Verletztenrente
Vorläufige Rentengewährung
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung einer höheren Verletztenrente für den Zeitraum vom 01.07.2000 bis 31.03.2003
streitig.
Der 1952 geborene Kläger erlitt am 09.05.2000 auf dem Weg von der Arbeit nach Hause mit seinem Motorrad einen Verkehrsunfall
und zog sich dabei Verletzungen der rechten Schulter zu. Zu den Einzelheiten wird auf den D-Arztbericht der Prof. Drs. A.
und B. vom 11.05.2000 verwiesen. Gestützt auf ein Gutachten des Prof. Dr. C. vom 03.11.2000 bewilligte die Beklagte mit Bescheid
vom 05.12.2000 Rente als vorläufige Entschädigung ab dem 01.07.2000 bis auf Weiteres unter Zugrundelegung einer Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 25 v.H. Gestützt auf eine weitere Begutachtung durch Prof. Dr. C. (Gutachten vom 29.03.2003),
in welchem dieser die MdE nunmehr mit 30 v.H. eingeschätzt hatte, gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 06.05.2003, zugestellt
am 07.05.2003, anstelle der bisherigen Rente als vorläufige Entschädigung Rente auf unbestimmte Zeit ab 01.04.2003 nach einer
MdE von 30 v.H.
Mit Schreiben vom 30.11.2012, Eingang bei der Beklagten am 03.12.2012, stellte der Kläger u. a. einen Überprüfungsantrag hinsichtlich
der Bescheide vom 05.12.2000 sowie vom 06.05.2003. Den Antrag auf Rücknahme der Bescheide vom 05.12.2000 und 06.05.2003 lehnte
die Beklagte mit Bescheid vom 13.01.2015 ab. Man habe die Gutachten aus den Jahren 2000 bis 2003 erneut geprüft und komme
zum Ergebnis, dass die Einschätzung von Prof. Dr. C. vollständig und korrekt sei. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies
die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.04.2015 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 24.04.2015 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben, mit der er eine Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 40 v.H. auch
für den Zeitraum vom 01.07.2000 bis 31.03.2003 begehrt hat. Zur Begründung hat er (teilweise sinngemäß) ausgeführt, er stehe
auf dem Standpunkt, der Bescheid über die vorläufige Entschädigung habe einen nur vorläufigen Charakter, weshalb es also überhaupt
keines Überprüfungsverfahrens bedürfe, sondern die Beklagte zu einer endgültigen Festsetzung der MdE für den streitigen Zeitraum
zu verurteilen sei. Für die Neufestsetzung bestünden keinerlei Fristen, denn der Wortlaut des §
62 Abs.
1 Satz 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) laute ja ausdrücklich "jederzeit". Hilfsweise beantrage er die Abänderung im Wege eines Überprüfungsverfahrens. Mit einer
weiteren, am 27.04.2015 beim SG erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren auf Rücknahme des Bescheides vom 06.05.2003 und höhere Rente ab 01.04.2003 weiter
verfolgt (dortiges Aktenzeichen S 3 U 1934/15).
Mit Gerichtsbescheid vom 28.12.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Da die vorläufige Rentengewährung für den Zeitraum, für den Rente gewährt werde, eine endgültige und
keine vorläufige Leistung sei, sei entgegen der Auffassung des Klägers kein Erlass eines endgültigen Bescheides erforderlich.
Unter Berücksichtigung insbesondere der Gutachten des Prof. Dr. C. stehe zur Überzeugung des SG im Übrigen fest, dass die unfallbedingte MdE im streitigen Zeitraum nicht höher als mit 25 v.H. einzuschätzen sei.
Gegen den dem Kläger am 12.01.2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 14.01.2016 Berufung eingelegt und zu deren
Begründung sein bisheriges Vorbringen wiederholt.
Er beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Dezember 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
vom 13. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2015 zu verurteilen,
für den Zeitraum vom 1. Juli 2000 bis 31. März 2003 anstelle des Bescheides vom 5. Dezember 2000 einen endgültigen Rentenbescheid
mit einer MdE von 40 v.H. für diesen Zeitraum zu erlassen,
hilfsweise,
den Bescheid vom 5. Dezember 2000 zurückzunehmen und ihm Verletztenrente nach einer MdE von 40 v.H. für den Zeitraum vom 1.
Juli 2000 bis 31. März 2003 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung ihres Antrags auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid. Zur weiteren Darstellung
des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die vorgelegten
Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß den §§
143,
144,
151 in Verbindung mit 105 Abs.
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige Berufung ist sowohl nach dem Haupt-, wie auch dem Hilfsantrag unbegründet.
Soweit der Kläger die "Ersetzung" der Entscheidung über eine vorläufige Rentengewährung durch eine endgültige Entscheidung
begehrt, hat bereits das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich bei der mit Bescheid vom 05.12.2000 verfügten vorläufigen Rentengewährung weder
um eine vorläufige Leistung im Sinne des §
43 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) noch um einen Vorschuss im Sinne des §
42 SGB I handelt. Vielmehr handelt es sich bei der vorläufigen Entschädigung für die hiervon erfassten Zeiträume um eine endgültige
und nicht nur vorläufige Leistung (Ricke, in Kasseler Kommentar,
SGB VII, §
62 Rn. 3; Padé, in jurisPK-
SGB VII, 2. Auflage 2014, §
62 Rn. 10). Eine "endgültige" Entscheidung mit der Folge einer Erledigung des Bescheides über Rente als vorläufige Entschädigung
vom 05.12.2000 ist daher weder erforderlich noch statthaft. Die Gewährung einer Rente als vorläufige Entschädigung gemäß §
62 SGB VII ermöglicht vielmehr (lediglich) eine Abweichung zur Jahresfrist des §
74 SGB VII (vgl. §
62 Abs.
1 Satz 2
SGB VII) sowie zu den Vorschriften des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Nur im Rahmen seines Anwendungsbereichs ist §
62 SGB VII lex specialis und verdrängt dort insbesondere § 48 SGB X (BSG, Urteil vom 16.03.2010, B 2 U 2/09 R, [...]). Dem Hauptantrag des Klägers ist bereits aus diesem Grund der Erfolg versagt.
Aber auch der hilfsweise erfolgte Antrag auf Rücknahme des Bescheides vom 05.12.2000, soweit darin (nur) eine Rente nach einer
MdE um 25 v. H. für den streitigen Zeitraum festgesetzt ist, bleibt ohne Erfolg.
Anspruchsgrundlage hierfür ist, wie das SG zutreffend entschieden hat, § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. § 44 SGB X wird vorliegend nicht von der Spezialermächtigung des §
62 Abs.
2 Satz 2
SGB VII verdrängt, weil bereits der Anwendungsbereich dieser Spezialermächtigung nicht eröffnet ist. Denn §
62 SGB VII ist nur spezieller, wenn und solange es speziell um die Änderung, Aufhebung oder Ersetzung von "vorläufigen" Feststellungen
eines Rentenanspruchs in der gesetzlichen Unfallversicherung bis zum Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall geht.
Soweit indes nach einer "vorläufigen" Feststellung des Rechts unter Abänderungsvorbehalt der Dreijahreszeitraum abgelaufen
ist, so dass der Änderungsvorbehalt kraft Gesetz entfallen und dadurch die ursprünglich "vorläufige" Feststellung zu einer
solchen über den Dauerrentenanspruch geworden war, sind für eine nun zu treffende abweichende Entscheidung über den Anspruch
die allgemeinen Vorschriften der §§ 44 ff. SGB X einschlägig (BSG a.a.O.). Dies gilt in gleicher Weise im hier vorliegenden Fall einer noch innerhalb des Dreijahreszeitraums erfolgten ausdrücklichen
Feststellung als Rente auf unbestimmte Zeit. Der Dreijahreszeitraum ist vorliegend bereits seit langem abgelaufen, weshalb
der Anspruch des Klägers sich nach § 44 SGB X bemisst. Es kann deshalb offenbleiben, ob §
62 SGB VII in seinem Anwendungsbereich auch § 44 SGB X verdrängt oder ob, was Sinn und Zweck der Norm sowie deren Wortlaut nahelegt, lediglich § 48 SGB X verdrängt wird (so im Ergebnis auch Ricke, a.a.O., Rn. 9).
Ein Anspruch auf höhere Rentenleistungen im hier streitigen Zeitraum nach dem damit alleinig als Anspruchsgrundlage für das
Klägerbegehren in Betracht kommenden § 44 SGB X besteht nicht. Gemäß § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden
ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ist ein Verwaltungsakt
mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile
dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahre vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird
(§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Gemäß § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X tritt im Falle, dass die Rücknahme auf Antrag erfolgt, bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen
zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag. Bei einer Antragstellung am 03.12.2012 sind demnach Sozialleistungen
gemäß § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X längstens für den Zeitraum bis einschließlich 01.01.2008 rückwirkend zu erbringen. Die vom Kläger geltend gemachte höhere
Verletztenrente für die Zeit vom 01.07.2000 bis 31.03.2003 fällt demnach nicht mehr in diesen Zeitraum, so dass ein Anspruch
des Klägers auf höhere Rente bereits aus diesem Grund ausscheidet.
Kann damit die Rücknahme des Bescheides vom 05.12.2000 auch bei unterstellter Rechtswidrigkeit keine Auswirkungen mehr haben,
besteht von vornherein kein Überprüfungsanspruch mehr (BSG, Urteil vom 06.03.1991, 9b RAr 7/90, [...]; Beschluss vom 26.10.1994, 8 BH (Kn) 1/94). Die Prüfung, ob der Bescheid vom 05.12.2000
rechtswidrig gewesen ist, ist deshalb entbehrlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.