Kein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente bei Anspruch auf Altersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Altersrente des Klägers streitig.
Der 1946 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er stellte am 15.02.2011 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung
einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 10.05.2011 für die Zeit
ab 01.07.2011 eine Altersrente in Höhe von monatlich 88,15 Euro.
In den Anlagen zum Bescheid wurde die Rentenberechnung erläutert. Die Anlage 2 enthielt einen Versicherungsverlauf, in dem
Pflichtbeitragszeiten des Klägers in Deutschland in der Zeit vom 19.09.1972 bis Dezember 1982 ausgewiesen sind. Daran schlossen
sich Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Krankheit sowie eines Rentenbezugs mit Zurechnungszeit bis Mai 1988 an. Größere Lücken
bestanden von August 1974 bis Februar 1977 und von November 1980 bis Januar 1981. In der Anlage 3 wurden den gezahlten Beiträgen
Entgeltpunkte zugeordnet, deren Summe für 81 Monate Beitragszeit bei 4,6640 lag. Hinzuzufügen waren 0,5481 Entgeltpunkte die
nach den Sozialvorschriften für beitragsfreie Zeiten anzurechnen waren (Anlage 4). Von der Summe von 5,2121 Punkten wurden
wegen eines Versorgungsausgleich nach Ehescheidung 1,7166 Entgeltpunkte abgezogen (Berechnung nach Anlage 5). Ausgehend von
den verbleibenden persönlichen Entgeltpunkten in Höhe von 3,4955 (Anlage 6) berechnete sich eine Rente nach dem Rohwert von
96,02 Euro brutto, wovon ein Beitragsanteil des Rentners in Höhe von 7,87 Euro in Abzug zu bringen war.
Mit Schreiben vom 28.07.2011 legte der Kläger hiergegen am 08.08.2011 Widerspruch ein und machte geltend, dass er zu 80 %
behindert sei. Er sei bereit, sich ärztlich untersuchen zu lassen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.08.2011 zurück. Die Rente sei zutreffend berechnet. Der
Monatsbetrag der Rente ergebe sich, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte,
der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert vervielfältigt werden. Bei 3,4955 persönlichen Entgeltpunkten
ergebe sich keine höhere Rente. Es sei auch darauf hinzuweisen, dass sich nach Art 28 des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens
vom 30.04.1964 in der Fassung des Zusatzabkommens vom 02.11.1984 die vom deutschen Versicherungsträger zu gewährende Rente
ausschließlich aus den deutschen Versicherungszeiten errechne.
Mit Schreiben vom 28.11.2011 hat der Kläger am 12.12.2011 Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben. Er hat ärztliche Unterlagen
vorgelegt und weiterhin seine Behinderung geltend gemacht. Das Sozialgericht hat dem Kläger einen in die türkische Sprache
übersetzten Fragebogen übermittelt, um herauszufinden, ob der Kläger Einwände wegen möglicherweise fehlender rentenrechtlicher
Zeiten oder falscher Bewertung dieser Zeiten erhebe. Der Kläger hat jedoch eindeutig angegeben, dass es ihm ausschließlich
darum gehe, dass seine jetzt bestehende 80 %-ige Schwerbehinderung berücksichtigt werde. Er hat darauf hingewiesen, dass er
aus Deutschland bereits früher Rente wegen Invalidität bezogen habe.
Das Sozialgericht hat die Beteiligten dazu angehört, dass es durch Gerichtsbescheid nach §
105 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zu entscheiden beabsichtige. Mit Gerichtsbescheid vom 11.06.2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Rentenformel
sei zutreffend angewandt worden. In den Rentenberechnungsvorschriften gebe es kein Tatbestandsmerkmal, das in Beziehung stehe
zum Ausmaß einer vorliegenden Schwerbehinderung.
Hiergegen hat der Kläger beim Sozialgericht Bayreuth Berufung eingelegt, die an das Bayerische Landessozialgericht weitergeleitet
worden ist. Der Kläger hat geltend gemacht, dass der Beginn seiner Behinderung der 06.07.2010 sei. Er habe diesen Umstand
telefonisch mitgeteilt, jedoch keine Antwort erhalten. Er sei bereit, sich noch einmal von einer Kommission untersuchen zu
lassen. Seine Erkrankung werde mit jedem Tag schlimmer.
Der Senat hat mit Beschluss vom 14.12.2012 die Berufung dem Berichterstatter übertragen (§
153 Abs
5 SGG). Vor der mündlichen Verhandlung hat der Kläger nochmals die Arztunterlagen über seine Invalidität eingereicht.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.06.2012 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 10.05.2011 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2011 abzuändern und ihm eine höhere Rente unter Berücksichtigung seiner seit
dem 06.07.2010 vorliegenden Behinderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.06.2012 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der beigezogenen Akte der Beklagten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig. Auch wenn der Kläger nicht die Bezeichnung "Berufung" verwendet hat, ist aus seinen Ausführungen
hinreichend erkennbar, dass er das gesetzlich vorgesehene Rechtsmittel gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth
hat ergreifen wollen. Im Übrigen erfolgte die Berufungseinlegung form- und fristgerecht (§§
143,
144,
151 SGG).
Das Gericht konnte im vorliegenden Termin auch ohne Anwesenheit des Klägers entscheiden, nachdem eine ordnungsgemäße Terminsmitteilung
an den Kläger belegt ist und der Kläger auch darauf hingewiesen worden war, dass ohne ihn verhandelt werden könne.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Rentenbescheid und der zugehörige Widerspruchsbescheid sind nicht
zu beanstanden.
Die Berechnung der Altersrente ist nach den Vorschriften der §§
64 ff des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI) erfolgt; Berechnungsgrundlage für die Rentenhöhe sind auch nach Anwendung der europarechtlichen bzw. assoziationsrechtlichen
Vorschriften ausschließlich die in der deutschen Rentenversicherung zurückgelegten Zeiten - insbesondere Beitragszeiten.
Soweit der Kläger das Vorliegen einer Schwerbehinderung geltend macht und auf einen früheren Rentenbezug wegen seiner Invalidität
hinweist, ist Folgendes anzumerken: Im deutschen Rentenrecht gibt es keine Invalidenrente. Der gesundheitlich bedingte Rentenbezug
vor Erreichen der Möglichkeit einer altersbedingten Rente knüpft daran an, dass eine Erwerbsminderung eingetreten ist und
durch die Rente der Ausfall des Erwerbsverdienstes kompensiert werden soll. Deshalb ist es vom System her konsequent und im
Gesetz ausdrücklich festgelegt, dass ein Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente nur bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze
(im Fall des Klägers bei 65 Jahren) bestehen kann (§
43 Abs.
1 Satz 1 bzw. Abs.
2 Satz 1
SGB VI). Die Gewährung einer Altersrente und einer Erwerbsminderungsrente schließen sich somit gegenseitig aus. Eine Erwerbsminderungsrente
kann vom Kläger nicht mehr bezogen werden.
Dies ist anders als im Bereich der Unfallrenten nach dem
Siebten Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII); diese von der Berufsgenossenschaft gezahlten Renten nach Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten sind in ihrem Anspruch
unabhängig von Renten der gesetzlichen Rentenversicherung (auch wenn es für den Zahlbetrag Anrechnungsvorschriften gibt) und
enden deshalb nicht mit 65 Jahren.
Auch die in §
37 SGB VI geregelte Altersrente für schwerbehinderte Menschen führt nicht zu einer zusätzlichen Berücksichtigung von Invalidität neben
der Gewährung der Altersrente. Sie unterscheidet sich in der Berechnung überhaupt nicht, weil die identischen Berechnungsgrundlagen
und -vorschriften (§§
63 ff
SGB VI) zur Anwendung kommen. Sie hätte ausschließlich dazu führen können, dass die Altersrentengewährung schon früher hätte einsetzen
können; allerdings wären vermutlich die zusätzlichen Leistungsvoraussetzungen - wie etwa die Wartezeit von 35 Jahren - beim
Kläger ohnehin nicht erfüllt gewesen. Der vom Kläger geltend gemachte höhere oder zusätzliche Rentenanspruch ist auch aus
§
37 SGB VI somit nicht zu begründen.
Im Übrigen - ohne dass dies zum Streitgegenstand gehören würde oder überhaupt durch eine sozialrechtliche Entscheidung ausgelöst
wäre - ist darauf hinzuweisen, dass die Altersrente des Klägers knapp 50 % höher ausgefallen wäre, wenn bei ihm kein Versorgungsausgleich
wegen Ehescheidung bestehen würde. Ob dem Kläger im Rahmen der familienrechtlichen Vorschriften die Möglichkeit eröffnet ist,
eine nachträgliche Abänderung des Versorgungsausgleiches wegen besonderer Härten geltend zu machen, ist nicht Aufgabe einer
Überprüfung durch die gesetzliche Rentenversicherung.
Die nochmalige Überprüfung des Rentenbescheides des Klägers durch den Senat hat insgesamt kein anderes Ergebnis gebracht;
die angefochtenen Bescheide und der erstinstanzliche Gerichtsbescheid sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.