Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Verletztenrente streitig.
Die Beklagte bewilligte dem 1973 geborenen Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 18.06.2002 mit Bescheid vom 11.11.2008
Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vom Hundert ab 30.11.2007. Hiergegen legte Rechtsanwalt S. am
11.12.2008 für den Kläger unter Vorlage einer Kopie der vom Kläger am 11.12.2008 unterschriebenen und sich auf alle Instanzen
erstreckenden Vollmacht Widerspruch ein. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2010 als unbegründet
zurück.
Hiergegen erhob Rechtsanwalt S. am 10.03.2010 "namens und in Vollmacht" des Klägers Klage beim Sozialgericht R.. Das Sozialgericht
forderte ihn zunächst unter dem 10.03.2010 und erneut unter dem 21.06.2010 mit Fristsetzung zum 24.07.2010 zur Vorlage der
Originalvollmacht sowie Abgabe der Klagebegründung auf und wies darauf hin, dass der Mangel der angeforderten Vollmacht die
Unzulässigkeit der Klage begründe und bei erfolglosem Fristablauf beabsichtigt sei, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.
Nach fruchtlosem Fristablauf wies das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 06.08.2010 ab. Es führte zur Begründung
aus, aus §
73 Abs.
6 Satz 4
Sozialgerichtsgesetz (
SGG), wonach das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen habe, wenn nicht als Bevollmächtigter ein
Rechtsanwalt auftrete, folge nicht zugleich eine entsprechende Einschränkung des Handlungsspielraums des Gerichts und seines
Berücksichtigungsrechts. Dies werde durch §
73 Abs.
6 Satz 3
SGG, wonach der Mangel der Vollmacht in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden könne, ohne dass diese Norm diese Geltendmachung
auf den Prozessgegner beschränke, bestätigt. Die Sozialgerichte seien zwar nicht verpflichtet, aber grundsätzlich weiterhin
berechtigt, eine durch einen Rechtsanwalt erhobene Klage als unzulässig abzuweisen, wenn dieser seine Bevollmächtigung trotz
Fristsetzung und Hinweis auf die Folgen nicht durch die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nachweise. Dies gelte umso mehr,
da bislang keine substantiierte Begründung für das Klagebegehren vorgelegt worden sei.
Gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts hat Rechtsanwalt S. für den Kläger am 18.08.2010 unter Vorlage der Originalvollmacht
Berufung eingelegt und diese unter Vorlage von Arztberichten von Dr. H., Dr. R. und Dr. L. begründet. Er machte eine sich
verschlimmernde Schmerzhaftigkeit nach unfallbedingter Arthrose des linken Sprunggelenks geltend.
Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts R. vom 6. August 2010 aufzuheben und den Rechtsstreit zur Verhandlung und Entscheidung
an das Sozialgericht R. zurück zu verweisen, hilfsweise den Bescheid der Beklagten vom 11. November 2009 in der Gestalt ihres
Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2010 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 30. November 2007 Rente nach
einer höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit als 20 vom Hundert zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§
143 und
144 SGG statthafte und nach §
151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden hat (§
124 Abs.
2 SGG), ist im Sinne einer Aufhebung und Zurückverweisung an das Sozialgericht R. begründet.
Nach §
159 Abs.
1 Nr.
1 SGG kann das Landessozialgericht eine angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen,
wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.
Vorliegend hat das Sozialgericht die Klage zu Unrecht, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, als unzulässig abgewiesen.
Denn dem Kläger kann nicht vorgeworfen werden, sein zur Prozessführung bevollmächtigter Rechtsanwalt habe seine Bevollmächtigung
nicht hinreichend nachgewiesen.
Nach §
73 Abs.
2 Satz 1
SGG können sich die Beteiligten unter anderem durch einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Nach §
73 Abs.
6 Satz 1
SGG ist die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nach §
73 Abs.
6 Satz 2
SGG nachgereicht werden, wofür das Gericht eine Frist bestimmen kann. Nach §
73 Abs.
6 Satz 3
SGG kann der Mangel der Vollmacht in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Nach §
73 Abs.
6 Satz 4
SGG hat das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt
auftritt.
Das Sozialgericht hat nicht hinreichend beachtet, dass nach §
73 Abs.
6 Satz 4
SGG die Sozialgerichte den Mangel der Vollmacht nicht mehr von Amts wegen überprüfen sollen, wenn als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt
auftritt. Eine Fristsetzung zur Vorlage einer Vollmacht im Sinne des §
73 Abs.
6 Satz 2
SGG kommt daher grundsätzlich nur in Betracht, wenn die gegnerische Partei den Mangel der Vollmacht rügt (BT-Drucks. 16/3655
S. 90 und 96; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2008 - L 12 AS 4351/08, zit. nach juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Auflage, §
73, Rz. 68; Littmann in Lüdtke,
SGG, 3. Auflage, §
73, Rz. 20; Ulmer in Hennig,
SGG, §
73, Rz. 24; Steinbach in NZS, 2008, 575, 581; a. A. Burkicak, SGb 2009, S. 400 bis 402). Ausnahmsweise findet eine Prüfung von Amts wegen statt, wenn der Mangel der Vollmacht von dem vertretenen Beteiligten
gerügt wird (OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.03.1970 - 7 W 57/69; Saarländisches OLG, Entscheidung vom 18.02.1970 - 1 U 67/66), der Rechtsanwalt selbst ernsthafte Zweifel an seiner eigenen Bevollmächtigung weckt (Hartmann,
ZPO, 69. Auflage, §
88, Rz. 5) oder äußert (BGH, Urteil vom 05.04.2001 - IX ZR 309/00; Hüßtege in Thomas/Putzo,
ZPO, 31. Auflage, §
88, Rz. 5) oder überhaupt Anlass zu begründeten Zweifeln an der Wirksamkeit der Vollmacht vorliegt (BFH, Urteil vom 11.02.2003
- VII R 18/02; BFH, Beschluss vom 23.07.2002 -: II B 44/01; BFH, Beschluss vom 21.09.2001 - III B 79/01; BFH, Beschluss vom 20.02.2001 - III R 35/00; BVerwG, Beschluss vom 25.03.1996 - 4 A 38/95; BVerwG, Beschluss vom 16.04.1987 - 5 B 43/87; BVerwG, Urteil vom 22.01.1985 - 9 C 105/84; Köhler, SGb 2009, 131, 136; Weth in Musielak,
ZPO, 7. Auflage, §
88, Rz. 5). Vorliegend haben weder die Beklagte oder der Kläger den Mangel der Vollmacht gerügt noch haben begründete Zweifel
am Vorliegen der Vollmacht vorgelegen, zumal der Rechtsanwalt des Klägers bereits im Verwaltungsverfahren eine Vollmachtskopie
vorgelegt hatte. Selbst wenn man darin, dass der Rechtsanwalt des Klägers seine Vollmacht nach zweimaliger Aufforderung des
Sozialgerichts nicht vorgelegt hat, trotz der aktenkundigen Vollmachtskopie einen begründeten Anlass für Zweifel am Vorliegen
der Vollmacht sehen wollte, käme es hierauf aber nicht an, da die eine Prüfung von Amts wegen voraussetzenden begründeten
Zweifel zeitlich vor Einsetzen der Prüfung von Amts wegen vorgelegen haben müssen. Mithin war das Sozialgericht vorliegend
im Ergebnis daran gehindert, den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen. Im Übrigen war der Inhalt der Aufforderungsschreiben
des Sozialgerichts vom 10.03.2010 und 21.06.2010 nicht zutreffend. Zum einen hätte es genügt, wenn das Sozialgericht den Rechtsanwalt,
da dieser bereits mit Widerspruchseinlegung eine Vollmachtskopie eingereicht hatte, aufzufordern, sich im Klageverfahren hierauf
zu beziehen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Auflage, §
73, Rz. 13a). Zum anderen ist die Vorlage der vom Sozialgericht angeforderten Originalvollmacht nicht notwendig, sondern hätte
auch die Vorlage einer Vollmachtskopie genügt (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 09.11.2006 - L 6 SB 1439/06; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Auflage, §
73, Rz. 62; a. A. Littmann in Lüdtke,
SGG, 3. Auflage, §
73, Rz. 21). Nach alledem hat das Sozialgericht die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen, ohne in der Sache selbst zu
entscheiden.
Daher war gemäß §
159 Abs.
1 Nr.
1 SGG der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit in Ausübung des richterlichen Ermessens an das Sozialgericht
zurück zu verweisen. Dabei ist insbesondere das Interesse des Klägers an einer Sachentscheidung durch die erste Instanz zu
berücksichtigen zumal inzwischen unter Vorlage der Arztbriefe von Dr. H., Dr. R. und Dr. L. eine sich verschlimmernde Schmerzhaftigkeit
geltend gemacht worden ist. Dahinter tritt der Grundsatz der Prozessökonomie zurück, da der Kläger ansonsten eine Instanz
verlieren würde (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2008 aaO.).
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG liegen nicht vor.