Tatbestand:
Streitig ist die einmalige Abgeltung des Anspruches des Klägers auf Halbwaisenrente aus der Versicherung seines verstorbenen
Vaters.
Der 1967 geborene Kläger ist der Sohn des 1932 in Jugoslawien geborenen und 1987 verstorbenen Versicherten A ... Der Verstorbene
hatte im Zeitraum von November 1962 bis zum Eintritt seiner Erwerbsunfähigkeit am 22.07.1985 insgesamt 259 in der Rentenversicherung
anrechnungsfähige Versicherungsmonate zurückgelegt, aus denen ihm die Beklagte mit Bescheid vom 25.05.1987 ab August 1986
Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) geleistet hatte. Zu dem zugleich aufgrund Ausbildung des Klägers beantragten Kinderzuschuss
ist dagegen kein Verwaltungsakt ergangen. Nach dem Tode des Versicherten ist seiner Witwe auf Antrag vom 05.01.1988 mit Bescheid
vom 08.09.1988 ab 01.11.1987 Witwenrente zuerkannt worden.
Am 12.08.2008 ist bei der Beklagten ein vom Kläger unterzeichnetes Schreiben eingegangen, mit dem er aufgrund der Versicherung
seines Vaters Leistungen "wegen Körperbeschädigung mindestens bis zur Vollendung der Schulausbildung" beanspruchte.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 27.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2008 lehnte die Beklagte den
Antrag "vom 12.08.2008 auf Gewährung von Waisenrente" mit der Begründung ab, Anspruch auf Waisenrente bestehe längstens bis
zum 27. Lebensjahr. Aufgrund des nun erstmals gestellten Antrages scheide eine Rentengewährung vor dem 01.08.2007 von vornherein
aus, da Hinterbliebenenrente gemäß §
99 Abs.
2 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch -
SGB VI - nicht für mehr als 12 Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt werde, zu leisten sei. Am 01.08.2007 habe
der Kläger die gesetzliche Altersgrenze jedoch bereits - wesentlich - überschritten.
Die hiergegen am 13.01.2009 zum Sozialgericht Landshut erhobene Klage begründete der Kläger damit, dass er keine Waisenrente,
sondern eine Leistung wegen Körperbeschädigung (Verletzung des rechten Ellenbogens als Kind) begehre. Dieser Anspruch könne
nicht verjähren, da die Beschwerden auch aktuell noch fortbestehen würden.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17.03.2010 im Wesentlichen mit der
Begründung abgewiesen, einen eigenen Anspruch könne der Kläger gegen die Beklagte nicht herleiten, da er selbst keine Beiträge
zur Deutschen Rentenversicherung entrichtet habe. Ein Waisenrentenanspruch scheide aus, da er bereits 1994 das 27. Lebensjahr
vollendet habe. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 01.04.2010 zugestellt worden.
Die am 06.05.2010 eingelegte Berufung begründete der Kläger sinngemäß damit, dass er zur rechtzeitigen Antragstellung zu jung
gewesen sei und seine Mutter nicht beraten worden sei. Mit weiterem Schreiben vom 12.08.2010 hat der Kläger erklärt, er habe
"Antrag auf Einmalzahlung wegen der körperlichen Beschädigung nach dem Unglück mit drei Lebensjahren gestellt und keine Waisenrente
und kein Kindergeld beansprucht". Aufgrund seiner Behinderung habe er nicht mit anderen Kindern normal leben, keinen Sport
betreiben und auch den Militärdienst nicht ableisten können.
Der Senat hat mit Beschluss vom 20.04.2011die Berufung dem Berichterstatter übertragen. Die Sach- und Rechtslage ist im Erörterungstermin
vom 24.05.2011sowie in der mündlichen Verhandlung umfassend erörtert worden. Die Beklagte hat hierbei eine Entscheidung über
den zugleich mit der EU-Rente am 21.08.1986 beantragten Kinderzuschuss zugesichert.
Der Kläger macht geltend, er habe aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ein Recht auf Abgeltung seines Anspruches
auf Halbwaisenrente.
Der Kläger beantragt,
ihn - als Rechtsfolge eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs - so zu stellen, als sei der Antrag auf Halbwaisenrente
zeitnah zum Tode des Versicherten gestellt worden und ihm eine Abgeltung dieses Anspruchs fiktiv auf Basis einer Waisenrente
bis zum 27. Lebensjahr in Form einer Einmalzahlung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt aus, für die beanspruchte Leistung bestehe keine Rechtsgrundlage. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch könne
bereits im Hinblick auf die entsprechend anzuwendende Ausschlussfrist des § 44 Abs.4 SGB 10 nicht durchgreifen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten, der Klageakte sowie den der Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) ist auch im Übrigen zulässig, sachlich aber nicht begründet. Denn die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten und des
Sozialgerichts sind im Ergebnis zutreffend.
Das Berufungsgericht entscheidet gemäß §§
123,
153 Abs.
1 SGG über den erhobenen Anspruch, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Ungeachtet des in der mündlichen Verhandlung
gestellten Antrages, den die Prozessbevollmächtigte des Klägers in ihrem Schreiben vom 26.09.2011 unter Ziffer 2 ausdrücklich
vorgegeben hatte und an den sich der in ihrem Auftrag erschienene unterbevollmächtigte Terminsvertreter gebunden sah, umfasst
die Entscheidung des Senats die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Landshut vom 17.03.2010,
einschließlich des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 27.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2008.
Soweit nunmehr die "Abgeltung" des Waisenrentenanspruchs durch eine Einmalzahlung beantragt ist, handelt es sich allenfalls
um eine "sachdienliche Klageänderung" i.S.d. §§
99 Abs.
2,
153 Abs.
1 SGG, da zugunsten des Klägers dieser Antrag als Anfechtungs- und Leistungsantrag gem. §
54 Abs.
4 SGG (auf Rentennachzahlung) und nicht als echte Leistungsklage gem. §
54 Abs.
5 SGG auszulegen ist.
Einmalzahlungen bzw. Rentenabfindungen für Waisen sieht das
SGB VI nämlich nicht vor:
Gemäß Art.
20 Abs.
3 Grundgesetz i. V. m. §
31 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch,
SGB I dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden,
soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Die von der Beklagten zu erbringenden Leistungen sind im Wesentlichen im Sechsten
Buch des Sozialgesetzbuches (
SGB VI), in §§
9 ff. und 234 ff, geregelt. Hierbei unterscheidet das
Sozialgesetzbuch VI hauptsächlich zwischen den Ansprüchen aufgrund eigener Versicherungsleistung und den abgeleiteten Ansprüchen der Hinterbliebenen
der Versicherten:
Renten werden gemäß §
33 Abs.
1 SGB VI wegen Alters und wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (sogenannte Versicherungsrenten) oder wegen Todes (Hinterbliebenenrenten)
geleistet. Hinterbliebenenrenten umfassen die kleine oder die große Witwen- bzw. Witwerrente, die Erziehungsrente oder die
Waisenrente (§
33 Abs.
4 SGB VI).
Damit hat das Sozialgericht in seiner angefochtenen Entscheidung zu Recht den Anspruch des Klägers auf Waisenrente geprüft
und verneint. Denn das Begehren des Klägers war entsprechend auszulegen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 9. Aufl., §
123 Rdnr.3b sowie Rdnrn. 15 ff. vor § 143).Nachdem der Kläger keine eigenen Versicherungszeiten bei der Deutschen Rentenversicherung
vorweisen kann und er sich in seinem Sachvortrag auf die Versicherungsbeitragsleistung seines verstorbenen Vaters bezogen
hat, sind die Beklagte und das Sozialgericht in ihren Entscheidungen zu Recht davon ausgegangen, dass nach seinem Vorbringen
und unter Beachtung der maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen primär ein Anspruch des Klägers auf Waisenrentenzahlung zu prüfen
war.
Nach der den Waisenrentenanspruch regelnden gesetzlichen Bestimmung des §
48 SGB VI kann dem Kläger eine entsprechende Leistung nicht zuerkannt werden. Gemäß §
48 Abs.
4 SGB VI in der seinerzeit maßgeblichen Fassung hätte der Kläger nach Vollendung des 18. Lebensjahres nur dann einen Anspruch auf
Waisenrente längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gehabt, wenn er sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung
befunden hätte bzw. wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande gewesen wäre, sich selbst zu unterhalten.
Nach dem vorliegenden Akteninhalt ist nicht auszuschließen, dass der Kläger, der zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten
das 18. Lebensjahr überschritten hatte, Waisenrentenanspruch (ggf. noch bis August 1988) wegen Schulausbildung gehabt hätte.
Am 05.01.1988 wurde jedoch ausschließlich von der Witwe des Verstorbenen Hinterbliebenenrente - in Form einer Witwenrente
- beansprucht; ein Waisenrentenantrag wurde nicht gestellt.
Aufgrund seiner erstmaligen Antragstellung vom 12.08.2008 kommt gemäß §
99 Abs.
2 SGB VI für den Kläger damit eine frühere Rentenleistung als ab dem 01.08.2007 nicht in Betracht. Seinerzeit hatte der Kläger die
Altershöchstgrenze von 27 Jahren jedoch bereits weit überschritten. Insoweit sieht der Senat von einer weiteren Darstellung
der Entscheidungsgründe ab, folgt der Begründung der Verwaltungsentscheidung der Beklagten (§
136 Abs.
3 SGG) und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts gemäß §
153 Abs.
2 SGG als unbegründet zurück.
Der Kläger ist auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches so zu stellen, als habe er rechtzeitig Waisenrente
beantragt. Denn für die Beklagte bestand keine objektive Veranlassung, den Kläger darauf hinzuweisen, dass er eine Waisenrente
erhalten könne, wenn er diese beantrage. Ohne einzelfallbezogene Sachaufklärung konnte und musste die Beklagte bzw. die für
sie handelnde und ggf. für die Antragstellung ebenfalls zuständige jugoslawische Verbindungsstelle (deren eventuelles Fehlverhalten
ohnehin nicht der Beklagten zuzurechnen wäre: vgl. Urteil des 14. Senats des Bayer. LSG vom 17.12.2009, L 14 R 813/07 m.w.N.) nicht erkennen, dass - neben der Witwe - auch der zwischenzeitlich volljährige Sohn des verstorbenen Versicherten
Anspruch auf Hinterbliebenenrente haben könnte. Von einer sogenannten "naheliegende Gestaltungsmöglichkeit" (vgl. KassKomm-Kater
§
115 SGB VI Rdnr. 24), die jeder verständige Berechtigte mutmaßlich genutzt hätte, war hinsichtlich einer Waisenrentenantragstellung
somit nicht auszugehen, zumal dem Akteninhalt kein Hinweis auf die nunmehr geltend gemachte Behinderung des Klägers zu entnehmen
war. Selbst eine weitere Schul- oder Berufsausbildung - als alternative Anspruchsgrundlage für Waisenrente nach Vollendung
des 18. Lebensjahr - war keinesfalls offenkundig, zumal der entsprechend begründete Antrag des Versicherten auf Kinderzuschuss
bereits Jahre zurück lag. Hier wurde zudem Witwenrente beantragt und Anhaltspunkte dafür, dass ggf. der volljährige Sohn des
Verstorbenen einen Hiterbliebenenrentenanspruch aus Unkenntnis oder dgl. nicht realisieren könnte, bestanden nicht. Nach einschlägigen
Richtlinien zu §
115 Abs.
6 Satz 2
SGB VI sollte z.B. auf die Erforderlichkeit der Antragstellung (auch) für den Erhalt von Waisenrente nur dann hingewiesen werden,
wenn nicht innerhalb von 6 Monaten nach dem Tod des Ehegatten Witwenrente beantragt wurde (vgl. §3 RiLi der Deutschen Rentenversicherung
Bund, vgl. KassKomm-Kater §115
SGB VI Rdnr. 27).
Zu Recht weist die Beklagte ferner darauf hin, dass, in entsprechender Anwendung des § 44 Abs.4 Sozialgesetzbuch,10. Buch, SGB X, eine Ausschlussfrist von vier Jahren gelten würde, wenn aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs die Leistung
rückwirkend verlangt werden könnte (Urteil des 13.Senats des BSG vom 27.03.2007 B 13 R 58/06 R, BSGE 98, 162-169 = SozR 4-1300 § 44 Nr. 9 m.w.N.). Entgegen der Einlassung der Klägerbevollmächtigten in ihrem Schreiben vom 26.09.2011
gilt diese Ausschlussfrist nicht nur im Überprüfungsverfahren, sondern auch bei Erstbescheidung nach verspäteter Antragstellung
aufgrund Verletzung der Hinweispflicht seitens der Behörde (BSG-Urteil vom 27.03.2007, aaO.).Damit ist der Waisenrentenanspruch
in jedem Falle aus Altersgründen ausgeschlossen.
Der Berufung ist aus den dargelegten Gründen der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG sind nicht ersichtlich.