Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Folgen der Berufskrankheiten (BKen) Nr. 1303 bzw.
Nr. 1317 der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) bzw. einer sogenannten Wie-BK nach §
9 Abs.
2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) im Streit.
Der 1965 geborene Kläger arbeitete seit 1981 als Maler, wobei er seit April 1992 selbstständig tätig war. Die Arbeitsmedizinerin
Dr. A. zeigte am 12.08.2005 im Hinblick auf vom Kläger geäußerte Gesichtsschmerzen mit Pelzigkeit und Anschwellung sowie eine
im Frühjahr 2005 diagnostizierte Trigeminusneuralgie den Verdacht auf das Vorliegen einer BK an. Der Präventionsdienst der
Beklagten berichtete am 07.12.2005, dass der Kläger seit dem Beginn seiner Tätigkeit als Maler und Lackierer hauptsächlich
sogenannte Malerlacke (Alkydharzfarben) und Dispersionsfarben verarbeitet habe. Hierbei habe es sich anfänglich zu 70 bis
80 % um lösemittelhaltige, nicht entaromatisierte Farben gehandelt. Unter dem Druck gesetzlicher Vorgaben gingen die Lackhersteller
zwischenzeitlich zunehmend dazu über, aromatenhaltige Formulierungen durch aromatenfreie zu ersetzen, sodass der Kläger künftig
nahezu ausschließlich derartige aromatenfreie Farben verarbeite. Allerdings mache der Kläger gerade diese aromatenfreie Produkte
für seine gesundheitlichen Probleme verantwortlich. Nach seinen Angaben reiche bereits das Hineinriechen in eines dieser Produkte,
um typische Reaktionen hervorzurufen. Deswegen habe der Kläger bislang ältere Bestände nicht entaromatisierter Produkte erworben.
Hinsichtlich der BK Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) sei
festzustellen, dass die in der wissenschaftlichen Begründung zu der BK genannten Gefahrstoffe nicht in den von dem Kläger
verdächtigten, zuletzt verarbeiteten Produkten enthalten gewesen seien (Capalac Dickschichtlack von Caparol; B. Flächenlasur
620, B. Gel-Lasur 510, B. Impredur Seidenmattlack 880, B. Impredur Ventillack 822).
Der behandelnde Dermatologe Dr. Sch. teilte mit Befundbericht vom 01.12.2005 eine Kontaktallergie auf aromatenfreie Lacke
mit. Der Neurologe Dr. P. diagnostizierte am 15.03.2005 Gesichtsschmerzen rechts. Auf Anfrage der Beklagten untersuchte Dr.
P. den Kläger erneut, woraufhin Dr. P. am 20.03.2006 einen neurologisch unauffälligen Befund mitteilte.
Im Auftrag der Beklagten erstellte der Arbeits- und Sozialmediziner Prof. Dr. T. am 13.06.2006 ein Zusammenhangsgutachten.
Der Kläger leide nach eigenen Angaben unter gehäuften Kopfschmerzen, einem Taubheitsgefühl der Hände und Füße, Kraftlosigkeit
in den Armen und Beinen und einem Zittern der Hände. Er leide allerdings nicht an Vergesslichkeit oder Konzentrationsproblemen.
Seit Tätigkeitsbeginn 1981 habe er nach eigenen Angaben alle typischen Tätigkeiten eines Malers und Lackierers ausgeführt,
wobei es bei Kontakten mit Kleistern zu Hautrötungen und Juckreizen gekommen sei. Beim Umgang mit Farben und Lacken seien
ihm keine Hautveränderungen aufgefallen. Im Mai 2005 habe er erstmals ein Kribbeln sowie ein Taubheits- und Pelzigkeitsgefühl
im Bereich der rechten Wange bemerkt, außerdem sei es zu einer Trockenheit im Mund gekommen. Diese Beschwerden seien nur beim
Verstreichen von sogenannten aromatenfreien Lacken aufgetreten, welche es erst seit einigen Jahren gebe. Der zeitliche Abstand
zwischen der Exposition und dem Auftreten der Beschwerden sei immer kürzer geworden und habe sich von einer halben Stunde
auf ca. 15 Minuten verkürzt. Ein spezielles Produkt, welches die Beschwerden auslöse, könne er nicht benennen. Es sei ihm
allerdings aufgefallen, dass die aromatenfreien Lacke mit dem Gefahrstoff 2-Butanonoxim gezeichnet seien. Außerdem habe er
auch in der arbeitsfreien Zeit, z. B. an Weihnachten, keine Beschwerden. Der Gutachter stellte bei dem Kläger einen insgesamt
neurologisch unauffälligen Befund fest. In den von dem Kläger verwendeten Lacken befänden sich organische Lösungsmittel (aliphatische
Kohlenwasserstoffe) sowie Toluol und Xylol, welche im Sinne der BK Nr. 1317 und BK Nr. 1303 relevant seien. Die Voraussetzungen
für eine BK Nr. 1303 (Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol) oder eine BK Nr. 1317 lägen aus arbeitsmedizinischer
Sicht jedoch wegen des Fehlens einer neurologischen Befundes nicht vor. Eine exakte diagnostische Zuordnung der von dem Kläger
beklagten Gesichtsschmerzen sei nicht möglich, weshalb weiterhin von der Verdachtsdiagnose Gesichtsschmerz unklarer Genese
ausgegangen werde. Der von dem Kläger zur Untersuchung mitgebrachte Capalac Dickschichtlack habe zwar subjektiv ein Kribbeln
im Bereich der rechten Gesichtshälfte, Mundtrockenheit und ein Schwächegefühl in den Beinen hervorgerufen, objektiv seien
jedoch keine Veränderungen feststellbar gewesen. Auch bei der Exposition mit Kompactlasur über 20 Minuten, welche zusätzlich
mit Toluol und Xylol versetzt worden sei, seien keine gesundheitlichen Beschwerden, auch nicht in Form von Kribbeln oder Luftnot,
angegeben worden.
Der vom Kläger vermutete Zusammenhang mit aromatenfreien Lacken lasse sich bei genauer Betrachtung der chemischen Zusammensetzung
nicht ohne Weiteres bestätigen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass auch Produkte mit aromatischen Kohlenwasserstoffen die
Beschwerden ausgelöst hätten. Auch der Verdacht auf eine Auslösung der Beschwerden des Klägers durch 2- Butanonoxim oder Methylethylketoxim
habe sich nicht bestätigen lassen. Zu diesen Stoffen fehle es an dem Nachweis einer Neurotoxizität beim Menschen. Anhaltspunkte
für eine Erkrankung nach §
9 Abs.
2 SGB VII lägen nicht vor.
Die Gewerbeärztin Dr. E. vertrat am 07.07.2006 ebenfalls die Auffassung, dass die vom Kläger geschilderten Beschwerden zwar
berufsbedingt seien, jedoch versicherungsrechtlich nicht erheblich.
Ergänzend gab der Gutachter Dr. T. am 01.08.2006 auf Nachfrage der Beklagten an, dass die Berufsgruppe der Maler und Lackierer
in keinem höheren Maße an einer Trigeminusneuralgie leide als die übrige Bevölkerung, wobei nationales und internationales
Schrifttum berücksichtigt worden sei.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26.09.2006 die Anerkennung der Gesichtsschmerzen des Klägers (Verdacht auf Trigeminusneuralgie),
des Taubheitsgefühls der Hände und Füße, der Kraftlosigkeit in den Armen und Beinen und das Zittern der Hände als Folgen einer
BK ab. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 1303 oder 1317 der Anlage zu
BKV lägen nicht vor, wozu auf die Ausführungen des Gutachters verwiesen wurde. Auch bei neurologischen Untersuchung durch Dr.
P. habe sich kein krankhafter Befund auf neurologischem Gebiet gezeigt. Eine Anerkennung als Wie-BK nach §
9 Abs.2
SGB VII scheide aus, da das Tatbestandsmerkmal der gruppentypischen Risikoerhöhung nicht erfüllt sei. Es sei nicht erkennbar, dass
Maler in höherem Maße an einer Trigeminusneuralgie litten als die übrige Bevölkerung.
Seinen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass die beklagten Beschwerden eindeutig im Zusammenhang mit der Verarbeitung
von aromatenfreien Lacken aufträten. Soweit der Gutachter einen Zusammenhang verneine, sei dies fehlerhaft. Auch sei die Gruppe
der Maler und Lackierer einem wesentlich höheren Risiko der Erkrankung an den von ihm geschilderten Symptomen ausgesetzt als
die übrige Bevölkerung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31.07.2008 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen, wozu die Beklagte erneut auf
das Gutachten verwies. Der von dem Kläger vorgebrachte Hinweis auf zwei Arbeitnehmer mit ähnlichen Symptomen wie bei ihm könne
nicht ausreichen, um den Tatbestand der gruppentypischen Risikoerhöhung zu erfüllen.
Der Bevollmächtigte des Klägers hat am 18.08.2008 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Das SG hörte zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen an. Der Allgemeinmediziner Dr. D. gab am 23.09.2008
an, dass es bei dem Kläger in den letzten drei Jahren vermehrt zu Atemnotzuständen beim Umgang mit bestimmten Lacken gekommen
sei. Der Kläger habe dann intermittierende spastische Bronchitiden sowie Schwindelattacken, Kopfschmerzen und Bauchschmerzen
erlitten.
Der Dermatologe Dr. Sch. teilte am 02.10.2008 mit, dass sich bei dem Kläger nach Kontakt mit aromatenfreien Lacken eine objektiv
nachweisbare Schwellung der rechten Wangenseite entwickelt habe. Subjektiv sei über Sehstörungen rechts, eine Trockenheit
der Mundschleimhautregion sowie Pelzigkeitsgefühl im Mund geklagt worden. Diese Symptome hätten im zeitlichen Verlauf jeweils
zugenommen. Bei einer Allergietestung am 07.11.2005 habe sich bei dem Kläger eine Schwellung der rechten Gesichtshälfte gezeigt.
Es werde von einer anaphylaktoiden bzw. neurotoxischen Reaktion auf Bestandteile aromatenfreier Lacke ausgegangen.
Der Neurologe Dr. R. gab am 19.01.2009 an, den Kläger lediglich einmalig am 25.02.2008 untersucht zu haben. Der Kläger habe
über ein Taubheitsgefühl im rechten Gesichtsbereich sowie in den Extremitäten geklagt, sobald er Lösungsmittel einatme. Eine
eindeutige Diagnose habe nicht gestellt werden können, Hinweise für eine Polyneuropathie hätten sich nicht ergeben. Ein durch
Lösungsmittel ausgelöster Gefäßspasmus werde jedoch als Symptomatik im Sinne einer TIA [Transitorische ischämische Attacke
= Durchblutungsstörung des Gehirns, welche neurologische Ausfallserscheinungen hervorruft] diskutiert.
Der Neurologe und Psychiater Dr. P. erklärte am 03.02.2009, dass er bei dem Kläger lediglich einen Gesichtsschmerz rechts
unklarer Genese festgestellt habe. Diesen habe der Kläger allerdings über einen Zeitraum von neun Monaten lang geklagt. Der
Schmerz sei durch Kälte auslösbar und könne bis zu mehreren Stunden dauern. Die Kernspintomographie des Schädels habe indes
einen regelrechten Befund geboten. Die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang mit einer Exposition gegenüber Lacken könne
er aufgrund des Interessenkonfliktes als behandelnder Arzt nicht beantworten.
Der Dermatologe Dr. M. teilte am 20.02.2009 mit, dass der Kläger gegenüber Stoffen exponiert gewesen sei, welche bei den BKen-Nr.
1303 und 1317 aufgeführt seien. Die durchgeführten Untersuchungen hätten Veränderungen gezeigt, welche die Diagnose einer
toxischen Enzephalopathie unterstrichen. Dies sei auch durch laborchemische Untersuchungen bestätigt worden. Ergänzend hierzu
seien die Untersuchungen in der PET-Untersuchung für entsprechende Einwirkungen typisch, sodass er die Erkrankung des Klägers
auf die berufliche Exposition zurückführe.
Die Beklagte entgegnete auf die Ausführungen des Dr. M., dass eine toxische Enzephalopathie nach den in den Verwaltungsakten
enthaltenen Befundberichten nicht festgestellt worden sei und neben den anamnestischen Angaben hierfür auch ein entsprechender
psychopathologischer Befund bzw. ein objektiviertes psychologisches Untersuchungsverfahren erforderlich sei. Insoweit sei
nach wie vor das Gutachten des Prof. T. vom 13.06.2006 schlüssig und überzeugend.
Das Gericht beauftragte daraufhin den Neurologen und Psychiater Dr. L. mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens.
In dem Gutachten vom 14.12.2009 ist angegeben, dass der Kläger unter einer dysfunktionalen Myoarthropathie rechtsseitig und
einer alten Wurzelreizsymptomatik S 1 rechts leide. Im Übrigen sei der neurologische Befund unauffällig. Der Kläger habe einen
überdurchschnittlichen Intelligenzquotienten (IQ) und eine durchschnittliche Arbeitsgeschwindigkeit und Gedächtnisspanne aufgewiesen.
Es hätten sich Hinweise auf eine depressive Stimmung ergeben, wobei die Auswertung des strukturierten Fragebogens simulierter
Symptome auf eine Simulation hinweise. Insgesamt sei eine neurotoxische Erkrankung seiner Einschätzung nach ausgeschlossen.
In diesem Zusammenhang sei auf die Gesichtsasymmetrie des Klägers und die Okklusion (Bissfehlstellung) hinzuweisen, welche
Schmerzen beim Öffnen und Schließen des Kiefers und entsprechende Schmerzen beim Druck auf das Kiefergelenk mit dem typischen
Ausstrahlungen in den Kiefer erklären könne. Darüber hinausgehende Ausfälle oder spezielle Hinweise auf eine Trigeminusneuralgie
hätten sich nicht finden lassen. Demgegenüber sei bereits in der Universitätsklinik T. 2005 eine craniomandibuläre Dysfunktion
festgestellt worden, wobei auch eine Störung der Okklusion nachgewiesen worden sei. Bei diesem Krankheitsbild sei die Fehldiagnose
einer Trigeminusneuralgie häufig. Keinesfalls sei jedoch insoweit der Zusammenhang mit einer BK zu attestieren. Zwar seien
nach den Sicherheitsdatenblättern bei dem Kontakt des Klägers mit den in den Lacken enthaltenen Substanzen (weitgehend entaromatisierte
Kohlenwasserstoffe, Toluol und Xylol, etc.) Hautreizungen bei Berührungen und pneumologisch relevante Erkrankungen durch Inhalation
möglich. Die Beschwerdeschilderung beschränke sich jedoch auf Lähmungserscheinungen bzw. Gefühlsstörungen im Gesicht, an den
Extremitäten und Schwindel. Deswegen werde der im aktuellen Beschwerdevortrag berichtete Schwindel unspezifisch als flüchtige
vegetative Begleitreaktion im Rahmen einer Inhalation übelriechender Substanzen eingeordnet, was auch für die angegebenen
Schwächeempfindungen gelte. Es sei darauf hinzuweisen, dass beim Kläger im Rahmen mannigfaltiger Untersuchungen neurophysiologischer
Art keine neurologische Störung habe objektiviert werden können.
Anschließend wurde auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers ein weiteres Gutachten bei dem Internisten, Nephrologen und Umweltmediziner
Prof. Dr. H. angefordert. In dem Gutachten vom 17.05.2010 wird ausgeführt, dass bei dem Kläger das Krankheitsbild einer toxischen
Enzephalopathie und einer neuralgieformen Schmerzsymptomatik nach Exposition mit volatilen Substanzen festzustellen sei. Ferner
leide der Kläger unter einer genetisch reduzierten Enzymaktivität, deutlich vermehrten Entzündungszeichen und einer autonomen
Dysfunktion. Bei dem Kläger bestehe seit über zehn Jahren eine Exposition gegenüber Stoffen, welche in den BKen Nr. 1303 und
1317 in der Liste der Berufskrankheiten aufgeführt seien. Die Differenzialdiagnose einer craniomandibulären Dysfunktion durch
den Vorgutachter sei dadurch widerlegt, dass der Kläger bei der Exposition gegenüber Lacken eine Schwellung der Gesichtshälfte
aufgewiesen habe, welche sich nach Expositionsvermeidung zurückgebildet habe. Die Beschwerden seien reproduzierbar und würden
bei jedem Kontakt mit Toluol und Xylol auftreten. Die Kausalität der Symptomatik sei durch das stereotype Auftreten der Symptome
bei der Exposition mit den Lösungsmitteln seit 2002 und die Rückbildung der Symptome nach Expositionsvermeidung nachgewiesen.
Die diagnostizierte Enzephalopathie sei mit Wahrscheinlichkeit im Sinne der Entstehung auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen,
da die Exposition mit den Substanzen regelmäßig die angegebene Beschwerdesymptomatik auslöse. Dem Gutachten war das neurologische
Zusatzgutachten durch Dr. G.-B. beigefügt, wonach bei dem Kläger eine Enzephalopathie und eine neuralgieforme Schmerzsymptomatik
vorliege, jedoch kein Hinweis auf fokale oder generalisierte pathologische Funktionsstörungen des zentralen oder peripheren
Nervensystems.
Die Beklagte wies erneut daraufhin, dass für die Diagnose einer toxischen Enzephalopathie neben den anamnestischen Angaben
auch ein psychologischer Befund aufgrund von psychologischen Testverfahrens zu objektivieren sei, welche indes weder von Prof.
Dr. H. noch von Dr. G.-B. durchgeführt worden seien. Neurotoxisch begründbare Defizite am peripheren und am zentralen Nervensystem
lägen nicht vor, weswegen Dr. L. und Prof. Dr. T. zu folgen sei.
Der Gutachter Dr. L. führte in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 12.05.2011 aus, das Prof. Dr. H. im eigenen
Untersuchungsbefund im Hirnnerven- und Pupillenbereich keinen krankhaften Befund festgestellt habe. Seine Ausführungen seien
als unauffälliger Befund zu bewerten, auch wenn der Stehversuch mit geschlossenen Augen nicht durchführbar gewesen sein soll.
Es sei nicht erklärbar, weshalb Prof. Dr. H. die Diagnose einer Enzephalopathie und einer neuralgieformen Schmerzsymptomatik
aufgestellt habe. Auch sei die bei Dr. G.-B. durchgeführte neurologische und neurophysiologische Untersuchung unauffällig
gewesen. Die Gutachten seien nicht begründet, widersprüchlich und selbst beim besten Willen für ihn nicht verständlich.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22.06.2011 abgewiesen. Die für die Anerkennung der geltend gemachten BKen erforderlichen Voraussetzungen
seien nicht nachweisbar, was zu Lasten des Klägers gehe. Es habe nicht im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen werden können,
dass der Kläger unter einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie im Sinne einer BK Nr. 1317 der Anlage 1 zur
BKV leide. Zwar habe auch Prof. Dr. T. festgestellt, dass bei dem Kläger eine Exposition gegenüber organischen Lösungsmitteln
in Form von aliphatischen Kohlenwasserstoffen vorliege. Die für die Anerkennung einer dieser Erkrankungen erforderliche neurologische
Untersuchung des Klägers habe jedoch in keinem Fall den Nachweis einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie erbracht. Soweit
für den Nachweis dieser Erkrankung auf anamnestische Angaben verwiesen werde, seien diese erstmalig gegenüber Prof. Dr. H.
in entsprechender Weise getätigt worden. Prof. Dr. H. habe selbst keinen Inhalationstest durchgeführt, sondern sich insoweit
alleine auf die Angaben des Klägers gestützt. Auch habe Prof. Dr. H. bzw. Dr. G.-B. nicht die erforderlichen psychologischen
Testverfahren durchgeführt, wohin gegen die entsprechenden Testungen durch Dr. L. zur Verneinung der Diagnose einer Enzephalopathie
führten. Auch sei eine Erkrankung gemäß der BK Nr. 1303 der Anlage zur
BKV, also eine solche durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol, nicht gegeben. Zwar sei auch hier eine einschlägige Exposition
nachgewiesen. Der objektive Nachweis einer einschlägigen Schädigung des Klägers sei mit den Gutachten des Prof. Dr. T. und
des Dr. L. schlüssig verneint worden. Da für Maler keine gruppenspezifische Risikoerhöhung hinsichtlich der geltend gemachten
Beschwerden bestehe, scheide auch die Anerkennung einer Wie-BK nach §
9 Abs.
2 SGB VII aus.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben am 22.07.2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt.
Entgegen der Auffassung des SG seien die Gutachten von Prof. Dr. H. und Dr. G.-B. schlüssig und überzeugend.
Im Berufungsverfahren haben die Bevollmächtigten eine Bescheinigung des Dermatologen und Umweltmediziners Dr. M. aus K. vom
24.02.2012 eingereicht, wonach der Kläger an einer toxischen Enzephalopathie infolge seiner Tätigkeit als Maler leide. Hierbei
handele es sich um eine klinische Diagnose, für die es keine beweisende oder widerlegende Diagnostik gebe. Der Kläger befand
sich vom 10.11.2011 bis zum 01.12.2011 auf eigene Kosten zu einer "Entgiftungsbehandlung" in der Spezialklinik N.en, wo unter
anderem ein multiples Chemikaliensyndrom mit toxischer Enzephalopathie und Polyneuropathie diagnostiziert wurde.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22.06.2011 und den Bescheid der Beklagten vom 26.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 31.07.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die beim Kläger vorliegende neurologische Erkrankung als Berufskrankheit
Nr. 1303 der Anlage 1 zur
BKV, Nr.
1317 der Anlage 1 zur
BKV oder als Quasi-Berufskrankheit nach §
9 Abs.
2 SGB VII anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf das aktuelle Gutachten von Prof. Dr. Dr. K ...
Am 02.03.2012 wurde im LSG ein Erörterungstermin durchgeführt, in welchem der Kläger auf den Bezug von Rente wegen Berufsunfähigkeit
aus privaten Versicherungen hingewiesen hat. Im Anschluss hieran wurden die Versicherungsunterlagen des Klägers bei der A.
M. Versicherung und bei der Allianz Versicherung beigezogen und eine sachverständige Zeugenauskunft der behandelnden Ärztin
Dr. A. von der Spezialklinik N.en angefordert. Insoweit wird auf die in der LSG-Akte enthaltenen Kopien und die Stellungnahme
von Dr. A. sowie die in Kopie übersandten weiteren Befundberichte Bezug genommen.
Der Kläger hat seinen Malerbetrieb im September 2012 aus gesundheitlichen Gründen verkauft.
Der Arbeits- und Umweltmediziner Prof. Dr. Dr. K. hat in einem am 28.03.2013 für das LSG erstellten Gutachten den Standpunkt
der Beklagten gestützt. Bei dem Kläger bestünden ein Multiple Chemical Sensitivity (MCS)-Syndrom ICD-10 F 59, eine somatoforme
autonome Funktionsstörung mit Angioödem und Kribbelparästhesien ICD-10 F 45.3 und eine craniomandibuläre Dysfunktion. In der
Verursachung dieser Diagnosen komme der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Maler und Lackierer keine überragende Bedeutung
zu; vielmehr sei die Ursache in der Person des Versicherten zu sehen. Die beruflichen Einwirkungen hätten auch nicht die Bedeutung
einer wesentlichen Mitursache. Weder die Voraussetzungen einer BK 1303 oder 1317 noch diejenigen einer Wie-BK nach §
9 Abs.
2 SGB VII seien erfüllt.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten
sowie die Akten des SG und des LSG Bezug genommen.
Klarstellend und abweichend von der früheren gelegentlichen Verwendung des Begriffs durch den 2. Senat des BSG (vgl. BSG vom 02.05.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr. 16; BSG vom 04.12.2001 - B 2 U 37/00 R - SozR 3-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 1) hat das BSG in der genannten Entscheidung betont, dass im BK-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und
den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann. Durch diesen Zusammenhang wird keine Haftung
begründet, weil Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit angesichts ihrer zahlreichen möglichen Erscheinungsformen und
ihres unterschiedlichen Ausmaßes nicht zwangsläufig schädigend sind. Denn Arbeit - auch körperliche Arbeit - und die damit
verbundenen Einwirkungen machen nicht grundsätzlich krank. Erst die Verursachung einer Erkrankung durch die der versicherten
Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden
und Unfallfolge beim Arbeitsunfall (vgl. nur BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, jeweils Rn. 10) ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung
und den BK-Folgen, die dann ggf. zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der BK keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.
Für die Anerkennung einer BK 1317 fehlt es bereits am Nachweis der Krankheitsbilder einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie,
wozu auf die Ausführungen der Gutachter Prof. Dr. Dr. K., Dr. L. und Prof. Dr. T. Bezug genommen wird. Die erstmalige ausführliche
Testung des Klägers auf die verdächtigten Substanzen führte nicht zum Nachweis einer einschlägigen Diagnose; die vom Kläger
geschilderten Gesichtsschmerzen konnten von Prof. Dr. T. weder objektiviert noch diagnostisch zugeordnet werden. Auch bei
der nachfolgenden Untersuchung durch den Gutachter Dr. L., bei der umfassende elektrophysiologische, elektromyographische
und elektroneurographische Messungen vorgenommen wurden, fanden sich keine Krankheitsbilder im Sinne der BK 1317. Dr. L. konnte
keinerlei neurologische Störung objektivieren, was sich mit den Ausführungen der als sachverständige Zeugen gehörten behandelnden
Neurologen Dr. R. (19.01.2009) und Dr. P. (03.02.2009) deckt.
Erst bei der anschließenden Untersuchung durch die Zusatzgutachterin Dr. G.-B. wurde eine Enzephalopathie durch Lösungsmittel
behauptet; allerdings hat sich Dr. G.-B. hierzu auf anamnestische Angaben des Klägers und nicht auf eigene Untersuchungsbefunde
gestützt, weswegen der Senat diesen Ausführungen einen geringeren Beweiswert beimisst. Auch die entsprechende Diagnose einer
Enzephalopathie durch den sachverständigen Zeugen Dr. M. (20.02.2009) überzeugt aus diesem Grund nicht. Die Übernahme dieser
Diagnose Dr. G.-B.s durch Prof. Dr. H. als Hauptgutachter ist nicht schlüssig, weil Prof. Dr. H. selbst darauf hinweist, dass
ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Exposition von Lösungsmitteln und dem Auftreten von Beschwerden erforderlich
ist, der vorliegend nicht feststellbar ist. Denn die Beschwerden des Klägers traten gerade zu einem Zeitpunkt auf und verstärkten
sich anschließend, als der Kläger seinen Betrieb auf die Verwendung lösungsmittelfreier Lacke umstellte, was einen untypischen
Krankheitsverlauf darstellt. Die Diagnose einer Enzephalopathie durch Prof. Dr. H. beruht nicht auf einer eigenen Befundung,
sondern auf der Übernahme dieser Diagnose von Dr. G.-B ... Der von Prof. Dr. H. vertretene Schweregrad IIa dieser Erkrankung
geht zudem mit kognitiven Leistungsminderungen und Persönlichkeitsänderungen einher, welche vorliegend nicht nachgewiesen
wurden.
Die Diagnose einer Enzephalopathie wurde dann von Dr. A. von der Spezialklinik N.en übernommen und um die Diagnose einer Polyneuropathie
ergänzt (bestätigt in der sachverständigen Zeugenaussage vom 27.07.2012). Insoweit ist mit dem Gutachter Prof. Dr. Dr. K.
darauf hinzuweisen, dass eine nachvollziehbare Diagnostik anhand der Kriterien für den Nachweis dieser Erkrankungen nicht
erfolgt ist. Allerdings hat Dr. A. erstmals ein MCS benannt, welches die Beschwerden des Klägers zu erklären vermag und welches
schließlich auch von Dr. K. bestätigt worden ist. Allerdings ist das MCS nicht Gegenstand der Anerkennung einer BK Nr. 1317.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.