Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger die zur deutschen Rentenversicherung geleisteten Arbeitnehmerbeiträge zu erstatten
hat.
Der 1970 in M. geborene Kläger besitzt die Staatsangehörigkeit der Republik Kosovo. In der Zeit vom 24.02.1992 bis 14.08.2000
war er in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. In dieser Zeit hat der Kläger 103 auf die Wartezeit
anrechnungsfähige Beitrags-Monate erworben. Seit 2004 hat der Kläger seinen Wohnsitz in A-Stadt (P.), Kosovo.
Den Antrag des Klägers vom 03.11.2008 auf Beitragserstattung lehnte die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 13.11.2008
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2009 im Wesentlichen mit der Begründung ab, das Abkommen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit (Abk. Jugoslawien SozSich) vom
12.10.1968 sei auf die Republik Kosovo entsprechend anzuwenden. Als Staatsangehöriger der Rep. Kosovo mit dortigem gewöhnlichem
Aufenthalt habe der Kläger nach Art. 3 Abs. 1 Abk. Jugoslawien SozSich i.V.m. §
7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch,
SGB VI die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Ein Anspruch auf Beitragserstattung
nach §
210 SGB VI scheide daher aus.
Die hiergegen am 06.03.2009 erhobene Klage, die der Kläger damit begründete, dass er mittellos sei und zudem keine internationalen
Konventionen zwischen dem Kosovo und der Bundesrepublik Deutschland existierten, hat die 11. Kammer des Sozialgerichts (SG) Landshut auf die mündliche Verhandlung vom 12.05.2010 mit Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger besitze unstreitig die Staatsangehörigkeit des Kosovo, wo er sich auch gewöhnlich
aufhalte, so dass die Voraussetzungen des deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit erfüllt seien. Entsprechend
ihrem Merkblatt vom Juli 2009 wende die Beklagte (unter Bezugnahme auf einen Beschluss des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales) das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen vom 12.10.1968 für das Kosovo einseitig an. Aufgrund der Regelung
über die Personengleichstellung seien kosovarische Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Republik Kosovo wie
deutsche Staatsangehörige bei Auslandsaufenthalt berechtigt, sich in der deutschen Rentenversicherung freiwillig zu versichern
(§
7 Abs.
1 SGB VI). Daher sei der Kläger derzeit von der Möglichkeit zur Beitragserstattung nach §
210 Abs.
1 Nr.
1 SGB VI ausgeschlossen. Zwar sei zwischenzeitlich vom Bundessozialgericht (BSG, Vorlagebeschluss vom 23.05.2006, B 13 RJ 17/05 R) in einem anders gelagerten Fall die Frage aufgeworfen worden, ob das Abk Jugoslawien SozSich auf die Nachfolgestaaten
Ex-Jugoslawiens unmittelbar anzuwenden sei. Eine endgültige Klärung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sei aber nicht
erfolgt, nachdem das Verfahren vor dem BVerfG aufgrund außergerichtlicher Einigung durch Beschluss vom 25.08.2008 sich erledigt
habe. Unabhängig von der Frage, ob die einzelnen "Nachfolgestaaten" Ex-Jugoslawiens als Rechtsnachfolger in die völkerrechtlichen
Verträge mit der Bundesrepublik Deutschland eingetreten seien oder ob das Sozialversicherungsabkommen nach allgemeinen Regeln
des Völkerrechts fort gelte, habe aber das BSG (im Urteil vom 11.05.2000 - B 13 RJ 19/99 R) jedenfalls keine Bedenken gehabt, das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen auf die Nachfolgestaaten Jugoslawiens
in Bezug auf Streckungstatbestände und damit zugunsten der Versicherten weiter anzuwenden. Im Übrigen gehe die Kammer davon
aus, dass die weitere einseitige Anwendung des Sozialversicherungsabkommens durch die deutschen Behörden nicht zwingend eines
völkerrechtlichen Vertrages bedürfe, der in innerdeutsches Recht transformiert werden müsse. Vielmehr könne der deutsche Staat
durch einseitiges Kollisionsrecht vorsehen, dass von den deutschen Behörden das nach wie vor bestehende Sozialversicherungsabkommen
auf den bisherigen Personenkreis weiterhin angewandt werde. Durch die einseitige Weiteranwendung würden keine neuen Rechte
begründet, sondern lediglich bereits durch den deutschen Gesetzgeber eingeräumte Rechte aufrecht erhalten, die durch von außen
kommende Einflüsse, in Form des Zerfalls von Ex-Jugoslawien, tangiert worden seien. Ein Eingriff in die Rechte des Klägers
sei mit der Möglichkeit zur freiwilligen Versicherung zudem nicht verbunden, da damit gerade keine Versicherungspflicht normiert
werde. Grundsätzlich stelle das Recht zur freiwilligen Versicherung nach der gesetzlichen Systematik einen Vorteil dar; durch
die Gewährung dieses Rechts werde ein Versicherter im Vergleich zu nicht entsprechend Berechtigten "bevorzugt" (Hinweis auf
Urteil des BSG vom 14.08.2008, B 5 R 39/07 R). Angesichts der durch §
210 Abs.
3 SGB VI limitierten Höhe des Beitragserstattungsanspruches (die vom Arbeitgeber entrichteten Beiträge würden nicht erstattet) sei
es andererseits wirtschaftlich wenig sinnvoll, von der Möglichkeit einer Beitragsrückerstattung nach §
210 Abs.
1 Nr.
2 SGB VI Gebrauch zu machen. Es sei regelmäßig wesentlich vorteilhafter, die zur Erfüllung der Wartezeit noch fehlenden Beitragsmonate
durch freiwillige Beiträge zu entrichten, um monatliche Rentenzahlungen, nach dem Tode gegebenenfalls noch für die Hinterbliebenen,
zu erhalten. Ein verfassungswidriger Eingriff in die Eigentumsgarantie des Art.
14 Grundgesetz (
GG) sei schon deshalb nicht gegeben, weil durch die Option einer freiwilligen Versicherung keine Rechtsposition entzogen werde,
sondern die erworbene Rentenanwartschaft ausgebaut werden könne. Im Übrigen rechtfertige die Tatsache, dass der Kläger arbeitslos
und finanziell erheblich eingeschränkt sei, eine Beitragserstattung nicht, da das deutsche Recht für diesen Fall die Erstattung
von Beiträgen nicht vorsehe. Das Urteil des Sozialgerichts ist dem Kläger am 25.05.2010 zugestellt worden.
Die hiergegen am 05.07.2010 beim BayLSG eingelegte Berufung hat der Kläger im Wesentlichen damit begründet, dass er keinen
obligatorischen "Renten- und Invalidenversicherungsschutz" habe und als Bezieher von Arbeitslosenunterstützung nicht über
ausreichende Mittel für eine freiwillige Versicherung verfüge. Seit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo bilde die Konvention
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Jugoslawien hierfür zudem keine Rechtsgrundlage mehr.
Der Senat hat dem Kläger die Verbalnote vom 10.06.2011 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung
der Republik Kosovo zugeleitet, wonach die in der Anlage 1 zum Notenwechsel aufgeführten Übereinkünfte zwischen der Republik
Kosovo und der Bundesrepublik Deutschland fort gelten, demgemäß auch das Abkommen vom 12.10.1968 über Soziale Sicherheit (vgl.
Anlage 1 Nr. 6 der Verbalnote).
Zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger einen Rechtsanwalt aus P. entsandt, der mit Beschluss des Senats gem. §
73 Abs.3 S.1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) als Prozessbevollmächtigter zurückgewiesen worden ist.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte, unter Aufhebung des Urteils des SG Landshut vom 12.05.2010 und des Bescheides der Beklagten vom 13.11.2008 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2009, zu verurteilen, die in der Zeit vom 24.02.1992 bis 14.08.2000 von ihm zur
Rentenversicherung entrichteten Beiträge zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie den der Akten des SG und des LSG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§
143,
144,
151 SGG) ist auch im Übrigen zulässig, sachlich aber nicht begründet. Denn der Kläger ist gemäß §§
7,
232 SGB VI i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Abk. Jugoslawien SozSich vom 12.10.1968 auch weiterhin zur freiwilligen Versicherung berechtigt, so dass gemäß §
210 Abs.
1 Nrn. 1 und 2, Abs.
2 und Abs.
3 Satz 1
SGB VI in der zum Antragszeitpunkt maßgebenden Fassung Beiträge nicht erstattet werden.
Hinsichtlich der Darstellung der gesetzlichen Vorschriften und deren Auslegung sieht der erkennende Senat von einer weiteren
Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung gemäß §
153 Abs.
2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück. Dies gilt insbesondere auch für die Feststellung im
angefochtenen Urteil, dass die finanzielle Situation des Klägers für den streitgegenständlichen Anspruch auf Beitragserstattung
nicht maßgebend ist.
Unter Berücksichtigung der im Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht vom 23.05.2006 vom 13. Senat des Bundessozialgerichts
(BSG, B 13 RJ 17/05 R) dargelegten wesentlichen völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Grundsätze gilt das zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) geschlossene Abkommen über Soziale Sicherheit
(Abk Jugoslawien SozSich; BGBl II 1969, 1438 mit Zustimmungsgesetz vom 29.07.1969, BGBl II 1969, 1437), damit auch die Personengleichstellung des Art. 3 dieses Abkommens, für die Republik Kosovo nach der Unabhängigkeitserklärung
fort. Die Regierungen beider Staaten haben durch den Notenwechsel vom 10.06.2011 (vgl. Ziffer 1 der Verbalnote) die Fortgeltung
der (in der Anlage 1 zu dem Notenwechsel) aufgeführten Übereinkünfte, also auch des Abkommens vom 12.10.1968 über Soziale
Sicherheit (Anlage 1 Nr. 6), unter der Maßgabe vereinbart, dass sich beide Seiten hinsichtlich der konkreten Durchführung
weiter konsultieren würden. Der rechtliche Geltungsbereich steht damit also unstreitig fest; lediglich hinsichtlich der Durchführung
(also hinsichtlich der Frage des "Wie") besteht weiterer Klärungsbedarf.
Die Fortgeltung des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens für die Republik Kosovo wird nicht dadurch ausgeschlossen,
dass ein verbindlicher völkerrechtlicher Vertrag (laut Vorlagebeschluss vom 23.05.2006) noch nicht vorliegt, solange diese
Vereinbarung vom 10.06.2011 nicht in dem Verfahren nach Art.
59 Abs.
2 Satz 1
GG in innerstaatliches Recht transformiert worden ist. Dies gilt auch unter Beachtung des verfassungsrechtlich geregelten Gesetzesvorbehaltes
(Art.
20 Abs.
3 GG) in seiner konkreten Ausgestaltung durch §
31 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch,
SGB I. Denn bereits im Zeitpunkt der Antragstellung auf Beitragserstattung im November 2008 hatte sich für alle abgespaltenen Nachfolgestaaten
der ehemaligen Föderativen Republik Jugoslawien ein entsprechendes Völkergewohnheitsrecht (vgl. hierzu Vorlagebeschluss) herausgebildet,
wonach jedenfalls das hier entscheidungserhebliche Sozialversicherungsabkommen - gegebenenfalls bis zum Abschluss eines neuen
Sozialversicherungsabkommens (wie z.B. mit Slowenien, Kroatien und Mazedonien) - Fortgeltung finden sollte. Die konkrete Verbalnote
vom 10.06.2011 hat angesichts dieses Völkergewohnheitsrechts im Wesentlichen deklaratorische (nicht konstitutive) Bedeutung.
Der Senat hat keine verfassungsrechtlich (bzw. völkerrechtlich) begründeten Bedenken, eine entsprechende Fortgeltung des Sozialversicherungsabkommens
anzuerkennen. Denn die Grundsätze der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Berechenbarkeit erfordern gleichsam die sozialrechtliche
Kontinuität auch nach erfolgter Separation bzw. Dismembration (vgl. hierzu: Vorlagebeschluss). Sowohl im Interesse der Vertragsstaaten
als auch ihrer Angehörigen ist die Fortgeltung der Vertragsbeziehungen und der entsprechenden innerstaatlichen Sozialgesetze
unerlässlich: Ein Automatismus dergestalt, dass durch eine Änderung der Verhältnisse eo ipso ein Gesetz obsolet würde, ist
unserer Rechtsordnung fremd. Rechtsstaatliche Grundsätze erfordern in der Regel einen Aufhebungsakt ("actus contrarius"),
der unter Beachtung der entsprechenden Formvorschriften - hier also des formellen Gesetzgebungsverfahrens - die bisherige
Rechtslage rückgängig macht bzw. den geänderten Verhältnissen anpasst. Insofern kann auch aus der Regelung des Art.
59 Abs.
2 Satz 1
GG nicht unmittelbar abgeleitet werden, dass die Fortgeltung eines verfassungsrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes
nur dann anzunehmen sei, wenn es nach Änderung der Sachlage durch ein neues formelles Gesetz bestätigt oder ersetzt werde.
Darüber hinaus gebieten die Funktionsfähigkeit der neuen Teilstaaten, aber auch die Interessen der betroffenen Versicherten,
die kontinuierliche Fortgeltung der bisherigen Anspruchsgrundlagen: Entsprechende Eingriffe in (eigentumsrechtlich geschützte)
Anwartschaften sind wiederum nur unter dem Vorbehalt des Gesetzes möglich:
Das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen begründet in aller Regel rechtliche und wirtschaftliche Vorteile für
die betroffenen Versicherten bzw. Anspruchsberechtigten. Dies gilt im Übrigen auch hinsichtlich des erhobenen Anspruchs (§
123 SGG) auf Erstattung der Beiträge, die der Kläger selbst getragen hat (also nur der Arbeitnehmeranteile). Denn durch die Erstattung
der Arbeitnehmeranteile erlischt - wie auch im angefochtenen Urteil des Sozialgerichts zutreffend festgestellt - der Rentenanspruch
insgesamt, also auch die Anwartschaft aus den Arbeitgeberanteilen (vgl. §
210 Abs.
6 Sätze 2 und 3
SGB VI). Dementsprechend können insbesondere die abgespalteten Staaten nicht daran interessiert sein, dass ihre Angehörigen sich
im Ausland erworbene Rentenanwartschaften abgelten lassen. Denn mittel- und längerfristig entlasten die vollen Ansprüche ihrer
Bürger (d.h. aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen) gegenüber dem ausländischen Versicherungsträger die Sozialkassen
der neu gegründeten Staaten. Eine zum gänzlichen Verlust der Rentenanwartschaft führende Erstattung nur des halben Beitragswertes
ist letztendlich sowohl für den Staat als auch für den Einzelnen nachteilig.
Aufgrund der fort geltenden Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen gemäß Art. 3 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen
Sozialversicherungsabkommens ist der Kläger mithin zur freiwilligen Beitragsentrichtung nach wie vor berechtigt und die Voraussetzungen
für die Beitragserstattung gemäß §
210 SGB VI sind somit nicht erfüllt.
Nach alledem ist der Berufung des Klägers der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf §
193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger im Berufungsverfahren unterlegen ist.
Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist die Revision zuzulassen, §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG.