Erstattung von Aufwendungen für die Unterbringung in einem Frauenhaus
Wechsel der örtlichen Zuständigkeit der kommunalen Träger
Flucht vom bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort in ein Frauenhaus
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung von Aufwendungen für die Unterbringung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) Leistungsberechtigter in einem Frauenhaus.
Frau A. (G.) sowie ihre drei minderjährigen Kinder fanden am 01.05.2013 Aufnahme in dem von der Stadt S. betriebenen A.-W.
Frauenhaus. Nach ihren Angaben konnte sie, nachdem sie ein Opfer häuslicher Gewalt geworden war, mit Hilfe der für ihren Wohnort
in H-Stadt (L. Kreis) zuständigen Polizei am 15.04.2013 von zu Hause fliehen. Nachdem sie weder in H. noch in H-Stadt in einem
Frauenhaus Aufnahme gefunden hatte, zog G. zu einem Onkel nach F-Stadt und eine Woche später zu einem anderen Onkel nach A-Stadt.
Auch in dem Frauenhaus der Stadt A. war eine Unterbringung nicht möglich, worauf sich für G. nach einer Internetrecherche
Ende April die Möglichkeit eröffnete, in dem Frauenhaus der Stadt S. unterzukommen. Dort war sie in der Zeit vom 01.05.2013
bis zu ihrem Auszug am 01.09.2014.
Auf Antrag vom 10.05.2013 bewilligte der Kläger G. und deren Kindern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld
II - Alg II) für die Zeit ab dem 01.05.2013 (Bescheid vom 10.05.2013; Zeitraum 01.05.2013 bis 31.10.2013) sowie in der Folge
von Weiterbewilligungsanträgen (Antrag vom 18.10.2013 - Bescheid vom 25.10.2013 idF des Bescheides vom 12.12.2013; Zeitraum
01.11.2013 bis 30.04.2014 - Antrag vom 26.03.2014 - Bescheid vom 30.04.2014 idF des Aufhebungsbescheides vom 04.08.2014; Zeitraum
01.05.2014 bis 31.08.2014) weitergehend bis 31.08.2014. Als berücksichtigungsfähige Kosten der Unterkunft und Heizung lagen
den Bewilligungen die vom Frauenhaus der Stadt S. in Rechnung gestellten Nutzungsentgelte von 12,00 EUR pro Nacht und Wohneinheit
zugrunde, die der Kläger - jeweils nach Rechnungsstellung und durchgehend bis zum Auszug der G. aus dem Frauenhaus zum 01.09.2014
- unmittelbar an den Träger der Unterkunft auszahlte. Unter Beachtung der Kindergeldzahlungen (und ab 01.01.2014 der Zahlungen
nach dem Unterhaltsvorschussgesetz - UVG) erbrachte der Kläger im Zeitraum vom 01.05.2013 bis 01.09.2014 an G. und deren Kinder Unterkunftskosten in Höhe jeweils
von 3,00 EUR kalendertäglich (für G. im Zeitraum vom 01.05.2013 bis 31.08.2014 in Höhe von insgesamt 1.464,00 EUR; für deren
Kinder im Zeitraum vom 01.05.2013 bis 31.12.2013 in Höhe von jeweils 735,00 EUR). Zudem bewilligte der Kläger für zwei Kinder
der G. Leistungen zur Bildung und Teilhabe in Höhe von jeweils 70,00 EUR (Bescheide vom 02.08.2013).
Bereits mit Schreiben vom 10.05.2013 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten unter Hinweis auf § 36a SGB II die Erstattung der durch die Aufnahme der G. im Frauenhaus entstandenen Unterkunftskosten dem Grunde nach geltend. Deren
Erstattung lehnte der Beklagte unabhängig von dessen Schreiben vom 10.05.2013 mit Schreiben vom 26.06.2013 und 16.09.2013
ab. G. habe mit ihrer polizeilichen Abmeldung am 20.04.2013 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im L.-Kreis aufgegeben. Damit sei
die Zuständigkeit für die Kostenerstattungspflicht entfallen.
Am 04.10.2013 hat der Kläger Klage mit dem Antrag erhoben festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet sei, die kommunalen
Kosten für die Zeit des Aufenthaltes der G. und ihrer drei Kinder im Frauenhaus der Stadt S. zu erstatten. Der letzte gewöhnliche
Aufenthalt der G. und ihrer Kinder habe im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gelegen. Nach der Flucht der G. von zuhause
und den nachfolgenden Aufenthalten in H-Stadt, F-Stadt und A-Stadt auf der Suche nach einem freien Platz in einem Frauenhaus
habe G. anderenorts keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, so dass nach wie vor die sich aus § 36a SGB II ergebende Erstattungspflicht des Beklagten bestehe. Nach einer Verweisung der Klage (Beschluss des Sozialgerichts Gießen
vom 12.11.2013) an das Sozialgericht Nürnberg (SG) hat der Beklagte vorgebracht, dass eine Kostenerstattungspflicht nur dann zum Tragen komme, wenn der bisherige gewöhnliche
Aufenthalt nicht aufgegeben werde. Durch ihre Abmeldung nach A-Stadt habe G. aber zum Ausdruck gebracht, dass sie ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in H-Stadt beenden und einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt in A-Stadt begründen wollte. Unabhängig davon sei, soweit
sich ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht feststellen lasse, die Kommune zuständig, in der sich der Hilfeempfänger tatsächlich
aufhalte. Mit Beschluss vom 23.10.2014 hat das SG die Stadt A. (Beigeladene) als kommunalen Träger der Leistungen nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II gemäß §
75 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) beigeladen. Der Auffassung des Beklagten haben sowohl der Kläger als auch die Beigeladene entgegengehalten, dass die Fluchtgeschichte
der G. und deren kurzfristiger besuchsweiser Aufenthalt in A-Stadt dort keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe. Ein
lediglich tatsächlicher Aufenthalt führe aber weder zu einer Erstattungspflicht nach § 36a SGB II noch beende ein anderweitiger tatsächlicher Aufenthalt die Erstattungspflicht des kommunalen Trägers des letzten gewöhnlichen
Aufenthaltes. Zudem bezifferte der Kläger - nach dem Auszug der G. aus dem Frauenhaus am 01.09.2014 - den vom Beklagten für
den Zeitraum vom 01.05.2013 bis 01.09.2014 zu erstattenden Betrag auf 3.809,00 EUR.
Ohne mündliche Verhandlung hat das SG mit Urteil vom 22.04.2015 den Beklagten verurteilt, an den Kläger 3.809,00 EUR zu zahlen. Als kommunal zuständiger Träger
des bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltes sei der Beklagte gemäß § 36a SGB II verpflichtet, dem Kläger die Kosten für die Unterbringung der G. und ihrer Kinder im Frauenhaus zu erstatten. G. habe durch
ihre ordnungsbehördliche Abmeldung zwar zum Ausdruck gebracht, nicht mehr nach H-Stadt zurückkehren zu wollen, so dass sie
ihren gewöhnlichen Aufenthalt aufgegeben habe. Die Erstattungspflicht des Beklagten habe jedoch nicht dadurch geendet, dass
G. einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt in A-Stadt begründet hätte, da sie sich dort - unabhängig von der ordnungsbehördlichen
Meldung - nur vorübergehend aufhalten wollte. Allein der tatsächliche Aufenthalt in A-Stadt beende aber die Erstattungspflicht
des Beklagten nicht, denn nach dem Normzusammenhang bestehe diese so lange, bis ein anderer gewöhnlicher Aufenthalt außerhalb
eines Frauenhauses begründet werde. Die Höhe der Erstattungsforderung sei rechnerisch nicht zu beanstanden.
Gegen das Urteil hat der Beklagte die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Alle Indizien sprächen für die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthaltes in A-Stadt,
nachdem G. von zuhause geflohen war, so dass die Beigeladene erstattungspflichtig sei. Aber auch ohne die Begründung eines
gewöhnlichen Aufenthaltes in A-Stadt bestehe der vom Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht, denn soweit kein gewöhnlicher
Aufenthalt feststellbar sei, sei gemäß § 36 Abs 3 SGB II die Kommune zuständig, in der sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhalte.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.04.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und die Beigeladene beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Das SG habe zutreffend entschieden.
Am 07.12.2015 ist G. als Zeugin uneidlich vernommen und hat angegeben:
"Nach meiner Flucht von zu Hause war ich für einen Tag in einem Frauenhaus in H-Stadt, und nachdem dort kein Platz war, war
ich bei einem Onkel in F-Stadt und daran anschließend nochmals ca. 1 Woche bei einem Onkel in A-Stadt. Von A-Stadt aus habe
ich dann das Frauenhaus in S. gefunden. Ob und wann ich mich bei der Gemeinde an- oder abgemeldet habe, weiß ich nicht. Wer
mich bei der Gemeinde abgemeldet oder angemeldet haben soll, davon habe ich keine Ahnung. Nach A-Stadt bin ich gegangen, weil
ich gern in der Nähe von meinen Verwandten sein wollte, wobei F-Stadt nicht in Betracht kam, nachdem mein Mann die Anschrift
von meinem Onkel in F-Stadt kannte. Ich wollte auch unbedingt in ein Frauenhaus, um vor meinem Mann in Sicherheit zu sein.
Wenn ich kein Frauenhaus gefunden hätte, hätte ich durchaus bei meinem Onkel bleiben können. Ob das eine Dauerlösung gewesen
wäre, war jedoch völlig offen. Meine Kinder sind erst in S. zur Schule gegangen. In A-Stadt waren sie nicht in der Schule
angemeldet."
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Klägers, des Beklagten und der Beigeladenen
sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die vom SG zugelassene und form- sowie fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
144,
151 SGG), in der Sache aber unbegründet. Das SG hat den Beklagten zu Recht verurteilt, an den Kläger die vom kommunalen Träger verauslagten Unterkunftskosten der G. und
ihrer Kinder in Höhe von insgesamt 3.809,00 EUR zu erstatten, die anlässlich deren Aufenthaltes im Frauenhaus der Stadt S.
in der Zeit vom 01.05.2013 bis 31.08.2014 angefallen sind.
Die Klage ist statthaft als allgemeine Leistungsklage iSd §
54 Abs
5 SGG. Ein Erstattungsstreit zwischen Sozialleistungsträgern ist ein Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung
durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt und vorliegend auch nicht erfolgt ist. Damit war die Durchführung eines Vorverfahrens
entbehrlich und die Einhaltung einer Klagefrist nicht erforderlich (vgl. BSG, Urteil vom 17.05.2000 - B 3 KR 33/99 R - BSGE 86, 166ff; Urteil vom 23.07.2002 - B 3 KR 64/01 R - BSGE 90, 1ff)
Die Beteiligten sind zudem prozessführungsbefugt, d.h. sie sind berechtigt den materiellen Anspruch im eigenen Namen gerichtlich
zu verfolgen bzw. diesem entgegenzutreten. Für den Kläger als gemeinsame Einrichtung iSd § 44b Abs 1 Satz 1 SGB II ergibt sich dies aus der gesetzlich angeordneten Aufgabenübertragung (§ 44b Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II; iSe gesetzlichen Prozessstandschaft: vgl. Korte in LPK- SGB II, 5. Aufl., § 44b Rn. 17 mwN), auch wenn es sich bei dem Kostenerstattungsanspruch nach § 36a SGB II im Ausgangspunkt um ein Recht der Kommune handelt, das mit ihrer auf § 6 Abs 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II beruhenden Trägerschaft für die Leistungen korrespondiert (vgl. hierzu eingehend: BSG, Urteil vom 23.05.2012 - B 14 AS 190/11 R - BSGE 111, 72ff). Der Beklagte als zugelassener kommunaler Träger iSd § 6a SGB II nimmt seine Aufgaben selbst wahr und die Beigeladene ist zwar anders als der Beklagte keine Optionskommune; sie handelt jedoch
in gewillkürter Prozessstandschaft (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl., §
54 Rn. 11 ff und Leitherer, aaO, § 69 Rn.4) für die gemeinsame Einrichtung, der sie selbst angeschlossen ist, den Jobcenter
A-Stadt (JC N- Stadt). Auf der Grundlage einer "Vereinbarung über die Erbringung von Aufgaben und Dienstleistungen nach §
44b Abs. 4 und 5 SGB II" vom 09.08.2012 hat sich die Beigeladene unter Punkt II. 3 (Frauenhaus) der Vereinbarung verpflichtet, ua. die gegen den
JC N- Stadt gerichteten Kostenerstattungsansprüche anderer kommunaler Träger nach § 36a SGB II für den JC N- Stadt zu bearbeiten, d.h. die kraft Gesetzes auf den JC N-Stadt übertragenen Aufgaben - einschließlich der
gerichtlichen Verfolgung - für diesen in eigenem Namen wahrzunehmen. Gründe, die der Prozessführungsbefugnis der Beteiligten
entgegenstünden, insbesondere eine Unwirksamkeit der Aufgabenübertragung an die Beigeladene, sind von den Beteiligten weder
dargelegt noch nach Lage der Akten ersichtlich.
Das SG hat den Beklagten zu Recht verurteilt, die geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 3.809,00 EUR an den Kläger zu erstatten,
die dem für die Leistungserbringung gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II zuständigen kommunalen Träger für die Dauer des Aufenthaltes der G. und ihrer Kinder im Frauenhaus der Stadt S. entstanden
sind. Die Verpflichtung des Beklagten ergibt sich aus § 36a SGB II. Hiernach ist der kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort verpflichtet, dem durch die Aufnahme im Frauenhaus
zuständigen kommunalen Träger am Ort des Frauenhauses die Kosten für die Zeit des Aufenthalts im Frauenhaus zu erstatten,
wenn eine Person in einem Frauenhaus Zuflucht sucht.
Der Kostenerstattungsanspruch nach § 36a SGB II setzt voraus, dass ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit der kommunalen Träger durch eine Flucht der leistungsberechtigten
Frau vom bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort in ein Frauenhaus stattfindet, wobei der kommunale Träger am Ort des bisherigen
gewöhnlichen Aufenthalts außerhalb eines Frauenhauses (Herkunftskommune) erstattungsverpflichtet, die Kommune, in deren örtlichen
Zuständigkeitsbereich iS des § 36 SGB II das Frauenhaus gelegen ist (aufnehmende Kommune) erstattungsberechtigt ist (vgl. BSG, Urteil vom 23.05.2012 - B 14 AS 190/11 R aaO).
An einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit bestehen nach der Beweisaufnahme durch den erkennenden Senat zumindest für die
Zeit ab dem 01.05.2013 keine Zweifel mehr, auch wenn die Ermittlungen des Beklagten zur Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthaltes
durch G. unzureichend waren und im Ergebnis nicht tragen.
G. und ihre Kinder hatten - dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - bis zu ihrer Flucht aus der Wohnung der Familie
am 15.04.2013 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten, dem L. Kreis. Soweit der Beklagte darauf
abgestellt hatte, dass G. durch ihre ordnungsbehördliche Abmeldung zum 20.04.2013 aus H-Stadt die Aufgabe ihres gewöhnlichen
Aufenthaltes zum Ausdruck gebracht habe, hat sich diese Feststellung nach der Einvernahme der G. nicht bestätigen lassen,
denn nach deren Angaben wusste sie weder, dass sie in H-Stadt ab- und in A-Stadt angemeldet worden war, noch konnte sie Angaben
dazu machen, wer diese Meldungen möglicherweise vorgenommen hat. Zweifel an diesen Angaben bestehen nicht, nachdem G. anlässlich
der Eröffnung eines Girokontos noch am 06.05.2013 ihre vormalige Wohnanschrift in H-Stadt angegeben hatte, wozu keine Veranlassung
bestanden hätte, wäre sie selbst davon ausgegangen, zum 20.04.2013 nach A-Stadt umgemeldet zu sein. Insofern ist zwar nicht
zweifelsfrei nachzuvollziehen, ob und wann G. bereits vor der Aufnahme in das Frauenhaus ihren gewöhnlichen Aufenthalt im
L. Kreis aufgegeben hat. Dies ist jedoch zumindest für die Zeit ab dem 01.05.2013 anzunehmen, denn spätestens ab diesem Zeitpunkt
stand durch den gesicherten Aufenthalt im Frauenhaus für G. und ihre Kinder bei perspektivischer Betrachtung fest, wenn nicht
auf Dauer, so doch zumindest für einen nicht absehbaren Zeitraum H-Stadt zu verlassen, d.h. den gewöhnlichen Aufenthalt im
L. Kreis aufzugeben. Mit dieser Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthaltes in H-Stadt, die erst zum 01.05.2013 zweifelsfrei nachweisbar
ist, ist der Kläger für die Leistungserbringung an G. und ihre Kinder nach § 36 Satz 4 SGB II örtlich zuständig geworden, nachdem sich allein durch die Aufnahme in das Frauenhaus zwar die Begründung eines gewöhnlichen
Aufenthaltsortes nicht feststellen lässt, G. als erwerbsfähige Leistungsberechtigte sich aber tatsächlich im Zuständigkeitsbereich
des Klägers aufgehalten hat.
Ausgehend hiervon greift die Erstattungspflicht des Beklagten gemäß § 36a SGB II, denn er ist iS dieser Regelung der kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort der G. (und ihrer Kinder).
Es ist nicht nachzuweisen, dass der gewöhnliche Aufenthalt der G. (und ihrer Kinder) im L. Kreis vor der Aufnahme im Frauenhaus
der Stadt S. geendet hat. Die Flucht einer von häuslicher Gewalt betroffenen Person lässt keinen zwingenden Schluss zu, dass
eine Rückkehr zum gewalttätigen Partner grundsätzlich auszuschließen ist, so dass allein der Flucht der G. und ihrer Kinder
keine indizielle Wirkung dergestalt beizumessen ist, bereits mit dem Beginn der Flucht habe ein zweifelsfreier Wille der G.
bestanden, den gewöhnlichen Aufenthalt im L. Kreis auszugeben. Auch das Vorbringen des Beklagten, G. habe sich nach A-Stadt
umgemeldet, ist nicht geeignet, ein Indiz dafür darzustellen, dass G. ihren gewöhnlichen Aufenthalt im L. Kreis aufgegeben
habe. Nach der Einvernahme der G. und ihren glaubhaften Angaben (siehe bereits oben) steht fest, dass sie sich nicht selbst
ordnungsbehördlich umgemeldet hat, so dass hieraus ein Wille zur Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthaltes abzuleiten wäre. Darüber
hinaus sind keine Indizien ersichtlich, die einen zweifelsfreien Schluss darauf zuließen, zu welchem Zeitpunkt bei G. der
Entschluss gereift war, dauerhaft oder zumindest für einen längeren Zeitraum nicht mehr in den L. Kreis zurückzukehren, d.h.
den gewöhnlichen Aufenthalt dort aufzugeben. Im Ergebnis ist daher allein auf die objektivierbaren äußeren Umstände abzustellen,
die einen Schluss darauf zulassen, G. habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt im L. Kreis aufgegeben. Ein derartiger Wille lässt
sich - wie oben bereits dargelegt - jedoch frühestens mit der Aufnahme in das Frauenhaus der Stadt S. objektivieren, so dass
bis unmittelbar vor der Aufnahme der G. und ihrer Kinder in S. deren gewöhnlicher Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der
Beklagten lag.
Ausgehend von diesen tatsächlichen Verhältnissen bestehen damit für den erkennenden Senat in Ansehung der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichtes (vgl. BSG, Urteile vom 25.05.2012 - B 14 AS 156/11 R, B 14 AS 190/11 R - [...]) keine Zweifel an der Erstattungspflicht des Beklagten. Hierbei ist es dem Beklagten weder gelungen, nachvollziehbar
darzulegen, aufgrund welcher Überlegungen er zu einer anderen Einschätzung der Sachlage gekommen ist, noch hat er es für erforderlich
erachtet, im Hinblick auf die im Rahmen mündlichen Verhandlung geäußerten Bedenken des erkennenden Senates, geeignete Beweismittel
zu bezeichnen, die seine Sichtweise des Sachverhaltes hätten belegen können, ungeachtet des Umstandes, dass derartige Beweismittel,
die im Wege der Amtsermittlung zu beachten gewesen wären, nicht ansatzweise ersichtlich waren.
Diese Erstattungspflicht ist nicht dadurch entfallen, dass ein anderer Träger erstattungspflichtig geworden wäre. Zum einen
lässt sich nach der Flucht der G. aus der bisherigen Familienwohnung am 15.04.2013 - wie bereits dargelegt - die Begründung
eines anderen gewöhnlichen Aufenthaltes insbesondere in A-Stadt nicht belegen, so dass auch eine Erstattungspflicht der Beigeladenen
ausscheidet.
Zum anderen fehlte es - soweit man der Einschätzung des Beklagten zur Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthaltes der G. folgen
würde - bereits an einer gesetzlichen Regelung für die Erstattungspflicht eines anderen Trägers, nämlich des Trägers, der
aufgrund des tatsächlichen Aufenthaltes gegenüber G. vor der Aufnahme in das Frauenhaus leistungspflichtig geworden wäre (idS
auch Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 36a Rn.24).
In diesem Falle wäre die Erstattungspflicht des Beklagten auch nicht allein dadurch begrenzt, dass sich G. und ihre Kinder
zwischenzeitlich, d.h. zwischen dem 15.04.2013 und 01.05.2013 tatsächlich an einem anderen Ort als der Herkunfts- oder der
Aufnahmekommune aufgehalten haben, mit der Konsequenz, dass der Kläger - mangels eines nachweisbaren gewöhnlichen Aufenthaltes
der G. - dann von keiner Seite eine Erstattung für seine Aufwendungen erhalten könnte (idS aber Groth in GK- SGB II § 36a, Stand 8/2008 Rn. 11 und 15). Insoweit befasst sich der Wortlaut der Regelung des § 36a SGB II ausschließlich mit der Begründung der Erstattungspflicht, er gibt aber keinen Hinweis auf dessen Grenzen. Daher lässt sich
das Fortbestehen der Erstattungspflicht im Wesentlichen nur aus dem Regelungszusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der Vorschrift
ableiten, der aber darauf schließen lässt, dass zumindest allein ein kurzfristiger zwischenzeitlicher tatsächlicher Aufenthalt
an einem anderen Ort die sich aus § 36a SGB II ergebende Erstattungspflicht der Herkunftskommune nicht entfallen lässt, wovon der Beklagte zuletzt noch ausging. Ein zwischenzeitlich
begründeter tatsächlicher Aufenthalt ändert die Erstattungspflicht nicht (vgl. ua Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 36a Rn.11)
Mit dem Inkrafttreten zum 01.01.2005 hatte der Gesetzgeber ursprünglich keine Notwenigkeit mehr gesehen, eine dem § 107 Abs 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vergleichbare Erstattungsregelung im SGB II oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu verankern (vgl. BT- Drucks 15/1514 S.68), auf dessen Grundlage - dort im Bereich der Zuständigkeitsregelungen - ua auch
die Kostentragung und Erstattung zwischen den Trägern bei Bezug von Sozialhilfeleistungen im Zusammenhang mit der Aufnahme
in ein Frauenhaus geregelt war. Dies war mit dem Inkrafttreten des SGB II seitens der Praxis bereits als problematisch erachtet worden, weil das Fehlen einer Regelung für eine Kostenerstattung im
SGB II dazu führte, dass Kostenträger des ansässigen Frauenhauses die Kostenübernahme für Frauen aus anderen Städten oder Landkreisen
ablehnten. Diese Bedenken hatte der Gesetzgeber mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Optimierung des SGB II (BT-Drucks. 15/5908 vom 12.07.2005) bereits aufgegriffen, der aber, vor allem im Hinblick auf die im Anschluss an den Aufenthalt
im Frauenhaus durch den Umzug in die aufnehmende Kommune entstehenden Kosten, nicht Gesetz geworden ist (vgl. zum Ganzen:
Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, Stand Nov 2013, § 36a Rn. 9 mwN). Nach dem Entwurf der Regelung war ua vorgesehen, dass der kommunale Träger, in dessen Bereich die leistungsberechtigte
Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in das Frauenhaus oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme
zuletzt gehabt hat, erstattungspflichtig werde (§ 36a Abs 1 Satz 2 des Entwurfes - BT-Drucks. 15/5908 S. 5). Damit knüpften
die Überlegungen an die Regelung des § 107 Abs 2 BSHG an, der für die Kostenerstattungspflicht zwar auch an den gewöhnlichen Aufenthalt vor der Aufnahme in die Einrichtung, d.h.
vorliegend das Frauenhaus anknüpfte, die Fortdauer der finanziellen Verantwortung der Herkunftskommune aber auf einen kurzen
Zeitraum zwischen der Beendigung des gewöhnlichen Aufenthaltes und der Aufnahme in der Einrichtung, nämlich ebenfalls auf
einen Zeitraum von zwei Monaten beschränkt hatte. Insoweit hatte der Gesetzgeber nicht nur eine Begrenzung der Verantwortlichkeit
der Herkunftskommune geregelt, sondern auch ins Kalkül gezogen, dass die Flucht vor häuslicher Gewalt nicht zwangsläufig übergangslos
in einem Frauenhaus endet, sondern vorhergehend, in Abhängigkeit von der Bedrohungssituation, über mehrere Stationen führen
kann, die allenfalls einen tatsächlichen Aufenthalt darstellen können. Hieraus ist aber abzuleiten, dass die Überlegungen
des Gesetzgebers bis zur (erstmaligen) Regelung der Kostenerstattungspflicht in § 36a SGB II (idF des Gesetzes vom 14.08.2005 zur Neufassung der Freibetragsregelungen für erwerbsfähige Hilfebedürftige - Freibetragsneuregelungsgesetz;
BGBl. I S. 2407) stets davon getragen waren, dass - soweit ein gewöhnlicher Aufenthalt bereits aufgegeben war - allein ein
kurzfristiger tatsächlicher Aufenthalt vor der Aufnahme in ein Frauenhaus die Verantwortlichkeit der Herkunftskommune nicht
entfallen lasse (vgl. Aubel aaO). Dem folgen auch die gesetzgeberischen Motive zu der zum 01.09.2005 in Kraft getretenen Fassung
des § 36a SGB II, die eine Begrenzung der Verantwortung der Herkunftskommune auf einen Zeitraum von zwei Monaten ab der Aufgabe des gewöhnlichen
Aufenthaltes nicht mehr beinhaltete. Wesentliche Überlegung für die Regelung war der Umstand, dass eine einseitige Kostenbelastung
derjenigen kommunalen Träger nach dem SGB II vermieden werden sollte, die ein Frauenhaus unterhalten, denn die weit überwiegende Zahl der Frauenhausbewohnerinnen können
Leistungen nach dem SGB II erhalten (BT- Drucks 15/5607 S. 6). Daraus ist aber abzuleiten, dass es mit der Regelung im Wesentlichen um den finanziellen
"Schutz des Aufnahmeortes" gegangen ist (vgl. Link in Eicher aaO § 36a Rn.2), was jedoch, um diesem gesetzgeberischen Motiv
weitgehend Rechnung zu tragen, gegen eine Auslegung spricht, die Herkunftskommune sei zur Kostenerstattung nur dann verpflichtet,
wenn die Zuflucht ins Frauenhaus unmittelbar vom Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes erfolgt war. Im Ergebnis gibt es
damit keine Hinweise, dass - ungeachtet der Aufgabe eines gewöhnlichen Aufenthaltes - ein tatsächlicher Aufenthalt vor der
Aufnahme in ein Frauenhaus, die die Erstattungspflicht der Herkunftskommune nach § 36a SGB II entfallen ließe (idS auch Krauß in Hauck/ Noftz aaO § 36a Rn. 21).
Mit der Berufung hat der Beklagte lediglich die Verpflichtung dem Grunde nach angegriffen und die Höhe der geltend gemachten
Aufwendungen unbeanstandet gelassen, so dass sich Ausführungen dazu erübrigen. Zudem ist auch dem Senat nicht ersichtlich,
dass der Kläger die Höhe der Erstattungsforderung unzutreffend berechnet hätte oder die Erstattung von Leistungen begehrt,
die zu Unrecht an G. und ihre Kinder erbracht worden wären.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a SGG i.V.m. §§
154 bis
162 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO), denn die Beteiligten gehören nicht dem gemäß §
183 SGG privilegierten Personenkreis an. Die Pflicht des Beklagten zur Kostentragung folgt aus seinem Unterliegen, wobei mit dem
Tenor klarzustellen war, dass der Beklagte nicht nur die (erstinstanzlichen) Gerichtskosten, sondern auch die Kosten des Klägers
und der Beigeladenen zu tragen hat (§
162 Abs
1 VwGO).
Gründe, gemäß §
160 Abs
1 Nr.1 und 2
SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.