Kostenerstattungsanspruch für therapeutische Apheresen aus der gesetzlichen Krankenversicherung
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für vier therapeutische Apheresen (ambulante, extrakorporale Blutreinigungsverfahren)
in Höhe von 7.184,11 €.
Die 1952 geborene Klägerin, die bei der Beklagten als Rentnerin gesetzlich krankenversichert ist, leidet an mehreren Gesundheitsstörungen,
ua an einer Borreliose mit Lyme-Disease ohne derzeit nachweisbare Aktivität, einem chronischen Erschöpfungs- und einem Fibromyalgie-Syndrom.
Vom 11. September 2006 bis 5. Oktober 2006 und vom 5. Juni 2007 bis 21. Juni 2007 befand sich die Klägerin in stationärer
Behandlung in der Spezialklinik N., einer Akutklinik zur Behandlung von Allergien, Haut- und Umwelterkrankungen.
Am 24. Juli 2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme der therapeutischen Apherese, ein Verfahren
der Blutreinigung mit Elimination bestimmter Substanzen, bei dem Internisten und Nephrologen Dr. S., der Ärztlicher Leiter
des Apheresezentrums der I. Medical Center AG, F. im W., und zugelassener Vertragsarzt ist. Beigefügt waren die ärztliche
Bescheinigung des Dr. S. vom 22. Juli 2008 zur dringlichen Notwendigkeit der Durchführung der therapeutischen Apherese bei
der Klägerin, die ua an Chronic Multiple Illnesses (CMI) mit Multiple Chemical Sensitivity (MCS) leide, und eine allgemeine
Information des I. Medical Center über die therapeutische Apherese. Nachgereicht wurde das Attest des behandelnden Hausarztes
Dr. S. vom 30. Juli 2008, der bestätigte, dass bei der Klägerin alle Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft seien.
Nach einer Voruntersuchung am 4. August 2008 führte Dr. S. bei der Klägerin am 5. August 2008 und 12. August 2008 therapeutische
Apheresen durch und stellte für die Behandlungen vom 4. bis 13. August 2008 insgesamt 3.615,72 € in Rechnung (Behandlungsverträge
vom 5. August 2008 und 12. August 2008, Rechnung vom 2. September 2008).
Auf Nachfrage der Beklagten zur Diagnose, der bisherigen Behandlung und Therapie und zur medizinischen Begründung für die
Apherese teilte Dr. S. mit Schreiben vom 14. August 2008 nochmals die bei der Klägerin vorliegenden Diagnosen mit und verwies
auf eine Website der R. Deutschland Holding GmbH (www.nephrologie.de). Zur weiteren Begründung ihres Antrags legte die Klägerin
noch die Expertise des Dr. S. vom 26. September 2008 über die Behandlungen am 5. August 2008 und 12. August 2008 vor.
Die Beklagte holte das Gutachten nach Aktenlage des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg,
Dr. S., vom 29. August 2008 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 1. Oktober 2008 und 16. Oktober 2008 ein. Dr. S. legte dar,
die Apherese habe bislang keinen Eingang in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gefunden. Der
Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe ein positives Votum nur für die LDL-Apherese und die Immunapherese bei akuter rheumatoider
Arthritis erteilt. Eine akut lebensbedrohliche Situation bestehe nach den vorliegenden Informationen nicht. Zwar werde nach
den vorliegenden Attesten bestätigt, dass alle Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft seien, konkretisiert werde das jedoch nicht.
Eine Standardtherapie für die CMI mit MCS als relativ neues Krankheitsbild existiere bislang nicht und bestehe hauptsächlich
in Expositionskarenz.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 8. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 20. Februar 2009 mit der Begründung ab, bei der therapeutischen Apherese handele es sich um eine Behandlungsmaßnahme,
die nicht im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erbracht werden könne, weil es sich um eine bisher nicht anerkannte
medizinisch-wissenschaftliche Behandlungsmethode handele. Der GBA habe die therapeutische Apherese nur bei Hypercholesterinämie
in Form einer LDL-Apherese und bei rheumatoider Arthritis als Immunapherese in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen.
Ein Systemmangel, insbesondere eine akut lebensbedrohliche Situation, liege nicht vor. Auch handele es sich um keine unaufschiebbare
Leistung. Zudem sei die Behandlung bereits vor der Entscheidung der Beklagten in Anspruch genommen und von einem Behandler
ohne Kassenzulassung vorgenommen worden. Die Voraussetzungen zur Kostenerstattung würden somit nicht vorliegen.
Gegen den am 21. Februar 2009 der Klägerin zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Kanzlei Dr. O. am 23. März 2009 beim
Sozialgericht Karlsruhe (SG) per Telefax, "i.A." unterzeichnet durch (Rechtsanwalt) L., der im Gegensatz zu den Rechtsanwältinnen Dr. O. und L. nicht
im Briefkopf aufgeführt wird, Klage erhoben. Die Klägerin hat geltend gemacht, sie leide seit über 20 Jahren an Muskel- und
Gelenkschmerzen, Steifheit am ganzen Körper, abnormer Müdigkeit, Erschöpfungszuständen mit erheblichen Einschränkungen der
Leistungsfähigkeit, Nahrungsmittelallergie und Magen-Darm-Beschwerden. Ihre Erkrankungen seien kausal nicht ausheilbar und
wegen des progressiven Verlaufes lebenszerstörend. Es bestehe eine ganz konkrete Todesgefahr durch akute schubweise Verläufe,
wenn die Gehirntätigkeit aussetze und dadurch ein Multiorganversagen drohe. Zwar sei der Zeitpunkt hierfür nicht prognostizierbar,
stehe aber nahezu täglich im Raum. Eine Standardtherapie für ihr Beschwerdebild stehe nicht zur Verfügung. Nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, 1 BvR 347/98) bestehe ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die therapeutische Apherese. Mit Eingang der Original-Klageschrift am
25. März 2009, unterzeichnet durch Dr. O., sind noch die Entlassungsberichte der Spezialklinik N. vom 18. Oktober 2006 und
6. Juli 2007 sowie das Attest des Internisten Dr. K. vom 25. Mai 2007 (mit den Diagnosen therapieresistente Fibromyalgie,
Borreliose, Chronic Fatigue Syndrom (CFS), Nahrungsmittelunverträglichkeit und dem Hinweis, ambulante Therapiemöglichkeiten
seien ausgeschöpft) vorgelegt worden.
Eine weitere therapeutische Apherese hat die Klägerin am 3. November 2008 vornehmen lassen.
Am 21. April 2009 hat die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für die therapeutischen Apheresen am 27. April 2009
und 29. April 2009 beantragt und im Anschluss bei Dr. S. durchgeführt (Behandlungsverträge vom 27. April 2009 und 29. April
2009, Rechnungen des Dr. S. vom 27. April 2009 über 1.809,97 € und vom 29. April 2009 über 1.758,42 € [somit über 3.568,39
€] und des Dr. S. vom 18. Mai 2009 für ein großes Blutbild im Auftrag des I. Medical Center über 235,46 € [insgesamt: 3.803,85
€]).
Den Antrag auf Kostenübernahme "zur 2. Apheresenbehandlung" hat die Beklagte nach Einholung der ergänzenden Stellungnahme
des Dr. S. vom 20. Mai 2009 mit Bescheid vom 5. Juni 2009 abgelehnt.
Am 18. Juni 2009 hat die Klägerin ihre Klage vor dem SG, wiederum durch einen Schriftsatz der Kanzlei Dr. O., der sowohl im Telefax wie auch im Original mit "i.A. L." unterzeichnet
ist, erweitert und beantragt, die weiteren Kosten für die therapeutische Apherese in Höhe von 3.568,39 € ebenfalls zu erstatten.
Zur Begründung hat sich die Klägerin auf die Expertise des Dr. S. vom 19. Mai 2009 und die Arztbriefe der Gemeinschaftspraxis
für Onkologie und Hämatologie, des Dr. R. vom 15. Dezember 2008 und des Dr. G. vom 28. Januar 2009 (Die Klägerin scheine wegen
des chronischen Schmerzsyndroms verzweifelt zu sein, so dass sie den neuesten Schrei des weitläufigen Selbstzahlermarktes,
als Ätiologie eine seronegativen Borreliose anzunehmen, mitmache) sowie den Arztbrief des Radiologischen Zentrums P. über
die erfolgte Computertomographie der HWS (unauffälliges Nativ-CT des unteren Halses und des oberen Thorax im Bereich einer
linksseitig betonten Verdickung) berufen.
Der Hausarzt Dr. K., der die Klägerin 2008 behandelt hatte, teilte mit, ihm lägen keine Arztberichte und dergleichen vor.
Nach Beiziehung der ärztlichen Unterlagen des Dr. S., der weitere Facharztberichte und die Expertise des Dr. S. vom 10. Januar
2009 über die therapeutische Apherese am 3. November 2008 vorgelegt hat, hat das SG nach vorheriger Anhörung die Klage mit Gerichtsbescheid vom 6. Oktober 2009 abgewiesen. Die Leistungspflicht der Beklagten
für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sei ausgeschlossen, solange der GBA diese nicht als zweckmäßig anerkannt habe.
Eine Entscheidung des GBA liege nicht vor. Bisher habe der GBA die ambulante Durchführung der Apherese als extrakorporales
Hämotherapieverfahren nur bei Krankheiten anerkannt, an denen die Klägerin nicht leide. Abweichend hiervon könne eine Kostenerstattung
nur in Betracht kommen, wenn der GBA über die Anerkennung einer neuen Methode ohne sachlichen Grund nicht oder nicht zeitgerecht
entschieden habe. Anhaltspunkte für einen solchen Fall des Systemversagens würden nicht vorliegen. Denn ausweislich der auf
der Internetseite des GBA einsehbaren Dokumente habe sich der Ausschuss von 2001 bis 2008 laufend mit der Apheresen-Behandlung
beschäftigt. Der von der Klägerin zitierte Beschluss des BVerfG rechtfertige keine andere Beurteilung. Denn die beigezogenen
medizinischen Unterlagen ließen nicht erkennen, dass bei der Klägerin eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende
Erkrankung vorliege. Schließlich habe die Klägerin die Behandlung vor Erlass des Bescheides vom 8. Oktober 2008 durchgeführt
und die Behandlung sei auch nicht unaufschiebbar gewesen.
Gegen den der Klägerin am 14. Oktober 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat sie am 13. November 2009 per Telefax Berufung
mit der Begründung eingelegt, unstrittig liege eine Entscheidung des zuständigen GBA nicht zu ihrem Krankheitsbild vor. Damit
scheide ein Erstattungsanspruch jedoch nicht aus. Denn bei ihr liege eine lebensbedrohliche und regelmäßig tödlich verlaufende
Erkrankung vor. Dies ergebe sich aus der ärztlichen Bescheinigung des Dr. S. vom 22. Juli 2008. Zudem sei ihre Erkrankung
schulmedizinisch austherapiert. Die therapeutische Apherese stelle eine letzte Behandlungsmethode dar. Bei Anwendung dieser
sei eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
anzunehmen. Die Erstbehandlung sei unaufschiebbar gewesen. Zum Nachweis hierfür sei ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Zwischenzeitlich habe sich ihr klinischer Zustand progressiv verschlechtert. Sie sei nun beim Laufen auf einen Rollator angewiesen.
Nach Auskunft des Dr. S. sei von einer Myasthenie, einer Muskelschwäche, auszugehen. Wenn sich dieser Verdacht bestätige,
sei gemäß dem Apheresestandard der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Nephrologie e.V. die Anwendung der therapeutischen Apherese
medizinisch indiziert gewesen, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Erstattungspflicht der Beklagten bestehe.
Sowohl das Telefax als auch das Original des Berufungsschreibens, das am 18. November 2009 eingegangen ist, sind unterzeichnet
von Rechtsanwalt L. mit dem Zusatz "i.A.". Hierzu hat Dr. O. mitgeteilt, die Rechtsmittelschrift habe Herr L. unterzeichnet,
der in der Kanzlei als Rechtsanwalt noch nicht allzu lange angestellt sei. Deshalb sei ihm nicht bekannt gewesen, dass Klagen
nicht mit dem Zusatz "i.A." zu unterzeichnen seien. Allen in der Kanzlei tätigen Anwälte sei mündlich die Vollmacht erteilt
worden, Klagen und andere bestimmende Schriftsätze zu unterzeichnen. Die Klägerin hat die auf die "Kanzlei Dr. O." ausgestellte
Vollmacht vom 14. März 2009 und die Vollmacht vom 24. März 2010, mit der ausdrücklich auch Rechtsanwalt L. Vollmacht erteilt
worden ist, vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 6. Oktober 2009 und die Bescheide der Beklagten vom 8. Oktober 2008
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2009 sowie den Bescheid vom 5. Juni 2009 aufzuheben und die Beklagte
zu verurteilen, die Kosten der therapeutischen Apheresen-Behandlungen am 5. August 2008, 12. August 2008, 27. April 2009 und
29. April 2009 in Höhe von insgesamt 7.184,11 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat darauf hingewiesen, dass ihres Erachtens eine lebensbedrohliche Erkrankung bei der Klägerin nicht vorliege. Dies ergebe
sich aus der Stellungnahme des MDK und den Angaben der Klägerin, wonach die Krankheit schon seit 20 Jahren bestehe und seither
die gleichen Beschwerden verursache. Eine Kostenerstattung sei aber auch deshalb ausgeschlossen, weil sich die Klägerin die
Leistung verschafft habe, ohne die Entscheidung der Beklagten abzuwarten. Eine Unaufschiebbarkeit der Behandlungen sei ebenfalls
nicht nachvollziehbar.
Auf Antrag der Klägerin hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens auf eigenes Kostenrisiko des Dr. S. vom
14. Mai 2010. Die Multimorbidität der Klägerin, ausgelöst durch mehrfache chemische und infektiologische Traumata und insbesondere
die Borreliose als einer der Hauptmechanismen für die Kombination der klinischen Bilder, sei nicht erkannt worden. Die Klägerin
leide an einer Borreliose mit Lyme-Disease, einem chronischen Erschöpfungs-Syndrom, einem Fibromyalgie-Syndrom, einer postinfektiösen
Arthritis, Störungen im Fremdstoff/Medikamentenwechsel in der Phase I und II, MCS, Hashimoto-Thyreopathie, Darmdysbiose, Mineralmangel,
Vitamin-D-Mangel, Mamma-Carzinom und toxisch-infektiöser Polyneuropathie mit Seitenbetonung. Bei der Klägerin habe sich ein
eindeutig signifikanter Befund für eine Borreliose und eine hypertensive Herzerkrankung mit diastolischer Dysfunktion gezeigt.
Insbesondere letztere sei ein wichtiger Risikofaktor für einen Schlaganfall und ein eindeutig lebensbedrohlich und lebenszerstörend.
Bei der Klägerin würden folgende lebensbedrohliche und tödlich verlaufende Erkrankungen vorliegen: Mammakarzinom, stattgehabte
Chemotherapie und Strahlentherapie, chronische Entzündung (Lebensverkürzung um 18 Jahre mit vorzeitigem Tod), chronische Borreliose
(pro Jahr mindestens 150 Todesfälle in Deutschland) und Störungen im Fremdstoff/Medikamentenstoffwechsel (nach offiziellen
Statistiken würden in Deutschland in medizinischen Kliniken 58.000 Patienten an den Folgen der Medikation sterben). Eine Beeinträchtigung
wichtiger Sinnesorgane werde herbeigeführt durch die klinisch gefundene Polyneuropathie mit Progress der Klinik nach Aussetzen
der therapeutischen Apherese, die Hashimoto-Thyreopathie mit der Folge Stoffwechsel-, Immun- und Nervenstörungen, die Darmdysbiose
(toxische Enzephalopathie) und die gesicherte Belastung mit Pentachlorphenol (neurotoxisch und kanzerogen). Zur Frage der
Unaufschiebbarkeit der Behandlung hat Dr. S. ausgeführt, durch die therapeutische Apherese würden bestimmte Antikörper bzw
Autantikörper reduziert bzw komplett entfernt. Wäre die Therapie richtig durchgeführt worden, hätten mehrere Apheresen über
einen bestimmten Zeitraum stattgefunden. Andere Behandlungsalternativen habe es nicht gegeben. Die therapeutische Apherese
sei als Ultima-Ratio-Therapie mit nachvollziehbarer evidenzbasierter Grundlage verblieben. Die Aussicht auf Heilung bestehe
und gründe sich auf Fakten.
Die Beklagte hat hierzu ein Gutachten des MDK vom 8. September 2010 vorgelegt. Darin führt Dr. B. aus, für die unspezifische
Beschwerdesymptomatik der Klägerin mit chronischen Schmerzen und chronischer Müdigkeit sei die Apherese-Behandlung mangels
Empfehlung des GBA keine Leistung der GKV. Eine Literaturrecherche habe keinen Hinweis darauf ergeben, dass die Apherese-Behandlung
bei einer Borreliose oder den unspezifischen Beschwerden der Klägerin mit einem Erfolg verbunden wäre oder der Verlauf positiv
beeinflusst werden könnte. Eine nervenärztliche Diagnostik und Evaluation und ggf symptomatische Behandlung der Schmerzen
sei bei der Klägerin nicht durchgeführt worden. Die Symptomatik sei schließlich nicht lebensbedrohlich oder in überschaubarer
Zeit tödlich endend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten
und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§
143,
151 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft im Sinne des §
144 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGG und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erstattung der von ihr für die therapeutischen
Apheresen am 5. August 2008, 12. August 2008, 27. April 2009 und 29. April 2009 geltend gemachten Kosten in Höhe von 7.184,11
€.
Sowohl die Klage als auch die Berufung sind fristgerecht eingelegt worden. Unschädlich ist, dass beide Schriftsätze, die innerhalb
der jeweils maßgeblichen Frist (bis Montag, 23. März 2009 bzw bis Montag, 16. November 2009) eingegangen sind, von Rechtsanwalt
L. mit dem Zusatz "i.A." (im Auftrag) unterzeichnet worden sind. Zur Wirksamkeit der Klage- und Berufungseinlegung ist erforderlich,
dass deutlich wird, von wem sie stammt und dass sie nicht ohne den Willen des Klägers in den Verkehr gebracht wurde (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, Kommentar, 9. Aufl §
92 RdNr 13, §
90 RdNr 5 ff; BSG, Urteil vom 21. Juni 2001, B 13 RJ 5/01 R, juris). Davon ist bei der Erhebung der Klage und Einlegung der Berufung durch Rechtsanwalt L. mit dem Zusatz "i.A." auszugehen.
Eine Unterzeichnung "i.A." reicht für die Übernahme der Verantwortung in diesem Sinne dann nicht aus, wenn der Unterzeichnende
damit zu erkennen gibt, dass er dem Gericht gegenüber nur als Erklärungsbote auftritt (vgl BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 1993,
III ZB 9/93, NJW 1993, 2056; und vom 19. Juni 2007, IV ZB 81/05, juris). Den Schriftsätzen, die Rechtsanwalt L. unterzeichnet hat, kann nicht entnommen werden, dass er nur als Erklärungsbote
aufgetreten ist oder auftreten wollte. Denn mit dem Zusatz "i.A." kommt lediglich zum Ausdruck, dass der Inhalt der Klageschrift
auf einen Dritten zurückzuführen ist. Die allein erforderliche Übernahme der Verantwortung für das Einreichen der Klageschrift
wird - jedenfalls in Prozessen ohne Vertretungszwang wie dem vorliegenden Klage- und Berufungsverfahren - durch diesen Zusatz
indes nicht in Frage gestellt oder eingeschränkt (Bundesfinanzhof, Urteil vom 15. Februar 1990, IV R 68/89, BFH/NV 1991, 100).
Streitgegenstand ist nicht nur der Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
20. Februar 2009, sondern gemäß §
99 Abs
3 Nr
2 SGG auch der Bescheid vom 5. Juni 2009. Es handelt sich insoweit nicht um eine unzulässige Klageänderung, so dass es auch eines
Vorverfahrens gegen den Bescheid vom 5. Juni 2009 nicht bedurft hat. Als eine Änderung der Klage ist es gemäß §
99 Abs
3 Nr
2 SGG nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen
erweitert oder beschränkt wird. Um eine derartige Erweiterung des Klageantrags handelt es sich beim Begehren, auch über die
Erstattung weiterer therapeutischer Apheresen-Behandlungen zu entscheiden. Mit dem ursprünglichen Bescheid vom 8. Oktober
2008 hat die Beklagte - nach dem nicht auf eine einzelne Behandlung beschränkten, sondern allgemein gehaltenen Antrag der
Klägerin auf Kostenübernahme "zur therapeutischen Apherese" - verfügt, dass "eine Kostenübernahme leider nicht möglich ist".
Mit dem Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2009 wurde der Verfügungssatz insoweit nicht abgeändert. Wird zur Auslegung darüber
hinaus die Begründung des Widerspruchsbescheides herangezogen, ergibt sich daraus ebenfalls keine Beschränkung der Ablehnung
auf eine bestimmte Einzelmaßnahme. Denn eine Klarstellung, welche Behandlung(en) genau abgelehnt worden ist (sind), ist auch
den Gründen des Widerspruchsbescheides nicht zu entnehmen. Nachdem die Klägerin zwischenzeitlich zwei Apheresen hat vornehmen
lassen - was der Beklagten aufgrund der eingereichten Rechnung auch bekannt war -, ist im Widerspruchsbescheid zum einen die
Rede von "Kosten für selbstbeschaffte Leistungen", zum anderen von der beantragten "Kostenübernahme für eine therapeutische
Apherese". Bei verständiger Würdigung kann die Erklärung der Beklagten deshalb nur dahingehend verstanden werden, dass entsprechend
dem weit gefassten Antrag die Kostenübernahme für die therapeutische Apherese im Allgemeinen, somit nicht nur die erste konkrete
Behandlung, abgelehnt wurde. Damit war Grund für die Klage gegen den Bescheid vom 5. Juni 2009 die erneute Weigerung der Beklagten,
für die Kosten der therapeutischen Apherese wegen der bereits bekannten Erkrankungen aufzukommen, weshalb der Bescheid vom
5. Juni 2009 in das Verfahren einzubeziehen ist (vgl BSG, Urteil vom 2. November 2007, B 1 KR 14/07 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 15).
Da die Klägerin nicht nach §
13 Abs
2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung gewählt hat, kommt als Anspruchsgrundlage für einen Kostenerstattungsanspruch
nur §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V in Betracht. Ein Anspruch nach §
13 Abs
3 Satz 1 Alternative 2
SGB V (in der Fassung des Art 5 Nr 7 Buchst b Neuntes Buch Sozialgesetzbuch, BGBl I 1046) ist nicht gegeben. Diese Rechtsnorm bestimmt: Hat die Krankenkasse eine
Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese
von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Ein Anspruch auf Kostenerstattung
ist demnach nur gegeben, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Bestehen eines Naturalleistungsanspruchs des Versicherten
und dessen rechtswidrige Nichterfüllung, Ablehnung der Naturalleistung durch die Krankenkasse, Selbstbeschaffung der entsprechenden
Leistung durch den Versicherten, Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung, Notwendigkeit der
selbst beschafften Leistung und (rechtlich wirksame) Kostenbelastung durch die Selbstbeschaffung (zB BSG, Urteil vom 16. Dezember
2008, B 1 KR 2/08 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 20 mwN). Die selbstbeschaffte Krankenbehandlung muss zu den Leistungen gehören, welche die Krankenkassen
allgemein in Natur als Sachleistung zu erbringen haben (BSG, Urteil vom 30. Juni 2009, B 1 KR 5/09 R, Breith 2007, 111 ff mwN).
Sowohl an der erforderlichen Kausalität als auch am Bestehen eines Primäranspruchs fehlt es vorliegend.
Für die bis zum Zugang des Bescheides vom 8. Oktober 2008 durchgeführten Therapieeinheiten liegt die vom Gesetz geforderte
Kausalität zwischen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und den aufgewandten Kosten nicht vor. Ein auf die Verweigerung
der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach ständiger Rechtsprechung des BSG aus, wenn sich der Versicherte
die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und deren Entscheidung abzuwarten. §
13 Abs
3 SGB V soll einen Erstattungsanspruch für den Ausnahmefall gewähren, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung
infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen
Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse
begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen.
Daran fehlt es, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst wurde, obwohl dies
möglich gewesen wäre (zuletzt BSG, Urteil vom 30. Juni 2009, B 1 KR 5/09 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 15 mwN). Dieses Verfahren ist auch erforderlich, wenn von vornherein feststeht, dass eine durch Gesetz
oder Verordnung von der Versorgung ausgeschlossene Sachleistung verweigert werden wird und sich der Versicherte dadurch gezwungen
gesehen hat, die Leistung selbst zu beschaffen (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006, B 1 KR 8/06 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 12). Bei den zwei im August 2008 durchgeführten Apheresen-Behandlungen hat die Klägerin zwar vor Beginn
der Behandlung einen allgemeinen Antrag auf Kostenübernahme bei der Beklagten gestellt, aber deren Entscheidung nicht abgewartet.
Damit fehlt es zumindest für die im August 2008 durchgeführten Apheresen an der erforderlichen Kausalität.
Der Kostenerstattungsanspruch scheitert im Übrigen für sämtliche bislang durchgeführten und noch durchzuführenden therapeutischen
Apheresen daran, dass der Klägerin kein Primäranspruch auf die streitige Behandlung zusteht, weil die begehrte Therapie nicht
zu den im Rahmen des gesetzlichen Leistungssystems der GKV erbringbaren Leistungen gehört.
Versicherte haben gemäß §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu
verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß §
27 Abs
1 Satz 2 Nr
1 und
3 SGB V unter anderem ärztliche Behandlung. Der Anspruch auf Krankenbehandlung unterliegt den sich aus §§
2 Abs
1,
12 Abs
1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind (§
12 Abs
1 SGB V) und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§
2 Abs
1 Satz 3
SGB V). Den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse erfüllt eine Leistungserbringung dann, wenn sie nicht nur
von einzelnen Ärzten, sondern von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte und Wissenschaftler) befürwortet
wird und, von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, ein Konsens über die Zweckmäßigkeit der Therapie
besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode, die in ihrer Gesamtheit und
nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist, zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können.
Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit
der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen
erfolgreich gewesen sein (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2005, B 1 KR 21/04 R, SozR 4-2500 § 18 Nr 5 mwN). Deshalb sind die Krankenkassen nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie
nach Einschätzung des Versicherten oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet
haben.
Neue ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sind gemäß §
135 Abs
1 Satz 1
SGB V nur dann von der Leistungspflicht der GKV umfasst, wenn der GBA in Richtlinien nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch derartige Richtlinien
wird sowohl geregelt, unter welchen Voraussetzungen zugelassene Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen, als auch der Umfang der den Versicherten geschuldeten ambulanten
Leistungen verbindlich festgelegt (stRspr BSG, vgl zB BSG, Urteil vom 4. April 2006, B 1 KR 12/05 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 8 mwN). Ärztliche "Behandlungsmethoden" im Sinne der GKV sind medizinische Vorgehensweisen, denen ein
eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das
ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (BSG, Urteil vom 16. November 2008,
B 1 KR 11/08 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 9 mwN). "Neu" ist eine Methode, wenn sie zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige
ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist (BSG, Urteil
vom 27. September 2005, B 1 KR 28/03 R, SozR 3-2500 § 135 Nr 4).
Offen bleiben kann, ob der Methode der therapeutischen Apherese bei den bei der Klägerin vorliegenden Indikationen überhaupt
ein nachvollziehbares theoretisches Konzept zugrunde liegt und über deren Wirksamkeit zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare
Aussagen getroffen werden können. Zweifel hieran bestehen, da für die bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen, im Wesentlichen
einer Borreliose mit Lyme-Disease, einem CFS und einem Fibromyalgie-Syndrom, auch Dr. S. im Gutachten vom 14. Mai 2010 nicht
nachvollziehbar erklärt hat, auf welches theoretische Konzept sich die Behandlung mit der therapeutischen Apherese stützt.
Im Jahr 2003 hat der Arbeitsausschuss "Ärztliche Behandlung" des Bundesausschusses im Bericht vom 25. Juli 2003 (abrufbar
über die Sozialmedizinische Informationsdatenbank für Deutschland) darauf hingewiesen, dass die postulierte Wirksamkeit der
therapeutischen (Häm)Apherese bei den meisten Anwendungsbereichen lediglich auf Hypothesen zur pathogenetischen Rolle ausgewählter
Blutbestandteile beruht. Deshalb hat er ua bei Erkrankungen wie der altersabhängigen Makuladegeneration und der Myasthenia
gravis die Wirksamkeit und den Nutzen dieser Therapie als nicht ausreichend belegt angesehen, lediglich - trotz der sehr begrenzten
Datenlage - vor dem Hintergrund der hohen medizinischen Notwendigkeit einer wirksamen Behandlung für Patienten mit aktiver
therapierefraktärer rheumatoider Arthritis die Immunapherese unter Bedingungen für diese Erkrankung zur Anerkennung empfohlen
und den Nutzen der seit 1991 in der vertragsärztlichen Versorgung anerkannten LDL-Apherese bei Patienten mit schwerer familiärer
Hyercholesterinämie bestätigt. Im Jahr 2008 hat der Unterausschuss "Ärztliche Behandlung" des GBA in der zusammenfassenden
Dokumentation zur Apheresenbehandlung bei isolierter Lp(a)-Erhöhung vom 19. Juni 2008 (abrufbar unter http://g-ba.de) festgehalten,
dass in Studien zwar gezeigt werden konnte, dass eine Lp(a)-Erhöhung in Kombination mit gleichzeitiger LDL-Cholesterin-Erhöhung
ein Risikofaktor für kardiovaskluläre Erkrankungen ist, jedoch weiterhin keine validen Studien vorliegen, die eine solche
Risikoerhöhung durch eine isolierte Lp(a)-Erhöhung belegen könnten. Obwohl aus den wissenschaftlichen Daten kein eindeutiger
Beleg im Hinblick auf den patientenrelevanten Nutzen abgeleitet werden konnte, hat der GBA mit den Beschlüssen vom 19. Juni
2008 im Hinblick darauf, dass die Erkrankung im Zusammenhang mit gleichzeitig bestehenden, fortschreitenden Gefäßerkrankungen
lebensbedrohlich sein kann, zur Behandlung der isolierten Lp(a)-Erhöhung die Apherese in die "Richtlinie Methoden vertragsärztliche
Versorgung" (MVV-RL) aufgenommen und die Leistungserbringer aufgefordert, in Zusammenarbeit mit den wissenschaftlichen Fachgesellschaften
innerhalb von sechs Monaten zumindest ein überzeugendes Konzept für eine prospektive kontrollierte Studie vorzulegen (mit
der Folge, dass derzeit eine solche Studie an der Charité Berlin durchgeführt wird). Schon bei den bislang in der MVV-RL anerkannten
Indikationen der rheumatoiden Arthritis und der isolierten Lp(a)-Erhöhung zur Durchführung einer therapeutischen Apherese
ist die Datenlage somit (derzeit) sehr begrenzt und fehlen randomisierte, kontrollierte Studien. Zuverlässige Aussagen über
die Wirksamkeit der Methode im Hinblick auf die bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen fehlen vollständig. Denn die "nachvollziehbare
evidenzbasierte Grundlage" der Therapie, die Dr. S. in seinem Gutachten erwähnt, wird lediglich behauptet, aber nicht belegt.
Im Gegenteil findet sich für die von Dr. S. bei der Klägerin angenommene (Grund-) Erkrankung an Borreliose mit Lyme-Disease
ohne derzeit nachweisbare Aktivität (nach Dr. S. Hauptmechanismus für die Kombination der klinischen Bilder der Klägerin)
keinerlei Hinweis auf die Wirksamkeit einer Apheresenbehandlung. Denn ein solcher Hinweis lässt sich weder dem Gutachten des
Dr. S. entnehmen noch bestätigt die von Dr. B. (Stellungnahme vom 8. September 2010) vorgenommene Literaturrecherche die Wirksamkeit
der Apherese bei Borreliose. Für die (nach Dr. S. bei der Klägerin vorliegenden Folge-) Diagnosen MCS und CFS listet selbst
Dr. S. in seinem Gutachten in einer Tabelle auf, dass sich ein Apherese-Standard für diese Diagnosen nicht in Bearbeitung
befindet und zur Evidenz keine Studien existieren. Ebenso hat Dr. B. in der Stellungnahme vom 8. September 2010 für die unspezifischen
Symptome der Klägerin aufgezeigt, dass es in der medizinischen Wissenschaft keinen Hinweis für die Wirksamkeit der Apheresen-Behandlung
gibt. Erkrankungen, für die bestimmte Vereine Indikationen zur therapeutischen Apherese annehmen, deren Nutzen der Arbeitsausschuss
"Ärztliche Behandlung" des Bundesausschusses schon im Jahr 2003 als nicht valide belegt bezeichnet hat, liegen bei der Klägerin
nicht vor. So hat zB die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Klinische Nephrologie e.V. im Jahr 2003 einen Apheresestandard veröffentlicht
(abrufbar unter http://www.dgfn.eu), der als Indikation für die Behandlung mit Aphereseverfahren ua Stoffwechselkrankheiten
wie die Hypercholesterinämie, Erkrankungen des Nervensystems wie die Myasthenia gravis oder der paraproteinämischen Polyneuropathie
und Erkrankungen des Immunsystems wie die rheumatoide Arthritis aufführt. Auch der Bundesverband Medizintechnologie e.V. bezeichnet
in seiner Broschüre "Die therapeutische Apherese - der Einsatz innovativer extrakorporaler Therapieverfahren" vom Februar
2001 (abrufbar unter http://www.bvmed.de) bestimmte, im Wesentlichen identische Anwendungsgebiete für die therapeutische Apherese.
Keine dieser Erkrankungen ist bislang bei der Klägerin diagnostiziert worden, selbst von Dr. S. nicht. Weder leidet die Klägerin
an Hypercholesterinämie noch an einer rheumatoiden Arthritis, denn eine entzündlich rheumatische Systemerkrankung ist bei
der Klägerin nach dem Arztbrief des Dr. G. vom 28. Januar 2009 ausgeschlossen worden. Die von Dr. S. diagnostizierte postinfektiöse
Arthritis (als Folge der Borrelieninfektion) bzw die in der Spezialklinik N. noch als Verdacht auf reaktive Arthritis im Rahmen
einer Yersiniose diagnostizierte Erkrankung entspricht der rheumatoiden Arthritis nicht. Eine Myasthenia gravis hat Dr. S.
ebenfalls nicht diagnostiziert und darauf hingewiesen, dass für diese Diagnose keine Acetylcholinrezeptor-Antikörper nachgewiesen
werden konnten. Zwar führt er aus, dass damit dennoch die Diagnose nicht ausgeschlossen sei, listet sie aber später bei den
Gesundheitsstörungen nicht auf und hat weder eine entsprechende Befunderhebung noch elektrophysiologische Untersuchungen hierzu
durchgeführt. Die von Dr. S. aufgeführte toxisch-infektiöse Polyneuropathie unterscheidet sich in der genannten Ursache von
der paraproteinämischen Polyneuropathie. Zudem wurde weder eine genaue Anamnese noch ein genauer Befund zu dieser Diagnose
beschrieben oder die Diagnose mit laborchemischen oder elektrophysiologischen Untersuchungen wie der Elektroneurographie und
der Elektromyografie verifiziert. Somit bleibt offen, worauf sich das theoretische Konzept bei der Behandlung der Klägerin
stützt. Hinzu kommt, dass sich mit der therapeutischen Apherese eine Vielzahl von Krankheiten wirksam behandeln lassen soll.
Zu diesen angeblich behandelbaren Krankheiten gehören zB nach der von der Klägerin vorgelegten allgemeinen Information des
I. Medical Center (auch abrufbar unter http://inus-world.de) mehr als 50 Erkrankungen von A wie altersbedingte Makuladegeneration
bis X wie Xanthogranulomatose.
Bei der von der Klägerin begehrten therapeutischen Apherese handelt es sich um eine im Sinne des Krankenversicherungsrechts
neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, für die es an der erforderlichen positiven Entscheidung des GBA fehlt. Denn gemäß
Anlage I Nr 1 § 3 der MVV-RL können LDL-Apheresen nur durchgeführt werden bei Patienten mit bestimmten Formen der Hypercholesterinämie
oder isolierter Lp(a)-Erhöhung und Immunapheresen unter bestimmten Voraussetzungen bei der aktiven rheumatoiden Arthritis.
Diese Indikationen liegen bei der Klägerin unstreitig nicht vor.
Zwar werden in der ab 1. April 2009 geltenden Fassung des EBM-Ä unter Nummern 13620 bis 13622 die ärztliche Betreuung bei
LDL-Apheresen, auch bei isolierter Lp(a)-Erhöhung, und bei einer Apherese bei rheumatoider Arthritis als abrechnungsfähige
ärztliche Leistungen genannt. Dennoch ist die bei der Klägerin angewandte Behandlungsmethode als "neu" anzusehen und deshalb
dem Erlaubnisvorbehalt des §
135 Abs
1 Satz 1
SGB V unterworfen. Denn die bei der Klägerin angewandte Therapieform wird von dem EBM-Ä nicht erfasst. Gemäß § 2 Abs 1 der Verfahrensordnung
des GBA (in der seit Inkrafttreten am 1. April 2009 geltenden Fassung) gelten als "neue" Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
nicht nur Leistungen, die noch nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen im EBM-Ä enthalten sind, sondern auch solche,
die zwar als ärztliche Leistungen im EBM-Ä aufgeführt sind, deren Indikation aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen
erfahren hat (vgl zu § 2 Abs 1 der Richtlinie zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden BSG, Urteil
vom 4. April 2006, B 1 KR 12/05 R, aaO. mwN). Darum geht es hier. Denn die Klägerin führt als Indikation für die therapeutische Apherese Erkrankungen an, für
die im EBM-Ä keine abrechnungsfähigen Leistungen genannt sind.
Ausnahmefälle, in denen es keiner Empfehlung des GBA bedarf, liegen im Falle der Klägerin nicht vor. Weder ergeben sich angesichts
der erheblichen Verbreitung des Krankheitsbildes Anhaltspunkte für einen Seltenheitsfall (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004,
B 1 KR 27/02 R, SozR 4-2500 §
27 Nr
1 mwN) noch für ein Systemversagen. Ungeachtet des in §
135 Abs
1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des BSG eine Leistungspflicht der Krankenkasse
ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen
ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen
nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (sog Systemversagen). Diese Durchbrechung beruht darauf, dass in solchen Fällen
die in §
135 Abs
1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben ist und deshalb die Möglichkeit bestehen muss, das
Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (BSG, Urteil vom 7. November 2006, B 1 KR 24/06 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 12 mwN). Ein solcher Fall des Systemversagens liegt schon deshalb nicht vor, weil das Verfahren vor
dem Bundesausschuss antragsabhängig ist und ein entsprechender Antrag beim GBA offensichtlich nicht gestellt worden ist. Denn
der GBA hat sich zwar mit bestimmten Indikationen der therapeutischen Apherese befasst, zB im Jahr 2003 mit der altersabhängigen
Makuladegeneration, der Myasthenia gravis und vielen anderen Indikationen. Zum Anwendungsbereich bei Borreliose, CFS oder
Fibromyalgie-Syndrom liegen jedoch keine Anträge vor.
Schließlich liegen keine Anhaltspunkte für eine gebotene grundrechtsorientierte Auslegung vor. Das BVerfG hat mit Beschluss
vom 6. Dezember 2005 (Aktenzeichen 1 BvR 347/98, SozR 4-2500 § 27 Nr 5) zu einer ärztlichen Behandlungsmethode entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art
2 Abs
1 iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art
2 Abs
2 Satz 1
Grundgesetz nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung
eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung
einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht
auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine solche verfassungskonforme
Auslegung setzt voraus, dass drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
- Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung
vor,
- bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Stand entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung
und
- eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Entwicklung
auf den Krankheitsverlauf besteht.
Auch der Senat ist, wie schon das SG, davon überzeugt, dass eine lebensbedrohliche oder wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung bei der Klägerin nicht vorliegt.
Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung
in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer schwerwiegenden
Erkrankung für die Eröffnung des sogenannten Off-Label-Use formuliert ist (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 11/08 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 19 mwN). Dabei ist in die Beurteilung einzubeziehen, ob sich die Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs
schon in näherer oder erst in ganz ferner, noch nicht ganz genau absehbarer Zeit zu konkretisieren droht (BSG, Urteil vom
27. März 2007, B 1 KR 30/06 R, Juris mwN). Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen daher nur, wenn
eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie
sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006, B 1 KR 12/06 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 8).
Entsprechend diesen Grundsätzen können die von Dr. S. genannten Erkrankungen des Mamma-Karzinoms mit stattgehabter Chemotherapie
und Strahlentherapie, der chronischen Entzündung, der chronischen Borreliose und der Störungen im Fremdstoff/Medikamentenstoff-wechsel,
nicht als lebensbedrohliche Erkrankungen angesehen werden. Denn eine - konkret auf die Klägerin bezogene - Begründung hierfür
gibt Dr. S. nicht. Das Mamma-Carcinom wurde nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen im Jahr 2000 diagnostiziert und ist
offensichtlich erfolgreich behandelt worden, so dass die Spezialklinik N. im Bericht vom 18. Oktober 2006 nur den Zustand
nach Mamma-Carcinom diagnostiziert. Gegenüber Dr. R. (Arztbrief vom 15. Dezember 2008) hat die Klägerin berichtet, dass die
Nachsorge der Brust "in Ordnung wäre". Eine akute aktuelle Gefahr besteht damit nicht. Allein das möglicherweise individuell
erhöhte Krebsrisiko bzw Rezidivrisiko oder die sonstigen von Dr. S. genannten allgemeinen Risiken, bei bestimmten Erkrankungen
vorzeitig zu versterben, reichen hierfür nicht aus. Mit der Nennung der weiteren Diagnosen der Polyneuropathie, der Hashimoto-Thyreopathie,
der Darmdysbiose und der gesicherten Belastung mit Pentachlorphenol kann ebenfalls eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung
nicht nachvollziehbar begründet werden. Denn unabhängig davon, ob zB die Polyneuropathie tatsächlich vorliegt, werden Befunde,
durch die mit dem Verlust wichtiger Sinnesorgane oder herausgehobener Körperfunktionen alsbald zu rechnen ist, nicht genannt.
Dr. S. selbst weist lediglich darauf hin, dass durch diese Diagnosen eine "Beeinträchtigung wichtiger Sinnesorgane" herbeigeführt
wird. Dies allein begründet eine Krankheit, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist,
nicht. Eine lebensbedrohliche oder damit vergleichbare Situation ist damit aktuell nicht ersichtlich. Zu Recht hat schon Dr.
S., MDK Baden-Württemberg, darauf hingewiesen, dass sich dies auch aus der Tatsache ergibt, dass die Klägerin schon seit 20
Jahren an den genannten Erkrankungen leidet. Dr. B. hat in der Stellungnahme vom 8. September 2010 für den Senat nachvollziehbar
ergänzt, dass die unspezifische Symptomatik der Klägerin mit chronischen Schmerzen und chronischer Müdigkeit zwar die Lebensqualität
erheblich beeinträchtigen kann, die Symptomatik aber sicher nicht lebensbedrohlich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen gemäß §
160 Abs
2 SGG nicht vor.