Eilverfahren über existenzsichernde Leistungen
Bedarfsgemeinschaft
Wohngemeinschaft
Keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Eilverfahren existenzsichernde Leistungen für die Zeit ab 01.09.2015.
Der 1953 geborene Antragsteller und Beschwerdeführer bezog in der Vergangenheit zusammen Frau S. (geboren 1989) Arbeitslosengeld
II vom Antragsgegner. Frau S. wurde vom Antragsgegner fortlaufend als Partnerin eingestuft. Zuletzt wurde der Bedarfsgemeinschaft
mit Bescheid vom 27.05.2015 (Seite 1318 Akte des Antraggegners) Arbeitslosengeld II für die Zeit von 01.06.2015 bis 31.05.2016
in Höhe von monatlich insgesamt 1390, - Euro für Juni 2015 bzw. 1400,- Euro ab Juli 2015 bewilligt. Dabei wurden Regelbedarfe
für Partner von jeweils 360,- Euro angesetzt und die Kosten der Mietwohnung von insgesamt 680,- Euro hälftig auf jeden der
Partner verteilt.
Für die Monate August, September, Oktober und November 2015 kam es zu verschiedenen Sanktionen gegen den Antragsteller (Bescheid
vom 22.07.2015 über 10 % des Regelbedarfs und Gegenstand des Eilverfahrens S 50 AS 2858/15 ER, Bescheid vom 19.08.2015 über 10 % des Regelbedarfs und Bescheid ebenfalls vom 19.08.2015 über 30 % des Regelbedarfs).
Der Antragsteller und Frau S. versuchten ohne Erfolg in H. und U. gemeinsam eine neue Wohnung anzumieten.
Mit Bescheid vom 07.09.2015 bewilligte der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung dem Antragsteller eine vorzeitige Altersrente
für schwerbehinderte Menschen, beginnend am 01.08.2015. Die monatliche Rente beträgt 905,52 Euro, nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge
verbleibt ein Zahlbetrag von 810,90 Euro.
Mit Bescheid vom 15.09.2015 (S. 1439, 1440) hob der Antragsgegner die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für den Antragsteller
ab 01.10.2015 auf. Der Antragsteller sei wegen dem Bezug einer Altersrente nicht mehr leistungsberechtigt. Frau S. erhielt
weiterhin Arbeitslosengeld II von monatlich 637,10 Euro unter Anrechnung des den Bedarf des Antragstellers übersteigenden
Einkommens aus der Altersrente. Über den Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid wurde nach Aktenlage nicht entschieden.
Frau S. begann zum 28.09.2015 eine außerbetriebliche dreijährige Berufsausbildung zur Bürokauffrau (S. 1482). Sie wurde aufgefordert,
bei der Agentur für Arbeit Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) zu beantragen. Mit Bescheid vom 13.11.2015 (S. 1490) wurde auch
gegenüber Frau S. die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab 01.12.2015 aufgehoben. Sie sei als Auszubildende vom Leistungsbezug
ausgeschlossen. Dagegen strengte Frau S. scheinbar ein Eilverfahren beim Sozialgericht München unter dem Aktenzeichen S 55 AS 2873/15 ER an.
Bereits am 18.09.2015 beantragte der Antragsteller beim beigeladenen Sozialhilfeträger Leistungen zum laufenden Lebensunterhalt.
Mit Bescheid unbekannten Datums (S. 65 Akte der Beigeladenen) versagte die Beigeladene Leistungen nach SGB XII wegen mangelnder Mitwirkung. Der Antragsteller habe verschiedene Unterlagen trotz schriftlicher Aufforderung, Fristsetzung
und Hinweis auf die Rechtsfolgen nicht vorgelegt. Dieser Bescheid wurde dem Antragsteller laut Zustellnachweis am 22.01.2016
zugestellt.
Am 21.01.2016 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht München einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Er beantrage,
ihm die Leistungen nach SGB II ungekürzt auszuzahlen. Mit Beschluss vom 16.02.2016 lehnte das Sozialgericht München die Anordnung der aufschiebenden Wirkung
ab. Der handschriftliche Vermerk auf dem Begleitschreiben zum Änderungsbescheid vom 15.09.2015 sei als Widerspruch zu betrachten,
der gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung entfalte. Es bestünden gegen die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligung keine ernsthaften
Bedenken. Der Antragsteller sei als Altersrentner von Leistungen nach SGB II gemäß § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II ausgeschlossen. Bezüglich der Sanktionen handle es sich um Ansprüche aus der Zeit lange vor Stellung des Eilantrages; mangels
einer fortwirkenden Notlage komme ein finanzieller Ausgleich hierfür nicht in Betracht.
Der Antragsteller hat am 09.03.2016 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München eingelegt. Der Antragsgegner
unterstelle eine Bedarfsgemeinschaft, es handle sich aber um eine Wohngemeinschaft. Der Vermieter habe die Wohnung mit sofortiger
Wirkung gekündigt. Sozialhilfe sei wegen angeblich fehlender Unterlagen abgelehnt worden. Ohne Grundsicherung verliere er
seine Wohnung. Das Beschwerdegericht hat den örtlichen Träger der Sozialhilfe als alternativ leistungspflichtig beigeladen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16.02.2016 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen
den Aufhebungsbescheid vom 15.09.2015 anzuordnen, hilfsweise, die Beigeladene vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller
ab 01.09.2015 Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt,
den Hilfsantrag abzuweisen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht München den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
zu Recht abgelehnt hat.
1. Das Beschwerdegericht schließt sich bezüglich des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II gemäß §
142 Abs.
2 Satz 3
SGG der überzeugenden Begründung des Sozialgerichts an und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung
zurück.
2. Bezüglich des Hilfsantrags auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff SGB XII (keine Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII wegen des Lebensalters) ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §
86b Abs.
2 S. 2
SGG statthalt, weil der Antragsteller eine Erweiterung seiner bisherigen Rechtspositionen anstrebt. Der Hilfsantrag wird zumindest
als sachdienliche Antragsänderung entsprechend §
99 Abs.
2 SGG betrachtet.
Dem Hilfsantrag steht jedoch der bestandskräftige Versagungsbescheid vom Januar 2016 entgegen.
Obwohl im Hauptsacheverfahren gegen einen Versagungsbescheid bis auf wenige Ausnahmefälle nur die Anfechtungsklage gegeben
ist, ist es im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich möglich, vorläufig Leistungen zuzusprechen (vgl. LSG Bayern, Beschluss
vom 13.10.2007, L 7 B 572/07 AS ER und LSG Bayern Beschluss vom 13.10.2008, L 11 B 808/08 AS ER). Dies gilt für den Fall, dass der Versagungsbescheid kraft aufschiebender Wirkung nicht vollziehbar ist. Dann entspricht
das Verwaltungsverfahren weitgehend der Situation, wenn noch keine Entscheidung in der Sache ergangen ist. Es ist deshalb
regelmäßig eine zweistufige Prüfung (zuerst aufschiebende Wirkung beim Versagungsbescheid, dann einstweilige Anordnung) erforderlich.
Ein Versagungsbescheid, der im Bereich des SGB XII ergeht, ist nicht sofort vollziehbar, so dass ein rechtzeitiger Widerspruch gemäß §
86a Abs.
1 SGG regelmäßig aufschiebende Wirkung entfaltet. Dies muss im Eilverfahren im Tenor nur dann gesondert festgestellt werden, wenn
dies die Behörde bestreitet (deklaratorischer feststellender Beschluss im Zweifelsfall, vgl. Meyer-Ladewig,
Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014 §
86b, Rn. 15).
Hier fehlt es aber an einem rechtzeitigen Widerspruch. Der Versagungsbescheid vom Januar 2016 enthält eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung,
so dass es bei der einmonatigen Widerspruchsfrist nach §
84 SGG verbleibt. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 22.01.2016 zugestellt. Den Zugang des Bescheids hat der Antragsteller
im Beschwerdeverfahren auch zugestanden. Die Widerspruchsfrist endete gemäß §
64 SGG mit Ablauf des 22.02.2016. Ein Widerspruch ist nicht ersichtlich. Damit ist das Verwaltungsverfahren bestandskräftig beendet,
§
77 SGG.
Ausgehend vom Streitgegenstand eines Anordnungsverfahren, im Eilverfahren zu prüfen, inwieweit dem Antragsteller für einen
Zwischenzeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung eine bestimmte Rechtsposition zusteht, ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz
bei einer bindenden Hauptsacheentscheidung bereits unzulässig (vgl. Meyer-Ladewig,
SGG, 11. Auflage 2014, §
86b Rn. 26d). Es gibt kein offenes "streitiges Rechtsverhältnis" im Sinn von §
86b Abs.
2 S. 2
SGG, das das Gericht vorläufig regeln könnte. Die zweite Stufe der Prüfung der einstweiligen Anordnung entfällt.
3. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch in der Sache ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nicht ersichtlich
ist. Im Gegensatz zum SGB II wird im SGB XII das persönliche Einkommen zuerst bei der Person angerechnet, die das Einkommen erzielt hat (sog. vertikale Anrechnung; im
SGB II erfolgt dagegen eine verwaltungsaufwändige Begünstigung des Bundes durch die horizontale Anrechnung quer durch die Bedarfsgemeinschaft
gemäß § 19 Abs. 3 S. 2, § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II, die wohl auch das Neunte SGB II-Änderungsgesetz überstehen wird). Dies bedeutet, dass die Rente von 810,90 Euro den Regelbedarf und die halben Unterkunftskosten
abdeckt und der Antragsteller keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt hat. Auf die Frage, ob eine eheähnliche Gemeinschaft
besteht, kommt es hierbei nicht an. Die fortlaufenden gemeinsamen Umzugsbemühungen und die geringe Untermiete von Frau S.
sprechen allerdings für eine sog. gemischte Bedarfsgemeinschaft. Die gemeinsame Wohnung kann nur dann finanziert werden, wenn
Frau S. den Antrag auf BAB weiterverfolgt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.