Anspruch auf Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit; Unerheblichkeit einer Kapitalinvestition
Tatbestand
Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Überbrückungsgeld und dessen Rückforderung für die Zeit von Juli bis Dezember
2005 iHv 10.981,74 EUR.
Am 30.06.2005 beantragte der Kläger Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als technischer Verkäufer/Umweltberater
ab dem 01.07.2005. Dabei bestätigte er, das Merkblatt 3 erhalten und zur Kenntnis genommen zu haben. In den Hinweisen zur
Förderung der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit mit Überbrückungsgeld ist ausgeführt, eine Förderung erfolge nur, wenn
eine selbstständige Tätigkeit hauptberuflich ausgeübt werde. Am 23.08.2005 meldete der Kläger sein Gewerbe zum 01.07.2005
an. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 20.09.2005 "für die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit am 01.07.2005" Überbrückungsgeld
für die Zeit vom 01.07.2005 bis 31.12.2005 iHv monatlich 1.830,29 EUR.
Nachdem die Beklagte Kenntnis darüber erlangte, der Kläger habe in einem anderen Verfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg
(SG) angegeben, er habe keine selbstständige Tätigkeit aufgenommen, nahm sie mit Bescheid vom 10.02.2009 die Bewilligung von
Überbrückungsgeld ab 01.07.2005 zurück und forderte vom Kläger die Erstattung von Überbrückungsgeld iHv 10.981,74 EUR für
die Zeit von Juli bis Dezember 2005. Er habe erklärt, die selbstständige Tätigkeit niemals aufgenommen zu haben, weshalb die
Voraussetzungen für den Bezug weggefallen seien. Im Antrag vom 30.06.2005 seien grob fahrlässig falsche Angaben gemacht worden
bzw sei dem Kläger die Fehlerhaftigkeit der Bewilligung bekannt gewesen. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2009 zurück.
Dagegen hat der Kläger beim SG Klage erhoben (Az. S 1 AL 254/09). Er habe Kapital in seine Firma investiert. Firmenpersonendaten könnten aber aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht herausgegeben
werden. In der anderweitigen Verhandlung vor dem SG habe er nur gesagt, krankheitsbedingt sei die Selbstständigkeit zum 01.01.2006 eingestellt worden. Der Sachverhalt sei auch
bei der Antragstellung erörtert worden. Nach der vom SG eingeholten schriftlichen Stellungnahme hat der seinerzeitige Vorsitzende der 20. Kammer des SG mitgeteilt, der Kläger habe in einem Termin am 02.07.2008 angegeben, es sei zu keiner Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit
gekommen und das Vorhaben sei bereits in der Planungsphase wieder aufgegeben worden. Nach der Einvernahme des Zeugen S., Vertreter
der ARGE im Termin am 02.07.2008, zu den damals vom Kläger gemachten Angaben hat der damalige Bevollmächtigte des Klägers
am 09.09.2009 die Klage zurückgenommen.
Ein an das SG gerichtetes Schreiben vom 08.10.2009, dem die Klagebegründung nochmals beigefügt war und mit dem der Kläger für den Fall,
dass ein Urteil vorliegen sollte, Berufung einlegen wollte, sollte nach Mitteilung des damaligen Klägerbevollmächtigten als
Überprüfungsantrag an die Beklagte weitergeleitet werden. Diesen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.11.2009 ab. Den dagegen
eingelegten Widerspruch, der trotz Ankündigung und Mahnung nicht begründet worden war, wies sie mit Widerspruchsbescheid vom
12.02.2010 zurück. Es sei weder etwas neues vorgetragen, noch würden neue Erkenntnisse vorliegen, so dass eine sachliche Prüfung
abgelehnt werden durfte.
Die vom Kläger dagegen eingelegte Klage hat das SG mit Urteil vom 04.07.2012 abgewiesen. Die selbstständige Tätigkeit sei vom Kläger nicht aufgenommen und nicht hauptberuflich
ausgeübt worden. Dies habe er bei Erlass des Bewilligungsbescheides gewusst. Im Hinblick auf den Erhalt und die Kenntnisnahme
des Merkblattes 3 sei ihm auch bewusst gewesen, dass die Bewilligungsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten.
Dagegen hat der Kläger Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.07.2012 und den Bescheid vom 05.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 12.02.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 10.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 22.04.2009 zurückzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen des SG verwiesen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist ohne Erfolg, da sie nicht begründet ist. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 05.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2010 ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte dazu
verpflichtet wird, ihren Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 02.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2009
zurückzunehmen.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 05.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2010, mit dem die Beklagte
den Antrag auf Überprüfung des Rücknahme- und Erstattungsbescheides vom 10.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 22.04.2009 abgelehnt hat.
Nach § 44 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden
ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht
nicht erhoben worden sind. Die Vorschrift ist dabei - zumindest analog - auch Fälle anzuwenden, in denen der zu beurteilende
Verwaltungsakt selbst ein Aufhebungsverwaltungsakt ist, da insofern jedenfalls eine mittelbare Regelungswirkung im Hinblick
auf das Leistungsrecht anzunehmen ist (vgl dazu Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, § 44 Rn 16 mwN).
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihre Entscheidung vom 10.02.2009 zurückzunehmen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür,
dass die Beklagte bei Erlass ihres Bescheides vom 10.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2009 das
Recht unrichtig angewandt hat oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Die Aufhebung des Bewilligungsbescheides
vom 20.09.2005 und die Rückforderung des gewährten Überbrückungsgeldes für die Zeit von Juli bis Dezember 2005 waren rechtmäßig.
Nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 und 3 SGB X i.V.m. §
330 Abs
2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Verwaltungsakt
auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat oder
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Der Bewilligungsbescheid vom 20.09.2005 war von Anfang an d.h. im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides rechtswidrig. Die
Voraussetzungen für die Gewährung von Überbrückungsgeld lagen nicht vor. Nach §
57 Abs
2 SGB III in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19.11.2004 (BGBl I 2902) erhalten Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen
Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der
Zeit nach der Existenzgründung ein Überbrückungsgeld. Bereits dem Wortlaut nach setzt damit der Anspruch auf Überbrückungsgeld
die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit voraus. Unabhängig davon, wann von der "Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit"
ausgegangen werden kann (vgl. dazu im Einzelnen: BSG, Urteil vom 05.05.2010 - B 11 AL 28/09 R - SozR 4-4300 § 57 Nr 5), hat der Kläger vorliegend in einer Verhandlung vor dem SG am 02.07.2008 (S 1 AS 254/09) erklärt, er habe seinerzeit die geplante Tätigkeit ab 01.07.2005 nie tatsächlich aufgenommen. Dies steht zur Überzeugung
des Senats im Hinblick auf die glaubwürdige Stellungnahme des ehemaligen Vorsitzenden der 20. Kammer des SG und die vom SG im Verfahren S 1 AL 254/09 durchgeführte Zeugeneinvernahme des Zeugen S. fest. Es gibt keine vernünftigen Zweifel an deren Aussagen. Weder sind Widersprüche
erkennbar, noch kann ein besonderes persönliches Interesse des ehemaligen Vorsitzenden der 20. Kammer des SG oder des Zeugen S. erkannt werden. Gründe, die gegen die Glaubwürdigkeit der Angaben sprechen könnten, hat der Kläger nicht
vorgetragen. Die späteren Ausführung des Klägers, er habe nur angegeben, die selbständige Tätigkeit krankheitsbedingt zum
01.01.2006 eingestellt zu haben, stellt eine bloße Schutzbehauptung dar. Nachweise für die tatsächliche Aufnahme der selbständigen
Tätigkeit zum 01.07.2005 hat der er auch nicht vorgelegt. Alleine eine Kapitalinvestition stellt noch keine Tätigkeitsaufnahme
dar. Im Übrigen müsste er im Falle einer Nichtaufklärbarkeit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit zum 01.07.2005 im
Rahmen einer Überprüfung nach § 44 Abs 1 SGB X den Nachteil dieser Nichterweislichkeit tragen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 12.12.1996 - 11 RAR 31/96 - SozR 3-1300 § 44 Nr 19; Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl, § 44 Rn 12 mwN).
Die Aufhebung der Leistungsbewilligung konnte auch für die Vergangenheit erfolgen, denn der Kläger kann sich nicht auf einen
Vertrauensschutz berufen (§ 45 Abs 1 i.V.m. Abs 2 SGB X). Er kannte die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung bzw kannte diese zumindest nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht
(§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X). Die Notwendigkeit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit als Anspruchsvoraussetzung ergab sich für den Kläger erkennbar
aus dem ihm nachweislich ausgehändigten Merkblatt 3 für Arbeitslose, dessen Kenntnisnahme er unterschriftlich bestätigt hat,
und den Hinweisen zur Förderung. Dort und im Bescheid vom 20.09.2005 selbst steht unmissverständlich, das Überbrückungsgeld
werde für die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit gewährt. Damit musste dem Kläger auch unter Berücksichtigung seiner
geistigen Leistungsfähigkeit subjektiv klar gewesen sein, dass ein Anspruch auf Überbrückungsgeld nur besteht, wenn eine selbständige
Tätigkeit tatsächlich aufgenommen wird. Mangels Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zum 01.07.2005 hätte er im Zeitpunkt
der Bekanntgabe des Bescheides vom 20.09.2005 erkennen können, dass die Bewilligung des Überbrückungsgeldes zu Unrecht erfolgt
ist.
Darüber hinaus hat der Kläger seine Mitteilungsverpflichtung grob fahrlässig verletzt (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X). Gemäß §
60 Abs
1 Satz 1 Nr
2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) war er verpflichtet, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Bewilligung des Überbrückungsgeldes erheblich sind, unverzüglich
mitzuteilen. Zur Korrektur seiner ursprünglich gegebenenfalls zutreffenden eigenen Angabe, die Tätigkeitsaufnahme sei für
den 01.07.2005 geplant, ist der Kläger verpflichtet gewesen, da sie noch vor Erlass des Bewilligungsbescheides vom 20.09.2005
unrichtig geworden ist (vgl Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl, § 45 Rn 49 mwN). Insofern liegt hier eine Sorgfaltspflichtverletzung vor. Der Kläger hat gegen die ihm mit Merkblatt 3, dessen
Kenntnisnahme er unterschriftlich bestätigt hat, bekannt gemachte Mitteilungspflicht bezüglich der Nichtaufnahme der selbständigen
Tätigkeit verstoßen (vgl dazu Urteil des Senats vom 27.05.2004 - L 10 AL 199/02 - und Urteil vom 17.12.2007 - L 10 AL 66/07; Schütze aaO Rn 57). Die Notwendigkeit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit als Anspruchsvoraussetzung ergab sich für
den Kläger erkennbar auch aus den Hinweisen zur Förderung. Dies wird letztlich auch nicht bestritten und es gibt keinen Anhaltspunkt
dafür, dass er aus in seiner Person liegenden Gründen seine Mitteilungspflicht nicht hätte erkennen können. Die Nichtaufnahme
hätte er deshalb der Beklagten mitteilen müssen. Er hat daher grob fahrlässig seine Mitteilungsverpflichtung verletzt. Die
Rücknahmevoraussetzungen nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 bzw. Nr 3 SGB X lagen nach alledem vor. Es kann dahinstehen, ob ein rechtswidrig versagter Vertrauensschutz überhaupt im Rahmen des Überprüfungsverfahren
nach § 44 SGB X beachtlich ist (vgl dazu: Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl, § 44 Rn 17 mwN).
Die Beklagte hat die Jahresfrist aus § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Ein Ermessen hatte sie bei der Aufhebung der Leistungsbewilligung nicht; sie war zum Erlass des angefochtenen
Verwaltungsaktes und der Aufhebung für die Vergangenheit rechtlich verpflichtet, §
330 Abs
2 SGB III.
Die Erstattungspflicht des Klägers folgt aus § 50 Abs 1 SGB X. Die Beklagte hat den Erstattungsbetrag zutreffend mit 10.981,74 EUR festgesetzt (6 Monate x 1.830,29 EUR).
Der Kläger hatte damit keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte zur Aufhebung ihres Rücknahme- und Erstattungsbescheides
vom 10.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2009 verpflichtet wird. Die Berufung war mithin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.