Minderung von Alg II
Mehrere Streitgegenstände
Keine Umdeutung einer unzulässigen Berufung
Gründe
I.
Streitig ist die Minderung des Anspruches auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II-)
gemäß dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.06.2017 bis 31.08.2017 um 40,90 EUR monatlich und die Feststellung, dass die allgemeine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
ausreicht, um Meldepflichtverletzungen zu entschuldigen.
Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 19.01.2017 Alg II für die Zeit vom 01.03.2017 bis 28.02.2018. Zur Besprechung
seiner beruflichen Situation lud der Beklagten den Kläger mit Schreiben vom 13.04.2017 zum 03.05.2017 ein. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
genüge im Krankheitsfall nicht als Entschuldigung, vielmehr sei eine Bescheinigung des behandelnden Arztes vorzulegen, aus
der hervorgehe, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen gehindert sei, den Termin wahrzunehmen. Hierfür würden 5,36 EUR
erstattet werden. Angehört zu einer beabsichtigten Minderung wegen Nichterscheinens zu einem Meldetermin am 03.05.2017 teilte
der Kläger das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit ab 02.05.2017 mit. Mit Bescheid vom 12.05.2017
stellte der Beklagte den Eintritt einer Minderung um 40,90 EUR monatlich für die Zeit vom 01.06.2017 bis 31.08.2017 wegen
Nichterscheinens zu einem Meldetermin am 03.05.2017 ohne wichtigen Grund fest und hob die Bewilligung mit Bescheid vom selben
Tag teilweise für diese Zeit auf. Eine geforderte Wegeunfähigkeitsbescheinigung liege nicht vor. Hierüber sei aber mit dem
Einladungsschreiben vom 13.04.2017 informiert worden. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte als unbegründet
zurück, denn er sei mangels Unterschrift unzulässig.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Er sei wegen seiner nachgewiesenen ärztlichen Krankheitsbescheinigung nicht verpflichtet gewesen, die Einladung
zum 03.05.2017 wahrzunehmen. Wenn der Beklagte auf ein zusätzliches Attest zur Wegeunfähigkeit bestehe, habe er auch die Kosten
hierfür (10 bis 20,00 EUR) zu zahlen. Der Beklagte sei daher zu verpflichten, die Kosten für ein solches Attest zu bezahlen.
Der Beklagte wolle jedoch nur 5,36 EUR bezahlen. Am 22.06.2017 ist der Kläger zur mündlichen Verhandlung vom 12.07.2017 geladen
worden. Zudem hat es, nachdem der Kläger den vom SG angeforderten Fragebogen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht übersandt hatte, den Antrag auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe abgelehnt (Beschluss vom 12.07.2017). In der mündlichen Verhandlung vom 12.07.2017 hat das SG das Klageverfahren mit einer weiteren Klage des Klägers auf Feststellung, ob die allgemeinübliche Arbeitsunfähigkeit dazu
ausreiche, um seinen Meldepflichten nicht nachkommen zu müssen, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Zuletzt
hat der Kläger beantragt, den Bescheid vom 12.05.2017 aufzuheben und festzustellen, dass die allgemeine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
ausreiche, um Meldepflichten zu entschuldigen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 12.07.2014 abgewiesen. Zwar habe der Beklagte den Widerspruch zu Unrecht mangels Unterschrift
als unzulässig "zurückgewiesen". Der Minderungsbescheid sei jedoch rechtmäßig. Wegen des mehrfachen Nichterscheinens des Klägers
allein aufgrund von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei das Vorgehen des Beklagten (Verlangen nach einer Wegeunfähigkeitsbescheinigung)
erforderlich. Der Kläger habe jedoch nur eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt, so dass kein wichtiger Grund für
das Nichterscheinen vorliege. Die Klage auf (allgemeine) Feststellung, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausreiche
Meldepflichten zu entschuldigen, sei als allgemeine Feststellungsklage (§
55 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-) subsidiär gegenüber der vorliegenden Anfechtungsklage hinsichtlich des Bescheides vom 12.05.2017. Die vom Kläger begehrte
Feststellung werde im Rahmen der Anfechtungsklage gegen den Minderungsbescheid vom 12.05.2017 getroffen. Die Berufung hat
das SG nicht zugelassen.
Dagegen hat der Kläger ausdrücklich "Berufung" zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Die Vorsitzende des SG habe "von nichts eine Ahnung", über Prozesskostenhilfeanträge sei erst nachträglich entschieden worden und Ladungsfristen
seien nicht eingehalten worden. Mit einer Entscheidung im Beschlussverfahren hat er sich nicht einverstanden erklärt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.07.2017 sowie die Bescheide vom 12.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 19.06.2017 aufzuheben und festzustellen, dass die allgemeine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausreiche, um Meldepflichtverletzungen
zu entschuldigen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zum Teil nicht zulässig und daher zu verwerfen. Im Übrigen ist sie unbegründet und deshalb zurückzuweisen.
Hinsichtlich des Streitgegenstandes, der sich auf die Feststellung der Minderung durch den Bescheid vom 12.05.2017 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017 bezieht, konnte der Senat gemäß §
158 Satz 1 und
2 SGG durch Beschluss entscheiden, denn die Berufung ist nicht statthaft. Hinsichtlich des davon abtrennbaren, nicht gleichartigen
Streitgegenstandes auf allgemeine Feststellung, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausreiche, um Meldepflichtverletzungen
zu entschuldigen, konnte der Senat ebenfalls durch Beschluss gemäß §
153 Abs.
4 Satz 1
SGG entscheiden, denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich. Die
Beteiligten sind hierzu gehört worden. Das Einverständnis der Beteiligten hierzu ist nicht erforderlich; das Vorbringen des
Klägers führt nicht zur Erforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung.
Liegen innerhalb eines Klageverfahrens mehrere Streitgegenstände vor, ist hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung danach
zu differenzieren, ob die einzelnen Streitgegenstände vom Berufungsausschluss erfasst werden oder nicht (BSG, Beschluss vom 18.04.2016 - B 14 AS 150/15 B H - veröffentlicht in [...]; vgl. auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Auflage, §
144 Rn. 16).
Die Berufung bezüglich der gegen die Bescheide vom 12.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017 erhobenen
Anfechtungsklage ist unzulässig; das SG hat die Berufung nicht zugelassen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt nicht 750,00 EUR (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG). Streitig ist allein die teilweise Aufhebung des Alg II für die Zeit vom 01.06.2017 bis 31.08.2017 iHv monatlich 40,90 EUR.
Zu Recht hat das SG daher in seiner Rechtsmittelbelehrung auf das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde hingewiesen. Entgegen der erteilten
Rechtsmittelbelehrung hat der Kläger allerdings ausdrücklich "Berufung" erhoben. Bei der Auslegung eines Antrages geht der
Senat davon aus, was der Kläger erreichen möchte (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Auflage, §
123 Rn. 3). Nachdem die weiteren Ausführungen des Klägers nicht zum vorliegenden Verfahren in Beziehung stehen - der Kläger war
zur mündlichen Verhandlung vor dem SG persönlich erschienen und hat die noch ausstehende Entscheidung über den Antrag auf PKH nicht moniert, die Ladungsfristen
sind vom SG eingehalten worden -, bleibt allein der von ihm gewählte Wortlaut, um sein Begehren auszulegen. Hiernach hat er ausdrücklich
"Berufung", nicht aber Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Diese entgegen der erteilten Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich
vom Kläger gewählte Bezeichnung ist einer Auslegung nicht zugänglich, es ist eine Umdeutung erforderlich. Eine Umdeutung einer
Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde ist aber grundsätzlich auch bei nicht rechtskundig vertretenen Klägern nicht möglich
(BSG, Urteil vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/11 B -, Beschluss des Senates vom 02.09.2016 - L 10 AL 125/15 NZB - beide veröffentlicht in [...]; vgl. dazu auch Leitherer a.a.O. § 151 Rn. 11a, derselbe a.a.O. Vor § 143 Rn. 15c). Der
Kläger ist vom Senat auch auf das zutreffend zu erhebende Rechtsmittel innerhalb der noch offenen Rechtsmittelfrist hingewiesen
worden (Schreiben vom 17.08.2017).
Hinsichtlich des unbezifferten Feststellungsantrages ist der Wert des Beschwerdegegenstandes zu ermitteln (vgl. Leitherer
a.a.O. § 144 Rn. 15b, BSG, Beschluss vom 05.08.2015 - B 4 AS 17/15 B - veröffentlicht in [...]). Bei der vom Kläger erhobenen Feststellungsklage, ob eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung allgemein
ausreicht, um Verletzungen der Meldepflicht zu entschuldigen, geht es dem Kläger nicht um eine einzelne Minderung, sondern
sein Ziel ist, zukünftige Minderungen im Allgemeinen zu vermeiden. Damit ist nicht auf eine einzelne Minderung abzustellen.
Lässt sich aber endgültig nicht nachweisen, dass die Voraussetzungen für die Beschränkung der Berufung erfüllt sind, muss
im Ergebnis die Grundregel des §
143 SGG - Statthaftigkeit ohne Zulassung - greifen (vgl. Leitherer a.a.O. §
144 Rn. 15b). Somit ist hinsichtlich des Feststellungsbegehrens die Berufung als zulässig anzusehen. Sie ist jedoch hinsichtlich
dieses Streitgegenstandes unbegründet, denn das SG hat die Feststellungsklage im Ergebnis zu Recht als unzulässig abgewiesen. Die vom Kläger begehrte Feststellung betrifft
lediglich ein Tatbestandsmerkmal innerhalb der Rechtsgrundlage für die Feststellung des Eintritts einer Minderung, nämlich
die Frage, ob ein wichtiger Grund für das Nichterscheinen zu einem Meldetermin vorliegt. Dieses Tatbestandsmerkmal ist im
Rahmen der Amtsermittlung durch den Beklagten zu prüfen. Erst wenn entsprechende Nachforschungen ohne Erfolg bleiben, trifft
den Betroffenen die Feststellungslast (vgl. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 31 Rn. 66 ff, § 32 Rn. 27).
Die mit dieser Elementenfeststellungsklage vom Kläger aufgeworfene Frage ist zum einen bereits durch die Rechtsprechung bereits
geklärt (BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 4 AS 27/10 R - veröffentlicht in [...]), zum anderen aber ist sie unzulässig. Es handelt sich vorliegend nicht um die Feststellung einzelner
Rechten und Pflichten, sondern um die Feststellung einzelnen Elemente wie z.B. Rechtsfragen, Vorfragen oder Tatfragen (vgl
dazu: Keller a.a.O. § 55 Rn. 9). Erst recht ist ein Feststellungantrag unzulässig, wenn das streitige Rechtsverhältnis in
prozessualen Fragen eines ohnehin anhängigen Streites besteht (vgl. zum Ganzen Keller aaO § 55 Rn. 9). Dies ist vorliegend
der Fall, denn die Frage der ausreichenden Entschuldigung durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird im Rahmen der vom
Kläger erhobenen Anfechtungsklage hinsichtlich der Feststellung des Eintritts einer Minderung und Aufhebung für den konkreten
Fall geklärt. Die vorliegende Elementenfeststellungsklage ist auch nicht ausnahmsweise zulässig, wenn durch diese der Rechtsstreit
der Beteiligten insgesamt bereinigt wird (Keller aaO Rn. 9a), denn bei der vom Kläger aufgeworfenen Frage ist auf den Einzelfall
abzustellen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 09.11.2010 a.a.O.).
Nach alledem war die Berufung hinsichtlich der erhobenen Anfechtungsklage gegen die Minderung zu verwerfen und hinsichtlich
der erhobenen allgemeinen Feststellungsklage zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.