Tatbestand
Der Kläger begehrt wegen der gesundheitlichen Folgen einer dem Grunde nach als Berufskrankheit (BK) nach den Nrn. 2108 und
2110 der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) anerkannten bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) die Gewährung von Verletztenrente. In der Sache
streiten die Beteiligten über die Gültigkeit, insbesondere die Verfassungsmäßigkeit, des §
80a Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII).
Der 1953 geborene Kläger verrichtete von 1967 bis zum 31.12.2012, unterbrochen nur von der Tätigkeit als Wehrdienstleistender
für die Deutsche Bundeswehr im Zeitraum vom 01.03.1973 bis 01.06.1974, überwiegend körperlich schwere Tätigkeiten in einem
landwirtschaftlichen Betrieb. Aus den Angaben des Klägers zur Beschäftigung (Erklärung vom 13.06.2014, Bl. 19/1 Verwaltungsakte
der Beklagten - VA) und den Erhebungen des Präventionsdienstes der Beklagten (Arbeitsplatzanalyse vom 10.09.2014, Bl. 36/4
VA) ergibt sich, dass er den elterlichen Betrieb bis 1985 gemeinsam mit seinem Vater bewirtschaftete. Danach, seit dem 01.01.1986,
war er bis zur Verpachtung des Betriebes im Jahr 2012 als selbständiger landwirtschaftlicher Unternehmer im eigenen Betrieb
tätig. Im Obst- und Gemüsebau bei der Aussaat, Pflanzung, Pflege, Ernte, Verladung, dem Verkauf und dem Transport der Waren
habe er nach seinen Angaben in erheblichem Umfang schwere Lasten von Hand gehoben und getragen sowie Arbeiten in extremer
Rumpfbeugehaltung verrichtet. Darüber hinaus sei er beim Bewegen von Schleppern Ganzkörper-Schwingungen im Sitzen ausgesetzt
gewesen. Seine Tätigkeit als Landwirt mit Heben und Tragen schwerer Lasten und Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung gab
er gemäß schriftlicher Erklärung vom 22.04.2015 am 01.01.2013 endgültig auf.
Mit Fax vom 17.04.2013 beantragte der Kläger die Anerkennung einer BK 2108 ff.
Die Beklagte zog bei der Radiologischen Gemeinschaftspraxis E. die verfügbaren Befundberichte über den Kläger bei. Der Facharzt
für Innere Medizin Dr. F. erklärte mit Auskunft vom 16.07.2014 (Bl.28/1 VA), erstmals habe der Kläger ihn im Oktober 2012
wegen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen in der LWS in Anspruch genommen. Der Orthopäde B. berichtete mit Erklärung vom
11.07.2014 (Bl. 30/1 VA) von einer Behandlung seit März 1999 wegen ausgeprägter LWS-Beschwerden mit Ausstrahlung in das linke
Bein.
Mit Arbeitsplatzanalyse vom 10.09.2014 kam der Präventionsdienst der Beklagten zu dem Ergebnis, dass der Kläger von 1967 bis
2012 insgesamt 46 Jahre lang mit Tätigkeiten beschäftigt gewesen sei, bei denen er Belastungen durch Heben und Tragen schwerer
Lasten und/oder Ganzkörperschwingungen ausgesetzt gewesen sei. Der Präventionsdienst ermittelte nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell
(MDD) einen Dosiswert für das Heben und Tragen schwerer Lasten von 32.621.477 Nh, entsprechend 130,5% des Mindestdosiswertes
von 25 mal 106 Nh für Männer. Nach dem von Depuis vorgeschlagenen Ermittlungsverfahren zur Schwingungsbelastung ermittelte der Präventionsdienst
einen Dosiswert für Ganzkörperschwingungen von 643 (m/s2)2, entsprechend 44,4% des Dosisrichtwertes für Ganzkörperschwingungen, wobei dieser Wert von epidemiologischen Studien an Fahrern
schwerer Erdbaumaschinen abgeleitet sei.
Am 15.10.2014 erhob der Kläger Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Freiburg (SG).
Am 20.02.2015 erstattete der Facharzt für Orthopädie und Chirurgie Prof. Dr. S. ein Gutachten über den Kläger, der bei eingeschränkter
Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule (LWS) einen deutlichen Druck- und Bewegungsschmerz im Bereich der distalen LWS-Hälfte
feststellte. Dort bestünde eine paravertebrale druckschmerzhafte Muskelverspannung beidseits. Bei Überprüfung der Reklination
habe ein deutlicher praesacraler Schmerz bestanden. Im Röntgenbild bestünden im Bereich der LWS ausgeprägte degenerative Veränderungen
bei L4/5, geringer bei L5/S1. Bei L4/5 sei der Zwischenwirbelraum bis auf Strichweite eingeengt, umgeben von Sklerosierungen
der Grund- und Deckplatten und begrenzt durch ventrale und dorsale Spondylophyten. Auch der Zwischenwirbelraum L4/S1 (richtig
wohl: L5/S1) sei verschmälert mit dorsalen Ostephyten und dadurch nicht sicher abgrenzbarem Foramen intervertebrale. Er beurteilte
dies als ausgeprägte degenerative Veränderungen im Sinne einer Osteochondrose und Spondylose L4 bis S1. Darüber hinaus bestehe
eine Spondylarthrose der gesamten LWS, nach distal zunehmend. Durch die Befundberichte der behandelnden Ärzte, des Orthopäden
B. und des Hausarztes Dr. F., sei das Bestehen und die Behandlungsbedürftigkeit von Wirbelsäulenbeschwerden mit wechselndem
Verlauf bestätigt. Durch die an der unteren LWS zu findenden ausgeprägten degenerativen Veränderungen sei es zu einem chronisch
rezidivierenden Lumbalsyndrom gekommen. Der Befund sei in der Ausprägung altersuntypisch, konkurrierende Ursachen hätten sich
nicht gefunden. Wie für die Anerkennung der BK 2108 zu fordern, hätten sich röntgenologisch die wesentlichen belastungskonformen
Veränderungen im Bereich der LWS mit einem Verteilungsmuster der Bandscheibenschäden mit Zunahme von kranial nach kaudal gefunden,
wobei sich die krankhaften Veränderungen an den biomechanisch hochbelasteten Wirbelsäulenabschnitten der distalen LWS verstärkt
dargestellt hätten, verbunden mit einer Begleitspondylose. Eine ausreichende Exposition sei dokumentiert, eine plausible Korrelation
zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung gegeben. Da lumbalwärts auch eine Begleitspondylose bestehe, sei entsprechend
der Konstellation B 1 der Konsensempfehlung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einem Zusammenhang zwischen degenerativen
LWS-Veränderungen und beruflicher Belastung auszugehen und deswegen zu empfehlen, das Vorliegen einer BK 2108 anzuerkennen.
Beim Kläger bestehe eine schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung der LWS bei ausgeprägten degenerativen Veränderungen (Spondylose,
teilweise überbrückend, Osteochondrose, Spondylarthrose) bei Streckfehlhaltung. Daneben bestehe eine Funktionsbeeinträchtigung
der HWS bei degenerativen Veränderungen ohne Nervenkompressionssymptomatik. Im Bereich der LWS fänden sich ausgeprägte degenerative
Veränderungen im Sinne eines Bandscheibenschadens bei L4/5 (KE Grad III), L5/S1 (KE Grad II), an der HWS bei C6/7 (KE Grad
II). Prof. Dr. S. diagnostizierte eine rechtsbetonte chronisch rezidivierende Lumboischialgie bei Osteochondrose L4 bis S1
mit begleitender, bei L4/5 teilweise überbrückender ventraler Spondylose und durch Retrospondylophyten eingeengte Foramina
intervertebralia L4 und L5. Es handele sich dabei um eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Es fänden
sich keine für die Zusammenhangsbeurteilung bedeutsamen Erkrankungen des Skelettsystems oder sonstiger Systeme. Eine plausible
zeitliche Korellation der beruflichen Belastung zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS bejahte Prof.
Dr. S. und führte aus, dass das Schadensbild an der LWS belastungskonform im Sinne der Konsensempfehlungen sei. Die Bandscheibenschäden
an der LWS seien im Vergleich zu dem Bandscheibenschaden an der belastungsfernen HWS deutlich ausgeprägter. Ein Zwang zum
dauerhaften Unterlassen aller gefährdenden Tätigkeiten mit Heben und Tragen schwerer Lasten und extremer Rumpfbeugung bestehe
seit 2012. Als Folgen der Erkrankung bezeichnete er eine schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung der LWS mit Druck-, Belastungs-
und Bewegungsschmerz mit einer dadurch bedingten Beeinträchtigung beim Bücken, Heben und Tragen. Die MdE-Höhe betrage ausgehend
von den Konsensempfehlungen 20 v.H. Nach diesen Vorgaben seien die beim Kläger bestehenden Beeinträchtigungen als lokales
LWS-Syndrom mit mittelgradigen belastungsabhängigen Beschwerden und deutlicher Funktionseinschränkung in die Stufe II mit
einer mittelgradigen Leistungseinschränkung einzuordnen.
Mit Gerichtsbescheid vom 10.03.2015 wies das SG die Untätigkeitsklage des Klägers ab. Hiergegen erhob er Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 3 U 937/15).
Mit Bescheid vom 16.06.2015 erkannte die Beklagte eine Berufskrankheit nach Nr. 2108/2110 der Anlage zur
BKV mit einem am 01.01.2013 eingetretenen Versicherungsfall (erster Tag, an dem der Kläger keine wirbelsäulengefährdenden Tätigkeiten
mehr verrichtet habe) an. Die Gewährung von Verletztenrente lehnte sie ab. Als Folgen der Berufskrankheiten erkannte sie eine
rechtsbetont chronisch rezidivierende Lumboischialgie bei Osteochondrose L4-S1 mit begleitender, bei L4/5 teilweise überbrückender
ventraler Spondylose und durch Retrospondylophyten eingeengte Foramina intervertebralia L4 und L5, dadurch schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung
der Lendenwirbelsäule mit Druck-, Belastungs- und Bewegungsschmerz sowie dadurch bedingte Beeinträchtigung beim Bücken, Heben
und Tragen an. Unabhängig von der Erkrankung lägen ein Bandscheibenschaden der HWS, ein Zustand nach arthroskopischer Operation
des linken Knies wegen Innen- und Außenmeniskusläsion und eine als Folge eines Hörsturzes bestehende Gehunsicherheit, Schwerhörigkeit
links und Taubheit rechts vor. Die BK habe keine rentenberechtigende MdE zur Folge. Die Entscheidung stütze sich auf die vorliegenden
Berichte und Gutachten.
Hiergegen erhob der Kläger am 07.07.2015 Widerspruch. Vor dem Hintergrund des entsprechend positiv ausgefallenen Gutachtens
sei die Ablehnung komplett unverständlich. Weitere Ausführungen würden im Widerspruchsverfahren nicht getätigt werden.
Mit Fax vom 07.07.2015 erklärte der Kläger das Berufungsverfahren L 3 U 937/15 für erledigt.
Mit Schriftsatz vom 27.07.2015 führte der Kläger aus, dem Akteninhalt sei zu entnehmen, dass die Beklagte ab Eingang des Gutachtens
keine medizinischen Ermittlungen getätigt habe. Es sei kein Beratungsarzt eingeschaltet worden, es sei bis zum Bescheid bis
zum 16.06.2015 überhaupt nichts passiert. Also habe in der Sache irgendein Sachbearbeiter, Gruppenleiter oder Dezernent quasi
als Nichtmediziner im Sinne des Lesens aus einer Glaskugel gegen das Gutachten die Rente abgelehnt. Dabei handele es sich
um Willkür.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2015 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Das Vorliegen einer BK nach
Nr. 2108/2110 der Anlage 1 zur
BKV sei unstreitig und werde als solches durch den angefochtenen Bescheid anerkannt. Der Versicherungsfall sei am 01.01.2013
eingetreten. Sowohl nach den eigenen Angaben des Klägers am 18.02.2015 gegenüber dem Gutachter Prof. Dr. S. als auch nach
den schriftlichen Angaben des Klägers vom 22.04.2015 habe die endgültige und dauerhafte Aufgabe aller schädigenden Tätigkeiten
mit dem 01.01.2013 stattgefunden. Bis zur Verpachtung sei der landwirtschaftliche Betrieb vom Kläger selbst bewirtschaftet
worden. Ein Rentenanspruch bestehe nicht, da nach §
80a Abs.
1, §
56 SGB VII Anspruch auf eine Rente für Versicherte, die wie der Kläger die Berufskrankheit durch Tätigkeiten im eigenen landwirtschaftlichen
Betrieb erlitten hätten, nur bestehe, wenn die Erwerbsfähigkeit infolge des Versicherungsfalles um wenigstens 30 v.H. über
die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus gemindert sei. Grundlage des angefochtenen Bescheides sei das Gutachten von
Prof. Dr. S.. Danach lägen die im angefochtenen Bescheid näher bezeichneten gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Bereich
der Lendenwirbelsäule vor, die zu Schmerzen und dadurch bedingten Einschränkungen beim Bücken, Heben und Tragen führten. Der
Gutachter bewerte die dadurch hervorgerufene MdE mit 20 v.H. Die medizinische Einschätzung sei überzeugend und entspreche
den allgemeinen Richtlinien und Bewertungsgrundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung. Eine Rente könne somit nicht gewährt
werden.
Hiergegen hat der Kläger am 07.08.2015 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und zu deren Begründung ausgeführt, lediglich §
80a SGB VII sperre die Zahlung, weil eine MdE von 30 v.H. nicht erreicht werde. Diese Norm verstoße gegen Art.
3 Grundgesetz (
GG), weil kein sachlicher Grund erkennbar sei, weshalb jemand, der eine Berufskrankheit über eine landwirtschaftliche Tätigkeit
erlangt habe, als selbstständig Erwerbstätiger Verletztenrente nur bekomme, wenn eine MdE von 30 v.H. erreicht sei, wohingegen
in der allgemeinen Unfallversicherung eine MdE von 20 v.H. auch bei selbstständig Erwerbstätigen ausreiche. Es werde anheimgestellt,
ein konkretes Normenkontrollverfahren nach Art.
100 GG in Gang zu setzen. Verwiesen werde auf die Entscheidung des Sozialgerichts Fulda vom 09.10.2012 - S 4 U 156/10 -, welches eine verfassungskonforme Auslegung für notwendig erachte bei jemandem, der noch einer Beschäftigung neben der
Landwirtschaft nachgegangen sei, aber deutlich gemacht habe, dass die Norm eigentlich verfassungswidrig sei.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat ausgeführt, unstreitig sei, dass der Kläger als landwirtschaftlicher
Unternehmer eine anerkannte Berufskrankheit nach Nr. 2108/2110 der Anlage 1 zur
BKV erlitten habe. Unstreitig sei auch die Höhe der MdE von 20 v.H., welche sich aus dem Gutachten des Prof. Dr. S. ergebe. Das
Urteil des SG Fulda vom 11.09.2012, wonach sich der Anspruch aus §
56 SGB VII ergebe, weil §
80a SGB VII nicht verfassungsgemäß sei, da er gegen Art.
3 GG verstoße, sei noch nicht rechtskräftig. Unter dem Aktenzeichen L 3 U 231/12 sei seit 2012 ein Verfahren vor dem Hessischen LSG anhängig. Die Beklagte könne keine Verfassungswidrigkeit in §
80a SGB VII erkennen, da die Ungleichbehandlung der landwirtschaftlichen Unternehmer gegenüber versicherten Arbeitnehmern damit zu rechtfertigen
sei, dass es sich bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung nicht um eine Ablösung der Unternehmerhaftung handele, sondern
um eine genossenschaftlich organisierte Selbsthilfe der Unternehmer als Pflichtversicherung. Unter Berücksichtigung dieser
Tatsache habe der Gesetzgeber vor Einführung der Vorschrift mit Wirkung ab dem 01.01.2008 bei diesem Personenkreis eine Einschränkung
der Rentenansprüche zur Entlastung der Solidargemeinschaft für sachgerecht gehalten (BT-Drucksache 16/6984, S. 15 f., zu Art.
1 Nr. 7). Zu berücksichtigen sei auch, dass die betroffene Berufsgruppe der Landwirte selbst diese Einschränkung gefordert
habe, um die Beitragsbelastung zu reduzieren.
Nach Anhörung der Beteiligten mit Schreiben vom 22.10.2015 zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid hat das
SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30.11.2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es auf die Gesetzesbegründung zu § 80a Abs.
1 SGGB VII (BT-Drucksache 16/6984) Bezug genommen und ausgeführt, die Beschränkung des Rentenzugangs für Landwirte und ihre
im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten stelle zwar eine Ungleichbehandlung gegenüber den sonstigen Versicherten dar. Der
Wunsch der Kostensenkung und Beitragsentlastung sei allerdings ein sachlicher Grund, eine solche Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.
Eine Verfassungswidrigkeit der Regelung sei daher für das Gericht nicht erkennbar. Prof. Dr. S. habe in seinem Gutachten nachvollziehbar
ausgeführt, dass die beim Kläger vorliegenden Einschränkungen eine MdE von 20 v.H. rechtfertigten. Gründe, die gegen diese
Feststellung sprächen, seien von keiner Seite vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich. Der Kläger falle als Landwirt
unter die Regelung des §
80a Abs.
1 Satz 1
SGB VII, weshalb er keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente ab einer MdE von 20 v.H. habe.
Gegen den seinem Bevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 04.12.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 17.12.2015
Berufung eingelegt. Er hat ausgeführt, die Begründung des Gesetzentwurfs, die das SG im Wesentlichen zitiert habe, sei zynisch. Ein Landwirt habe sogar in erheblich größerem Maße als manch anderer gewerblicher
Arbeitnehmer eine Einkommenseinbuße, wenn er nicht mehr in der Lage sei tätig zu sein. Es liege ein Verstoß gegen Art.
3 GG vor, da der Landwirt eher zur sozial schützenswertesten Personengruppe gehöre. Ebenso verstoße die Regelung aufgrund der
zu hoch gesetzten Anforderungen gegen Art.
14 GG. Dies schon alleine vor dem Hintergrund, als Ansprüche aus dieser Sozialversicherung über eine lebenslange Beitragsleistung
entwickelt worden seien. Man müsse darüber nachdenken, inwieweit es überhaupt noch gerechtfertigt sei, die Landwirte in eine
Versicherungspflicht einzubeziehen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30.11.2015 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 16.06.2015 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2015 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der gesundheitlichen
Folgen der von der Beklagten anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 2108 und 2110 der Anlage 1 zur
BKV Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid für zutreffend und bezieht sich auf ihr Vorbringen gegenüber dem SG und die angefochtenen Verwaltungsakte.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten
der Beklagten und die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§
143,
144,
151 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 SGG), ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß §
54 Abs.
4 SGG zulässig. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 16.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 29.07.2015, mit welchem die Beklagte beim Kläger zwar Berufskrankheiten nach Nr. 2108 und 2110 mit einem am 01.01.2013
eingetretenen Versicherungsfall anerkannt, die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen der Berufskrankheit aber abgelehnt
hat. Nachdem der Kläger die streitbefangenen Bescheide nur teilweise, soweit die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente
aufgrund der anerkannten Berufskrankheiten abgelehnt hat, angefochten hat, ist allein dies Streitgegenstand des vorliegenden
Verfahrens, nicht aber die bestandskräftig gewordene und damit für die Beteiligten bindende (§
77 SGG) Anerkennung der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule des Klägers als Berufskrankheiten Nr. 2108 und 2110
mit einem am 01.01.2013 eingetretenen Versicherungsfall.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 16.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 29.07.2015 ist, soweit er hier noch streitgegenständlich ist, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat aufgrund der gesundheitlichen Folgen der von der Beklagten anerkannten Berufskrankheiten nach Nr. 2108 und
2110 der Anlage 1 zur
BKV keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztenrente. Da die Folgen der Berufskrankheiten hier nicht eine MdE von wenigstens
30 v.H. bedingen, steht einer Rentengewährung an den Kläger die vom Gesetzgeber mit Wirkung ab dem 01.08.2008 in das
SGB VII eingefügte Regelung des §
80a Abs.
1 SGB VII entgegen.
Rechtsgrundlage der Entscheidung sind im vorliegenden Fall die Vorschriften des
SGB VII. Der Kläger hat in der Erklärung vom 22.04.2015 angegeben, dass er seine berufliche Tätigkeit als Landwirt mit Heben und
Tragen schwerer Lasten und Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung am 01.01.2013 aufgegeben hat. Außerdem ist durch die
streitbefangenen Bescheide für die Beteiligten bindend festgestellt, dass der Versicherungsfall am 01.01.2013 und somit zeitlich
weit nach dem Inkrafttreten des
SGB VII am 1. Januar 1997 (Art 36 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes, §
212 SGB VII) eingetreten ist, so dass dessen Vorschriften Anwendung finden.
Nach §
26 Abs.
1 SGB VII haben Versicherte wegen nachgewiesener Gesundheitsschäden, deren wesentliche Ursache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
ein Versicherungsfall ist, Anspruch auf Entschädigungsleistungen u. a. in Form von Heilbehandlung (§
27 SGB VII) oder Geldleistungen (Verletztengeld < §
45 SGB VII> und Verletztenrente <§
56 SGB VII>). Nach §
56 Abs.
1 SGB VII erhalten Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall
hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert
und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall,
Anspruch auf Rente; die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens
10 v.H. mindern, vgl. §
56 Abs.
1 Satz 2 und
3 SGB VII.
Versicherungsfälle im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§
7 Abs.
1 SGB VII). BKen sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die
Versicherte bei einer der in den §§
2,
3 oder 6
SGB VII genannten Tätigkeiten erleiden (§
9 Abs.
1 Satz 1
SGB VII). Nach §
9 Abs.
1 Satz 2
SGB VII ist die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen
der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit
in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, wobei sie auch bestimmen kann, dass die Krankheiten
nur dann BKen sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur
Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheiten
ursächlich waren oder sein können. Von dieser Ermächtigung hat der Verordnungsgeber mit Erlass der Anl. 1 zur
BKV, die eine Liste der BKen enthält, Gebrauch gemacht.
Die
BKV umschreibt den Tatbestand der BK Nr. 2108 wie folgt: "Bandscheiben bedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges
Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller
Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich
waren oder sein können". Der Tatbestand der BK Nr. 2110 hat folgenden Wortlaut: "Bandscheiben bedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule
durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten
gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Erkrankung ursächlich waren oder
sein können."
Ausgehend von dem nicht angefochtenen und daher für die Beteiligten bindend gewordenen (s.o.) Teil des Bescheides vom 16.06.2015
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2015 stellt der Senat fest, dass beim Kläger BKen der Nummern 2108 und
2110 der Anlage 1 zur
BKV bestehen, mithin die o.g. Tatbestandsvoraussetzungen sowohl arbeitstechnisch als auch bezüglich des erforderlichen medizinischen
Befundes vom Kläger erfüllt werden, der Versicherungsfall am 01.01.2013 eingetreten ist und folgende Gesundheitsstörungen
Folgen der BKen sind: Eine rechtsbetont chronisch rezidivierende Lumboischialgie bei Osteochondrose L4-S1 mit begleitender,
bei L4/5 teilweise überbrückender ventraler Spondylose und durch Retrospondylophyten eingeengte Foramina intervertebralia
L4 und L5, dadurch schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung der Lendenwirbelsäule mit Druck-, Belastungs- und Bewegungsschmerz
sowie dadurch bedingte Beeinträchtigung beim Bücken, Heben und Tragen. Dies ist im Übrigen auch zwischen den Beteiligten unstreitig
(vgl. dazu aus neuerer Zeit BSG, Urteil vom 18.11.2015 - SozR 4-3800 § 1 Nr. 22 -, [...], Rn. 26).
Keinen rechtlichen Bedenken begegnet, dass die Beklagte die Wirbelsäulenerkrankung des Klägers zugleich sowohl als BK Nr.
2108 als auch als BK Nr. 2110 anerkannt hat. Mittlerweile ist höchstrichterlich anerkannt (BSG, Urteil vom 27.06.2006 - B 2 U 9/05 R - SozR 4-270 § 9 Nr. 8, [...], Rn. 18), dass wenn in Bezug auf eine Wirbelsäulenerkrankung die Tatbestandsvoraussetzungen
beider genannter BKen vorliegen, diese nebeneinander vorliegen können. In einem solchen Fall ist für beide BKen zusammen eine
einheitliche MdE festzusetzen.
Die anerkannten Folgen der BKen bedingen, wie von der Beklagten ihrer Entscheidung zugrunde gelegt, eine MdE von 20 v.H. Maßgebliche
Grundnorm für die Bemessung der Höhe der Verletztenrente ist §
56 Abs.
1 Satz 1
SGB VII. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall
hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet.
Sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes (§
56 Abs.
3 Satz 1
SGB VII); bei einer MdE wird Teilrente geleistet, die in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt wird, der dem Grad
der MdE entspricht (§
56 Abs.
3 Satz 2
SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens
ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§
56 Abs.
2 Satz 1
SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem
Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern
vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche
Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche
Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem
soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen
beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher
und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens
und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt
werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen
Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung
im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen
der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Für die Bestimmung der MdE legt der Senat neben der maßgeblichen unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, S. 511) insbesondere die Konsensempfehlungen ("Medizinische Beurteilungskriterien
zu bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS", Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung der HVBG eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe, veröffentlicht in: Trauma und Berufskrankheit 2005, Seite 211 ff, hier insbesondere
Teil II, S. 320 ff.) zugrunde. Diese stellen nach wie vor den aktuellen Stand der nationalen und internationalen Diskussion
zur Verursachung von Bandscheibenerkrankungen der LWS durch körperliche berufliche Belastungen dar (BSG Urteil vom 23.04.2015 - B 2 U 20/14 R -, a.a.O., Rn. 32 ff., vgl. auch Senatsurteile vom 12.06.2012 - L 1 U 1207/11 - und vom 20.07.2015 - L 1 U 2534/13 -). Hiernach entspricht eine MdE von 20 v.H. mittleren Leistungseinschränkungen wegen eines lokalen LWS-Syndroms oder lokalen
Wirbelsäulenkompressionssyndroms mit mittelgradigen belastungsabhängigen Beschwerden, einer Lumboischialgie mit belastungsabhängigen
Beschwerden und deutlichen Funktionseinschränkungen bzw. mittelgradigen Funktionseinschränkungen und Beschwerden nach Operation,
wodurch Einschränkungen für eine dauerhafte Zwangshaltung im Sitzen oder im Stehen sowie für ein mehr als gelegentliches Arbeiten
in gebückter Haltung und Handhaben schwerer Lasten begründet werden. Für eine MdE von 30 (statt wie bisher für eine MdE von
30 bis 40, vgl. Ludolph/Schürmann, Neubewertung der MdE bei unfallchirurgisch-orthopädischen Arbeitsunfall- und BK-Folgen in der gesetzlichen Unfallversicherung
(GUV), Der Medizinische Sachverständige (MedSach) 2016, 60 ff. [67]) bedarf es des Nachweises schwerer Leistungseinschränkungen
im Sinne eines lumbalen Wurzelkompressionssyndroms mit starken belastungsabhängigen Beschwerden und motorischen Störungen
funktionell wichtiger Muskeln, bzw. von starken Funktionseinschränkungen und Beschwerden nach einer Operation, wodurch das
Handhaben schwerer Lasten und Arbeiten in gebückter Körperhaltung nicht einmal mehr gelegentlich möglich sind.
Motorische Störungen funktionell wichtiger Muskeln oder starke belastungsabhängige Beschwerden sind beim Kläger nicht nachgewiesen.
Der Senat stützt seine diesbezügliche Überzeugung auf das im Wege des Urkundsbeweises verwertete Gutachten von Prof. Dr. S.,
der die Höhe der MdE durch die beim Kläger bestehende bandscheibenbedingte Erkrankung im Bereich der LWS nachvollziehbar mit
20 v.H. eingeschätzt hat. Über einen deutlichen Druck- und Bewegungsschmerz im Bereich der distalen LWS-Hälfte und einen deutlichen
praesacralen Schmerz bei Überprüfung der Reklination hinaus, die bis zu einem Winkel von 5° gelang, hat dieser keine wesentlichen
weiteren Beschwerden feststellen können. Weder besteht eine Fuß- oder Großzehenheber- oder -senkerschwäche noch hat Prof.
Dr. S. ein beeinträchtigtes Gangbild (Hinken) beschrieben. Eine Gehunsicherheit resultiert nach Angabe des Klägers aus Gleichgewichtsstörungen
aufgrund eines Hörsturzes. Das Untersuchungszimmer hat der Kläger aufrecht mit nicht hinkendem Gangbild betreten. Das Entkleiden
ist unbehindert und zügig erfolgt. Der Kläger hat selbst angegeben, dass sich nach dem Ende der körperlichen Belastung die
Wirbelsäulenbeschwerden deutlich gebessert haben.
Da die anerkannten Folgen der Berufskrankheiten Nr. 2108 und 2110 keine höhere MdE als 20 v.H. bedingen und weder vorgetragen
noch ersichtlich ist, dass beim Kläger weitere Versicherungsfälle vorliegen, aus denen eine MdE von mindestens 10 v.H. resultiert,
hat der Kläger keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztenrente, denn er hat die Berufskrankheiten Nr. 2108 und 2110
als landwirtschaftlicher Unternehmer erworben. Seit 1986 bis zum Eintritt des Versicherungsfalles, dem Zeitpunkt der Aufgabe
der gefährdenden Tätigkeit als selbständiger Landwirt am 01.01.2013, war der Kläger als Unternehmer eines landwirtschaftlichen
Unternehmens nach §
2 Abs.
1 Nr.
5 SGB VII kraft Gesetzes versicherungspflichtig in der gesetzlichen Unfallversicherung. §
80a SGB VII findet daher vorliegend Anwendung (§
221 Abs.
2 SGB VII).
Nach 80a Abs.
1 SGB VII haben Versicherte im Sinne des §
2 Abs.
1 Nr.
5 Buchstabe a und b
SGB VII abweichend von §
56 Abs.
1 Satz 1
SGB VII erst dann Anspruch auf eine Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem
Versicherungsfall hinaus um wenigstens 30 v.H. gemindert ist. § 56 Abs. 1 Satz 2 gilt mit der Maßgabe, dass die Vomhundertsätze
zusammen wenigstens die Zahl 30 erreichen müssen. §
80a Abs.
2 SGB VII bestimmt, dass für Versicherte im Sinne des §
2 Abs.
1 Nr.
5 Buchstabe a
SGB VII eine Rente für die ersten 26 Wochen nach dem sich aus §
46 Abs.
1 SGB VII ergebenden Zeitpunkt oder, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist, für die ersten 26 Wochen nach Eintritt des
Versicherungsfalls, nicht gezahlt wird.
Die Erhöhung der Mindest-MdE von 20 v.H. auf 30 v.H. für einen Anspruch auf Verletztenrente durch §
80a SGB VII ist jedenfalls für landwirtschaftliche Unternehmer wie den Kläger mit der Verfassung, insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz
aus Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz (
GG), vereinbar. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art.
3 Abs.
1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt sowohl für ungleiche
Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen. Dabei verwehrt Art.
3 Abs.
1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe,
die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Der Gleichheitssatz ist dann verletzt,
wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen
beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen
können (st. Rspr. des BVerfG, vgl. etwa Beschluss vom 07.02.2012 - 1 BvL 14/07 - SozR 4-7835 Art. 1 Nr. 1 - [...], Rn. 40 m.w.N., Beschluss vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, [...] Rn. 76 f.). Der allgemeine Gleichheitssatz verwehrt also dem Gesetzgeber nicht jegliche Ungleichbehandlung einzelner
Gruppen von Normadressaten. Er verlangt aber, dass ein hinreichender Sachgrund für eine Ungleichbehandlung besteht.
Durch §
80a Abs.
1 SGB VII werden Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens wie der Kläger, die einen Versicherungsfall erleiden, schlechter
gestellt als alle übrigen Versicherten, die zum nach §
2 SGB VII kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung pflichtversicherten Personenkreis gehören. Dasselbe gilt für ihre mitarbeitenden
Ehegatten bzw. Lebenspartner (§
2 Abs.
1 Nr.
5a SGB VII) und nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige (§
2 Abs.
1 Nr.
5b SGB VII). Letzteres ist im vorliegenden Fall aber nicht entscheidungserheblich, weil der Kläger die Berufskrankheiten Nr. 2108 und
2110 als Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens erworben hat. Demgegenüber stellen die freiwillig versicherten
Unternehmer (§
6 SGB VII) keine taugliche Vergleichsgruppe dar, denn sie können, anders als pflichtversicherte landwirtschaftliche Unternehmer, selbst
entscheiden, ob sie sich freiwillig versichern und damit in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung begeben wollen.
Für die Einschränkung des §
56 Abs.
1 Satz 1
SGB VII durch §
80a SGB VII für die Gruppe der Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens gibt es sachliche Gründe, die nach Auffassung des
Senats geeignet sind, die Ungleichbehandlung gegenüber den übrigen Pflichtversicherten zu rechtfertigen. Anders als bei den
gewerblichen Berufsgenossenschaften dient die landwirtschaftliche Unfallversicherung, soweit die landwirtschaftlichen Unternehmer,
ihre Ehegatten und die mitarbeitenden Familienangehörigen betroffen sind, nicht der Ablösung der sog. Unternehmerhaftung (vgl.
§§
104 ff.
SGB VII), sondern stellt eine genossenschaftliche organisierte Selbsthilfe der Unternehmer dar (vgl. Keller in: Hauck/Noftz
SGB VII, Stand 10/2014, §
80a, Rn. 2, 5). Der in der Gesetzesbegründung zu §
80a SGB VII (BT-Drucksache 16/6984 vom 07.11.2007, S. 15 f.) genannte Aspekt, dass es deshalb nicht geboten erscheint, immaterielle Schäden
- und bei niedrigen Erwerbsminderungsstufen von 20 oder 25 v.H. werden in der Regel nur immaterielle Schäden ausgeglichen
- im gleichen Maße wie bei versicherungspflichtig Beschäftigten (Arbeitnehmern) auszugleichen, stellt hiernach einen tauglichen,
aber nicht den alleinigen, Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung dar. Vielmehr kommt ausgehend von dem genossenschaftlichen
Charakter der landwirtschaftlichen Unfallversicherung dem Umstand, dass ausweislich der Gesetzesbegründung zu §
80a SGB VII (a.a.O.) der Berufsstand selbst eine Leistungseinschränkung vorgeschlagen hatte, um die Aufwendungen der landwirtschaftlichen
Berufsgenossenschaften zu reduzieren und die Beitragszahler finanziell zu entlasten, besondere Bedeutung als Rechtfertigungsgrund
für die Regelung des §
80a SGB VII zu, denn in Genossenschaften entscheiden deren Mitglieder selbst über ihre Statuten. Da die landwirtschaftlichen Unternehmer
nicht nur die durch die Regelung des §
80a SGB VII begründeten Nachteile, insbesondere einen erst ab einer MdE von 30 v.H. entstehenden Verletztenrentenanspruch, tragen müssen,
sondern als Beitragszahler auch in den Genuss der Vorteile der Regelung (Beitragsentlastung) kommen, vermag der Senat einen
Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz jedenfalls für die Gruppe der pflichtversicherten Unternehmer nicht zu erkennen.
Ob dies gleichermaßen auch für mitarbeitende Familienangehörige oder Ehegatten (insoweit abweichend SG Fulda, Urteil vom 11.09.2012
- S 4 U 156/10 -, [...], Rn. 45 ff., dazu Feddern in: jurisPK-
SGB VII, 2. Auflage 2014, §
80a SGB VII, Rn. 9) gilt, hatte der Senat hier nicht zu entscheiden.
Aus denselben Gründen vermag der Senat einen Verstoß gegen das in Art.
14 GG verankerte Eigentumsgrundrecht ebenfalls nicht zu erkennen. Anders als etwa in der gesetzlichen Rentenversicherung (dazu
BVerfG, Beschluss vom 18.02.1998 - 1 BvR 1318/86, 1 BvR 1484/86 -, BVerfGE 97, 271-297, [...], Rn. 58) erwerben Versicherte in der gesetzlichen Unfallversicherung keine Anwartschaften auf Leistungen als vermögenswerte
Rechtspositionen, die in vergleichbarer Weise dem Schutz des Grundrechts auf Eigentum unterfallen können. Die Bestimmungen
des
SGB VII über die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Unfallversicherung, die damit verbundene Beitragspflicht und die Beitragshöhe
sind insgesamt mit den Regelungen in Art.
2 Abs.
1, Art.
12 Abs.
1 und Art.
14 Abs.
1 GG vereinbar, wie das BVerfG für vergleichbare Systeme in anderen Zweigen der Sozialversicherung wiederholt entschieden und
ausführlich begründet hat (BVerfGE 10, 354, 371 ff; BVerfGE 12, 319, 323 ff; Kammerbeschluss vom 04.04.1989 - 1 BvR 685/88 - NJW 1990, 1653, jeweils für berufsständische Versorgungswerke; BVerfGE 44, 70, 89 ff für die gesetzliche Krankenversicherung der Landwirte). Generell wird dabei dem Gesetzgeber im Spannungsverhältnis
zwischen dem Schutz der Freiheit des Einzelnen und den Erfordernissen einer sozialstaatlichen Ordnung eine weite Gestaltungsfreiheit
bei der Ausgestaltung der Sozialversicherungssysteme zugebilligt (BSG, Urteil vom 11.11.2003 - B 2 U 16/03 R -, BSGE 91, 263-269, SozR 4-2700 § 150 Nr. 1, SozR 4-6030 Art. 81 Nr. 1, [...], Rn. 23). Anhaltspunkte dafür, dass die Grenzen dieser Gestaltungsfreiheit
bei der Schaffung der Regelung des §
80a SGB VII überschritten worden wären, sind dem Berufungsvorbringen nicht zu entnehmen, denn die Landwirte tragen eben nicht nur die
Nachteile der Regelung des §
80a SGB VII, sondern kommen durch die daraus resultierende Beitragsentlastung auch in den Genuss ihrer Vorteile.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.