Vergütung stationärer Krankenhausleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
Anforderungen an die Kodierung der Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme als Nebendiagnose
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf weitere Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung
iHv 1.295,56 €.
Die Klägerin betreibt ein nach §
108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) zur Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenes Krankenhaus in B..
Die am 25.05.1925 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte L. B. (im Folgenden: Versicherte) wurde vom 24. bis
30.06.2011 nach notfallmäßiger Aufnahme stationär in der Kreisklinik B., Urologische Klinik, behandelt.
Mit Rechnung vom 06.07.2011 machte die Klägerin einen Rechnungsbetrag von insgesamt 3.041,72 € geltend nach DRG L63C (Infektionen
der Harnorgane mit äußerst schweren CC, ohne Komplexbehandlung bei multiresistenten Erregern, Alter >5 Jahre). Als Hauptdiagnose
legte die Klägerin akute Zystitis (N30.0) sowie als Nebendiagnosen F01.9 (vaskuläre Demenz, nicht näher bezeichnet), K56.4
(sonstige Obturation des Darmes), R63.3 (Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung), G45.93 (zerebrale transitorische
Ischämie, nicht näher bezeichnet: Komplette Rückbildung innerhalb von weniger als 1 Stunde), R10.4 (sonstige und nicht näher
bezeichnete Bauchschmerzen), I50.14 (Linksherzinsuffizienz: mit Beschwerden in Ruhe), E86 (Volumenmangel), R45.1 (Ruhelosigkeit
und Erregung), N39.48 (sonstige näher bezeichnete Harninkontinenz), R15 (Stuhlinkontinenz) zugrunde.
Die Beklagte zahlte zunächst den Rechnungsbetrag und schaltete sodann den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg
(MDK) ein. Mit Gutachten vom 14.09.2011 führte Dr. v. B. aus, die Hauptdiagnose sei korrekt, bei den Nebendiagnosen sei K59.0
(Obstipation) statt K56.4 und R63.6 (ungenügende Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit infolge Vernachlässigung der eigenen
Person) statt R63.3 anzusetzen. Dies führe zur DRG L63F (Infektionen der Harnorgane ohne äußerst schwere CC, Alter >5 Jahre).
Mit Schreiben vom 16.09.2011 bat die Beklagte unter Verweis auf das MDK-Gutachten um Rückzahlung von 1.295,56 €. Hiermit erklärte
sich die Klägerin nicht einverstanden. R63.3 sei bereits mehrfach zu ihren Gunsten begutachtet worden. Eine ungenügende Ernährung
werde nicht beschrieben. Die Versicherte wohne mit ihrem Ehemann zuhause und werde von der Sozialstation und der Tochter versorgt.
Problematisch seien Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme gewesen, die Nahrung habe verabreicht werden müssen.
Im Zweitgutachten vom 17.06.2015 führte Dr. B. vom MDK zu K56.4 aus, eine Obturation des Darmes sei nicht dokumentiert, röntgenologisch
gebe es keine Ileuszeichen oder Koprostase. Zu R63.3 äußerte Dr. B., gemäß SEG-4 Kodierempfehlung stehe in derartigen Fällen
(Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme) für Fälle ab 2010 die Schlüsselnummer R63.6 zur Verfügung, welche die Problematik
spezifisch abbilde. Es bleibe bei DRG L63F. Am 12.08.2015 rechnete die Beklagte mit einem unstreitigen Behandlungsfall iHv
1.295,56 € auf.
Am 27.08.2015 hat die Klägerin Klage auf Zahlung von 1.295,56 € zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Ab Version 2010 gälten für Symptome die Regelungen zur Kodierung von Nebendiagnosen entsprechend. Vorliegend könne
daher die Ernährungsproblematik dann als Nebendiagnose kodiert werden, wenn die Regelungen der Nebendiagnosedefinition erfüllt
seien. Hier habe ein erheblich erhöhter Pflegeaufwand bestanden. Ob es sich bei der Ernährungsproblematik um ein Symptom der
Demenz oder einer anderen Haupt- oder Nebendiagnose handele, sei irrelevant. Selbst bei Streichung der ICD R63.3 würde auch
die ICD K56.4 zu der von der Klägerin abgerechneten DRG führen.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens. Mit Gutachten vom 02.11.2015 hat Dr. S.
ausgeführt, der zusätzliche Ressourcenverbrauch im Rahmen der Nebendiagnosen, auch die Notwendigkeit Nahrung und Flüssigkeit
anzureichen, sei Folge der akuten Zystitis, der bekannten Demenz und der allgemeinen Schwäche durch die Erkrankungen. Es liege
keine selbstständige Erkrankung mit Ernährungsproblemen vor, sondern ein Symptom, dass im Regelfall mit den genannten Krankheiten
vergesellschaftet sei und daher nicht kodiert werden könnte. Mit ergänzender Stellungnahme vom 14.01.2015 hat Dr. S. dargelegt,
dass eine Koprostase nicht vorgelegen habe. Abführende Maßnahmen seien notwendig gewesen, es habe sich jedoch nicht um eine
nachgewiesen Obturation des Darmes, also einen Darmverschluss gehandelt, sondern um eine Verstopfung (K59.0). Auf Einwendungen
der Bevollmächtigten des Klägers hat das SG weitere ergänzende Stellungnahmen bei Dr. S. angefordert, die unter dem 07.03.2016 und 19.05.2016 abgegeben wurden.
Mit Urteil vom 11.10.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht die Verrechnung vorgenommen, nachdem die
Behandlung mit L63F abzurechnen gewesen sei. Eine Abrechnung nach L63A könne nur erfolgen, wenn neben der Hauptdiagnose Blasenentzündung
(N30.0) die K56.4 oder die R63.3 zu kodieren wäre, was nicht der Fall sei. Sowohl die Gutachter des MDK als auch die Sachverständige
Dr. S. hätten nachvollziehbar dargelegt, dass es sich bei einer Koprostase um eine Stauung von Kot im Dickdarm mit Bildung
von verhärteten Kotballen handele, welche die Stuhlentleerung erschwerten oder verhindern könnten, wobei sich eine solche
nicht gezeigt habe. Es habe die Indikation zu abführenden Maßnahmen bestanden, sodass eine Obstipation (K59.0) vorgelegen
habe, wodurch die L63A jedoch nicht erreicht werde. Dies entspreche auch systematischen Erwägungen, da K56.4 unter K56 paralytischer
Ileus und mechanischer Ileus ohne Hernie stehe, sodass ein Zustand vorliegen müsse, der einem Darmverschluss jedenfalls entspreche.
Nicht gefolgt werden könne den Ausführungen der Sachverständigen zu der Frage einer Kodierbarkeit von R63.3 oder R63.6, da
diese davon ausgehe, neben der Demenz könne den Symptomen im Bereich der Ernährung keine Bedeutung zukommen. Dies lasse sich
mit den Vorgaben der Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) für das Jahr 2011 nicht vereinbaren. Dort sei unter D003i (Nebendiagnosen)
geregelt, dass für Symptome als Nebendiagnose die Kodierung von Nebendiagnosen entsprechend gelte, sodass es nur auf den Aufwand
ankomme. Die Versicherte habe hier Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme durch Zurichten und Hilfe bei der Einnahme von Speisen
benötigt, die auch durchgeführt worden sei. In Übereinstimmung mit dem MDK sei R63.6 kodierfähig. Die Vernachlässigung der
eigenen Person setze keine bewusste Handlung voraus. Ohne Intervention wäre es zu einer ungenügenden Aufnahme von Nahrung
und Flüssigkeit gekommen, da die Versicherte nicht in der Lage gewesen sei, die entsprechende Notwendigkeit zu erkennen. Die
erforderliche Anleitung der Versicherten zum Essen und Trinken bilde spezifisch die beschriebene Situation ab. Vor der Ergänzung
der R-Diagnosen um R63.6 im Jahr 2010 dürfte die Kodierung nach R63.3 ohne Existenz der spezielleren R63.6 nicht ausgeschlossen
gewesen sein. Darauf komme es hier jedoch nicht an.
Gegen das ihren Bevollmächtigten am 25.10.2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.11.2016 eingelegte Berufung der Klägerin.
Relevant für das Berufungsverfahren sei allein, ob die Nebendiagnose ICD K56.4 (sonstige Obturation des Darmes) und/oder ICD
R63.3 (Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung) kodiert werden könnten. Sobald beide oder lediglich eine dieser Nebendiagnosen
kodiert werden könnten, wäre die von der Klägerin abgerechnete DRG zu bestätigen. Zunächst werde die Auswahl der Sachverständigen
gerügt; bei der I. C. GmbH handele es sich um ein Gutachteninstitut, welches vornehmlich für Krankenversicherungen arbeite.
Hinsichtlich der Nebendiagnosen habe die Sachverständige auf einen Zusatz zu Symptome als Nebendiagnosen in den DKR abgestellt,
der sich dort nur bis einschließlich 2009 befunden habe. Hinsichtlich der ICD K56.4 habe das SG darauf abgestellt, dass unter K56.- lediglich ein Ileus, also ein vollständiger Darmverschluss kodiert werden könne. Verkannt
werden, dass unter dieser Überschrift auch K56.2 stehe, jedoch einen Volvulus (Drehung eines Abschnittes des Versorgungstraktes
um seine eigene Achse mit Einschränkung der Blutversorgung des entsprechenden Abschnitts) beschreibe. Unter K56.4 falle auch
eine Koprostase, die hier vorgelegen habe. Auch R63.3 sei zu Recht kodiert worden. Für eine ungenügende Aufnahme von Nahrung
und Flüssigkeit aufgrund einer Vernachlässigung gebe es keinerlei Anzeichen in der Patientenakte. Die Versicherte habe lediglich
aufgrund ihrer Grunderkrankungen Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme. Dies sei mit R63.3 zu kodieren, da es sich um Ernährungsprobleme
aufgrund der Grunderkrankung handele und die Versicherte selbst nicht in der Lage gewesen sei, für eine sachgemäße Ernährung
zu sorgen. Für R63.6 wäre darüber hinaus eine Vernachlässigung erforderlich, was ein voluntatives Element enthalte.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11.10.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin einen Betrag iHv
1.295,56 € nebst Zinsen iHv fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.08.2015 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Eine Koprostase habe bei der Versicherten nach den Gutachten des MDK und der vom SG bestellten Sachverständigen nicht vorgelegen, sondern lediglich eine Verstopfung (K59.0), wodurch die DRG L63A nicht angesteuert
werde. Anhand der Dokumentation in den Krankenakten könne hinreichend nachvollzogen werden, dass die Versicherte Unterstützung
bei der Nahrungsaufnahme durch Zurichten und Hilfe bei der Einnahme von Speisen benötigt habe, die auch durchgeführt worden
seien. Die Voraussetzungen für die Kodierung einer Nebendiagnose seien daher erfüllt. In Übereinstimmung mit dem MDK habe
das SG die Nebendiagnose R63.6 für kodierfähig erachtet. Dies halte die Beklagte für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider
Rechtszüge und die Patientenakte der Klägerin Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die nach den §§
143,
144,
151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage auf Zahlung von 1.295,56 € abgewiesen. Zu Recht hat die Beklagte in dieser Höhe gegen eine andere
(unstreitige) Forderung der Klägerin aufgerechnet.
Die Klägerin hat mit der erhobenen (echten) Leistungsklage nach §
54 Abs
5 SGG die richtige Klageart gewählt (dazu nur Bundessozialgericht <BSG> 14.10.2014, B 1 KR 25/13, [...]; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 3). Es handelt sich um einen sog Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt
nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und eine Klagefrist nicht zu beachten ist (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, SozR 4-5562 § 9 Nr 5).
Der Klägerin steht der geltend gemachte Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung der Versicherten iHv 1.295,56 € nicht
zu. Zwar hatte die Beklagte ursprünglich den gesamten von der Klägerin geltend gemachten Betrag iHv 3.041,72 € gezahlt, jedoch
nachträglich den Vergütungsanspruch mit einem zwischen den Beteiligten nicht streitigen Vergütungsanspruch der Klägerin aus
einem anderen Behandlungsfall gegen die Beklagte iHv 1.295,56 € verrechnet. Da die Beklagte sich ausschließlich im Wege der
Primäraufrechnung mit einer Gegenforderung verteidigt, steht die Hauptforderung selbst außer Streit (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, aaO; BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 2).
Die für eine Aufrechnung erforderliche Gegenforderung der Beklagten, mit der sie gegen die Hauptforderung der Klägerin wegen
Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung der Versicherten analog §
387 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) aufrechnen kann (zur Aufrechnung analog §
387 BGB BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R, aaO), liegt vor. Der Beklagten steht als Grundlage für ihre Gegenforderung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch
iHv 1.295,56 € zu (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausentgelten BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R; BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R), denn die ursprüngliche Zahlung der Beklagten erfolgte insoweit ohne Rechtsgrund. Ein (weiterer) Vergütungsanspruch der
Klägerin iHv 1.295,56 € gegen die Beklagte für die Behandlung der Versicherten vom 24. bis 30.06.2011 bestand nicht.
Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist §
109 Abs
4 Satz 3
SGB V (idF des GKV-Finanzierungsgesetzes vom 22.10.2010, BGBl I S 2309) in Verbindung mit § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG (jeweils idF des Krankenhausfinanzierungsreformgesetzes v 17.03.2009, BGBl I S 534) sowie § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG; idF durch das Krankenhausfinanzierungsreformgesetz vom 17.03.2009, BGBl I S 534) und die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem
für Krankenhäuser für das Jahr 2011 v 23.09.2010 (Fallpauschalenvereinbarung 2011 - FPV-2011) einschließlich der Anlagen 1
bis 6 sowie dem durch Entscheidung der Landesschiedsstelle vom 21.09.2005 festgesetzten Vertrag nach §
112 Abs
2 Satz 1 Nr
1 SGB V über "Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung" zwischen der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft und
den Verbänden der Krankenkassen mit Ausnahme der vom BSG beanstandeten Regelung in § 19 Abs 2 (BSG 13.11.2012, B 1 KR 27/11 R, BSGE 112, 156 = SozR 4-2500 § 114 Nr 1).
Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung eines gesetzlich Krankenversicherten und damit korrespondierend die Zahlungspflicht
einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den
Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und im Sinne von §
39 Abs
1 Satz 2
SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R; BSG, Urt. v. 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R). Bei der Klägerin handelt es sich um ein zugelassenes Plankrankenhaus; die medizinische Notwendigkeit der vollstationären
Krankenhausbehandlung der Versicherten war gegeben und wird von der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen.
In seiner Höhe wird der Vergütungsanspruch durch Normsetzungsverträge konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen
und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG mit der Deutschen
Krankenhausgesellschaft als Vertragsparteien auf Bundesebene mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen
Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelation sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit
von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen
in der Fallpauschalenvereinbarung auf der Grundlage des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 3 KHEntgG.
Der Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG = Diagnosis Related Groups) geordnet. Welche DRG-Position abzurechnen
ist, ergibt sich rechtsverbindlich nicht aus einem schriftlich festgelegten abstrakten Tatbestand, sondern aus der Eingabe
von im Einzelnen von einem Programm vorgegebenen, abzufragenden Daten in ein automatisches Datenverarbeitungssystem und dessen
Anwendung (dazu und zum Folgenden BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, jeweils unter Hinweis auf BSGE 109, 236 ff.). Nach § 1 Abs 6 Satz 1 FPV sind in diesem Sinne zur Einstufung des Behandlungsfalles in die jeweils abzurechnende Fallpauschale
Programme (Grouper) einzusetzen. Zugelassen sind nur solche Programme, die von der InEK GmbH - Institut für das Entgeltsystem
im Krankenhaus, einer gemeinsamen Einrichtung der in § 17b Abs 2 Satz 1 KHG und § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG genannten Vertragspartner auf Bundesebene, zertifiziert worden sind.
Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm greift dabei auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale
Bestandteile des Programms mit vereinbart sind, zB die Zuordnung von ICD-10-Diagnosen und Prozeduren zu bestimmten Untergruppen
im zu durchlaufenden Entscheidungsbaum, oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören die
Fallpauschalen selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) in der jeweiligen vom DIMDI im
Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung sowie die Klassifikationen des vom DIMDI im Auftrag des BMG herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssels (hier in der Version 2011 idF der Bekanntmachung des BMG gemäß §§
295 und
301 SGB V zur Anwendung des Operationen- und Prozedurenschlüssels v 21.10.2010, Bundesanzeiger, Nr. 169 v 09.11.2010, S 3752). Die
Verbindlichkeit der in dem jeweiligen Vertragswerk angesprochenen Klassifikationssysteme folgt allein aus dem Umstand, dass
sie in die zertifizierten Grouper einbezogen sind (BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R und B 1 KR 26/13 R).
Die Anwendung der DKR und der FPV-Abrechnungsbestimmungen einschließlich des ICD-10-GM und des OPS ist nicht automatisiert
und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper
ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft (dazu und zum Folgenden: BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R und B 1 KR 26/13 R). Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb
eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen.
Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren
Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt
wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach
ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen. Da das DRG-basierte Vergütungssystem
vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten
oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, dies mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R und B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 3; BSG 21.04.2015, B 1 KR 8/15 R, [...]).
Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob die Klägerin zu Recht die Nebendiagnosen K56.4 und R63.3 kodiert hat, denn
das Vorliegen bereits einer dieser beiden Nebendiagnosen entscheidet darüber, ob die von der Klägerin angesetzte DRG L63C
(Infektionen der Harnorgane mit äußerst schweren CC, ohne Komplexbehandlung bei multiresistenten Erregern, Alter >5 Jahre)
im Groupierungsvorgang angesteuert wird oder die von der Beklagten angenommene DRG L63F (Infektionen der Harnorgane ohne äußerst
schwere CC, Alter >5 Jahre), was zu der hier streitigen Entgeltdifferenz von 1.295,56 € führt. Der Senat teilt die Auffassung
des SG, dass hier weder eine sonstige Obturation des Darmes (K56.4) noch Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung (R63.3) als
Nebendiagnosen zu kodieren waren.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lag eine sonstige Obturation des Darmes bei der Versicherten nicht vor, sondern eine
Obstipation. Bereits Dr. v. B. hat in dem MDK-Gutachten vom 14.09.2011 ausgeführt, dass eine Koprostase den Unterlagen nicht
zu entnehmen sei. Eine Koprostase ist eine Stauung von Kot im Dickdarm mit Bildung von verhärteten Kotballen, die die Stuhlentleerung
erschweren oder gar verhindern können. In der gefertigten Abdomenübersicht vom 24.06.2011 liegen geblähte Dünndarmschlingen
ohne Ileus-typische Spiegelbildung vor, wie dies auch die Radiologen der Klägerin beurteilt haben. Wie die Sachverständige
Dr. S. in ihrer Stellungnahme vom 19.05.2016 nachvollziehbar ausführt, fehlen die typischen Ileuszeichen wie zB haarnadelförmig
gebogene Darmschlingen im Bereich des Mittelbauches bei leerem Kolonrahmen, wenige kleine Spiegel im Mittelbauchbereich. Die
sonographisch vorhandenen Ileuszeichen konnten damit in der aussagekräftigeren Abdomenübersichtsaufnahme gerade nicht bestätigt
werden, wie Dr. S. in der Stellungnahme vom 14.01.2015 schlüssig ausführt. Schließlich spricht auch der Behandlungserfolg
auf abführende Maßnahmen hin für eine Obstipation, denn Spüllösungen, Einlauf oder manuelle Ausräumung waren nicht erforderlich.
Der Senat schließt sich der Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen Dr. S. an, dass eine schwere Verstopfung entgegen
der Ansicht der Bevollmächtigten der Klägerin auch klinisch einer Koprostase nicht gleichzusetzen ist. Es handelt sich um
verschiedene Krankheitsbilder, die verschiedenen ICD-Nummern zugeordnet sind. Im Übrigen bleiben bei der Auslegung der hier
einschlägigen Abrechnungsbestimmungen Bewertungen und Bewertungsrelationen außer Betracht (BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R und B 1 KR 26/13 R sowie BSG 21.04.2015, B 1 KR 8/15 R, [...]). Für dieses Ergebnis sprechen auch die vom SG bereits zutreffend herangezogen systematischen Gesichtspunkte, denn unter dem Abschnitt K56.- sind Paralytischer Ileus und
mechanischer Ileus ohne Hernie zusammengefasst, so dass zumindest eine dem Darmverschluss nahekommende Obstruktion des Darmkanals
vorliegen muss. Dies ist auch in den von den Bevollmächtigten des Klägers genannten Diagnosen Invagination (K56.1) und Volvulus
(K56.2) der Fall, nicht aber bei einer Verstopfung (K59.0). Mit der Nebendiagnose K59.0 wird die DRG L63C nicht angesteuert.
Entgegen der Auffassung der Klägerin hat der Senat keine Bedenken, das Gutachten von Dr. S. hinsichtlich der medizinischen
Frage des Vorliegens einer Koprostase zu verwerten. Erstmals mit Schreiben vom 10.10.2016 hat die Klägerin unterstellt, dass
die Sachverständige kein objektives Gutachten erstellen könne, da sie als zugehörig zur I. C. GmbH, einem "Dienstleister für
Leistungsträger im deutschen Gesundheitswesen", der Sache nach dem Lager der Klägerin zuzurechnen sei. Einen Befangenheitsantrag
gegen die Gutachterin hat die anwaltlich vertretene Klägerin nicht gestellt. Ein entsprechender Ablehnungsantrag gegen die
Sachverständige wäre nach §
118 Abs
1 SGG i.V.m. §
406 Abs
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) nur unverzüglich nach Kenntnis des Befangenheitsgrundes möglich, also bereits mit der Beauftragung der Gutachterin im Oktober
2015. Die erstmals mit Schreiben vom 10.10.2016 und wiederholt im Berufungsverfahren dargelegten Bedenken wären, wenn sie
gleichwohl als Befangenheitsgesuch ausgelegt werden, in jedem Fall verfristet. Ein so verstandenes Befangenheitsgesuch gegen
Dr. S. ist daher unzulässig. Die Klägerin kann sich daher mit den nun vorgetragenen Argumenten auch nicht darauf berufen,
dass das Gutachten unverwertbar sei, denn dies wäre nur dann der Fall, wenn das Befangenheitsgesuch Erfolg gehabt hätte (vgl
Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 12. Aufl, §
118 RdNr 12n mwN). Hinsichtlich der in diesem Verfahren darüber hinaus noch streitigen Frage, ob R63.3 oder R63.6 zu kodieren
ist, handelt es sich, worauf die Klägerin selbst zutreffend hinweist, nicht um eine medizinische Frage, sondern um eine rechtliche
Problematik. Dass die Ausführungen der Sachverständigen hierzu schon deshalb nicht zu verwerten sind, weil sie von einer unzutreffenden
rechtlichen Grundlage ausging (DKR nach dem Stand 2009 bei Behandlungsfall im Jahr 2011), spielt für die Verwertbarkeit hinsichtlich
der oben abgehandelten medizinischen Frage keine Rolle.
Der Senat ist der Überzeugung, dass statt der Nebendiagnose R63.3 (Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung) hier zutreffend
R63.6 (Ungenügende Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit infolge Vernachlässigung der eigenen Person) zu kodieren ist. Unstreitig
ist, dass nach den Vorgaben der DKR 2011 unter D003i (Nebendiagnosen) geregelt ist, dass für Symptome als Nebendiagnose die
Regelungen für Nebendiagnosen entsprechend gelten, so dass nur auf den Aufwand abzustellen ist. Anders als nach D003d DKR
2009 kommt es nicht mehr darauf an, ob das Symptom im Regelfall als eindeutige und unmittelbare Folge mit der zugrunde liegenden
Krankheit vergesellschaftet ist, was nach der damaligen Regelung zur Nichtberücksichtigung führte, es sei denn, das Symptom
stellte ein eigenständiges, wichtiges Problem für die medizinische Betreuung dar.
Vorliegend war nach den Angaben in der Patientenakte eine Unterstützung der Versicherten bei der Nahrungsaufnahme durch Zurichten
und Hilfe bei der Einnahme von Speisen erforderlich. Dies wird auch vom MDK gar nicht in Zweifel gezogen. Durchgeführt wurde
die mundgerechte Vorbereitung der Speisen, Getränke wurden in Reichweite gestellt, die korrekte Esshaltung gewährleistet,
Speisen und Getränke wurden verabreicht und die Versicherte zum Essen und Trinken angehalten. Ohne diese Maßnahmen wäre es
zu einer ungenügenden Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit gekommen, da die Versicherte insbesondere aufgrund ihrer Demenz
aber auch wegen allgemeiner Schwäche aufgrund der Zystitis zur selbstständigen Nahrungsaufnahme ohne Hilfe nicht in der Lage
war und somit eine Vernachlässigung der eigenen Person erfolgen würde. Dies ist genau der Fall, der mit R63.6 abgebildet ist.
Nicht erforderlich ist es, dass der Patient bereits in einem vernachlässigten Zustand mit Unterversorgung eingeliefert wird,
worauf die Klägerin abzustellen scheint, wenn sie argumentiert, dass sich aus der Patientenakte keinerlei Hinweise auf eine
Kachexie oder Flüssigkeitsmangel ergäben etwa in Form eines erhöhten Hämatokritwertes (der hier leicht erniedrigt war mit
0,356 l/l am 24.06.2011 bei Normwerten zwischen 0,36 und 0,48 l/l). Die erst 2010 eingeführte R63.6 stellt eine speziellere
Regelung gegenüber R63.3 dar. Dies wird auch durch die DRG-Kodierempfehlungen bestätigt. Nach Nr 138 der SEG 4-Kodierempfehlungen
Stand 01.01.2017 ist bei einer Patientin mit dementieller Erkrankung, bei der wegen Essverweigerung eine PEG-Sonde eingesetzt werden muss, bis 2009 als Hauptdiagnose R63.3 anzugeben, ab 2010 jedoch R63.6. Auch wenn diese Empfehlung
nicht konkret den hier streitigen Sachverhalt betrifft, zeigt sich eindeutig, dass die in R63.6 vorausgesetzte Vernachlässigung
der eigenen Person keineswegs ein voluntatives Element fordert, sondern gerade auch bei Demenz vorliegt. Auch bei der Nebendiagnose
R63.6 wird die DRG L63C nicht angesteuert.
Nach alledem trifft die von der Beklagten vorgenommene Berechnung auf der Grundlage der DRG L63F zu, weshalb die Klägerin
keinen Anspruch auf weitere Vergütung iHv 1.295,56 € hat.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs
2 Nr
1 und
2 SGG) liegen nicht vor.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 HS. 1
SGG i.V.m. § 63, § 52 Abs 1, 3, § 47 Gerichtskostengesetz.