
Stadium erreicht war, in dem die stationäre Behandlung wirklich dringend war. Dies hat der Ehemann der Klägerin im Rahmen
seiner Kontaktaufnahme mit der Beklagten am 13.06.2013 durchaus deutlich gemacht, wie der Gesprächszusammenfassung in der
E-Mail vom gleichen Tag zu entnehmen ist. Trotz dieses Hinweises auf eine dringende stationäre Behandlungsmöglichkeit und
die bislang fehlgeschlagenen Versuche einer Aufnahme in Vertragskrankenhäusern hat die Beklagte im Rahmen dieses Telefonats
offensichtlich nicht angeboten, sich um eine baldige stationäre Aufnahme der Klägerin zu kümmern, sie hat auch nicht Dr. S.
kontaktiert. Für die Klägerin war danach als einzig erreichbare stationäre Behandlungsmöglichkeit die Klinik F. ersichtlich.
Im vorliegenden Fall war die Klägerin keineswegs von Anfang an darauf fixiert, in einer bestimmten Privatklinik behandelt
zu werden, sie hat vielmehr durchaus versucht, einen wohnortnahe Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus zu erlangen.
Da von der Beklagten keine Hilfe angeboten worden war und sich auch ansonsten keine Alternativen aufdrängten, musste die Klägerin
in ihrer kritischen Gesundheitssituation auch nicht weiter zuwarten. Wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass möglicherweise
andere Vertragskliniken zur stationären Aufnahme in der Lage gewesen wären - die Angaben des Klinikums S. und des R.-S.-S.
sind insoweit allerdings nicht ganz eindeutig, wie das SG zutreffend ausgeführt hat - ändert dies nichts daran, dass zum Zeitpunkt der unaufschiebbaren Behandlung gerade kein konkretes
zugelassenes Krankenhaus für die Klägerin bereitstand. Das insoweit aufgetretene Systemversagen geht zu Lasten der Beklagten.
Sie hätte es in der Hand gehabt, bei dem hier erkennbar dringlichen Behandlungsbedarf theoretisch denkbare Behandlungsalternativen
konkret aufzuzeigen.
Von dem Erstattungsbetrag ist die gesetzliche Zuzahlung iHv 10 € pro Behandlungstag für längstens 28 Tage in Abzug zu bringen
(§§ 39 Abs 4 Satz 1, 61 Satz 2 SGB V). Bei der hier vorliegenden Dauer von 28 Behandlungstagen beträgt der Abzug daher 280 €.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Angesichts des geringen Anteils des Unterliegens der Klägerin wird von einer Kostenquotelung abgesehen.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
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