Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft
Kosten der Unterkunft und Heizung
Gründe
I.
Die 1958 geborene Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Bg.) begehrt vom Antragsgegner und Beschwerdeführer (Bf.) Leistungen
nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Am 01.05.2015 bezog die Bg. mit dem 1956 geborenen Herrn S. gemeinsam eine Eigentumswohnung,
die Herr S. kurz zuvor zu einem Kaufpreis von 373.080,00 Euro gekauft hatte. Die Wohnung besteht aus vier Zimmern (Wohn-/Esszimmer,
Schlafzimmer, zwei Kinderzimmer, Küche, Bad). Mit Datum 01.05.2015 schloss die Bg. mit Herrn S. einen Mietvertrag, wonach
sie an Herrn S. monatlich 450,00 Euro Miete, zweimonatlich 52,50 Euro für Radio- und Fernsehgebühren und monatlich 29,90 Euro
an Telefongebühren sowie eine Pauschale für Lebensmittel von 250,00 Euro für sich und ihre zwei volljährigen Kinder, die ebenfalls
mit in die Wohnung des Herrn S. eingezogen waren, zu bezahlen habe. Die Zahlung habe am Monatsanfang in bar an Herrn S. zu
erfolgen.
Am 29.05.2015 beantragte die Bg. beim Bf. Leistungen nach dem SGB II. Im Antrag gab sie an, seit vier Wochen in einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft ("eheähnliche Gemeinschaft")
zu leben und bezeichnete dabei Herrn S. als "Partner". Dabei legte sie unter anderem auch Kontoauszüge von Herrn S. vor. Grund
für ihren Antrag sei eine fehlende Krankenversicherung.
Am 25.06.2015 führte der Bf. einen angemeldeten Hausbesuch durch. Dabei gab die Bg. an, dass trotz des geschlossenen Mietvertrags
bislang keine Auszahlungen an Herrn S. erfolgt seien. Der Einzug in die Wohnung zu Herrn S. sei wegen der Beziehung zur Einsparung
von monatlichen Kosten erfolgt. Aufgrund der derzeitigen Handverletzungen der Bg. sei diese nur eingeschränkt in der Lage,
das tägliche Leben zu meistern. Hier würde sie jedoch Hilfe von Herrn S. erhalten. Der Einkauf der Bedarfsgüter erfolge gemeinsam
und beide seien bereit, finanziell füreinander einzustehen, was sie derzeit auch schon tun würden. Im Fragebogen zur Verantwortungs-
und Einstehensgemeinschaft gab die Bg. weiterhin an, dass beabsichtigt sei, lebenslang gemeinsam zu wohnen. Mahlzeiten würden
gemeinsam zubereitet und Herr S. komme derzeit für den gesamten Lebensunterhalt auf. Sie seien ein Paar und würden eine Beziehung
auf Dauer führen. Sie seien finanziell bereit, soweit es möglich sei, füreinander einzustehen.
Die Bg. legte dem Bf. einen Privatkunden-Leasingvertrag für einen Opel Insignia mit dem voraussichtlichen Liefertermin vom
01.07.2015 sowie ein Nachtrag zur Kfz-Versicherung für das Fahrzeug, welcher am 16.06.2015 begann, vor. Leasingnehmer für
das Kfz sind die Bg. und Herr S. Mit Bescheid vom 02.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2015 lehnte der
Bf. Leistungen nach dem SGB II ab. Die Bg. lebe in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit Herrn S. Dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse seien nach
den von der Bg. vorgelegten Unterlagen des Herrn S. dergestalt, dass Einkommen und Vermögen des Herrn S. den Bedarf der Bg.
übersteigen würden.
Aufgrund der hiergegen erhobenen Klage fand am 24.05.2016 vor dem Sozialgericht Augsburg unter Az.: S 15 AS 1264/15 eine mündliche Verhandlung statt, bei der Herr S. als Zeuge einvernommen wurde. Aufgrund der Zeugenaussage von Herrn S. schlug
die Richterin einen Vergleich vor, wonach der Bf. der Bg. für das erste Halbjahr 2016 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe gewährt, der dann von den Beteiligten zur Verfahrensbeendigung so abgeschlossen wurde.
In Ausführung des Vergleichs erließ der Bf. einen Bescheid mit Datum vom 06.06.2016, worin der Bf. der Bg. für die Zeit vom
Januar 2016 bis 30.06.2016 monatlich 234,00 Euro an Leistungen bewilligt wurden. An KdUH stünden der Bg. monatlich 150,00
Euro zu, nachdem sie für ihre beiden volljährigen Kinder und für sich selbst 450,00 Euro zu zahlen habe und auf sie anteilig
150,00 Euro entfielen. An Regelbedarf würden der Bg. 84,00 Euro monatlich zustehen, nachdem die Bg. monatlich bereinigt 320,00
Euro an Unterhalt bekomme. Gegen diesen Bescheid wurde kein Widerspruch eingelegt.
Am 02.06.2016 stellte die Bg. Weiterbewilligungsantrag beim Bf. für die Zeit ab 01.07.2016.
Mit Schreiben vom 15.06.2016 stellte sich der Bf. auf den Standpunkt, dass nunmehr eine eheähnliche Gemeinschaft vorliege,
nachdem die Bg. mit Herrn S. über ein Jahr zusammen wohne und forderte von der Bg. und Herrn S. Unterlagen bezüglich der Einkommens-
und Vermögenssituation von Herrn S. an. Weder die Bg. noch Herr S. legten Unterlagen vor; aufgrund des vor dem Sozialgericht
Augsburg geschlossenen Vergleichs vom 24.05.2016 stünde fest, dass es sich um keine eheähnliche Gemeinschaft, sondern eine
Zweckgemeinschaft handle.
Daraufhin versagte der Bf. mit Bescheid vom 04.07.2016 für die Zeit ab 01.07.2016 Leistungen nach dem SGB II mangels Mitwirkung. Ein Widerspruch gegen diesen Bescheid ist bislang noch nicht aktenkundig.
Am 08.07.2016 stellte die Bg. Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Augsburg. Es liege lediglich eine Zweckgemeinschaft
mit Herrn S. vor. Sie müsse am 22.07.2016 operiert werden und sei nicht krankenversichert. Daher sei Eile geboten.
Mit Beschluss vom 19.07.2016 erließt das Sozialgericht eine einstweilige Anordnung, wonach der Bf. der Bg. für die Zeit ab
01.07.2016 bis einschließlich 31.12.2016 vorläufig Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 234,00 Euro zu zahlen habe und die Bg. hierbei, ebenfalls vorläufig, bei der Kranken- und Pflegeversicherung
anzumelden habe. Der Versagungsbescheid stehe einer Leistungsgewährung nicht entgegen, da er noch nicht bestandskräftig sei.
Leistungen seien der Bg. ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen von Herrn S. zu gewähren. Eine eheähnliche Gemeinschaft
sei aufgrund der Niederschrift in der mündlichen Verhandlung vom 24.05.2016 vor der 15. Kammer des Sozialgerichts Augsburg
nicht anzunehmen. Dieser Einschätzung schließe sich das Sozialgericht im Rahmen des Eilverfahrens vorläufig an. Deshalb sei
keine Bedarfsgemeinschaft gegeben und das Einkommen und Vermögen des Herrn S. im Rahmen der vorläufigen Entscheidung nicht
zu berücksichtigen. Die Leistungshöhe von 234,00 Euro ergebe sich aus dem Bescheid vom 06.06.2016 und dem aktuellen Regelsatz
von 404,00 Euro abzüglich des bereinigten Unterhaltseinkommens von 320,00 Euro zuzüglich monatlicher KdUH von 150,00 Euro,
welche anteilig auf die Bg. entfielen. Hiergegen hat der Bf. Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die Bg.
und Herr S. würden nunmehr über ein Jahr zusammen leben, so dass nach der Vermutungsregelung von einer eheähnlicher Gemeinschaft
auszugehen sei.
Die Bg. hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Mit Schreiben vom 29.07.2016 legt die Bg. dar, dass sich aus
dem Vergleich vor dem Sozialgericht ergäbe, dass keine Bedarfsgemeinschaft sondern eine Zweckgemeinschaft vorläge. Miete werde
nicht gezahlt, da die Bg. hierzu wirtschaftlich nicht in der Lage sei. Herr S. habe niemals eine lebenslange wirtschaftliche
Unterstützung zugesagt. Eine Lebensmittelpauschale von 250,00 Euro monatlich sei aus der Luft gegriffen.
II.
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 86b Abs.
3,
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG). Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Augsburg vom 19.07.2016 und Ablehnung
des Antrags der Bg. auf vorläufigen Rechtsschutz. Für eine einstweilige Anordnung besteht kein Anordnungsgrund, was im Ergebnis
dazu führt, dass der Bg. kein einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren ist.
Es kann mangels Vorliegen eines Anordnungsgrundes dahingestellt bleiben, ob gegen den Versagungsbescheid inzwischen Widerspruch
eingelegt wurde; die Widerspruchsfrist läuft noch, so dass der Versagungsbescheid nicht bestandskräftig ist und der Antrag
auf einstweiligen Rechtsschutz daher unzulässig wäre (BayLSG, Beschluss vom 21.04.2016, L 7 AS 160/16 B ER, Rz. 23).
Des Weiteren kann im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtschutzes mangels Vorliegen eines Anordnungsgrundes dahingestellt
bleiben, ob eine eheähnliche Gemeinschaft zwischen der Bg. und Herrn S. besteht. Dies kann im Rahmen des Hauptsacheverfahrens
endgültig geklärt werden.
Anzumerken ist im Hinblick auf das anstehende Hauptsacheverfahren insoweit Folgendes:
Wohl zu Unrecht beruft sich der Bf. auf die Vermutungsregelung, wonach bei einem über einjährigen Zusammenwohnen eine eheähnliche
Gemeinschaft vermutet werden kann. Vielmehr ist stets anhand der objektiven Hinweistatsachen eine Gesamtwürdigung vorzunehmen
(BayLSG, Urteil vom 02.02.2011, L 7 AS 552/10). Dies gilt erst recht, wenn ohne inzwischen eingetretene Änderungen vom Bf. im Rahmen des Vergleichs vor dem Sozialgericht
Augsburg für einen zurückliegenden Zeitraum akzeptiert wurde, dass keine eheähnliche Gemeinschaft bestanden hat. Andererseits
ist der Einwand der Bg., dass durch den Vergleich des Sozialgerichts Augsburg für alle Zukunft festgestellt sei, dass es sich
lediglich um eine Zweckgemeinschaft und keine eheliche Gemeinschaft handele, problematisch. Vielmehr ist grundsätzlich für
jeden Bewilligungszeitraum, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts einen eigenen Streitgegenstand darstellt,
festzustellen, ob eine eheähnliche Gemeinschaft besteht oder nicht. Dabei kommt dem Vergleich keine Bindungswirkung für die
Zukunft zu, sondern es ist anhand der objektiven Hinweistatsachen für jeden Bewilligungszeitraum neu zu entscheiden, ob eine
eheähnliche Gemeinschaft vorliegt oder nicht. Für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft sprechen zahlreiche objektive
Hinweistatsachen (vgl. etwa BayLSG, Urteil vom 30.04,2015, L 7 AS 356/14). Dies gilt umso mehr, als Herr S. als Vermieter nicht wie ein unbeteiligter Dritter reagiert und der Bg. wegen Nichtzahlens
von Miete nach entsprechenden Mahnungen kündigt.
Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung scheitert letztlich schon daran, dass kein Anordnungsgrund vorliegt. Denn
es besteht keine Notlage der Bg., die ihr ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar machen würde. Der
Erlass einer Regelungsanordnung setzt jedoch voraus, dass bei einem Abwarten bis zum Hauptsacheverfahren Nachteile entstehen
könnten, die nicht mehr beseitigt werden könnten (BayLSG, Beschluss vom 26.07.2012, L 7 AS 404/12 B ER, Rz. 17). Für die anteiligen Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) von 150, 00 Euro ist Eilbedürftigkeit nicht erkennbar.
Für die Gefährdung der Wohnung ist nichts vorgetragen und sind auch keine Anhaltspunkte gegeben (vgl. BayLSG Beschluss vom
19.12.2014, L 7 AS 757/14 B ER).
Auch hinsichtlich der Bewilligung von 84,00 Euro an Regelbedarf besteht kein Anordnungsgrund. Dies ergibt sich zu einen daraus,
dass die Verpflegung der Bg. offensichtlich durch ihre Mitbewohner, ihre Kinder und wohl auch Herrn S., sichergestellt ist
(vgl. BayLSG, Beschluss vom 19.12.2014, L 7 AS 757/14 B ER, Rz. 23).
Zum anderen verfügt die Bg. über Einkommen an Unterhaltszahlungen, was schon bereinigt 320,00 Euro monatlich ausmacht (vgl.
auch BayLSG, Beschluss vom 02.02.2016, L 7 AS 28/16 B PKH, wonach im Rahmen des Eilverfahrens sogar das Einkommen ohne Bereinigung ausschlaggebend ist, soweit es als "bereite
Mittel" verfügbar ist).
Angesichts des Bg. ggf. zustehenden Regelbedarfs von 364,00 Euro oder 404,00 Euro monatlich fehlen höchstens 84,00 Euro monatlich,
die der Bg. zur Vermeidung der Vorwegnahme der Hauptsache hier nicht zuzusprechen sind. Denn auch nach der auf den Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts beruhenden Rechtsprechung des BayLSG ist, um eine Vorwegnahme in der Hauptsache zu vermeiden,
im Eilverfahren nicht der gesamte Regelbedarf, sondern ein um bis zu 30 % geminderter Regelbedarf zuzusprechen. Hier macht
der Betrag von 84,00 Euro bei einem Regelbedarf von 404,00 Euro lediglich einen Anteil von 21 % aus, so dass bei Anwendung
der Rechtsprechung des BayLSG die 30 %-Marke deutlich unterschritten wird. Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Minderung
des Regelbedarfs im einstweiligen Rechtsschutz hier nicht möglich wäre, bestehen nicht. Im Gegenteil: Die Unterkunft der Bg.
ist gesichert und sie wird auch im Rahmen der bestehenden Gemeinschaft - unabhängig davon, wie diese im Rahmen des Hauptsacheverfahrens
zu bewerten ist - offensichtlich versorgt.
Auch bedingt der Wunsch der Bg., eine Krankenversicherung zu erhalten, keinen Anordnungsgrund. Denn die Krankenversicherung
ist nicht gefährdet. Die Bg. war bis zum 30.06.2016 aufgrund des geschlossenen Vergleichs im Leistungsbezug und damit krankenversichert.
Diese Krankenversicherung wirkt fort. Die ärztliche Behandlung für ein vormaliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung
ist gemäß §
5 Nr. 13
SGB V sichergestellt (BayLSG, Beschluss vom 19.12.2014, L 7 AS 757/14 B ER, Rz. 24). §
5 Abs.
8a SGB V ist nicht einschlägig, weil vom dortigen Ausschluss Bezieher von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach SGB II nicht erfasst sind. Zwar ist der Versicherungspflichtige gemäß §
250 Abs.
3 SGB V beitragspflichtig. Von einem Ruhen des Anspruchs auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung wegen Beitragsrückständen
sind aber gemäß §
16 Abs.
3a Satz 2
SGB V Früherkennungsuntersuchungen, Behandlungen akuter Erkrankungen und Schmerzzustände ausgenommen. Dies kann gemäß §
291 Abs.
2a Abs.
3 SGB V auch auf der Gesundheitskarte gespeichert werden. Über eine Notbehandlung hinausgehende Behandlungen können nicht im Rahmen
eines Eilverfahrens durchgesetzt werden, da ansonsten die gesetzliche Wertung, wonach nur Notbehandlungen bewilligt werden,
unterlaufen würde. Nach alledem ist die Beschwerde erfolgreich, der Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben und der Antrag
auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und der Erwägung, dass der Bf. mit seiner Beschwerde erfolgreich und die Bg. mit ihrem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz
erfolglos blieb.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §
177 SGG.