Tatbestand
Der 1962 geborene Kläger beantragte erstmals am 28.05.2009 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Eine Berufsausbildung
hat er nicht absolviert, von 1977 bis 2008 ist er als Hilfsarbeiter bzw. Hilfskraft beschäftigt gewesen.
Nach Begutachtung durch Dr. von G. am 09.09.2009 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.09.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 18.11.2009 den Rentenantrag des Klägers ab.
Am 09.04.2010 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte beauftragte den Chirurgen/Unfallchirurgen
und Sozialmediziner Dr.P. mit der Erstellung eines Gutachtens. Dr.P. stellte am 01.07.2010 folgende Diagnosen:
1.Coxalgie beidseits bei Coxarthrose rechts, Hüft-TEP links 10/2008.
2. Fehlhaltung der Wirbelsäule und degenerative Veränderung an der HWS mit geringer Funktionseinschränkung, an BWS und LWS
bei zusätzlichen Bandscheibenvorwölbungen mit Schmerzsymptomatik.
3. Schulter-Arthralgie rechts bei Omarthrose.
4. Rezidivierende Gonalgie beidseits, Zustand nach Arthroskopien.
Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wenigstens sechs Stunden täglich noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten
mit qualitativen Einschränkungen verrichten.
Mit Bescheid vom 05.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2010 wies die Beklagte den Rentenantrag ab.
Dagegen hat der Kläger am 14.12.2010 Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhoben. Das SG hat die Akten des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Mittelfranken sowie Befundberichte der den Kläger behandelnden
Ärzte Dr.F. und Dr.S. eingeholt sowie Dr.S. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.
Dr.S. hat am 14.09.2011 folgende Diagnosen gestellt:
1.Versorgung des linken Hüftgelenkes mit einem Kunstgelenk bei zusätzlich notwendiger Revision, Verschleißerscheinungen im
rechten Hüftgelenk mit Bewegungseinschränkung in beiden Hüftgelenken.
2. Fehlhaltung der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung an der mittleren und unteren Wirbelsäule bei Bandscheibenerkrankung der
unteren Lendenwirbelsäule, Muskelreizerscheinungen, zeitweise Nervenwurzelreizerscheinungen.
3. Operiertes Engpasssyndrom im rechten Schultergelenk mit Ausräumung einer Knochenzyste, Funktionsbehinderung im rechten
Schultergelenk.
4. Belastungsbedingte Beschwerden in beiden Kniegelenken bei Zustand nach Arthroskopien und Verschleißerscheinungen, O-Bein-Fehlstellung
und Fußfehlform beidseits.
5. Dysthymie mit Verdacht auf chronische Schmerzkrankheit.
Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch wenigstens 6 Stunden täglich leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen
verrichten.
Auf Antrag des Klägers hat das SG ein Gutachten von dem Orthopäden Dr.W. eingeholt. Dr.W. hat am 19.03.2012 folgende Diagnosen gestellt:
1.Zustand nach Versorgung des linken Hüftgelenks mit einer zementfrei implantierten Endoprothese, Z.n. Weichteilrevision mit
konsekutiver Weichteilverhärtung im Narbenbereich bis zum mittleren Drittel des linken Oberschenkels.
2. Verschleißerscheinung des rechten Hüftgelenks.
3. Übergangsstörung im Bereich der lumbosakralen Wirbelsäule mit Überlastungsreaktion der Zwischenwirbelscheiben und entsprechenden
muskulären Beschwerden.
4. Bandscheibenvorwölbung im untersten Lumbalsegment ohne aktuelle Wurzelreizsymptomatik und ohne neurologische Defizite im
Bereich des rechten Beines.
5. O-Bein Fehlstellung beidseits bei Zustand nach mehrfacher Arthroskopie des linken Kniegelenks mit Innenmeniskusteilentfernung;
Verschleißprozess im Bereich des inneren Gelenkspalts beidseits.
6. Erhebliches Funktionsdefizit der rechten Schulter bei Zustand nach zweimaliger Arthroskopie des rechten Schultergelenks
sowie offener Zystenausräumung und Auffüllung mit Knochen mit Bereich der Schultergelenkspfanne rechts.
Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch wenigstens 3 bis unter 6 Stunden täglich leichte Tätigkeiten mit qualitativen
Einschränkungen verrichten. Die Beklagte hat dazu Stellung genommen und dargelegt, das Gutachten von Dr.W. sei hinsichtlich
der quantitativen Leistungsbeurteilung nicht ganz schlüssig. Die Beklagte weist darauf hin, dass der Sachverständige angibt,
das endgültige Ergebnis sei 6 Wochen nach einer Operation noch nicht regelrecht zu beurteilen.
Das SG hat erneut den Sachverständigen Dr.S. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dr.S. hat am 07.08.2012 folgende Diagnosen
gestellt:
1.Fehlhaltung der Wirbelsäule, Funktionseinschränkung in allen WS-Abschnitten, degenerative Veränderungen und Bandscheibenschäden
an der BWS und LWS, zeitweilige Nervenwurzelreizerscheinungen.
2. Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes nach mehrmaliger Arthroskopie und OP einer Geschwulst, Bewegungseinschränkung
im rechten Schultergelenk mit Arthrose im Schultergelenk.
3. Ersatz des linken Hüftgelenkes durch ein Kunstgelenk bei ausreichender Beweglichkeit.
4. Leichtgradige Funktionsbehinderung im rechten Hüftgelenk bei leicht- bis mittelgradigen Verschleißerscheinungen und Sehnenreizung
am großen Rollhügel.
5. Leichtgradige Arthrose an beiden Kniegelenken bds. nach Arthroskopie ohne gröbere Funktionseinschränkung.
6. Fußfehlform bds. und O-Beinfehlstellung bds.
7. Teillähmung des M. subscapularis rechts mit Fehlhaltung des Schulterblattes.
Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch wenigstens 6 Stunden täglich leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen
verrichten.
Mit Urteil vom 09.08.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch wenigstens 6 Stunden täglich leichte Tätigkeiten
im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen verrichten. Schwere und mittelschwere Hebe- und Tragearbeiten, Zwangshaltungen, bückende
und kniende Tätigkeiten müssten vermieden werden. Das Gericht folge der Leistungseinschätzung von Dr.S ... Der Beurteilung
des Sachverständigen Dr.W. habe das Gericht nicht folgen können. Dr.W. habe eine quantitative Leistungsminderung mit dem von
ihm festgestellten ausgeprägten Funktionsverlust des rechten Schultergelenks begründet. Dieser beruhe jedoch auf einer erst
ca. 6 Wochen zurückliegenden Operation, also zu einem Zeitpunkt, an dem der Heilungsvorgang an der rechten Schulter nach übereinstimmenden
Aussagen von Dr.N. und Dr.S. noch nicht beendet gewesen sei. Auch Dr.W. räume in seinem Gutachten ein, dass das endgültige
Ergebnis des Eingriffs "aktuell noch nicht zu beurteilen" gewesen sei.
Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht erhoben.
Der Senat hat Befundberichte des den Kläger behandelnden Allgemeinarztes Dr.F., des Neurologen Dr.C., der Orthopädie A-Stadt
und der orthopädischen E.-Klinik eingeholt.
Während des Verfahrens hat der Kläger an einer orthopädischen Rehabilitationsmaßnahme vom 25.09.2013 bis 15.10.2013 teilgenommen.
Laut Reha-Entlassungsbericht vom 21.10.2013 wurden folgende Diagnosen gestellt:
1.Z. n. Implantation einer zementfreien Hüft-TEP rechts am 15.08.2013 bei Coxarthrose.
2. Z. n. Hüft-TEP links 2008 mit anschließender Wundheilungsstörung und Revision 2009.
3. Kleiner BSV C5/6 paramedian rechts.
4. Chronische Lumbalgie bei Osteochondrose und Spondylarthrose der LWS nach Behandlung mit lumbalem Schmerzkatheter.
5. Mehrfach AS des rechten Kniegelenks bei Meniskusschaden.
Der Kläger wurde arbeitsunfähig entlassen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe jedoch ein wenigstens 6-stündiges Leistungsvermögen
nach Anpassung und Gewöhnung und bei regelrechter Funktion der Hüft-TEP. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten könnten im
Sitzen und im Wechselrhythmus ohne schweres Heben und Tragen oder häufiges Bücken verrichtet werden.
Nach Einholung eines weiteren Befundberichts des Orthopädie-Zentrums A-Stadt hat der Senat den Orthopäden Dr.L. mit der Erstellung
eines Gutachtens beauftragt. Dr.L. hat am 19.03.2014 folgende Diagnosen gestellt:
1.Hüftgelenkendoprothese beidseits.
2. Unkompliziertes Zervikalsyndrom.
3. Lumbalsyndrom, alter Wurzelreiz S1 rechts.
Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch wenigstens 6 Stunden täglich leichte bis teilweise mittelschwere Tätigkeiten
mit qualitativen Einschränkungen verrichten.
Auf Antrag des Klägers hat der Senat ein Gutachten des Orthopäden Dr.J. eingeholt. Dr.J. hat am 04.06.2014 folgende Diagnosen
gestellt:
1.Z. n. Hüftendoprothesen beidseits 2008 und 2013.
2. Z. n. Arthoskopie bd. Knie bei Innenmeniskusläsion.
3. IM und AM-Schaden rechtes Kniegelenk.
4. Z. n. Bandscheibenprolaps L5/S1 2004.
5. Degenerative Veränderungen der gesamten Wirbelsäule.
6. Z. n. Arthroskopie der rechten Schulter mit subacromialer Dekompression Acromioplastik, Bursektomie sowie offener Zystenausräumung
und Auffüllung 2011.
7. AC-Gelenksarthrose li.
Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch wenigstens 6 Stunden täglich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten
mit qualitativen Einschränkungen verrichten.
Der Kläger verweist darauf, dass er nach wie vor Schmerzen habe, insbesondere nachdem am 06.10.2014 erneut eine OP des rechten
Kniegelenks vorgenommen worden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 09.08.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 08.12.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die gesetzlichen Leistungen einer Rente wegen voller,
hilfsweise
teilweiser Erwerbsminderung auf seinen Antrag vom 09.04.2010 hin zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 09.08.2012 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Beklagtenakte und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
2.in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung
haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Zur Überzeugung des Senats stellt sich das Leistungsvermögen des Klägers folgendermaßen dar: Der Kläger ist noch in der Lage,
wenigstens 6 Stunden täglich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Wechselrhythmus bzw. im Sitzen zu verrichten. Vermieden
werden müssen häufige Überkopfarbeiten, unfallgefährdete Tätigkeiten, Arbeiten auf Gerüsten und Leitern sowie Tätigkeiten
mit Vibrationsbelastungen. Zu vermeiden ist ebenso das Heben und Tragen schwerer Lasten.
Zur Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers stützt sich der Senat auf die Feststellungen der Sachverständigen Dr.L.
und Dr.J. sowie des im SG-Verfahren gehörten Dr.S ...
Eingeschränkt ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers ganz im Vordergrund stehend auf orthopädischem Gebiet. Bei ihm bestehen
ein Zustand nach Hüftendoprothesen beidseits 2008 und 2013, Z. n. Arthroskopie beider Knie bei Innenmeniskusläsion, Innen-
und Außenmeniskusschaden rechtes Kniegelenk, degenerative Veränderungen der gesamten Wirbelsäule, Zustand nach Arthroskopie
der rechten Schulter 2011, Lumbalsyndrom, alter Wurzelreiz S 1 rechts, Z. n. Bandscheibenprolaps L5/S1 2004, und AC-Gelenksarthrose
links. Nach der übereinstimmenden Beurteilung von Dr.J., Dr.L., Dr.S. bedingen diese Einschränkungen keine Minderung des quantitativen
Leistungsvermögens. Die orthopädischen Beschwerden bedingen lediglich eine Einschränkung des Bewegungs- und Stützsystems im
oben genannten Sinne. Dieser Zustand besteht auch seit Antragstellung. Dr.L. führt insoweit aus, dass es zwar im Januar 2012
(OP am rechten Schultergelenk) und im August 2013 (OP am rechten Hüftgelenk) zu vorübergehenden Verschlechterungen mit nachfolgenden
Verbesserungen - den angestrebten Therapiezielen entsprechend - gekommen sei. Eine überdauernde quantitative Leistungsbeeinträchtigung
habe sich hierdurch nicht ergeben. Gleiches gilt im Ergebnis für die Operation des rechten Kniegelenkes und der danach folgenden
Beschwerden am 06.10.2014. Jedenfalls derzeit kann insoweit noch nicht von einer überdauernden Leistungsminderung quantitativer
Art ausgegangen werden.
Der Senat folgt nicht der quantitativen Leistungseinschätzung durch Dr.W ... Zum einen hat Dr.W. den von Dr.S. gestellten
Diagnosen in dessen Gutachten vom 14.09.2011 beigepflichtet. Die von ihm festgestellte quantitative Leistungseinschränkung
begründete er in erster Linie mit dem von ihm festgestellten ausgeprägten Funktionsverlust des rechten Schultergelenks. Dieser
Funktionsverlust beruhte jedoch auf einer erst ca. 6 Wochen zurückliegenden Operation, also zu einem Zeitpunkt, in dem der
Heilungsvorgang an der rechten Schulter nach übereinstimmender Aussage der Fachärzte Dr.N. und Dr.S. noch nicht beendet war.
Auch Dr.W. hat in seinem Gutachten eingeräumt, dass das endgültige Ergebnis des Eingriffs "aktuell noch nicht zu beurteilen"
gewesen sei. Nachdem insoweit jedoch noch kein endgültiger Zustand eingetreten war, war die Annahme eines geminderten zeitlichen
Leistungsvermögens iS einer überdauernden Leistungsminderung unschlüssig, wie sich ja in den nachfolgenden Gutachten auch
gezeigt hat. Der von Dr.W. festgestellte und beschriebene ausgeprägte Funktionsverlust des rechten Schultergelenks wurde weder
von Dr.S. noch von den nachfolgenden Gutachten durch Dr.L. oder Dr.J. beschrieben.