Gründe:
I. Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vom
Hundert (v. H.) streitig.
Der 1952 in der T. geborene Kläger erlitt am 25. November 2005 als Montagehelfer (Drahtzieher) bei der Firma G. eine Abtrennung
des distalen Fingeranteils des rechten Zeigefingers sowie des Endglieds des rechten Mittelfingers mit langstreckigem Ausriss
des Gefäßnervenbündels. Der Kläger war an der Drahtziehermaschine in eine Drahtschlinge geraten und beim Zuziehen der Drahtschlinge
wurden die Finger abgetrennt. Es zeigten sich stark kontusionierte Wundränder, am Zeigefinger fehlte der Ansatz der Beugesehne.
Er wurde noch am selben Tag im Schwarzwald-Baar-Klinikum V.-S. operativ versorgt. Dabei wurde eine Stumpfbildung des rechten
Zeige- und Mittelfingers subkapital in Mittelgliedshöhe durchgeführt. Eine Replantation war nicht sinnvoll, da die Amputate
so zerquetscht und avital waren. Der Kläger befand sich bis einschließlich 30. November 2005 in der stationären Heilbehandlung
(vgl. Bericht des PD Dr. G. vom 1. Dezember 2005).
Der Kläger beantragte die Gewährung einer Rente und verwies auf die weiterhin gefährliche Situation an der Maschine. Die Beklagte
veranlasste daraufhin eine chirurgische Begutachtung. Dr. Z. beschrieb eine Stumpfbildung auf Mittelgliedhöhe D II und D III
der rechten Hand bei reizlosen Narben und einer Beugekontraktur im Pip-Gelenk von 30°. Er schätzte die MdE bis auf Weiteres
auf 20 v. H. Da der Kläger eine traumatische Verarbeitungsstörung der Ereignisse angegeben hatte, empfahl er eine psychiatrische
Begutachtung.
Mit Bescheid vom 14. August 2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine vorläufige Entschädigung für den Zeitraum vom 6.
Februar bis 31. August 2006 nach einer MdE von 20 v. H. Als Unfallfolgen wurden Bewegungseinschränkungen sowie Beugefehlstellungen
des Zeige- und Mittelfingers nach Verlust der Endglieder des Zeige- und Mittelfingers mit Ausriss des Gefäßnervenbündels am
Mittelfingerendglied aufgeführt.
Auf den Weiterzahlungsantrag des Klägers veranlasste die Beklagte eine nervenärztliche und orthopädische Begutachtung. Dr.
St. schloss eine psychische Störung von Krankheitswert mit der Begründung aus, es sei lediglich zu einer kurzen vorübergehenden
Reaktion auf das Unfallereignis gekommen. Beim Kläger habe eine vorbestehende (unfallunabhängige) psychische Störung zum Zeitpunkt
der jetzigen Begutachtung bestanden. Diese sei nicht mehr feststellbar, obwohl die vor dem Unfall laufende nervenärztliche
Behandlung nicht fortgeführt worden sei. Beigezogen war der Bericht über die Behandlung von Nervenarzt Dr. G. vom Mai 2005
(ausgeprägte reaktive und neurotische Depression, Angstneurose) sowie dessen Bericht zum Rehabilitationsantrag (für die Rentenversicherung).
Dr. Z. befürwortete bis auf Weiteres die Feststellung einer MdE von 15 v. H. bei vorhandener Stumpf- und Narbenbildung sowie
Bewegungseinschränkung im PIP-Gelenk D II und D III der rechten Hand.
Nachdem die Beratungsärztin Dr. K. die MdE vorläufig auf 20 v. H. geschätzt hatte, gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid
vom 11. April 2007 Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 20 v. H. bei Verlust des Zeigefingers im körpernahen
Anteil des Mittelgliedes und Verlust des Mittelfingers in der Mitte des Mittelgliedes und Bewegungseinschränkung der beiden
Finger.
Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, auf Grund der Bewegungseinschränkung durch Verlust des
Zeigefingers und Mittelfingers sei er derart in seinem Alltags- und Berufsleben eingeschränkt, dass bereits allein deswegen
eine MdE von mindestens 30 v. H. festzustellen sei. Die psychischen Folgen seien ebenfalls nicht berücksichtigt worden. Mit
Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2007 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, durch die Untersuchung
und Begutachtung auf chirurgischem und nervenärztlichem Fachgebiet hätten nur Beschwerden und funktionelle Beeinträchtigungen
objektiviert werden können, welche mit einer MdE von 20 v. H. zu bewerten seien. Unfallbedingte psychische Beeinträchtigungen
hätten von Dr. St. nicht nachgewiesen werden können. Der Kläger sei bereits vor dem Unfall wegen psychischer Beschwerden in
Behandlung gewesen. Es sei eine ausgeprägte reaktive und neurotische Depression sowie eine Angstneurose diagnostiziert worden,
die durch den Unfall nicht verursacht oder richtungsgebend verschlimmert worden wäre.
Mit seiner hiergegen am 14. November 2007 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage machte der Kläger geltend, es sei eine MdE um mindestens 40 v. H. gerechtfertigt. Er leide an Depressionen,
Schlafstörungen, Angstzuständen und hiermit im Zusammenhang stehenden Symptomen wie depressiver Verstimmung, Müdigkeit und
Antriebsschwäche. Er müsse deswegen psychotherapeutisch und orthopädisch behandelt werden.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört und den Kläger anschließend nervenärztlich und orthopädisch begutachten
lassen.
Die Fachärztin für Psychiatrie N., bei der der Kläger seit Januar 2008 in Behandlung steht, hat über eine schwere depressive
Episode als Unfallfolge berichtet. Der Kläger beklage seitdem Nervosität, Unruhe und Zittern, wann immer er die unfallbringende
Maschine bedienen müsse. Der Orthopäde Dr. M. erachtete die Folgen des Unfalls mit einer MdE um 20 v. H. als korrekt bemessen.
Der Kläger beklage Beschwerden im Bereich der Amputationsstümpfe, Berührungsschmerzen und mangelnde Einsatzfähigkeit der rechten
Hand wegen fehlendem Kraftaufbau.
Aus der stationären Behandlung in der Baar-Klinik-K., Abteilung Psychosomatik, vom 17. Juni bis 29. Juli 2008 wurde der Kläger
als vollschichtig leistungsfähig für den Bezugsberuf oder Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts bei im Vordergrund stehender
mittelgradiger depressiver Episode entlassen. Hinweise auf eine posttraumatische Belastungsstörung hätten sich nicht gefunden.
Andererseits sei seit dem Unfall, wahrscheinlich auch im Zusammenhang mit den veränderten Arbeitsbedingungen, ein deutlicher
Leistungseinbruch zu verzeichnen.
Mit Bescheid vom 15. September 2008 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit ab und entzog die vorläufige
Rente ab 1. Oktober 2008. Als Unfallfolgen wurden ein Verlust des Zeigefingers im körpernahen Anteil des Mittelgliedes und
ein Verlust des Mittelfingers in der Mitte des Mittelgliedes mit Bewegungseinschränkung und Sensibilitätsstörungen beider
Fingerstümpfe, eine Kraftminderung sowie belastungs- und kälteabhängige Schmerzen festgestellt. Als unfallunabhängige Beeinträchtigungen
wurden eine Streckhemmung des Mittel- und Ringfingers beidseits (Dupuytrenstrang) sowie eine vorbestehende psychische Störung
aufgeführt. Nach der Rechtsmittelbelehrung galt der Bescheid nach §
96 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) als mit angefochten im Rahmen des anhängigen Klageverfahrens.
Der nervenärztliche Sachverständige, der Neurologe und Psychiater Dr. St., diagnostizierte eine rezidivierende depressive
Störung, gegenwärtig remittiert. Ein sozialer Rückzug liege ebenso wenig vor wie ein Interessenverlust. Gegen eine psychische
Störung als Folge des Arbeitsunfalls spreche die alltägliche Gestaltung des Arbeitsalltags des Klägers mit der Bewältigung
zweier Arbeitsstellen (06:00 bis 14:00 Uhr täglich im Unfallbetrieb, anschließend zwei bis vier Stunden täglich als geringfügige
Beschäftigung). Unter laufender ambulanter psychiatrischer Behandlung sowie unter Einfluss einer Medikation seien keine aktuellen
psychischen Auffälligkeiten festzustellen. Möglicherweise sei es zu einer vorübergehenden Anpassungsstörung durch den Unfall
gekommen, exakte Belege dafür fehlten jedoch.
Auf orthopädischem Fachgebiet beschrieb der Gutachter Dr. C., Oberarzt des Sana-Gelenk- und Rheumazentrums Bad W., Amputationsstümpfe
des Zeige- und Mittelfingers der rechten Hand in den Mittelgliedern mit schmerzhafter Gefühlsstörung, mäßiger Funktionseinschränkung
und Kraftverlust. Die MdE müsse mit 20 v. H. bewertet werden. Bei den vorliegenden Unfallfolgen liege bereits der Mindestsatz
der MdE bei 15 v. H. Die Einschätzung einer MdE um 20 v. H. trage der Rechtshändigkeit sowie den begleitenden Schmerzen und
Missempfindungen Rechnung und sei auch ab dem dritten Unfalljahr gerechtfertigt. Denn funktionell liege eher eine Amputation
in den Mittelgelenken vor, weil die verbliebenen Mittelgliedstümpfe kurz und schmerzhaft seien.
Die Beklagte ist dem Gutachten von Dr. C. mit der Begründung entgegen getreten, der Kläger habe nur in den ersten zwei Wochen
Schmerzmittel eingenommen und seither nicht mehr. Außerdem könne der Kläger noch Grob-, Schlüssel- und Spitzgriff sowie einen
fast vollständigen Faustschluss und Fingerstreckung rechts ausführen. Hinweise auf ein Schonverhalten bestünden ebenfalls
nicht, da die Bemuskelung der Hände und Arme sowie die Handbeschwielung seitengleich gewesen sei. In der medizinischen Rentenliteratur
werde auch nicht mehr nach Gebrauchs- und "Hilfshand" unterschieden.
Mit Urteil vom 24. März 2010 hat das SG die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.
H. über den 1. Oktober 2008 hinaus fortzuzahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht in Auswertung
insbesondere der eingeholten Gutachten ausgeführt, die von Dr. C. getroffenen Diagnosen würden durch die erstellten Röntgenaufnahmen
bestätigt. Danach sei das Mittelglied am Zeigefinger basisnah und am Mittelfinger unterhalb der Schaftmittel durchtrennt worden.
Der Sachverständige habe eine Funktionsstörung für verschiedene Griffe gefunden. Der Schlüssel- und Spitzgriff sei nur eingeschränkt
und schmerzhaft möglich gewesen. Der Grobgriff habe im Seitenvergleich eine verminderte Kraftentwicklung gezeigt. Faustschluss
und Fingerstreckung seien hingegen fast vollständig möglich gewesen, ebenso die Fingerspreizung. Dr. C. habe hieraus eine
befriedigende Greiffunktion bei Entwicklung von Kompensationsmechanismen gefolgert. Hiermit in Übereinstimmung stünden die
Ausführungen des Klägers im Termin der mündlichen Verhandlung, wo er glaubhaft gezeigt habe, dass er bei der Arbeit die verbliebenen
gesunden Finger der rechten Hand, nicht die teilamputierten Finger einsetze, die kraftlos und "taub" seien, und dass er weiter
auch den Spitzgriff - bspw. beim Herausnehmen von Geldstücken aus dem Geldbeutel - nicht einsetzen könne. Glaubhaft seien
auch die vorgetragenen begleitenden Schmerzen und Missempfindungen im Bereich der teilamputierten Finger. Die fehlenden Hinweise
auf eine Minderbelastung (Minderbeschwielung) der rechten Hand oder des rechten Armes seien dadurch zu erklären, dass der
Kläger bei der Arbeit die rechte Hand unter Einsatz von Kompensationsmechanismen heranziehe. So setze er die verbliebenen
unverletzten Finger ein. Deswegen sei die von dem Gutachten getroffene MdE-Feststellung überzeugend. Denn der Kläger leide
an kurzen und schmerzhaften Mittelgliedstümpfen, was funktionell einer Amputation in den Mittelgelenken nahekomme. Hinsichtlich
der Stümpfe liege ein Schonverhalten vor. Eine noch deutliche Beeinträchtigung durch begleitende Schmerzen und Missempfindungen
sei vorhanden. Weitere Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet seien nach dem Gutachten von Dr. St., dem sich das Gericht
anschließe, nicht festzustellen. Den psychischen Befunden seien keine Antriebsstörung oder Depression zu entnehmen. Vielmehr
seien Denkablauf, Konzentrationsvermögen und Sozialverhalten ungestört. Auch die alltägliche Gestaltung mit der Bewältigung
zweier Arbeitsstellen spreche gegen eine relevante psychische Beeinträchtigung. Der Sachverständige habe sich auch mit der
Entwicklung der Erkrankung schlüssig auseinandergesetzt. Eine Depression und eine Angstsymptomatik mit psychischen Auffälligkeiten
hätten bereits 2000 und ca. 2004 bestanden, mithin vor dem erlittenen Arbeitsunfall. Zwar sei mit der Unfallverletzung ein
belastendes Lebensereignis eingetreten. Gegen eine erhebliche Beeinträchtigung spreche jedoch, dass psychiatrische Hilfe nicht
zeitnah nach dem Unfall durchgeführt worden sei, sondern die Behandlung erst ab Januar 2008 durchgeführt werde. Der dokumentierte
Krankheitsverlauf spreche somit gegen eine schwere psychoreaktive Störung nach dem Arbeitsunfall. Der Kläger habe unter dem
Einsatz von Medikamenten und drei- bis vierwöchiger psychiatrischer Behandlung weiter arbeiten können. Das werde durch den
Rehabilitationsbericht der Baar-Klinik bestätigt. Der abweichenden Beurteilung der behandelnden Psychiaterin Frau N. sei deswegen
nicht zu folgen. Der Sachverständige sei auch nicht durch sein Vorgutachten festgelegt in seiner Beurteilung. Vielmehr habe
er sich in seinem Gutachten im Klageverfahren erneut gründlich und schlüssig mit der Erkrankung und der erforderlichen Abgrenzung
von individueller persönlichkeitsbedingter Disposition und Verletzbarkeit auseinandergesetzt.
Gegen das am 13. April 2010 an den klägerischen Bevollmächtigten und am 16. April 2010 an die Beklagte zugestellte Urteil
haben zunächst auch der Kläger am 21. April 2010 und die Beklagte am 26. April 2010 Berufung eingelegt.
Die Beklagte ist der Auffassung, es genüge nicht, dass der Unfall-Folgezustand des Klägers funktionell einer Amputation nahe
komme. Um eine MdE-Einschätzung von 20 v. H. zu rechtfertigen, müsste er mit diesem Zustand gleichzusetzen sein. Dagegen spreche,
dass keine Hinweise auf ein Schonverhalten vorlägen und die Schmerzen sich im üblichen Rahmen bewegten. Der Sachverständige
habe auch die Stumpfverhältnisse als reizlos beschrieben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. März 2010 aufzuheben und die Klage auch im Übrigen abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger hat die psychischen Folgen des Unfalls als nicht ausreichend berücksichtigt erachtet.
Der Sachverhalt ist mit den Beteiligten am 31. März 2010 erörtert worden. Der Kläger hat seine Berufung zurückgenommen. Die
Beteiligten sind darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtigt, nach §
153 Abs.
4 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zu entscheiden. Die Beteiligten haben
auf eine Frist zur Stellungnahme hierzu verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und
zweiter Instanz sowie die beigezogenen Unfallakten der Beklagten verwiesen.
II. Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da die Berufsrichter
des Senats die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten (§
153 Abs.
4 SGG). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.
Die nach den §§
143,
151 Abs.
1,
144 Abs.
1 Satz 2
SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht unter Abänderung des Bescheides vom 1. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
11. Oktober 2007 und des Bescheides vom 18. September 2008 verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.
H. über den 1. Oktober 2008 hinaus zu gewähren.
Rechtsgrundlage für die vom Kläger erstrebte Leistung ist §
56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII). Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall
hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente (§
56 Abs.
1 Satz 1
SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens
die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§
56 Abs.
1 Satz 2
SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind dabei nach §
56 Abs.
1 Satz 3
SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden
verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§
56 Abs.
2 Satz 1
SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1), den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem
Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern
vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche
Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche
Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem
soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen
beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher
und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens
und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt
werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen
Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung
im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen
der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
In Anwendung dieser Grundsätze hat das SG ausführlich begründet dargelegt, warum für den vom Kläger infolge des Unfalls erlittenen Verlust des Zeigefingers im körpernahen
Anteil des Mittelgliedes und des Mittelfingers in der Mitte des Mittelgliedes von einer MdE von 20 v. H. auszugehen ist. Der
Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Würdigung an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe
nach §
153 Abs.
2 SGG ab.
Auch das Berufungsvorbringen der Beklagten begründet keine andere Beurteilung. Soweit die Beklagte darauf verwiesen hat, dass
den Schmerzen des Klägers bereits ausreichend mit einer MdE von 15 v. H. Rechnung getragen worden sei, so steht dem entgegen,
dass der Sachverständige Dr. C. über die normalen Schmerzen hinaus eine erhebliche Berührungsempfindlichkeit über den Stümpfen
des Zeige- und Mittelfingers dergestalt festgestellt hat, dass die Stümpfe aufgrund der Berührungsempfindlichkeit nicht mehr
eingesetzt werden können. Die Haut über den Stümpfen ist kaum verschieblich. Es besteht ein Druckschmerz über dem Zeigefingerstumpf
im Sinne eines schmerzhaften Missempfindens, hingegen kein Bewegungsschmerz. Die Schmerzhaftigkeit selbst liegt an den zu
kurzen Amputationsstümpfen.
Die dadurch begründeten Funktionseinschränkungen sind für den Senat glaubhaft begründet. Betroffen ist - wie auch das SG in Auswertung des Sachverständigengutachtens festgestellt hat - der Grob-, Schlüssel- und Spitzgriff. Der Umstand, dass der
Kläger die teilamputierten Finger schmerzbedingt nicht mehr einsetzen kann, ist funktionell einer Amputation beider Finger
gleichzusetzen. Der Senat entnimmt dies dem Gutachten von Dr. C.. Danach kann der Kläger tatsächlich auf Grund des schmerzhaften
Gefühlempfindens beide Finger überhaupt nicht mehr einsetzen, sondern ersetzt diese bei vielen Bewegungen durch Zuhilfenahme
der ganzen Hand oder der übrigen Finger. Das erklärt auch, warum die Narben selbst reizlos waren. Denn die Stümpfe werden
nicht benutzt und deswegen geschont.
Dass Hinweise auf eine Minderbelastung der rechten Hand oder des Armes nicht bestehen, steht dieser Feststellung nicht entgegen.
Denn der Kläger hat die vorbeschriebenen Kompensationsmechanismen entwickelt, um die restliche Hand einzusetzen, sodass die
Hand selbst weiterverwendet werden kann und wird, nicht hingegen die teilamputierten Finger. Das ist auch dadurch objektivierbar,
dass der Kläger verschiedene Griffe nicht ausführen kann und auch eine leicht verminderte Kraftentfaltung besteht.
Dass der Kläger bereits seit ca. zwei Wochen nach dem Unfall keine Schmerzmittel mehr einnehmen musste, steht dem ebenfalls
nicht entgegen. Denn Schmerzen treten nur bei Kältewirkung sowie dem Einsetzen der teilamputierten Gliedmaßen auf. Eine dauerhafte
Schmerzmedikation ist deswegen nicht erforderlich und wäre sogar kontraproduktiv, weil mit dem Risiko eines schmerzmittelinduzierten
Schmerzes einhergehend.
Deswegen war auch für den Senat wie für das SG das Gutachten von Dr. C. überzeugend und die Berufung der Beklagten daher zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf
§
193 SGG beruht.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.