Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
hat.
Der 1952 geborene Kläger hat den Beruf eines Erziehers und Fachlehrers für Musik erlernt. Zuletzt war der Kläger selbstständig
als Musiklehrer tätig gewesen.
Am 30.10.2006 stellte der Kläger einen Antrag auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, den er im Formblattantrag allgemein
auf eine Rente wegen Erwerbsminderung ausdehnte. Vom 07.12.2004 bis 28.12.2004 war der Kläger zur medizinischen Rehabilitation
im Reha-Zentrum Bad N. gewesen, wobei im Mittelpunkt der Diagnosen eine diffuse koronare Dreigefäßerkrankung mit Rekanalisation
und Stent-PTCA des RIVA am 01.10.2004 gestanden hatte. Zwar war der Kläger aus der Rehabilitation als arbeitsunfähig entlassen
worden, jedoch war angenommen worden, dass er für den zuletzt ausgeübten Beruf nach einer kurzen weiteren Stabilisierung wieder
einsatzfähig sei.
Im Rentenverfahren wurde der Kläger am 04.12.2006 durch die Internistin Dr.R. untersucht, die zur Verbesserung der bestehenden
Risikofaktoren und zur Stabilisierung der Leistungsfähigkeit Rehabilitationsmaßnahmen anregte. Ansonsten sei der Kläger für
leichte bis mittelschwere Arbeiten in Tagesschicht ohne weitere wesentliche Einschränkungen vollschichtig einsatzfähig. Der
Beratungsarzt der Beklagten Dr.W. benannte nach Auswertung des Gutachtens folgende Diagnosen beim Kläger:
1. Allgemeine Arteriosklerose, Z.n. Herzinfarkt, kompensierte Herzerkrankung, Nikotinmissbrauch.
2. Z.n. Alkoholmissbrauch mit Bauchspeicheldrüsenentzündung.
3. Nierensteinleiden.
Bei den Arbeitsbedingungen sei zusätzlich zu beachten, dass kein überdurchschnittlicher Zeitdruck abgefordert werden solle
und die Tätigkeit in temperierten Räumen erfolgen solle. Eine erneute und damit vorfristige Rehabilitationsmaßnahme werde
nicht als erforderlich angesehen.
Mit Bescheid vom 11.01.2007 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da die medizinischen Voraussetzungen für eine teilweise
oder volle Erwerbsminderung nicht vorliegen würden. Der Kläger sei auch nicht berufsunfähig, da er noch in der Lage sei, in
seinem bisherigen Beruf als Musiklehrer mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Mit Schreiben vom 14.02.2007 legte der Kläger Widerspruch ein. Er machte geltend, dass er schwerbehindert sei und einen Grad
der Behinderung von 60 habe. Er sei schon in jungen Jahren Opfer einer Gewalttat geworden und aktuell nicht mehr in der Lage,
täglich mehr als 2 Stunden konzentriert zu arbeiten. Die Beklagte holte Befundberichte beim prakt. Arzt Dr.K. und beim Facharzt
für Neurologie Dr.Sch. ein. Am 01.09.2007 gab dieser an, dass der Kläger sich dort seit 20.07.2006 gelegentlich in Behandlung
befinde und aktuell Arbeitsunfähigkeit vorliege.
Anschließend ließ die Beklagte ein Gutachten beim Neurologen und Psychiater Dr.N. erstellen, der den Kläger am 22.11.2007
untersuchte und folgende Diagnosen benannte:
1. Alkoholabhängigkeit mit derzeit kontrolliertem Trinken.
2. Abhängigkeit von Opioiden wegen Schmerzen.
3. Angst und Depression gemischt.
4. Alkoholpolyneuropathie.
Der Kläger sei aktuell düster verstimmt und ohne Perspektiven. Die depressive Verstimmung manifestiere sich auch in Unkonzentriertheit.
Wegen seiner Antriebsdefizite sei der Kläger derzeit als arbeitsunfähig zu bezeichnen; durch eine stationäre Behandlung sei
aber eine Besserung möglich, so dass prinzipiell ein über 6-stündiges Leistungsvermögen im bisherigen Beruf als Musiklehrer
bestehe. Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. H. folgte dieser Beurteilung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung
habe bestätigt, dass der Kläger in der Lage sei, sowohl unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, als
auch im Beruf als Musiklehrer mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Am 28.03.2007 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben und hat geltend gemacht, dass seine Gesundheitsstörungen
nicht zutreffend erfasst worden seien. Das Sozialgericht hat das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeitszeiten im Oktober 2006 und
dann erneut ab Juli 2008 ermittelt. Es hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten Dr.K., Dr.Sch. und Frau Dr.B. angefordert.
Der Nervenarzt Dr.Sch. hat eine leichte Besserung seit ca. 2007 angenommen, während der prakt. Arzt Dr.K. ohne jegliche Detailangaben
von einer Verschlechterung der Depression und ebenso der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit berichtet hat.
Im Folgenden hat das Sozialgericht Gutachten auf nervenärztlichem Gebiet durch Dr.H. und auf internistischem Gebiet durch
Dr.E. in Auftrag gegeben.
Dr.H. hat in seinem Gutachten vom 15.01.2009 auf nervenärztlichem Fachgebiet eine Alkohol-, Opiat- und Beruhigungsmittelabhängigkeit
sowie eine leichte alkoholbedingten Nervenschädigung an den unteren Extremitäten beschrieben. Die im Vordergrund stehenden
Suchterkrankungen seien behandelbar. Dies betreffe auch die vom Kläger in seinem Tagesablauf berichtete Lethargie und Antriebsminderung,
wobei sich in der Untersuchungssituation Antrieb und Psychomotorik nicht weiter auffällig gezeigt hätten. Dem Kläger sei noch
die weitere Ausübung der Tätigkeit als Musiklehrer zumutbar.
Dr.E. ist in seinem Gutachten vom 14.02.2009 ebenfalls zum Ergebnis gekommen, dass dem Kläger noch die Ausübung einer Tätigkeit
als Musiklehrer zumutbar sei. Er hat die Gesundheitsstörungen des Klägers folgendermaßen beschrieben:
1. Koronare Dreigefäßerkrankung, Herzvorderwandinfarkt 10/2004, mit Rekanalisation des RIVA durch PTCA bei leicht eingeschränkter
Pumpleistung des linken Herzens.
2. Diffuse toxisch-nutritive Leberparenchymschädigung jedoch ohne Einschränkung der Syntheseleistung der Leber.
3. Abgelaufene Pankreatitis ohne derzeit erkennbare Aktivität.
4. Chronische Nierenveränderungen rechts, intraabdominelle Verwachsungen und ausgedehnte Bauchnarbenbildungen an der rechten
Bauchseite nach Bauchschussverletzung 1973.
5. Arterielle Verschlusskrankheit der Beine vom Unterschenkeltyp, aktuell keine wesentliche hämodynamische Wirksamkeit.
6. Hypertriglyzeridämie.
7. Nikotinabusus.
Ergänzend seien die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet zu beachten. In der Zusammenschau könne der Kläger
noch leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Haltung oder überwiegend im Sitzen ausüben. Auszuschließen seien erhöhte
Unfallgefährdung, übermäßige nervliche Belastung, die Notwendigkeit von Fahr- und Steuertätigkeiten sowie längeres Gehen und
Stehen. Zu vermeiden seien auch Arbeiten an Arbeitsstellen mit erhöhter Suchtgefährdung.
Daraufhin hat das Sozialgericht mit Urteil vom 28.05.2009 die Klage abgewiesen. Es ist zum Ergebnis gekommen, dass aufgrund
der übereinstimmenden Feststellungen der beauftragten Gutachter Dr.H. und Dr.E. keine organisch begründbare Schmerzsymptomatik
und in sozialmedizinischer Hinsicht keine zeitliche Einschränkung der Einsatzfähigkeit in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit
und an anderen geeigneten Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes bestehen würde. Die Klage sei daher abzuweisen.
Mit Schreiben vom 21.08.2009 hat der Kläger am 27.08.2009 Widerspruch gegen die Entscheidung des Sozialgerichts Nürnberg eingelegt,
der dem Bayer. Landessozialgericht als Berufung übermittelt wurde. Der Kläger hat geltend gemacht, dass die Tätigkeit eines
Musiklehrers mit erheblichen nervlichen Belastungen verbunden sei und hat die ihn traumatisierenden Ereignisse aus dem Jahr
1972 ausführlich geschildert. Die Beklagte hat eingewandt, dass der Kläger nach diesen Ereignissen noch in der Lage gewesen
sei, ein 5-jähriges Hochschulstudium zu absolvieren und danach einer vollschichtigen Tätigkeit nachzugehen; eine Re-Traumatisierung
sei den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht zu entnehmen.
Mit weiterem Schreiben vom 23.07.2010 hat der Kläger nunmehr geltend gemacht, dass er zwischenzeitlich zwei Schulterfrakturen
am linken Oberarm erlitten habe und damit eine Tätigkeit als Klavierlehrer/Pianist ausgeschlossen sei. Die Beklagte hat aber
auch hierdurch ein überdauernd vermindertes Leistungsvermögen für den letzten Beruf bzw. den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht
als belegt angesehen, sondern ist zur Einschätzung gelangt, dass eine länger dauernde Arbeitsunfähigkeit bestehe.
In einem Erörterungstermin vom 13.10.2010 hat die Beklagte einen Versicherungsverlauf des Klägers vorgelegt: Danach sind Pflichtbeitragszeiten
bis zum 12.10.2005 enthalten, zuletzt aus Entgeltersatzleistung wegen Arbeitslosigkeit. Die Zeit vom 13.10.2005 bis 31.10.2005
ist als Anrechnungszeit für Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug ausgewiesen. In der Zeit vom 01.11.2005 bis 02.03.2007 liege
eine geklärte Lücke vor. Der Kläger hat ein Attest des Internisten Dr.F. vom 12.10.2010 vorgelegt, wonach er schon bei kleinsten
Anstrengungen über Atemnot klage und seine Gehstrecke höchstens 100 m betrage.
Im Folgenden hat der Bevollmächtigte des Klägers die Einholung eines Gutachtens nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) durch Dr.F. beantragt und darum gebeten, von der Anforderung eines Kostenvorschusses abzusehen. Der Senat hat die Einholung
des Gutachtens nach §
109 SGG jedoch von einer Vorschussleistung in Höhe von 1.750,00 EUR abhängig gemacht. Trotz Verlängerung der hierfür eingeräumten
Frist ist eine solche Zahlung nicht eingegangen. Der Bevollmächtigte des Klägers hat vielmehr das Mandat niedergelegt.
Der Senat hat weitere ärztliche Unterlagen bei dem Allgemeinmediziner Dr.C. und dem Unfallchirurgen Dr.D. angefordert und
eine ergänzende Stellungnahme beim Gutachter Dr.E. erbeten. Der Kläger hat noch ein psychiatrisches Fachgutachten des Dr.H.
vom 22.06.2011 vorlegt, das das Amtsgericht A-Stadt in seiner Betreuungsangelegenheit hatte erstellen lassen. Dr.H. war am
22.06.2011 zum Ergebnis gekommen, dass beim Kläger für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung aktuell
keine ausreichende Geschäftsfähigkeit bestehe, eine globale Geschäftsunfähigkeit im Sinne des §
104 Abs
2 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) sich aber derzeit nicht habe feststellen lassen. Am 20.07.2011 hat das Amtsgericht A-Stadt den neu bevollmächtigten Rechtsanwalt
als Betreuer bestellt mit einem Aufgabenkreis, der auch die Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern
umfasste.
Am 30.07.2011 ist in der ersten ergänzenden Stellungnahme des Dr.E. ausgeführt worden, dass es seit der Begutachtung vom 14.02.2009
zu Veränderungen gekommen sei und zwar durch die Sprunggelenksfraktur links mit anschließender operativer Versorgung sowie
durch die Verletzungen im Schulterbereich und Oberarmbereich links mit nachfolgender operativer Behandlung. Eine geänderte
sozialmedizinische Beurteilung resultiere daraus jedoch nicht.
Am 09.09.2011 hat der ärztliche Sachverständige Dr.E. eine weitere ergänzende Stellungnahme abgegeben: Aufgrund der zwischenzeitlich
übermittelten Feststellungen auf psychiatrischem Fachgebiet sei von einer wesentlichen Verschlechterung auszugehen. Diese
Verschlechterung habe sich nach den Untersuchungen durch Dr.H. im Januar 2009 ergeben. Sie führe dazu, dass dem Kläger nunmehr
selbst leichte körperliche Tätigkeiten nicht in einem Umfang von mindestens 3 Stunden täglich möglich seien.
Die Beklagte hat dargelegt, dass nach diesen Feststellungen eine Verschlechterung eines früher ermittelten Gesundheitszustandes
des Klägers vorliegen würde; für Leistungsfälle, die nach dem 01.10.2007 eingetreten seien, seien jedoch die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.05.2009 und den Bescheid der Beklagten vom 11.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 26.02.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger auf seinen Antrag vom 30.10.2006 hin Rente wegen voller
Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.05.2009 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Beklagtenakte und die Akte des Zentrums
Bayern Familie und Soziales inhaltlich Bezug genommen.
Die Leistungsfähigkeit des Klägers stellt sich aktuell - seit 30.05.2011 nachgewiesen - folgendermaßen dar: Er ist nicht mehr
in der Lage, selbst leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens 3 Stunden täglich zu verrichten, wobei allerdings
noch nicht belegt ist, dass eine Besserung dieser Einschränkungen ausgeschlossen sei. Dieses sozialmedizinische Leistungsbild
ist durch eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des Klägers nach dem 15.01.2009 - möglicherweise schon im Februar
2009 - zu Stande gekommen. Für die Zeit bis 15.01.2009 bestand eine Leistungsfähigkeit des Klägers noch in folgendem Umfang:
Leichte körperliche Arbeit in wechselnder Körperhaltung konnte im Umfang von wenigstens 6 Stunden täglich verrichtet werden.
Ausgeschlossen waren Fahr- und Steuertätigkeiten, erhöhte Unfallgefährdung, erhöhte Suchtgefährdung, überwiegendes Gehen und
Stehen sowie übermäßige nervliche Belastung.
Zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit stützt sich der Senat wesentlich auf die Feststellungen des Neurologen und Psychiaters
Dr.H. und des Internisten und Sozialmediziners Dr.E., die den Kläger im erstinstanzlichen Verfahren untersucht haben. Letzterer
hat auch die aktuelle gesundheitliche Situation des Klägers nach Aktenlage beurteilt.
Die ablehnenden Bescheide der Beklagten und das erstinstanzielle Urteil sind somit insgesamt im Ergebnis nicht zu beanstanden
und die Berufung war zurückzuweisen.