Feststellung der Beendigung eines Rechtsstreites durch einen Vergleich
Doppelnatur eines Prozessvergleichs
Keine Wiederaufnahmeklage gegen Prozessvergleiche
Tatbestand
Streitig ist, ob der Rechtsstreit L 17 AS 450/13 durch den Vergleich vom 30.07.2014 beendet worden ist.
Der Kläger beantragte beim Beklagten zum 05.03.2011 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld
II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 15.03.2011 unter Verweis auf ein verwertbares Vermögen iHv 17.884,55 EUR
ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem der Kläger vortrug, die Geldanlage bei der W. Bausparkasse AG stelle ausschließlich
Altersvorsorgevermögen dar, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.04.2011 zurück. Einen erneuten Antrag auf Gewährung
von Alg II vom 20.07.2012 lehnte der Beklagte - wiederum mit Verweis auf eine wegen des Vorhandenseins von Vermögens fehlende
Hilfebedürftigkeit - mit Bescheid vom 22.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2012 ab. Dagegen hatte
der Kläger Klage beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben (S 5 AS 850/13).
Bereits zuvor hat der Kläger beim SG Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 14.04.2011 erhoben. Bei der Festgeldanlage handele es sich um kein verwertbares
Vermögen. Selbst bei Fälligkeit der Vertragssumme am 12.07.2011 habe er das Geld wiederum vertragsgemäß als Altersvorsorge
angelegt. Mit Urteil vom 05.06.2013 hat das SG den Bescheid vom 15.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2011 insoweit abgeändert, als dem Kläger
vom 01.03.2011 bis 11.07.2011 Alg II zu gewähren sei. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Bei dem ehemaligen Bausparvertrag
und jetzigem Festgeldkonto handele es sich nicht um Vermögen, welches der Altersvorsorge diene. Allerdings wäre eine Auflösung
der Geldanlage vor dem 12.07.2011 offensichtlich unwirtschaftlich gewesen.
Der Kläger hat dagegen Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt (L 17 AS 450/13). Im Hinblick auf die Anlage als Altersvorsorge handele es sich um privilegiertes Vermögen, dessen Verwertung eine besondere
Härte bedeuten würde bzw. das gar nicht verwertbar sei. Der vom Kläger im Berufungsverfahren beauftragte Rechtsanwalt hat
eine entsprechende, uneingeschränkte Prozessvollmacht vorgelegt. Der Beklagte hat eine unselbständige Anschlussberufung eingelegt
(18 LSG).
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 30.07.2014 wurde ausweislich der Niederschrift zunächst der Sachverhalt
vorgetragen, den Beteiligten das Wort erteilt und der Sach- und Streitstand erörtert. Anschließend hat der Vorsitzende des
17. Senats auf Bedenken bezüglich des Vorliegens einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit der Verwertung des Festgeldes
bis zum 11.07.2011 sowie auf verfahrensrechtliche Probleme im Hinblick auf einen neuen Antrag vom 20.07.2012 mit einem entsprechenden
Leistungszeitraum ab 01.07.2012 hingewiesen und unter Berücksichtigung der Differenz zwischen dem vom Beklagten festgestellten
Vermögen und dem jeweiligen Freibetrag eine vergleichsweise Einigung angeregt. Die Beteiligten haben darauf einen Vergleich
geschlossen, wonach der Beklagte vom 01.07.2012 bis 31.12.2014 Alg II zu zahlen hat. Der Rechtsstreit sowie das Verfahren
S 5 AS 850/13 beim SG wurden von den Beteiligten für erledigt erklärt. Der Vergleich wurde den Beteiligten vorgelesen und von ihnen genehmigt.
Am 28.07.2015 hat der Kläger erklärt, er fechte den Vergleich wegen Täuschung an. Auf die Frage, ob er dem Vergleich zustimme,
habe er geantwortet, er fühle sich regelrecht überfahren. Er habe weder Zeit eingeräumt bekommen, um den maßgeblichen Zeitraum
zu überprüfen, noch eine Einspruchsfrist. Sein Hinweis, das Konto sei schon ein Jahr früher leer gewesen, sei nicht berücksichtigt
worden. Nach mehrmaligem Nachfragen, ob dem dargestellten Sachverhalt zugestimmt werde, und dem versagt gebliebenen Schutz
durch seinen Rechtsanwalt, habe er dem Vergleich zugestimmt. Sein Rechtsanwalt habe ihm zuvor gesagt: " ...besser wird es
nicht mehr ...". Die tatsächliche Entwicklung habe die Täuschung noch verstärkt. Auch habe es bei der Umsetzung des Vergleichs
Probleme und einen neuen Rechtsstreit gegeben. Seinem Rechtsanwalt habe er damals alle notwendigen Unterlagen gegeben und
diese in der Sitzung dabei gehabt. Er habe aber keine Zeit eingeräumt bekommen, diese vorzulegen. Sein Rechtsanwalt habe ihn
in dem Glauben belassen, alle von ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen seien vorgelegt worden. Dieser habe auch seiner
Bitte um Beschleunigung des Verfahrens nicht entsprochen. Das Gericht habe gegen seine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts
von Amts wegen verstoßen. Seit Jahren werde permanent wahrheitswidrig angeführt, er verfüge noch über eine Lebensversicherung
mit einem Wert von weiteren 14.987 EUR. Hiervon hätten sich das Gericht seinerzeit und auch der Berichterstatter im vorliegenden
Verfahren täuschen lassen. So dürfe er sich mit Recht getäuscht fühlen, da noch immer diese vom Beklagten angeführte Lebensversicherung
als Tatsache angesehen werde. Ein Vergleich sei unwirksam, wenn der als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit
nicht entspreche, und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde. Erst jetzt lägen
dem Gericht die notwendigen Informationen vor, welche zuvor nicht übermittelt worden seien. Er habe dem Vergleich zugestimmt,
weil sich sonst der Rechtsstreit nach Auskunft des Bevollmächtigten enorm hingezogen hätte.
Der Kläger beantragt,
das Verfahren L 17 AS 450/13 fortzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
festzustellen, dass das Berufungsverfahren L 17 AS 450/13 durch den am 30.07.2014 abgeschlossenen Vergleich beendet wurde.
Es lägen keine Anfechtungsgründe vor. So lasse sich keine Täuschungshandlung erkennen. Dies sehe der Kläger offenbar auch
selber, da er sich von seinem Bevollmächtigten nach wie vor in einem anderen Verfahren vor dem SG vertreten lasse. Es sei davon auszugehen, der Kläger habe sich über seine Motive beim Vergleichsabschluss getäuscht. Ein
solcher Motivirrtum berechtige aber nicht zu einer Anfechtung. Schließlich hätte die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern erfolgen
müssen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsverfahren L 17 AS 450/13 ist durch den Vergleich vom 30.07.2014 beendet worden. Die Erklärung des Klägers, er fechte den Vergleich an, und die gestellten
Sachanträge lassen erkennen, dass er (zunächst) die Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 17 AS 450/13 begehrt. Diesem Begehren des Klägers (vgl zur Antragsauslegung Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl, §
123 Rdnr 3) kann nicht entsprochen werden, so dass über weitere Anträge - mangels fortzusetzendem Verfahren - nicht zu befinden
war. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Fortsetzung des Klageverfahrens S 8 AS 850/13. Dieses Aktenzeichen wurde vom Kläger vorliegend nicht benannt und es wäre für eine Entscheidung über die Fortsetzung des
Verfahrens S 8 AS 850/13 zudem das SG und nicht der Senat zuständig. Das bisherige Berufungsverfahren L 17 AS 450/13 hatte nur die Zahlung von Alg II für die Zeit vom 01.03.2011 bis 30.06.2012 zum Gegenstand, da der Leistungszeitraum ab 01.07.2012,
für den der Beklagte den Antrag des Klägers vom 20.07.2012 mit Bescheid vom 22.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 29.10.2012 ablehnt hatte, nicht nach §
96 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Verfahrensgegenstand geworden ist (vgl BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 59/06 R; Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 62/08 R; Beschluss vom 19.09.2008 - B 14 AS 44/08 B; Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 45/06 R). Mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 30.07.2014 geschlossenen Vergleich haben die Beteiligten das Verfahren L 17 AS 450/13 beendet. Er ist ordnungsgemäß und wirksam zustande gekommen. Der Vergleich verstößt nicht gegen §
101 Abs
1 SGG, denn die Beteiligten konnten über den Gegenstand der Klage verfügen. Es handelte sich auch um eine vergleichsweise Beendigung
des Verfahrens durch gegenseitiges Nachgegeben. So verzichtete der Kläger auf eine Leistungsgewährung vor dem 01.07.2012,
der Beklagte verpflichtete sich im Gegenzug zur Zahlung von Alg II dem Grunde nach vom 01.07.2012 bis 31.12.2014. Aus der
Niederschrift ergibt sich, dass der Vergleichswortlaut den Beteiligten vorgelesen und von diesen genehmigt worden ist. Die
Niederschrift ist entsprechend den gesetzlichen Vorschriften ausgefertigt und vom Vorsitzenden sowie von der Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle unterschrieben worden (§§
122 SGG,
159,
160 Zivilprozessordnung -
ZPO-). Die Unterschrift der Beteiligten ist nicht erforderlich. Der Kläger hat dem Vergleich nach dem Vorlesen auch ausdrücklich
zugestimmt, wie sich aus dem Protokoll und seinen eigenen Angaben ergibt (§
122 SGG i.V.m. §
165 Satz 1
ZPO). Eine Widerrufsmöglichkeit ist darin nicht vorgesehen. Der Prozessvergleich ist auch materiell-rechtlich wirksam. Wegen
seiner Doppelnatur entfaltet der Prozessvergleich keine Rechtswirksamkeit, wenn die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben
oder er als öffentlich-rechtlicher Vertrag nach den Bestimmungen der
Bürgerlichen Gesetzbuches (
BGB) nichtig oder wirksam angefochten ist; das Gleiche gilt, wenn nach dem Inhalt des Vergleichs der als feststehend zugrunde
gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht oder der Streit oder die Gewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht
entstanden sein würde (§
779 Abs
1 BGB; vgl BSG, Urteil vom 24.01.1991 - 2 RU 51/90; Urteil des Senats vom 22.04.2010 - L 10 AL 252/09 - und Urteil vom 12.06.2013 - L 11 AS 232/13). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Prozessvergleiches - etwa nach den Bestimmungen
der §§
116 ff
BGB - oder für seine Unwirksamkeit nach §
779 Abs
1 BGB liegen nicht vor. Soweit der Kläger vorträgt, er fechte den Vergleich wegen arglistiger Täuschung an, greift dies nicht durch.
Nach §
123 Abs
1 BGB kann, wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist, die Erklärung anfechten. Der
Kläger hat dem Vergleich jedoch nicht im Hinblick auf eine arglistige Täuschung zugestimmt. Wie sich aus der Niederschrift
über die mündliche Verhandlung ergibt, dauerte diese über eine Stunde. Es wurde der Sachverhalt vorgetragen, den Beteiligten
das Wort erteilt und der Sach- und Streitstand erörtert. Somit war dargelegt, von welchem Sachverhalt das Gericht ausgeht
und welche tatsächlichen Umstände es festgestellt hat. Sofern der Kläger davon ausgegangen ist, diese Sachverhaltsermittlung
sei - insbesondere im Hinblick auf §
103 SGG - nicht vollständig, hätte er dies vortragen können. Eine Verpflichtung zum Abschluss des Vergleichs bestand nicht. Es lässt
sich somit nicht nachvollziehen, dass der Kläger quasi zum Abschluss des Vergleichs gezwungen worden ist. So hat er auch nahezu
ein Jahr abgewartet, bis er die Gründe einer Unwirksamkeit des Vergleichs geltend gemacht hat. Eine arglistige Täuschung ist
von daher nicht erkennbar und schon gar nicht vom Kläger nachgewiesen worden. Der Kläger war anwaltlich vertreten und es ist
nicht ersichtlich, dass er aufgrund seiner Person nicht in der Lage gewesen wäre, die Auswirkungen zu erkennen. Letztlich
hat er nach eigenen Angaben zugestimmt, nachdem sein Bevollmächtigter gesagt habe, besser werde es nicht mehr. Anhaltspunkte
dafür, der Rechtsanwalt oder eine andere Person habe den Kläger arglistig getäuscht, sind nicht erkennbar. Sofern sein Bevollmächtigter
nicht alle ihm vom Kläger übersandten Unterlagen vorgelegt hat, mag dies dem geschuldet sein, dass er diese für (zunächst)
nicht streitentscheidend gehalten hat. Letztlich ging es um die Frage, ob beim Kläger verwertbares Vermögen im Hinblick auf
die Anlage bei der W. Bausparkasse AG vorhanden gewesen ist oder nicht. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass nach
dem Inhalt des Vergleichs der als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspriche oder der Streit
oder die Gewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde (§
779 Abs
1 BGB). Im Hinblick auf die Ungewissheit, ob ein verwertbares, die Vermögensfreigrenzen des § 12 SGB II übersteigendes Vermögen beim Kläger vorlag, haben die Beteiligten den Vergleich geschlossen und damit diese Unsicherheit
durch ein gegenseitiges Nachgeben geregelt. Ausführungen zu einer Wiederaufnahmeklage (§
179 SGG i.V.m. §§
578 ff
ZPO) erübrigen sich. Gegen Prozessvergleiche ist eine Wiederaufnahmeklage grundsätzlich nicht zulässig (vgl Urteil des Senats
vom 22.04.2010 - L 10 AL 252/09; BSG, Urteil vom 28.11.2002 - B 7 AL 26/02 R - mwN).
Das Berufungsverfahren L 17 AS 450/13 ist damit wirksam durch den Vergleich beendet worden und war deshalb nicht fortzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG liegen nicht vor.