Anspruch auf Beschädigtengrundrente und Berufsschadensausgleich; Rechtmäßigkeit einer Kürzung im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte den dem Kläger gewährten Berufsschadensausgleich zu Recht ab 01.06.2006 nach Aufgabe der Berufstätigkeit
und nach Vollendung des 63. Lebensjahres gekürzt hat.
Der 1945 geborene Kläger leistete, nachdem er zuvor eine Lehre als Radio- und Fernsehtechniker abgeschlossen und in diesem
Beruf eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen hatte, ab Juli 1965 seinen Grundwehrdienst bei der Bundeswehr, im Rahmen dessen
er eine Augenerkrankung erlitt. Mit Bescheid vom 08.09.1969 stellte der Beklagte als Schädigungsfolgen "Glaskörpertrübungen
in beiden Augen nach Aderhaut-/Netzhauterkrankung auf wahrscheinlich tuberkulöser Grundlage" fest und gewährte Beschädigtengrundrente
nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vom Hundert (v. H.). Mit weiterem Bescheid vom 01.07.1971 bewilligte
der Beklagte die Beschädigtengrundrente nach einer wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit heraufgesetzten MdE um
60 v. H., Ehegattenzuschlag und Berufsschadensausgleich. Mit Bescheid vom 05.08.1984 stellte der Beklagte unter Aufnahme einer
"beginnenden Cataracta Complicata" die Schädigungsfolgen neu fest. Der Kläger betrieb in der Folgezeit ab 01/1980 bis 10/2006
selbständig ein Radio- und Fernsehgeschäft nebst Reparaturwerkstatt, wobei er zuletzt seine Ehefrau in der Buchhaltung und
dem Verkauf beschäftigte und einen Fernsehtechniker anstellte.
Am 11.05.2005 erkundigte sich der Kläger, ob sich bei Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit die Beschädigtengrundrente erhöhen
und die Altersrente auf die Beschädigtengrundrente angerechnet werde. Nach erfolgter Auskunft durch den Beklagten teilte er
am 22.06.2005 telefonisch mit, er beabsichtige, sein Radio- und Fernsehgeschäft spätestens Ende Dezember 2005 aufzugeben.
Angaben zu Einkünften und Vermögen machte der Kläger in dem von ihm am 30.06.2005 ausgefüllten Formular.
Nach den aktenkundigen Unterlagen erfolgten Krankschreibungen des Klägers durch die Chirurgen Dres. M., L. und H. vom 17.11.2004
bis zum 10.12.2004 wegen sonstiger Krankheiten des Weichteilsystems und Chondropathien, durch den Allgemeinmediziner Dr. K.
vom 18.07.2005 bis zum 29.07.2005 wegen einer peripheren Gefäßkrankheit, einer arteriellen Embolie und einer Thrombose, durch
den Orthopäden Dr. W. vom 29.09.2005 bis zum 21.10.2005 wegen sonstiger Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens sowie
durch Dr. K. vom 29.11.2005 bis zum 10.12.2005 wegen einer Erkrankung des Nervensystems und einer Spinalkanalstenose.
Mit Bescheid vom 02.01.2006 (Bl. 1058 V-Akte) stellte der Beklagte nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) unter Aufhebung der bisherigen Entscheidung den Versorgungsanspruch des Klägers neu fest und gewährte Berufsschadensausgleich
in Höhe von 522,00 Euro ab 01.01.2005 bzw. 517,00 Euro ab 01.07.2005. Ab 01.01.2006 wurde der Berufsschadenausgleich im Hinblick
auf die beabsichtigte Geschäftsaufgabe unter Vorbehalt gewährt.
Auf telefonische Anfrage gab der Kläger am 20.02.2006 an, er werde noch im Jahr 2006 seine selbstständige Tätigkeit beenden.
Unter dem 25.07.2006 teilte die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg mit, der Kläger werde ab 01.10.2006 Altersrente
für schwerbehinderte Menschen erhalten. Mit Schreiben vom 10.08.2006 gab der Kläger an, er werde seinen Betrieb ab dem 30.09.2006
nicht mehr weiterführen, da seine Ehegattin schwer erkrankt sei, sein Fernsehtechniker den Betrieb verlassen wolle und er
aufgrund seines Augenleidens nicht mehr in der Lage sei, die Geräte selbst zu reparieren. Ferner machte er in dem von ihm
unter dem 10.08.2006 ausgefüllten Formular Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen (u. a. Renovierungsarbeiten
aus der zum 01.09.2004 ausgezahlten Lebensversicherung). Am 26.08.2006 verstarb die Ehegattin des Klägers.
Mit weiterem Bescheid vom 14.11.2006 (Bl. 1103 V-Akte) kürzte der Beklagte den Berufsschadensausgleich des Klägers erneut
auf 424,00 Euro ab 01.09.2006 bzw. 429,00 Euro ab 01.10.2006 nach § 48 SGB X, da die Ehegattin des Klägers verstorben sei, der Kläger seinen Betrieb aufgegeben habe und eine Altersrente erhalte, so
dass bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs nicht mehr der Wert der eigenen Arbeitsleistung zu berücksichtigen sei.
Der Bescheid vom 02.01.2006 werde insoweit aufgehoben. Auch dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Nach Ermittlungen zur Rentenhöhe erhöhte der Beklagte mit Bescheid weiterem vom 08.10.2007 (Bl. 1132 V-Akte) den Berufsschadensausgleich
auf 477,00 Euro ab 01.07.2007 mit der Begründung, es müssten die Versorgungsbezüge des Klägers aufgrund der 14. KOV-AnpV 2007
neu angepasst und die geänderten Einkommensverhältnisse sowie beim Berufsschadensausgleich oder Schadensausgleich die Änderung
des Vergleichseinkommens berücksichtigt werden.
Mit Schreiben vom 14.04.2008 hörte der Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Neufeststellung des Berufsschadensausgleichs
an. Hierzu führte der Kläger aus, er habe seine selbstständige Tätigkeit nur aufgegeben, da er diese aufgrund der Schädigungsfolgen
nicht mehr habe ausüben können. Seine Augenerkrankung habe beispielsweise der Reparatur von Radio- und Fernsehgeräten entgegen
gestanden.
Mit hier streitgegenständlichem Bescheid vom 16.05.2008 (Bl. 1147 V-Akte) wurde der Berufsschadensausgleich auf monatlich
225,00 Euro ab 01.06.2008 gekürzt, so dass die Versorgungsbezüge insgesamt 501,00 Euro betrugen. Der Beklagte führte zur Begründung
aus, eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen im Sinne des § 48 SGB X sei insofern eingetreten, als das nach § 8 Abs. 1 Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV) bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs maßgebende Vergleichseinkommen
auf 75 v. H. zu kürzen sei, da der Kläger wegen des Erreichens oder der Inanspruchnahme einer Altersgrenze auch ohne die Schädigungsfolgen
aus dem Erwerbsleben hätte ausscheiden können. Eine Kürzung könne nur dann unterbleiben, wenn der Beschädigte glaubhaft mache,
dass er ohne die Schädigungsfolgen über diese Altersgrenze hinaus erwerbstätig geblieben wäre. Eine Begründung, wie sie für
eine Nichtanwendung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 BSchAV verlangt werde, nämlich besondere Gründe wie finanzielle Verpflichtungen,
sei vom Kläger nicht abgegeben worden. Somit könne er nicht glaubhaft machen, dass er ohne die Schädigungsfolgen nicht mit
Vollendung des 63. Lebensjahres aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wäre.
Hiergegen legte der Kläger am 27.05.2008 Widerspruch ein. Er führte zusammengefasst aus, dass er ohne die Schädigung weiterhin
erwerbstätig geblieben wäre.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.08.2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er führte zur Begründung aus, mit Bescheid
vom 16.05.2008 seien die Versorgungsbezüge des Klägers neu festgestellt worden. Nach § 48 SGB X sei ein Bescheid aufzuheben, soweit in den Verhältnissen eine wesentliche Änderung eintrete. Der Versorgungsanspruch sei
in diesem Fall neu festzustellen. Eine wesentliche Änderung sei insofern eingetreten, als bei der Berechnung des Schadensausgleichs
das maßgebliche Vergleichseinkommen zu kürzen sei, wenn der Beschädigte wegen Erreichens oder Inanspruchnahme einer Altersgrenze
aus dem Berufsleben ausscheide. Mit Bescheid vom 14.11.2006 sei der Berufsschadensausgleich nach erfolgter Berufsaufgabe neu
berechnet und zunächst von einer Kürzung des Vergleichseinkommens abgesehen worden, da der Kläger ohne die Schädigungsfolgen
die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des flexiblen Altersruhegeldes als Schwerbehinderter nicht erfüllt habe. Ab Vollendung
des 63. Lebensjahres könne auch in diesen Fällen eine Weiterbeschäftigung nur dann als glaubhaft angenommen werden, wenn nachgewiesen
werde, dass außergewöhnlich hohe Verpflichtungen vorlägen oder der Beschädigte eine geringe Altersversorgung habe. Der Beklagte
befasste sich in seinen weiteren Ausführungen mit den Einkommensverhältnissen des Klägers und kam zu dem Ergebnis, nach dem
vorliegenden Sachverhalt könne es nicht als glaubhaft angesehen werden, dass der Kläger ohne die Schädigungsfolgen nach Vollendung
des 63. Lebensjahres noch erwerbstätig wäre. Von einer Kürzung des Vergleichseinkommens könne deshalb nicht abgesehen werden.
Hiergegen hat der Kläger am 15.09.2008 Klage beim Sozialgericht Reutlingen mit der Begrünung erhoben, er wäre ohne die anerkannten
Schädigungsfolgen weiterhin berufstätig gewesen. Er sei sich bereits bei Berufsaufgabe im Jahr 2006 über die finanzielle Misere
im Klaren gewesen, habe jedoch wegen seines gesundheitlichen Zustandes die selbständige Tätigkeit aufgeben müssen.
Der Beklagte ist der Klage unter Hinweis darauf entgegengetreten, eine Kürzung des Vergleichseinkommens sei erst ab 01.06.2008
d. h. mit Erreichen des 63. Lebensjahres in Betracht gekommen. Der Kläger sei zwar bereits mit 61 Jahren aus dem Erwerbsleben
ausgeschieden, ohne die Schwerbehinderteneigenschaft wäre ihm dies aber erst mit 63 Jahren möglich gewesen. Bis zur Geschäftsaufgabe
sei der Kläger mehrfach schädigungsunabhängig arbeitsunfähig geworden und habe daher neue Aufträge und Reparaturen nicht mehr
übernehmen können. Durch die Konkurrenz von überregionalen Marktketten im Bereich der Unterhaltungselektronik hätten sich
seine Einkünfte bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahrs in Höhe von 34.800 EUR im Jahr 2002 auf 13.500 EUR im Jahr 2004
stark reduziert. Außerdem habe der angestellte Fernsehmechaniker 10/2006 den Betrieb verlassen und sei die Unterhaltspflicht
für seinen studierenden Sohn 09/2007 entfallen. Insgesamt gesehen stünde dem Kläger unter Berücksichtigung einer Lebensversicherung
aus 2004 und einem 31.12.2008 fälligen Bausparvertrag ein höherer Betrag zur Verfügung als 2004 durch die selbständige Tätigkeit.
Das Sozialgericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 26.05.2010 zu den Ursachen der Geschäftsaufgabe, des Auftragsrückgangs
und seinen finanziellen Verhältnissen gehört und anschließend die Klage mit Urteil vom gleichen Tag abgewiesen. Es hat zur
Begründung ausgeführt, der Kläger habe unter Würdigung der Gesamtumstände nicht glaubhaft gemacht, dass er die flexible Altersgrenze
mit der Vollendung des 63. Lebensjahres nicht in Anspruch genommen und ohne die Schädigung noch erwerbstätig im eigenen Geschäft
geblieben wäre. Er habe damit die Vermutung, die für die Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze spreche, nicht widerlegen
können. Es sprächen überwiegende Umstände gegen die Fortführung der Berufstätigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres
(starker Geschäftsrückgang, Weggang der beschäftigten Arbeitskraft und Tod der mitarbeitenden Ehefrau). Ferner habe sich die
wirtschaftliche Situation des Klägers nicht als ungünstig dargestellt. Nach der Gesamtwürdigung aller Umstände sei die Vermutung
der Beendigung der Berufsarbeit bereits mit 63 Jahren nicht widerlegt. Es überwögen die Umstände, die auch bei Wegdenken der
Schädigungsfolgen gegen eine Weiterarbeit über das 63. Lebensjahr hinaus sprächen.
Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 11.06.2010 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat der Kläger am 05.07.2010
Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung ausgeführt, die Mietzahlung sei Ende 2008 weggefallen. Die Lebensversicherung habe
er zur Altersvorsorge und nicht für anfallende Reparaturarbeiten abgeschlossen. Sein Geschäftskonzept habe in der Betreuung
älterer Kunden und einem Vor-Ort-Service bestanden. Das Geschäft sei sein Lebensinhalt gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Mai 2010 und den Bescheid des Beklagten vom 16. Mai 2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 21. August 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat darauf hingewiesen, es sei im Hinblick auf die Gesamtsituation (Geschäftseinbußen um 50 % seit 1998) nicht als glaubhaft
anzusehen, dass es dem Kläger ohne seine Ehegattin (Buchhaltung und Verkauf) und Mithilfe im Betrieb möglich gewesen wäre,
sein Geschäft weiterzuführen beziehungsweise höhere Einkünfte zu erzielen, als er sie jetzt nach Ausscheiden aus dem Erwerbsleben
habe. Vielmehr sei es wahrscheinlich, dass er wie viele vergleichbare Nichtbeschädigte von der Möglichkeit Gebrauch gemacht
hätte, nach Vollendung des 63. Lebensjahres vorzeitig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten des Beklagten
und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der angefochtene Bescheid vom 16.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2009 ist rechtswidrig und verletzt
den Kläger in seinen Rechten. Daher hat das Sozialgericht zu Unrecht die auf die Aufhebung dieses Bescheides gerichtete isolierte
Anfechtungsklage abgewiesen. Denn diesem Bescheid steht die Bestandskraft der Bescheide vom 14.11.2006 und 08.10.2007 entgegen.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung und damit die Durchbrechung der Bestandskraft von Bescheiden ist in verfahrensrechtlicher
Hinsicht § 48 SGB X.
Soweit danach in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung
vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
Die Neufeststellung des Berufsschadensausgleichs bedurfte daher in verfahrensrechtlicher Hinsicht der Aufhebungsentscheidung
der zuletzt bewilligenden Bescheide vom 14.11.2006 und 08.10.2007 im Sinne des § 48 SGB X. Denn der unter Vorbehalt ergangene Bescheid vom 02.01.2006 wurde durch den Bescheid vom 14.11.2006, mit dem der Beklagte
der Geschäftsaufgabe des Klägers erstmals Rechnung getragen hat, ausdrücklich - wenn auch nur in der Begründung - aufgehoben.
Ob die Entscheidung vom 14.11.2006 angesichts des Vorbehalts nach § 32 Abs. 2 Nr. 3 SGB X im Bescheid vom 02.01.2006 zu Recht ergangen ist oder nicht, kann der Senat offen lassen, da der Bescheid vom 14.11.2006
bestandskräftig im Sinne des §
77 SGG wurde. Der angegriffene Bescheid vom 16.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2009 erfüllt zwar alle
konstitutiven Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X. Er stellt jedoch keine Aufhebungsentscheidung dar. Nach dem klaren Wortlaut dieses Bescheides ist als Regelung (Verfügung)
keine Aufhebung eines Leistungsbescheides im Sinne des § 31 SGB X erfolgt, sondern es wurde allein die Höhe der Versorgungsbezüge neu geregelt, ohne dass die Formulierung "Aufhebung" verwendet
oder gar geregelt wird, ab wann die Änderung greifen soll. Zwar ist nicht erforderlich, dass der Verfügungssatz in einer Entscheidungsformel
der Begründung vorangestellt wird, es muss aber jedenfalls eine klare Regelung getroffen werden (vergleiche hierzu Krasney
in Kasseler Kommentar, Loseblattwerk zum Sozialversicherungsrecht, § 35 SGB X Rz. 11). Maßgebend ist die im Verfügungssatz getroffene Regelung mit dem aus dem Begründungsinhalt ersichtlichen Erklärungswillen,
wie er für den Adressaten des Verwaltungsaktes erkennbar geworden ist (BSG, Urteil vom 08.12.1978 - 7 RAr 48/86 - SozR 4100 § 117 Nr. 21), also der Empfängerhorizont.
Ausgehend hiervon enthält der angegriffene Bescheid lediglich eine Regelung im Sinne des § 35 SGB X hinsichtlich der Neufeststellung des Berufsschadensausgleichs, verhält sich aber nicht zur in §
77 SGG geregelten Bestandskraft der noch einen höheren Berufsschadensausgleich regelnden Bescheide vom 14.11.2006 und 08.10.2007.
Diese Bescheide werden auch in der Begründung des Widerspruchsbescheides nicht erwähnt und damit nicht aufgehoben. Der Bescheid
vom 08.10.2007 findet in den angegriffenen Bescheiden überhaupt keine Berücksichtigung. Einer ausdrücklichen Aufhebung hätte
es aus Gründen der Klarheit schon deswegen bedurft, weil der Kläger bereits im Oktober 2006 endgültig aus dem Erwerbsleben
ausgeschieden war sowie eine vorgezogene Altersrente bezog und jetzt erneut eine Kürzung des Berufsschadensausgleichs im Hinblick
auf die Vollendung des 63. Lebensjahres erfolgen sollte. Denn der Geschäftsaufgabe war bereits durch den Aufhebungsbescheid
vom 14.11.2006 Rechnung getragen worden. Dies gilt umso mehr, als der Bescheid vom 14.11.2006 eine solche Aufhebungsentscheidung
enthielt, nämlich den Bescheid vom 02.01.2006 ausdrücklich aufgehoben hat. Auch ist die Aufhebung aus Empfängersicht deswegen
notwendig, weil der Bescheid vom 14.11.2006 zunächst die Versorgungsbezüge wegen des Ausscheidens aus dem Erwerbslebens kürzte
und der Bescheid vom 08.10.2007 dann wieder nach Ermittlung der Einkommensverhältnisse - und somit nicht allein aufgrund der
14. KOV-AngV 2007 - wieder deutlich erhöhte. Die Erforderlichkeit einer unmissverständlichen Aufhebung dient nach Ansicht
des Senats einer Klarstellungs- aber auch einer Warnfunktion für den Leistungsempfänger, dem dadurch deutlich gemacht werden
soll, dass in seine Rechte eingegriffen wird. Damit fehlt es dem angegriffenen Bescheid auch an einem vollstreckungsfähigen
Inhalt. Dies ist vor dem Hintergrund, dass die Neufeststellung des Berufsschadensausgleichs in tatsächlicher Hinsicht eine
Herabsetzung und somit in rechtlicher Hinsicht einen belastenden Verwaltungsakt darstellt, im Rahmen der Eingriffsverwaltung
besonders strenge Anforderungen an die inhaltliche Klarheit eines Verwaltungsaktes zu stellen sind, dahingehend zu würdigen,
dass es sich bei dem angegriffenen Bescheid nicht um einen die Bestandskraft der Bescheide vom 14.11.2006 und 08.10.2007 durchbrechenden
Aufhebungsbescheid gehandelt hat (vergleiche dazu auch bereits Senatsurteil vom 21.02.2013 - L 6 VJ 3646/10 - [...]).
Eine Umdeutung der Entscheidung über die Neufeststellung des Berufsschadensausgleichs in einen Aufhebungsbescheid nach § 43 SGB X durch den Senat scheidet aus. Die Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsakts in einen anderen Verwaltungsakt setzt voraus,
dass der Verwaltungsakt, in den umgedeutet wird, auf das gleiche Ziel gerichtet ist, in der geschehenen Verfahrensweise und
Form rechtmäßig erlassen werden könnte und die Voraussetzungen für den Erlass dieses Verwaltungsakts erfüllt sind. Die Voraussetzungen
einer Umdeutung liegen schon deshalb nicht vor, weil nicht nur die Neufeststellung des Berufsschadensausgleichs in einen anderen
Verwaltungsakt in Form eines Aufhebungsbescheides umgedeutet werden müsste, wie dies der Gesetzeswortlaut voraussetzt, sondern
eine zusätzliche Verfügung, mithin ein zusätzlicher Verwaltungsakt - die Aufhebung nach § 48 SGB X wegen nachträglicher Änderung der Verhältnisse - erforderlich wäre. Diese Konstellation wird von § 43 Abs. 1 SGB X aber nicht erfasst, weil der ergangene Bescheid gerade nicht umgedeutet, sondern aufrechterhalten bleiben und ihm nur ein
legitimierender weiterer Verwaltungsakt hinzugefügt werden soll (BSG, Urteil vom 14.09.2010 - B 7 AL 21/09 R - SozR 4-4300 § 173 Nr. 1; vergleiche dazu Senatsurteil vom 21.02.2013 - L 6 VJ 3646/10 - [...]).
Nach alledem waren auf die Berufung des Klägers das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.05.2010 und
der Bescheid des Beklagten vom 16.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2008 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.