Tatbestand
Streitig ist die rückwirkende Teilnahme am Strukturvertrag in den Quartalen 4/2004 bis 4/2007.
Der Kläger ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und seit dem Quartal 4/2004 in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung
zugelassen. An der Sozialpsychiatrischen Vereinbarung nimmt er seit 15.11.2004 teil.
Am 23.05.2008 beantragte er die rückwirkende Teilnahme am Strukturvertrag bezüglich der von ihm erbrachten Leistungen der
Nrn. 846, 849 und 960 EBM a.F. beziehungsweise 14220, 141222 und 14310 EBM 2000+ mit dem Ziel, dass diese Leistungen mit dem
Punktwert nach dem Strukturvertrag vergütet werden. Zur Begründung verwies er im Schreiben vom 24.07.2008 auf die Grundsätze
des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Aufgrund des Mitgliedschaftsverhältnisses bei der Beklagten bestünden für diese
umfangreiche Auskunfts-, Aufklärungs- und Beratungspflichten, insbesondere bei neuen Niederlassungen. Der Kläger habe darauf
vertrauen können, umfassend über Strukturverträge informiert zu werden. Hilfsweise stellte er einen Antrag nach § 44 SGB X.
Mit Bescheid vom 17.09.2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine rückwirkende Genehmigung der Teilnahme am Strukturvertrag
sei grundsätzlich nicht möglich. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2009 zurück.
Die Teilnahmeerklärung sei erst am 26.05.2008 eingegangen. Die Beklagte habe dem Kläger den Strukturvertrag mit einer Teilnahmeerklärung
am 29.07.2004 zugesandt. Damit sei sie ihren Sorgfaltspflichten in ausreichendem Maße nachgekommen. Im Übrigen habe jeder
Arzt eine Pflicht zur Information, die sich allgemein aus der Berufsordnung für Ärzte ergebe. Außerdem werde jedes Quartal
eine Übersicht der Auszahlungspunktwerte in der Mitgliederzeitschrift KV-Blickpunkt veröffentlicht. Durch einen Vergleich
der Punktwerte aus der Übersicht mit den Quartalsabrechnungen hätte der Kläger bereits im Quartal 4/2004 erkennen können,
dass die geförderten Strukturvertragsleistungen nicht mit dem Strukturvertragspunktwert vergütet worden seien.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG). Er machte erneut einen Herstellungsanspruch geltend. Aufgrund seiner Unerfahrenheit bei der Praxisgründung und der Vielzahl
der neuen Regelungen sei ihm erst im Mai 2008 aufgefallen, dass die Leistungen nicht mit dem Strukturvertragspunktwert vergütet
worden seien. Die Beklagte habe bisher nicht nachgewiesen, dass sie dem Kläger bereits im Jahr 2004 eine Teilnahmeerklärung
zum Strukturvertrag zugesandt habe. Er habe jedoch seinen Willen zur Teilnahme am Strukturvertrag bereits im Schreiben vom
26.07.2004 (Erhebungsbogen) eindeutig geäußert.
Mit Urteil vom 06.07.2011 wies das SG die Klage ab. Die Versagung der rückwirkenden Genehmigung sei rechtmäßig. Die Unkenntnis des Klägers sei rechtlich unbeachtlich.
Er habe die Möglichkeit gehabt, anhand der für jedes Quartal veröffentlichten Übersicht der Auszahlungspunktwerte festzustellen,
dass er nicht den Strukturvertragspunktwert erhalten hatte. Die Beklagte müsse nicht beweisen, dass sie dem Kläger die Erklärung
über die Teilnahme am Strukturvertrag zugeschickt habe. Vielmehr müsse der Kläger beweisen, dass er bereits ab dem Quartal
4/2004 die Voraussetzungen für eine Teilnahme am Strukturvertrag erfüllt habe. Es liege im Verantwortungsbereich des Klägers
als Vertragsarzt, die notwendigen Schlüsse und praktischen Folgerungen aus den dem Honorarbescheid zu Grunde liegenden Unterlagen
zu ziehen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch modifizierte diese Grundsätze
nicht.
Gegen das am 07.12.2011 zugestellte Urteil legte der Kläger am 09.01.2012 Berufung ein. Zur Begründung wurde der bisherige
Vortrag wiederholt.
Der Kläger stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 12.09.2012,
des Weiteren den Antrag,
die Berufungsbeklagte zu verurteilen, an den Berufungskläger den Betrag von 175.000,- EUR aus Amtspflichtverletzung zu bezahlen
und den Antrag auf
Verweisung des Amtshaftungsanspruchs an das zuständige Landgericht B-Stadt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen sowie den Neuantrag hinsichtlich der Zahlung von 175.000,- EUR aus Amtshaftung als unzulässig
abzuweisen.
Mit Beschluss wurde der Rechtsstreit hinsichtlich des geltend gemachten Amtshaftungsanspruchs (§
839 BGB i.V.m. Atr. 34
GG) in der mündlichen Verhandlung am 25.9.2013 abgetrennt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Beklagtenakten und die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe
1. Den Anspruch auf Schadensersatz im Rahmen der deliktischen Amtshaftung hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung am
25.09.2013 erstmalig geltend gemacht. Diese Klageerweiterung - der Kläger machte einen neuen, zusätzlichen Klageantrag geltend
- ist eine Klageänderung im Sinne des §
99 SGG, wobei §
99 Abs.
3 Nr.
3 SGG nicht anzuwenden ist, da keine Veränderung etwa im Sinne einer Erledigung eingetreten ist. Diese Klageänderung ist zulässig,
weil der Senat sie unter prozessökonomischen Gesichtspunkten für sachdienlich erachtet (§
99 Abs.
1 SGG).
Für Ansprüche aus Amtshaftung gemäß §
839 BGB, Art.
34 GG sind die ordentlichen Gerichte zuständig, so dass die Klage unter diesem Gesichtspunkt unzulässig ist (§
17 Abs.
2 S. 2
GVG, §
202 SGG). Deshalb war der Rechtsstreit hinsichtlich des geltend gemachten Amtshaftungsanspruches abzutrennen.
2. Die Berufung ist im übrigen zulässig.
Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist für den vom Kläger geltend gemachten, auf Naturalrestitution gerichteten sozialrechtlichen
Herstellungsanspruch eröffnet (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage 2012, §
51 Rn. 10 a, 39). Da der Kläger primär die rückwirkende Genehmigung zur Teilnahme am Strukturvertrag begehrt, ist der Rechtsweg
zu den Sozialgerichten auch insoweit eröffnet, als die Verletzung von Nebenpflichten aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis
zu prüfen ist. §
40 Abs.
2 S. 1 3. Alternative
VwGO steht dem nicht entgegen, da der ordentliche Rechtsweg für Schadensersatzansprüche von Bürgern aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher
Pflichten nur insoweit eröffnet ist, als eine Geldleistung begehrt wird (Ehlers in: Schoch/Schneider/Bier,
VwGO, §
40 Rn. 539; Kopp/Schenke,
VwGO, 19. Auflage 2013, §
40 Rn. 73). Soweit eine Naturalrestitution oder die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen aus öffentlich-rechtlichen
Schuldverhältnissen begehrt wird, verbleibt es dagegen bei der Zuständigkeit der Sozialgerichte.
3. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Da die Genehmigung zur Teilnahme an einem Strukturvertrag eine statusbegründende
Entscheidung ist, kommt eine rückwirkende Genehmigung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Senats
nicht in Betracht.
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ist im Vertragsarztrecht ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht gegeben.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch basiert nicht auf einer gesetzlichen Regelung; er ist ein richterrechtliches Rechtsinstitut,
das eine Regelungslücke im Staatshaftungsrecht für den Bereich der Erbringung von Sozialleistungen schließen und eine möglichst
weitgehende Verwirklichung dieser sozialen Rechte gewährleisten soll (§
2 Abs.
2 SGB I). Das Bundessozialgericht entwickelte dieses Rechtsinstitut beginnend im Jahr 1962 (Urteil vom 14.06.1962, 4 RJ 75/60). Dem Versicherungsträger erwachse aus dem Versicherungsverhältnis eine Nebenpflicht zur Auskunft, Fürsorge und Erhaltung.
Der Herstellungsanspruch sei ein Ausgleichsanspruch bei Verletzung einer vertragsähnlichen Nebenpflicht aus dem öffentlich-rechtlichen
Versicherungsverhältnis (Urteil vom 18. Dezember 1975, 12 RJ 88/75, BSGE 41,126,127). Der Herstellungsanspruch hat also zur Vorraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund
des Gesetzes obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§
14,
15 SGB I), oder eine aufgrund eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Nebenpflicht zur Betreuung verletzt hat und dadurch ein sozialrechtlicher
Nachteil entstanden ist (vergleiche z.B. BSG Urteil vom 18.01.2011, B 4 AS 99/10 R, SGb 2011, 723; Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 5/05 R, BSGE 96,161).
Diese vom Bundessozialgericht entwickelte Betreuungspflicht, deren Verletzung die Voraussetzung für einen sozialrechtlichen
Herstellungsanspruch ist, gilt nur in so genannten Sozialrechtsverhältnissen, das heißt im Sozialleistungsrecht (vergleiche
BSG a.a.O.; Reinhardt in: Krahmer/Trenk-Hinterberger,
Sozialgesetzbuch I, 3. Aufl. 2014, §
14 Rn. 19; Schlegel in: [...] PK-
SGB V §
1 Rn. 90), nicht jedoch im Vertragsarztrecht.
Eine "allgemeine" Betreuungspflicht jenseits des Leistungsrechtes ist weder richterrechtlich anerkannt noch gesetzlich vorgesehen.
Insbesondere findet § 25 VwVfG im SGB X keine Entsprechung, weil spezielle Auskunfts- und Beratungspflichten in den §§
13 bis
15 SGB I geregelt sind. §§
13 bis
15 SGB I sind jedoch im Vertragsarztrecht nicht anwendbar, da die Beklagte, die Kassenärztliche Vereinigung, kein Leistungsträger
im Sinne von §
12 SGB I ist.
Der Kläger hat außerdem auch keinen sozialrechtlichen Schaden erlitten, also keinen Schaden, der im Zusammenhang mit Sozialleistungen
nach §§
18 ff
SGB I steht. Sein Schaden besteht vielmehr in einer niedrigeren Vergütung für seine freiberufliche Tätigkeit nach §
82 Abs.
2 SGB V aufgrund der fehlenden Genehmigung.
Im Ergebnis kann der Kläger die rückwirkende Erteilung der Genehmigung nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
erreichen.
Die rückwirkende Genehmigung kann auch nicht als Restitution wegen der Verletzung von Nebenpflichten aus einem öffentlich-rechtlichen
Schuldverhältnis erteilt werden. Das Mitgliedschaftsverhältnis des Klägers bei der Beklagten (§
77 Abs.
3 S. 1
SGB V) ist kein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis, in dem quasi-vertragliche Betreuungs- und Schadensersatzpflichten bestehen
könnten. Verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse sind öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen zwischen der Verwaltung und
dem Bürger, die nach Struktur und Gegenstand den bürgerlich-rechtlichen Schuldverhältnissen vergleichbar sind, insbesondere
Leistungs- und Benutzungsverhältnisse im Bereich der Daseinsvorsorge, die Geschäftsführung ohne Auftrag, die öffentliche Verwahrung
und in Teilbereichen das Beamtenverhältnis bzw. andere personenbezogene Schuldverhältnisse wie das Zivildienstverhältnis,
das Strafgefangenenverhältnis oder das Schulverhältnis (vergleiche Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Auflage 2012,
§ 26; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 29). Das Mitgliedschaftsverhältnis des Klägers bei der Beklagten wird demgegenüber
durch die gesetzlichen Regelungen der §§
72 ff
SGB V, die darauf basierenden Normverträge (Gesamtverträge, §
83 SGB V) und Richtlinien (§
92 SGB V) sowie die Satzung der Beklagten, die gemäß §
81 Abs.
1 S. 1 Nummer
4 SGB V die Rechte und Pflichten der Mitglieder regelt, umfassend und abschließend definiert. Eine Vergleichbarkeit mit bürgerlich-rechtlichen
Schuldverhältnissen besteht nicht. Das Mitgliedschaftsverhältnis des Klägers zur Kassenärztlichen Vereinigung stellt vielmehr
ein verwaltungsrechtliches Dauerrechtsverhältnis dar, das in erster Linie durch das Statusrecht der jeweiligen Körperschaft,
das heißt die Satzung der Beklagten, und die Normen des
SGB V geprägt wird (hierzu Wolf/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Bd. 3, 5. Auflage 2004, § 87 Rn. 45, 55 ff). Es schließt eine analoge
Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften über einen Schadensersatz wegen Pflichtverletzung (§§
280,
311 BGB) wegen der struturellen Unterschiede zum bürgerlich-rechtlichen Schuldverhältnis aus.
Da der Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Erteilung der rückwirkenden Genehmigung zur Teilnahme
am Strukturvertrag hat, war die Berufung zurückzuweisen.
Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund vorliegt.