Verpflichtung zur Rentenantragstellung
Interessenabwägung im Eilverfahren
Typisierende Abwägung
Abweichung vom Regel-Ausnahmeverhältnis
Gründe
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer wendet sich im Eilverfahren gegen die Aufforderung, bei der gesetzlichen Rentenversicherung
einen Antrag auf eine vorzeitige Altersrente zu stellen. Im Ergebnis möchte er die Bewilligung einer herabgesetzten vorzeitigen
Altersrente vermeiden.
Der im Dezember 1952 geborene Antragsteller beantragte erstmals Ende 2010 zusammen mit seiner 1975 geborenen Ehefrau und dem
2009 geborenen Sohn Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II vom Antragsgegner. Er ist drei weiteren von ihm getrennt lebenden Kindern unterhaltspflichtig. Der Erstantrag wurde wegen
bedarfsdeckendem Einkommen (Arbeitslosengeld nach
SGB III, Kindergeld) abgelehnt.
Nach einem erneuten Antrag wurden ab Januar 2012 Leistungen gewährt. Bei der Leistungsberechnung wurde zeitweise Arbeitslosengeld
nach
SGB III und zeitweise Erwerbseinkommen des Antragstellers angerechnet. Im Juli 2012 wurde die gemeinsame Tochter geboren. Die Mietwohnung
kostet monatlich 570,- Euro Grundmiete und 160,- Euro Betriebskostenvorauszahlung.
Der Antragsteller war von Januar bis Mitte Oktober 2012 erwerbstätig zu einem Bruttolohn von 2.000,- Euro monatlich. Von Mai
2013 bis Dezember 2013 war der Antragsteller erneut erwerbstätig mit einem Bruttolohn von 1.300,- Euro. Ein Antrag auf Übernahme
von Umzugskosten nach S-Stadt wegen einer zum 01.05.2014 geplanten Arbeitsaufnahme wurde abgelehnt, weil keine konkrete neue
Wohnung samt Miete bezeichnet wurde und die Arbeitsaufnahme nicht konkretisiert wurde.
Nach Aufforderung legte der Antragsteller im April 2014 eine Rentenauskunft vom 20.03.2014 vor. Danach sei die Regelaltersrente
ab 01.07.2018 ohne Rentenabschlag möglich bei einer Rente von monatlich 775,96 Euro zu den bisher gespeicherten Rentenzeiten
bzw. monatlich 894,26 Euro bei weiteren Beitragsleistungen im Durchschnitt der letzten fünf Kalenderjahre. Ein Rentenbeginn
sei ab 01.01.2016 möglich mit einem Rentenabschlag von 9 %. Laut Versicherungsverlauf war der Antragsteller von August 2003
bis Ende 2011 (101 Monate) 40,5 Monate versicherungspflichtig beschäftigt.
Am 08.05.2014 beantragte der Antragsteller die Übernahme der Kosten eines Umzugs nach F-Stadt durch eine Spedition wegen körperlicher
Gebrechen. Hierbei legte er einen Arbeitsvertrag für eine Stelle als Gehilfe für "sämtliche im Bereich eines Hausmeisters
stehende Arbeiten" vor mit 10,50 Euro Stundenlohn bei einer 40 Stundenwoche. Als Arbeitsbeginn war der 15.06.2014 vorgesehen.
Speditionskosten wurden ihm grundsätzlich in Aussicht gestellt. Für die Besichtigung dreier Wohnungen erhielt der Antragsteller
Fahrkosten. Dem Arbeitgeber wurde ein Eingliederungszuschuss gewährt. Für eine weitere Wohnungsbesichtigung wurden ebenfalls
Fahrkosten übernommen. Der Antragsteller nahm die Arbeit als Hausmeistergehilfe ab August 2014 auf, wurde jedoch zum 28.10.2014
gekündigt.
Von 18.01.2015 bis 21.03.2015 fand der Antragsteller eine befristete sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei einer
Eventfirma mit einem Monatslohn von 1.300,- Euro brutto.
Im August 2015 wandte sich der Antragsteller wegen einer erneuten Arbeitsaufnahme (in L-Stadt) an den Antragsgegner. Für den
dazu beabsichtigten Umzug wurde erneut die Übernahme von Speditionskosten in Aussicht gestellt, ebenso der vom potentiellen
Arbeitgeber beantragte Eingliederungszuschuss. Die Übernahme der Kaution für die neue Wohnung wurde auch wegen fehlender örtlicher
Zuständigkeit abgelehnt. Ende August teilte der Antragsteller mit, dass Wohnung und Arbeitsplatz anderweitig vergeben worden
seien.
Im September 2015 arbeitete der Antragsteller stundenweise als LKW-Fahrer für insgesamt 442,- Euro.
Mit Schreiben vom 24.09.2015 wurde der Antragsteller aufgefordert, bis spätestens 12.10.2015 bei der gesetzlichen Rentenversicherung
einen Antrag auf eine vorzeitige Altersrente zu stellen. Die geminderte Altersrente könne den Anspruch auf Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II verringern oder ganz ausschließen. Es seien keine maßgeblichen Gründe ersichtlich, die gegen die Beantragung einer Altersrente
sprechen würden. Bei der Ermessensentscheidung sei auch geprüft worden, ob die Voraussetzungen der Unbilligkeitsverordnung
vorliegen. Dies sei nicht der Fall.
Am 30.09.2015 legte der Antragsteller eine Bestätigung der Eventfirma vor, dass er von Mitte Januar bis Mitte April 2016 erneut
bei der Eventfirma beschäftigt werde.
Am 14.10.2015 legte der Bevollmächtigte des Antragstellers Widerspruch gegen die Aufforderung vom 24.09.2015 ein. Dieser Bevollmächtigte
war bereits im Juni 2015 als solcher aufgetreten und hatte eine auf den damaligen Bescheid bezogene Vollmacht vorgelegt. Mit
Schreiben vom 15.10.2015 wurde der Bevollmächtigte aufgefordert, eine Vertretungsvollmacht vorzulegen und den Widerspruch
zu begründen. Wenn bis 05.11.2015 keine Antwort eingehe, werde aufgrund des bekannten Sachverhalts entschieden.
Mit Schreiben vom 15.10.2015 stellte der Antragsgegner bei der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 5 Abs. 3 SGB II den Antrag auf eine Altersrente mit Abschlag und machte zugleich einen Erstattungsanspruch geltend.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.2015 wurde der Widerspruch gegen die Aufforderung, den Rentenantrag zu stellen, als unzulässig
verworfen, weil die Vollmacht entgegen § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB X trotz Aufforderung vom 15.10.2015 nicht schriftlich nachgewiesen worden sei. Eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung sei damit
nicht nachgewiesen. Dagegen wurde fristgemäß Klage erhoben (Az. S 46 AS 2900/15). Der am 06.04.2016 gestellte Überprüfungsantrag wurde mit Bescheid vom 12.04.2016 abgelehnt, weil in der Sache ein Klageverfahren
anhängig sei und es deshalb an der Bestandskraft fehle.
Am 07.12.2015 legte der Antragsteller den unterschriebenen Arbeitsvertrag für die Beschäftigung von 15.01.2016 bis 14.04.2016
vor. Danach wurde für 25 Wochenstunden ein Bruttolohn von monatlich 1.600,- Euro vereinbart. Die Tätigkeit wurde auch so durchgeführt.
Mit Bescheid vom 17.02.2016 versagte die gesetzliche Rentenversicherung die vorgezogene Altersrente gemäß §
66 SGB I, weil der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei. Dieser Bescheid wurde dem Antragsgegner nicht bekannt
gegeben.
Bereits am 05.01.2016 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht München einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Der
Antragsgegner habe in Vollzug der Aufforderung vom 24.09.2015 selbst den Rentenantrag gestellt. Die aufschiebende Wirkung
der Anfechtungsklage sei anzuordnen. Wegen der Beschäftigung von 15.01.2016 bis 14.04.2016 sei die Aufforderung unter Verstoß
gegen § 5 Unbilligkeitsverordnung erfolgt. Zumindest sei dieser Sachverhalt in der Ermessensausübung zu würdigen. Im Übrigen
wurde auf die zurückliegenden Beschäftigungsverhältnisse und die Bemühungen des Antragstellers um Arbeit hingewiesen. Die
Ehefrau übe wegen der Kinder nur eine geringfügige Beschäftigung aus und verfüge über eine nicht marktgängige Ausbildung.
Außerdem sei die Ermessenausübung fehlerhaft erfolgt.
Mit Beschluss vom 04.03.2016 lehnte das Sozialgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab. Der Antrag sei schon unzulässig,
weil der streitgegenständliche Verwaltungsakt bestandskräftig geworden sei. Da die Vollmacht für den Widerspruch trotz Aufforderung
nicht bis 05.11.2015 vorgelegt worden sei, sei die Widerspruchseinlegung mangels rückwirkender Genehmigung unwirksam. Der
Widerspruch sei zu Recht als unzulässig verworfen worden. Im Übrigen wäre der Eilantrag auch unbegründet. Es bestünden keine
ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Widerspruchsbescheids vom 09.11.2015. Außerdem seien die Tatbestände der Unbilligkeitsverordnung
nicht erfüllt. Der Beschluss wurde am 08.03.2016 zugestellt.
Der Antragsteller hat am 07.04.2016 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt und beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 04.03.2016 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid
vom 24.09.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.11.2015 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akten des Antragsgegners, die Akte des Sozialgerichts und die Akte
des Beschwerdegerichts verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht München den Eilantrag zu Recht abgelehnt hat. Der Eilantrag
war zwar zulässig, jedoch nicht begründet.
1. Der Antragsteller wendet sich primär gegen die strittige Aufforderung, einen Antrag auf eine vorzeitige Altersrente zu
stellen. Diese Aufforderung ist die Grundlage des ersatzweise gestellten Rentenantrags, den das Jobcenter dann stellte (Ersatzantrag).
Im Ergebnis will er mit seinem Eilantrag die Rentenbewilligung mit Abschlägen (hier in Höhe von 9 %) vermeiden. Außerdem würde
der Antragsteller von Leistungen nach SGB II, auch von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, ausgeschlossen werden und bei ungedecktem Bedarf auf Leistungen der Sozialhilfe
verwiesen werden, § 7 Abs. 4 Satz 1, § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II, § 21 Satz 1 SGB XII.
a) Der Eilantrag hat sich durch die Versagung der Rente vom 17.02.2016 nicht erledigt, weil der Antragsgegner, mangels Bekanntgabe
an ihn ohne Einhaltung der einmonatigen Widerspruchsfrist, im Rahmen von § 5 Abs. 3 SGB II dagegen Widerspruch einlegen kann.
b) Es ist umstritten, in welcher Weise hier einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren ist. Einigkeit scheint zu bestehen, dass
ein zweistufiges Verfahren erforderlich ist: Zuerst ist zu prüfen, ob die aufschiebende Wirkung bezüglich der Aufforderung
angeordnet wird (dazu 2.). Dann ist Eilrechtsschutz wegen dem Ersatzantrag zu prüfen (dazu 3.). Wenn bereits ein Ersatzantrag
gestellt wurde, genügt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung bezüglich der Aufforderung nicht, um eine Rentenbewilligung
zu verhindern. Deshalb wird der ausdrücklich allein auf die Aufforderung gerichtete Eilantrag in dieser zweistufigen Weise
ausgelegt.
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 24.09.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 09.11.2015 (Aufforderung) war zwar zulässig, aber unbegründet.
a) Die Aufforderung an den Leistungsempfänger, den Rentenantrag zu stellen, ist ein belastender Verwaltungsakt, der gemäß
§ 39 Nr. 3 SGB II sofort vollziehbar ist. Von daher ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach §
86b Abs.
1 S. 1 Nr.
2, §
86a Abs.
2 Nr.
4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 3 SGB II statthaft. Dadurch wäre die Aufforderung "auf Eis gelegt" und das Jobcenter dürfte aus der Aufforderung keine rechtlichen
Folgen (mehr) ziehen.
b) Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG war zulässig. Der Bescheid vom 24.09.2015 wurde nicht bestandskräftig, weil die Voraussetzungen einer Zurückweisung des Widerspruchs
als unzulässig nicht vorlagen.
Grundsätzlich ist die Behörde gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 befugt, eine schriftliche Vollmacht zu verlangen. Verfahrenshandlungen
eines nicht wirksam Bevollmächtigten sind schwebend unwirksam und bedürfen der rückwirkenden Genehmigung (von Wulffen/ Schütze,
SGB X, 8. Auflage 2014, §
13 Rn. 12). Bei Rechtsanwälten kann in Anlehnung an §
73 Abs.
6 Satz 5
SGG davon abgesehen werden. Wenn die Behörde sich gleichwohl entschließt, nach einem fristgemäßen Widerspruch von einem Rechtsanwalt
eine Vollmacht anzufordern, kann sie diesen regelmäßig nur dann als unzulässig zurückweisen, wenn sie hierfür eine Frist gesetzt
hat und auf die drohende Verwerfung als unzulässig hingewiesen hat (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.04.2013, L 3 AS 98/13, Rn. 19 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 13.12.2000, B 6 KA 29/00 R, Rn. 16 zum Parallelfall im sozialgerichtlichen Verfahren). Das gebieten die Grundsätze des fairen Verfahrens und des rechtlichen
Gehörs.
Diesen Anforderungen wird das Schreiben vom 15.10.2015 nicht gerecht. Dort wird eine Vollmacht ohne Hinweis auf die drohende
Verwerfung des Widerspruchs angefordert. Es wurde vielmehr der Eindruck erweckt, dass eine Entscheidung in der Sache beabsichtigt
ist, weil zugleich für den ergebnislosen Fristablauf eine Entscheidung aufgrund des bekannten Sachverhalts in Aussicht gestellt
wurde. Der Widerspruchsbescheid vom 09.11.2015 ist zu Unrecht nicht zur Sache ergangen.
Weil rechtzeitig Klage erhoben wurde, ist der strittige Bescheid nicht bestandskräftig geworden.
c) Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung war unbegründet, weil keine berechtigten Zweifel an der Rechtmäßigkeit
der Aufforderung, einen Antrag auf eine vorzeitige Altersrente zu stellen bestehen.
Die Entscheidung nach §
86b Abs.
1 S. 1 Nr.
2 SGG steht im Ermessen des Gerichts und erfolgt auf Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des
Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben und
das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Abwägung kommt den Erfolgsaussichten
des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu.
Dabei ist die Wertung des § 39 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individual- und öffentlichen Interessen
dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt.
Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
angefochtenen Bescheide bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen (vgl. Meyer-Ladewig,
SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 12c; Conradis, LPK-SGB II, 5. Auflage 2013, Anhang Verfahren Rn. 131; Bay LSG vom 13.02.2015, L 7 AS 23/15 B ER).
Da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit nicht bestehen, war die aufschiebende Wirkung vom Sozialgericht nicht anzuordnen.
Im Urteil vom 19.08.2015, B 14 AS 1/15 R, hat das BSG die Maßstäbe dargelegt, die an eine Aufforderung, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen, zu stellen sind.
Die Verpflichtung des Antragstellers, die Rente gemäß § 12a SGB II zu beantragen, besteht. Nach seiner Rentenauskunft ist eine vorzeitige Altersrente ab 01.01.2016 möglich. Zu diesem Zeitpunkt
hat er das 63. Lebensjahr vollendet, § 12a Satz 2 Nr. 1 SGB II.
Ein Fall der Unbilligkeitsverordnung (UnbV) liegt nicht vor. § 1 UnbV enthält keinen eigenen Auffangtatbestand der Unbilligkeit (BSG, a.a.O., Rn. 23). In Betracht käme wegen der zum 15.01.2016 geplanten und tatsächlich aufgenommenen Erwerbstätigkeit § 5
UnbV. Danach ist die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente unbillig, wenn der Hilfebedürftige durch schriftliche Unterlagen
glaubhaft macht, in nächster Zukunft eine Erwerbstätigkeit unter Inanspruchnahme des überwiegenden Teils der Arbeitskraft
aufzunehmen und nicht nur vorübergehend auszuüben.
Am 07.12.2015 legte der Antragsteller den unterschriebenen Arbeitsvertrag für die Beschäftigung von 15.01.2016 bis 14.04.2016
vor. Danach wurde für 25 Wochenstunden ein Bruttolohn von monatlich 1.600,- Euro vereinbart. Ob es darauf ankam, dass das
Verwaltungsverfahren mit Erlass des Widerspruchsbescheid vom 09.11.2015 zum Zeitpunkt der Mitteilung bereits abgeschlossen
war (vgl. Meyer-Ladewig,
SGG, 11. Auflage 2014, §
54 Rn. 33), kann dahinstehen, weil die Beschäftigung von vornherein auf drei Monate begrenzt war. Damit war sie nur vorübergehend
im Sinn von § 5 Abs. 1 UnbV.
Laut BSG (a.a.O., Rn. 25 ff) ist bereits in der Aufforderung Ermessen auszuüben. Dabei ist aber davon auszugehen, dass es im Regelfall
dem pflichtgemäßen Ermessen entspricht, von der Ermächtigung zur Aufforderung Gebrauch zu machen, wenn kein Fall der Unbilligkeitsverordnung
vorliegt (BSG, a.a.O., Rn. 28). Relevante Ermessensgesichtspunkte können nur solche sein, die einen atypischen Fall begründen. Es muss
sich um besondere Härten im Einzelfall handeln, die die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente aufgrund außergewöhnlicher
Umstände als unzumutbar erscheinen lassen. Ein derartiger atypischer Fall liegt nicht vor. Der Antragsgegner hat sein Entschließungsermessen
erkannt und ausdrücklich im Bescheid vom 24.09.2015 darauf hingewiesen. Ein Ermessensfehler ist nicht ersichtlich.
Ein atypischer Fall liegt nicht in der Familienkonstellation mit zwei sehr jungen Kindern. Trotz der Arbeitsverhältnisse des
Antragstellers war die Familie im fortlaufenden Leistungsbezug, weil der Gesamtbedarf nicht gedeckt war. Der Antragsteller
kann als Rentner anstelle seiner erwerbsfähigen 1975 geborenen Ehefrau auf seine Kinder aufpassen und seine Ehefrau ihre bislang
nur gelegentliche und geringfügige Erwerbstätigkeit erheblich ausweiten. Der Antragsteller kann auch selbst eine Erwerbstätigkeit
ausüben, deren Entgelt nur bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze der moderaten Hinzuverdienstgrenze des §
34 SGB VI unterliegt. Mitte 2018 stünde die unverminderte Regelaltersrente an, die den Bedarf der Familie auch nicht decken würde.
Dann sind die beiden Kinder noch immer schulpflichtig und unterhaltsbedürftig.
Ein atypischer Fall ist auch nicht dadurch begründet, dass in der letzten Vergangenheit mehrmals Arbeitsverhältnisse zustande
kamen. Zunächst ist festzuhalten, dass sich der Antragsteller ernsthaft bemühte und bemüht, Arbeit zu finden. Dies ist keineswegs
bei allen Leistungsbeziehern so. Seit 2013 kamen aber trotz erheblicher Förderung durch den Antragsgegner (Eingliederungszuschüsse
für Arbeitgeber, Übernahme der Kosten von Wohnungsbesichtigungen, Zusage der Übernahme von Speditionskosten) nur kurzzeitige
Arbeitsverhältnisse zustande, teils auch mit nicht bedarfsdeckendem Lohn. Die vom Antragsteller laut den Akten öfter geäußerten
Vorwürfe, er werde bei der Arbeitssuche unzureichend unterstützt, sind nicht nachvollziehbar. So bestand etwa schon wegen
fehlender örtlicher Zuständigkeit kein Anspruch auf Übernahme der Umzugskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II.
3. Wenn bereits ein Ersatzantrag gestellt wurde, ist eine gerichtliche Anordnung im Eilverfahren gesondert zu prüfen. Der
Ersatzantrag kann wegen der Verfahrensherrschaft des Jobcenters nach § 5 Abs. 3 SGB II - egal ob die aufschiebende Wirkung wegen der Aufforderung angeordnet wurde oder nicht - zu der vom Antragsteller befürchteten
Bewilligung der vorzeitigen Rente führen.
a) (1) Der Ersatzantrag ist selbst kein Verwaltungsakt, so dass §
86b Abs.
1 Satz 1
SGG nicht einschlägig ist.
(2) Zum Teil wird der Ersatzantrag als Vollzug der (vergeblichen) Aufforderung des Leistungsempfängers nach §
86b Abs.
1 Satz 2
SGG betrachtet (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.12.2014, L 5 AS 2740/14 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10.12.2014, L 2 AS 520/14 B ER). In der Folge wird nach Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Aufhebung der Vollziehung angeordnet, konkret das
Jobcenter verpflichtet den Rentenantrag zurückzunehmen. Damit wird allerdings die Hauptsache vorweggenommen, weil ohne Rentenantrag
die Rente nicht bewilligt werden kann, vgl. §
99 SGB VI.
(3) Nach anderer Auffassung ist gegen den Ersatzantrag eine Sicherungsanordnung nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG statthaft (Bay LSG, Beschluss vom 23.06.2015, L 11 AS 273/15 B ER; LSG Sachsen, Beschluss vom 22.02.2016, L 3 AS 613/15 B ER). Das Bay LSG hat dort ebenfalls das Jobcenter verpflichtet, den Ersatzantrag zurückzunehmen. Das LSG Sachsen hat dagegen
zur Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache die Rentenversicherung beigeladen und diese verpflichtet, vorläufig nicht
über den Ersatzantrag zu entscheiden.
b) Im vorliegenden Verfahren kann die statthafte Verfahrensart bzgl. des Ersatzantrags offen bleiben, weil weder die Voraussetzungen
des §
86b Abs.
1 Satz 2
SGG noch die Voraussetzungen einer Sicherungsanordnung nach §
86b Abs.
2 Satz 1
SGG vorliegen.
Die Vollziehungsaufhebung nach §
86b Abs.
1 Satz 2
SGG ist ein unselbständiger Folgenbeseitigungsanspruch (vgl. Meyer-Ladewig,
SGG, 11. Auflage 2014, §
86b Rn. 10a), der schon deswegen nicht gegeben ist, weil bereits die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Aufforderung nicht
anzuordnen ist.
Eine Sicherungsanordnung nach §
86b Abs.
2 S. 1
SGG scheidet aus, weil nicht die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines
Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der Ersatzantrag hat nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II nur die Voraussetzung der vergeblichen Aufforderung. Die Ermessensaufübung wurde nach dem Urteil des BSG vom 19.08.2015, B 14 AS 1/15 R, in die Aufforderung vorverlagert. Die Aufforderung ist, wie oben dargelegt, im Eilverfahren nicht zu beanstanden. Diese
war vergeblich, weil der Antragsteller nicht innerhalb der gesetzten Frist selbst einen Leistungsantrag gestellt hatte. Damit
besteht kein Recht des Antragstellers, das durch den Ersatzantrag und in der Folge durch eine Rentenbewilligung gefährdet
wäre.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.