Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
Anforderungen an eine eheähnliche Lebensgemeinschaft
Gründe
I.
Streitig sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Hinblick auf die Annahme einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft.
Die von ihrem Ehemann getrennt lebende Antragstellerin (ASt) lebt seit 01.04.2013 zusammen mit Herrn K. N. (N.) in einer von
ihm angemieteten Wohnung, für die nach der Vermieterbestätigung monatlich eine Gesamtwarmmiete von 520,56 EUR anfällt. Bereits
bei einer Antragstellung im August 2013 gab die ASt N. als Mitglied ihrer Bedarfsgemeinschaft an. Man teile sich die Kosten
und wirtschafte gemeinsam. Nachdem die Bewilligung von Alg II an die ASt und N. mit Bescheid vom 09.08.2013 abgelehnt worden
war, legte die ASt dagegen Widerspruch ein. Eine Anrechnung von Einkommen des N. komme erst nach einem Zusammenleben von zwölf
Monaten in Betracht. Der Ag half dem Widerspruch ab und bewilligte mit Bescheid vom 30.09.2013 Alg II für die Zeit vom 01.07.2013
bis 31.12.2013 an die ASt ohne Berücksichtigung einer Bedarfsgemeinschaft mit N.
Nachdem die ASt bis 29.02.2016 Arbeitslosengeld von der Agentur für Arbeit bezogen hatte, beantragte sie erneut beim Ag die
Bewilligung von Alg II. Zu ihrer Bedarfsgemeinschaft zähle auch N. Gleichzeitig gab sie aber in der Anlage VE an, es bestehe
keine gegenseitige Bank-/Konto- vollmacht und jedes Haushaltsmitglied komme für seinen eigenen Bedarf auf. Die Unterkunftskosten
würden von ihr zur Hälfte in bar an N. erstattet. Jedes Mitglied der Haushaltsgemeinschaft zahle wöchentlich 35 EUR in die
Haushaltskasse. Nach den vorgelegten Lohnabrechnungen verdiente N. von November 2015 bis Januar 2016 durchschnittlich 1.542,75
EUR brutto (ohne Weihnachtsgeld). Die ASt übt seit Mai 2016 eine Tätigkeit als Haushaltshilfe mit einem Wochenlohn iHv 34
EUR aus.
Mit Bescheid vom 21.03.2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12.05.2016 bewilligte der Ag vorläufig Alg II für die
Zeit vom 01.03.2016 bis 31.08.2016 iHv 211,89 EUR (März 2016), 0 EUR (April 2016) bzw. 308,56 EUR monatlich (Mai bis August
2016) unter Zugrundelegung des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft der ASt mit N. Dabei legte er ein Bruttoeinkommen des N.
iHv 1.500 EUR (1.200 EUR netto) und ein Einkommen der ASt iHv 150 EUR zugrunde. Den dagegen wegen der Annahme einer Bedarfsgemeinschaft
und einer zu hohen Einkommensanrechnung eingelegten Widerspruch wies der Ag mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2016 zurück.
Hiergegen ist nach Angaben des Ag Klage erhoben worden.
Die ASt hat beim Sozialgericht Nürnberg (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und die vorläufige Bewilligung höherer Leistungen für Mai bis August
2016 unter Außerachtlassung des Einkommens des N. beantragt. N. sei zu keiner Unterstützung bereit. Sie habe keine Möglichkeit,
Unterhaltsansprüche gegen ihn rechtlich durchzusetzen. Ihr Einzug sei unter Zweckmäßigkeitserwägungen erfolgt, um durch die
gemeinsame Nutzung der Wohnung Kosten zu sparen. Man habe von Anfang an strikt getrennte Kassen gehabt, lediglich in eine
Haushaltskasse zahle jeder 35 EUR wöchentlich ein. Hiervon würden Waschmittel und Lebensmittel gekauft. Kochen und Haushalt
würden geteilt bzw. abwechselnd gemacht. Vollmachten, Vorsorgevollmachten oder Bezugsberechtigungen bestünden nicht. N. lehne
es ab, sie auch nur in kleinen Dingen des Alltags finanziell zu unterstützen. Gegenseitig habe man sich keinerlei Geld geliehen.
N. bestehe auf der vollständigen Zahlung des Mietanteils der ASt. Ein wechselseitiger Willen, füreinander Verantwortung zu
tragen und einzustehen, bestünde nicht bzw. eine entsprechende Vermutung sei widerlegt. Sie beziehe zudem kein Einkommen,
da der entsprechende Arbeitsvertrag noch nicht zustande gekommen sei. Mit den gewährten Leistungen könne sie nicht einmal
den Mietanteil begleichen, so dass auch ein Anordnungsgrund bestehe. Im Rahmen eines Erörterungstermins beim SG hat die ASt angegeben, man küsse sich schon, N. sei aber seit dem Ärger mit dem Ag ins Wohnzimmer gezogen. Miete habe sie
immer bar an N. gezahlt, manchmal auch überwiesen. Solange sie selbständig gewesen sei, habe sie die Miete in Raten gezahlt.
Sie schulde N. auch noch Miete, weil das "Arbeitsamt" die Miete nicht bezahlt habe. Sie habe ihm dann immer wieder einen "50er"
gegeben. Aktuell müsse sie für alles 310 EUR im Monat zahlen. Insofern sei bei Einzug vereinbart worden, dass sie die Hälfte
zahle. An der Pinnwand hänge ein Zettel, auf dem notiert sei, wann sie wie viel Geld an N. gegeben habe und wann er was ausgelegt
habe. Im Moment gebe es keinen Zettel, da sie die Miete gezahlt habe. Frühere Zettel könnten nicht vorgelegt werden. Früher
habe sie dort notiert, wenn sie ihm einmal 30 EUR gegeben habe und wenn die 310 EUR bezahlt gewesen seien. Mit einer Quittung
über 1.240 EUR sollte bestätigt werden, dass eine solche Summe überhaupt gezahlt worden sei. Eine Änderung des Mietvertrages
habe die Vermieterin des N. letztlich abgelehnt. Eine Partnerschaft und ein gemeinsames Wohnen mit N. werde nicht in Abrede
gestellt, es liege aber kein Einstandswille vor.
N. hat im Rahmen seiner uneidlichen Zeugeneinvernahme ausgesagt, er schlafe seit einigen Wochen im Wohnzimmer, nachdem er
zuvor mit der ASt ein gemeinsames Schlafzimmer und ein gemeinsames Wohnzimmer gehabt habe. Die ASt habe ihn seinerzeit gefragt,
ob sie nach der Trennung von ihrem Ehemann bei ihm einziehen können, was er aus Kostengründen für gut befunden habe. Es sei
eine Teilung der Kosten vereinbart worden. Man könne sagen, er führe eine intime, lockere Beziehung mit der ASt. Hin und wieder
mache man gemeinsame Ausflüge, bei denen aber jeder seinen Teil zahle. Auch Spritgeld in Form von pauschal 10 EUR oder 20
EUR bekomme er. Hausarbeiten würden nach einem Haushaltsplan ausgeführt. Aktuell sei noch eine Miete offen. Es sei auch in
Fällen, in denen die ASt vorab Bargeld gehabt oder er Bargeld gebraucht habe, vorgekommen, dass ihm der Anteil früher gegeben
und mit der Miete verrechnet worden sei. Ein schriftlicher Mietvertrag existiere nicht. Bei ihrem Einzug habe die ASt einen
Kleiderschrank, einen Ofen und evtl. einen Kühlschrank mitgebracht. Eine Anpassung der anteiligen Nebenkosten sei trotz Anstiegs
schon länger nicht mehr gemacht worden und müsste wieder einmal geprüft werden. Bei höheren Beträgen seien auch Nachzahlungen
oder Guthaben von Energieversorgern aufgeteilt worden. Bei Geldproblemen sei die ASt eher zu ihrem Mann gegangen. Würde die
ASt die Miete nicht bezahlen, müsste sie sich eine neue Wohnung suchen. Wenn er jemand finden würde, würde er auch nach einem
Auszug der ASt wieder jemand anderes einziehen lassen. Würde der Ag Alg II ohne seine Berücksichtigung zahlen, würde er wieder
ins Schlafzimmer umziehen.
Mit Beschluss vom 26.04.2016 hat das SG den Ag verpflichtet, ab 01.05.2016 vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis 31.08.2016 Alg II
iHv jedenfalls 85% der gesetzlichen Höhe ohne Anrechnung eines Einkommens des N. zu bewilligen. Eine Bedarfsgemeinschaft zwischen
der ASt und N. liege nicht vor, da kein qualifiziertes Zusammenleben in Bezug auf ein gemeinsames finanzielles Wirtschaften
nachgewiesen sei. Bereits bei Einzug der ASt sei die hälftige Teilung der Kosten vereinbart worden. Die Vermieterin habe sich
geweigert, die ASt in den Mietvertrag mit aufzunehmen, im Übrigen hätte dennoch N. als Gesamtschuldner voll in Anspruch genommen
werden können. Die ASt habe die Miete an N. regelmäßig in bar bzw. in Teilzahlungen geleistet. Gemeinsame Ausflüge, bei denen
die Kosten geteilt und Benzin pauschal abgerechnet würden, führen nicht zu einer Wirtschaftsgemeinschaft. Nur Grundnahrungsmittel
würden zusammen eingekauft, so dass über die gemeinsame Haushaltskasse hinaus kein "Wirtschaften aus einem Topf" nachgewiesen
sei.
Dagegen hat der Ag Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die ASt. und N. würden gemeinsam und nicht nur "nebeneinander"
in der Wohnung leben sowie den Haushalt gemeinsam führen. Zum Zwecke der gemeinsamen Einkäufe des täglichen Bedarfs sei eine
Haushaltskasse eingerichtet worden und die Freizeitgestaltung werde gemeinsam, wenn auch unter Kostenteilung, erfolgen. Seit
April 2013 lebe die ASt so bei N. Es greife daher die Vermutungsregelung in § 7 Abs 3a Nr 1 SGB II und werde nicht entkräftet. Der gegenseitige Einstandswille lasse sich nicht auf ein einzelnes wirtschaftliches Moment reduzieren.
Hierauf hat die ASt erwidert, es fehle bereits am gemeinsamen Wirtschaften, auch wenn ein Zusammenleben in einem Haushalt
gegeben sei. Es finde lediglich ein wöchentlicher gemeinsamer Einkauf der Grundnahrungsmittel statt, wofür die Haushaltskasse
eingerichtet worden sei. Sonstige Bedarfsgegenstände würden ausschließlich auf eigene Rechnung angeschafft. Auch die Freizeit
würde nicht im Wesentlichen gemeinsam verbracht. So gehe N. an Sonntagen zu seinen Eltern, wobei sie regelmäßig nicht eingeladen
sei. Auch donnerstags nach dem Sport gehe N. alleine zu seinen Eltern. Gemeinsame Ausflüge würden hin und wieder gemacht.
Hieraus könne nicht auf eine im Wesentlichen gemeinsame Freizeitgestaltung geschlossen werden. Das "gemeinsame Wirtschaften"
gehe nicht über das einer klassischen Wohngemeinschaft hinaus. Jedenfalls wäre der Wille, füreinander einzustehen, widerlegt,
da keine Unterstützung füreinander stattfinde. Die allenfalls minimalen Unterstützungen gingen nicht über übliche Gefälligkeiten
hinaus. Im Vergleich dazu bestünde im Rahmen einer Ehe kraft Gesetzes ein Unterhaltsanspruch.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter
Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) und begründet. Das SG hat zu Unrecht den Ag. verpflichtet, ab 01.05.2016 vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis 31.08.2016
Alg II iHv jedenfalls 85% der gesetzlichen Höhe ohne Anrechnung eines Einkommens des N. zu bewilligen, wobei der Ag auch zur
Zahlung eines bezifferten Betrages hätte verpflichtet werden müssen.
Rechtsgrundlage für die Gewährung des diesbezüglichen vorläufigen Rechtsschutzes stellt §
86b Abs
2 Satz 2
SGG dar, da der geltend gemachte Rechtsanspruch in der Hauptsache mittels einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage
geltend zu machen ist. Insoweit ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile
entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 -
BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 - BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 - NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl, Rn 652). Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes
- das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche
Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§
86b Abs
2 Satz 2 und
4 SGG i.V.m. §
920 Abs
2, §
294 ZPO; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage, §
86b Rn 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes
sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen
Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 - Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich
unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde
Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen.
In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden
(vgl BVerfG vom 12.05.2005 - Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06; weniger eindeutig BVerfG, Beschluss vom 04.08.2014 - 1 BvR 1453/12).
Ein Anordnungsanspruch ist vorliegend nicht gegeben. Der Ag hat vorliegend zu Recht mit Bescheid vom 21.03.2016 in der Fassung
des Änderungsbescheides vom 12.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2016 der ASt Alg II nur unter Berücksichtigung
einer Bedarfsgemeinschaft mit N. - und folglich einer Anrechnung des Einkommens des N. - bewilligt.
Nach § 7 Abs 1 Satz 1 i.V.m. § 19 Abs 1 Satz 1 SGB II erhalten Alg II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sowie hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Die ASt ist 58 Jahre alt, offensichtlich erwerbsfähig und hat ihren
gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist dem Grunde nach auch hilfebedürftig.
Nach § 9 Abs 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder
Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer
Sozialleistungen, erhält. Nach § 9 Abs 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen.
Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt nach § 9 Abs 2 Satz 3 SGB II jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig.
Demnach ist auch das Einkommen von N. im Rahmen der Prüfung der Hilfebedürftigkeit der ASt zu berücksichtigen, denn sie bildet
mit ihm eine Bedarfsgemeinschaft. Nach § 7 Abs 3 Nr 3c SGB II gehören zur Bedarfsgemeinschaft als Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten eine Person, die mit der erwerbsfähigen
leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige
Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung
füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird u.a. vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben (§ 7 Abs 3a Nr 1 SGB II). Durch die Einfügung des § 7 Abs 3a SGB II hat der Gesetzgeber die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Indizien für den Bestand einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
aufgegriffen und hieraus eine gesetzliche Vermutung entwickelt, wobei im Grundsatz die Kriterien aus der bisherigen Rechtsprechung
für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft fortgelten, modifiziert lediglich um die Voraussetzung, dass es sich bei
der Partnerschaft nicht (mehr) um eine Partnerschaft von Mann und Frau handeln muss (vgl Beschluss des Senates vom 26.11.2012
- L 11 AS 783/12 B ER - mwN). Der Begriff der eheähnlichen bzw. partnerschaftlichen Gemeinschaft ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Dem Leistungsträger
ist daher kein Ermessen bei der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen eingeräumt. Die Auslegung durch den Leistungsträger
unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung. Eine Partnerschaft in diesem Sinne ist die Verbindung zweier Personen, wenn
sie auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt (vgl dazu auch BSG, Urteil vom 23.08.2012 - B 4 AS 34/12 R - [...]) und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründet,
also über die Beziehung einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht (vgl BVerfG, Urteil vom 17.11.1992
- 1 BvL 8/87; BSG, Urteil vom 29.04.1998 - B 7 AL 56/97 R - [...]).
Ob eine Partnerschaft vorliegt, ist anhand einer Gesamtwürdigung von Hinweistatsachen zu beurteilen. Solche - nicht abschließend
aufzählbaren (vgl LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.04.2005 - L 9 B 6/05 SO ER - [...]) - Indizien können sich u.a. aus der Dauer des Zusammenlebens ergeben. Zur Beurteilung, wann eine derartige
Beziehung als dauerhaft verfestigt bewertet werden kann, bot sich aus Sicht des Bundessozialgerichts (BSG) eine Orientierung an den Vorschriften des
Bürgerlichen Gesetzbuches (
BGB) an, die - gewissermaßen für den umgekehrten Fall - das Scheitern einer Ehe erst nach dreijähriger Trennung unwiderlegbar
vermuten; dies lege nahe, diesen Gedanken insoweit nutzbar zu machen, als erst eine dreijährige Dauer der Beziehung genügende
Ernsthaftigkeit und Kontinuität bezeugt (vgl zum Ganzen: BSG, Urteil vom 29.04.1998 - B 7 AL 56/97 R - [...]). Hierbei ist aber nicht davon auszugehen, dass die Dreijahresgrenze im Sinne einer absoluten zeitlichen Mindestvoraussetzung
zu verstehen ist, unterhalb derer das Vorliegen einer Partnerschaft immer und in jedem Fall verneint werden müsse (vgl dazu
LSG Essen aaO; BayLSG, Urteil vom 19.10.2005 - L 10 AL 352/04 - [...]). Vielmehr kann eine dauerhafte Beziehung bereits ab dem ersten Tag des Zusammenlebens vorliegen. Nach dreijährigem
Zusammenleben hingegen dürften ohne gegenteilige Anhaltspunkte keine Zweifel mehr an der Dauerhaftigkeit bestehen. Dies schlägt
sich auch in der ab 01.08.2006 getroffenen Neuregelung der Vorschritt nieder, die bereits bei einem einjährigen Zusammenleben
von einer solchen Gemeinschaft ausgeht. Ebenso kann auch die Dauer und Intensität der Bekanntschaft vor der Gründung der Wohngemeinschaft,
der Anlass des Zusammenziehens, die Versorgung und Erziehung gemeinsamer Kinder oder sonstiger Angehöriger im gemeinsamen
Haushalt oder die Pflege des bedürftigen anderen Partners, die das Zusammenleben prägt, zu berücksichtigen sein (vgl Urteil
des Senates vom 16.10.2008 - L 11 AS 368/07 - [...] - mwN). Weitere Hinweistatsachen können sich aus der Ausgestaltung des Mietverhältnisses oder der Art des (räumlichen)
Zusammenlebens ergeben, wobei das bloße Zusammenleben unter derselben Meldeadresse regelmäßig nicht zur Annahme einer Partnerschaft
genügt (vgl BVerfG, Beschluss vom 02.09.2004 - 1 BvR 1962/04 - [...]). So spricht das Nichtvorhandensein einer eigenen Intimsphäre innerhalb der Wohnung oder die gemeinsame Nutzung mehrerer
Räume, insbesondere eines Schlafzimmers, für eine innere Bindung, wobei jedoch auch getrennte Wohn- oder Schlafbereiche nicht
zwangsläufig zur Ablehnung der Annahme einer Partnerschaft führen wird. Auch der Frage, ob und inwieweit die Partner gemeinsam
wirtschaften, ob etwa die Befugnis besteht, über Einkommen und Vermögen des jeweils anderen zu verfügen (dazu LSG Baden-Württemberg,
Beschluss vom 12.01.2006 - L 7 AS 5532/05 ER-B - [...]), oder ob gar ein gemeinsames Konto besteht, kann Bedeutung zukommen. So stellt das Vorhandensein eines gemeinsamen
Kontos zwar ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer Partnerschaft dar, dessen Fehlen schließt eine solche jedoch nicht
aus. Die Annahme einer Partnerschaft setzt hingegen nicht voraus, dass zwischen den Partnern geschlechtliche Beziehungen bestehen
(vgl BSG, Urteil vom 29.04.1998 - aaO unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 - [...]). Sind solche jedoch - ohne dass Ermittlungen durch den Leistungsträger in diese Richtung vorzunehmen sind (vgl hierzu:
BVerfG, Beschluss vom 17.11.1992 aaO) - bekannt und damit verwertbar, so kann auch dies Indiz für eine enge innere Bindung
sein. Ein "Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt" iSv § 7 Abs 3 Nr 3c SGB II erfordert das Bestehen einer "Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft". Mithin bedarf es neben einem Zusammenleben auch einem "Wirtschaften
aus einem Topf". Dies bedeutet, dass die Partner in "einer Wohnung" zusammenleben und die Haushaltsführung an sich sowie das
Bestreiten der Kosten des Haushalts gemeinschaftlich durch beide erfolgen müssen (vgl BSG, Urteil vom 23.08.2012 - B 4 AS 34/12 R).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben liegt zwischen der ASt und N. eine Partnerschaft vor und beide leben seit 2013, mithin
seit mehr als einem Jahr, in einem gemeinsamen Haushalt. Dies wurde von der ASt eingeräumt, ergibt sich aber auch aus den
Schilderungen der ASt und von N. Neben einem intimen Kontakt wurde angegeben, dass Schlafzimmer und Wohnzimmer gemeinsam benutzt
wurden und sie bereits seit über drei Jahren zusammenleben. Dass N. angegeben hat, er wohne derzeit wegen dem Ärger mit dem
Ag im Wohnzimmer, ändert hieran nichts. Er hat angegeben, wenn sich dieser erledige, werde er wieder ins Schlafzimmer ziehen.
Damit ist aber keinesfalls eine ernst zu nehmende Trennung der beiden Partner gegeben.
Daneben ist aber zur Überzeugung des Senates auf ein gemeinsames "Wirtschaften aus einem Topf" anzunehmen. Ein - hier nicht
nachweisbares - gemeinsames Konto oder Kontovollmachten, könnten hierfür ein Indiz sein, wird aber nicht zwingend für eine
entsprechende Annahme vorausgesetzt. Allerdings gibt es nach den übereinstimmenden Angaben von N. und der ASt eine gemeinsame
Haushaltskasse, in die jeder Partner wöchentlich 35 EUR einzahle. Dies alleine ergibt einen Betrag von monatlich durchschnittlich
150 EUR pro Person und liegt über dem Betrag, der im Regelbedarf für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke vorgesehen ist
(siehe dazu den Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 26.10.2010, BT-Drs. 17/3404, Seite 49 ff). Dies gilt selbst unter Annahme in dem Betrag sei noch ein Anteil für Waschmittel
enthalten. Damit müssten in etwa alle Lebensmittel der ASt, nicht nur die Grundnahrungsmittel, gemeinsam aus der Haushaltskasse
gekauft werden, was deutlich über das hinausgeht, was bei einer bloßen Wohngemeinschaft üblich wäre, bei der es Fälle geben
kann, in denen etwa allein Grundnahrungsmittel aus der Gemeinschaftskasse gekauft werden. Auch wurde eingeräumt, dass es immer
wieder auch zu einem Aushelfen in finanziellen Schwierigkeiten gekommen ist, das über übliche Gefälligkeiten außerhalb einer
eheähnlichen Gemeinschaft nicht gewöhnlich ist. So hat N. angegeben, die ASt habe ihren Anteil an den Kosten im Falle eines
Bargeldbedarfs bei ihm auch schonmal vorab gegeben, wenn sie über Geld verfügt habe. Umgekehrt war im Zeitpunkt der Zeugeneinvernahme
nach N.'s Angaben auch noch eine Monatsmiete offen. Ebenso hat die ASt erklärt, sie habe während ihrer Selbständigkeit die
Miete teilweise in Raten von 30 EUR bzw. 50 EUR gezahlt, wenn sie gerade wieder Geld hatte. Zudem berichtete sie von einem
Zettel an einer Pinnwand, auf dem notiert worden sei, wenn N. oder sie etwas ausgelegt hätte. Ferner erfolgte offensichtlich
die Abrechnung der monatlich anfallenden Kosten für Miete, Heizung, Strom, Telefon und Internet nicht genau, sondern vielmehr
überschlagsmäßig. Diese Kosten wurden stets von N. verauslagt. Hinzukommt, dass vorliegend auch jeweils einer für beide gekocht
hat bzw. die Wohnungsreinigung übernommen hat. Die Haushaltsführung erfolgt somit gemeinsam. Auch nach den glaubhaften Angaben
der ASt und des Zeugen zu den entsprechenden Tatsachen erfolgte kein getrenntes Wirtschaften sondern ein gemeinsames. Damit
aber überwiegen die Indizien, die für ein "Wirtschaften aus einem Topf" sprechen, die dagegen sprechenden Hinweise, wie beispielsweise
der behauptete getrennte Einkauf von anderen Bedarfsgegenständen. Dass der ASt kein rechtlicher Unterhaltsanspruch gegen N.
zusteht, ist unerheblich, da dies in jeder eheähnlichen Lebensgemeinschaft so ist.
Damit sind die Voraussetzungen von § 7 Abs 3c Nr 1 SGB II erfüllt und ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet. Nach
obigen Ausführungen ist diese Vermutung von der ASt nicht widerlegt worden. Es ist eine Bedarfsgemeinschaft zwischen der ASt
und N. anzunehmen (§ 7 Abs 3 Nr 3c SGB II).
Anhaltspunkte für eine unzutreffende vorläufige Leistungsberechnung sind nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Soweit der Ag
das Einkommen des N. in die Berechnung eingestellt hat, hat er sich am Durchschnittslohn für November 2015 bis Januar 2016
orientiert. Dass das Einkommen zwischenzeitlich niedriger sein soll, ist nicht nachgewiesen worden. Auch der Arbeitsvertrag
der ASt wurde zwischenzeitlich geschlossen. Danach erzielt sie ein wöchentliches Einkommen von 34 EUR. Soweit der Ag vorläufig
das entsprechende Einkommen mit monatlich 150 EUR angesetzt hat, ist die Abweichung nur unerheblich. Nach Vorlage der Lohnabrechnungen
der ASt und von N. wird der Ag im Rahmen der endgültigen Leistungsberechnung etwaige weitere Leistungen zu gewähren haben.
Auf die Beschwerde des Ag war somit der Beschluss des SG vom 26.04.2016 aufzuheben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des §
193 SGG.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).