Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwaltes in Verfahren nach dem SGB IX
Gründe:
I. Die Klägerin und hiesige Beschwerdeführerin begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von §§
2 Abs.2, 69 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX).
Der Beklagte und hiesige Beschwerdegegner hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales
Region Niederbayern vom 13.05.2008 in Gestalt des Teilabhilfe-Bescheides vom 02.10.2008 sowie in Gestalt des Widerspruchsbescheides
des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 03.11.2008 den Grad der Behinderung (GdB) mit Wirkung ab 02.04.2008 mit 30 festgestellt.
Berücksichtigt worden sind nachstehende Gesundheitsstörungen:
Psychovegetative Störungen, depressiv gefärbt, Somatisierungsstörung (Einzel-GdB 20);
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, muskuläre Verspannungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen,
Wirbelsäulenverformung (Einzel-GdB 20);
chronisch venöse Insuffizienz links (Einzel-GdB 10).
Im Rahmen des sich anschließenden Klageverfahrens hat das Sozialgericht Landshut bereits umfassend Befundberichte gemäß §§
103,
106 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) eingeholt.
Der Antrag vom 28.11.2008 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt B.
S. ist mit Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 13.01.2009 - S 3 SB 675/08 - abgelehnt worden. Da das Verfahren vor den Sozialgerichten ohnehin gerichtskostenfrei sei (§
183 SGG), komme die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur für die Kosten der Beiordnung eines Rechtsanwalts in Betracht. Eine solche
Beiordnung sei nach §
121 Abs.1 Satz 1
ZPO jedoch nur dann vorzunehmen, wenn die Vertretung durch einen Anwalt erforderlich erscheine oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt
vertreten sei, was bei dem beklagten Freistaat Bayern nicht der Fall sei. Die für ihn handelnden, fachlich ausgebildeten Vertreter,
die ihrerseits an die Beachtung gesetzlicher Vorschriften gebunden seien, seien Rechtsanwälten nicht gleichzustellen. Die
Vertretung der Klägerin durch einen Rechtsanwalt erscheine auch nicht erforderlich. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die
Streitsache tatsächlich oder rechtlich schwierig gelagert wäre oder wenn die Klägerin selbst hilflos erscheine. Hierfür bestehe
jedoch kein Anhaltspunkt. Der anhängige Rechtsstreit sei tatsächlich und rechtlich einfach gelagert. Der Sachverhalt liege
klar und leicht überschaubar auf der Hand. Das Klagebegehren stehe zweifelsfrei fest. Gegenstand der Klage sei, dass es der
Beklagte abgelehnt habe, der Klägerin einen höheren GdB als 30 zu gewähren. Weder die tatsächliche noch die rechtliche Seite
des Rechtsstreits würde Schwierigkeiten bieten. Überdies habe das Sozialgericht etwa notwendige Ermittlungen von Amts wegen
anzustellen (§
103 SGG) und darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für
die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben würden (§
106 SGG). Diese Vorschriften des
SGG seien zur weitreichenden sozialgerichtlichen Betreuung der Bürger geschaffen worden und würden sich im Wesentlichen von den
im Zivilprozess geltenden Regelungen unterscheiden. Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung würden sich daher in Verfahren
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in erheblich geringerem Maße rechtfertigen.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde vom 18.02.2009 ist am 19.02.2009 beim Sozialgericht Landshut eingegangen. Zur Begründung
haben die Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin vor allem auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18.12.2001
- 1 BvR 391/01 - hingewiesen. Auch in Anbetracht des Amtsermittlungsgrundsatzes dürfe das Recht der Beteiligten auf Gewährung effektiven,
sozial gerechtfertigten Rechtsschutzes nicht verletzt werden. Die Aufklärungs- und Beratungspflicht des Anwaltes gehe über
die Reichweite der Amtsermittlungspflicht des Richters hinaus. Insbesondere könne der Anwalt verpflichtet sein, auch solche
tatsächlichen Ermittlungen anzuregen und zu fördern, die für den Richter auf Grund des Beteiligtenvorbringens nicht veranlasst
seien.
Das Sozialgericht Landshut hat den Vorgang dem Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) zur Entscheidung vorgelegt.
Der Beklagte und hiesige Beschwerdegegner wurde mit Nachricht des BayLSG vom 06.03.2009 entsprechend in Kenntnis gesetzt.
II. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist gemäß §§ 73a, 172 ff.
SGG i.V.m. §
127 Abs.2 Satz 2
ZPO zulässig und begründet.
Das Sozialgericht Landshut hat mit Beschluss vom 13.01.2009 - S 3 SB 675/08 - grundsätzlich zutreffend darauf abgestellt, dass in Verfahren nach dem Schwerbehindertengesetz (nunmehr:
SGB IX) die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß §
121 Abs.2
ZPO regelmäßig nicht erforderlich ist. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BayLSG (vgl. zuletzt Beschluss vom 03.11.2008
- L 15 B 899/08 SB PKH -).
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts kommt in Verfahren wie dem vorliegenden nur in Ausnahmefällen in Betracht. Das Bundesverfassungsgericht
hat den vorstehenden zitierten Beschluss vom 18.12.2001 - 1 BvR 391/01 - mit Beschluss vom 22.06.2007 - 1 BvR 681/07 - fortgeführt. Ob die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich im Sinne des §
121 Abs.2
ZPO erscheine, beurteile sich nicht nur nach Umfang und Schwierigkeit der Sache, sondern auch nach der Fähigkeit des Beteiligten,
sich mündlich und schriftlich auszudrücken. Entscheidend sei, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise
einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon sei regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand
und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht bestehe. Bewertungsmaßstab für die Frage der Beiordnung
eines Rechtsanwalts sei, ob die besonderen persönlichen Verhältnisse dazu führten, dass der Grundsatz der "Waffengleichheit"
zwischen den Parteien verletzt sei. Angesichts dessen hätte es insbesondere eines Eingehens auf die Frage bedurft, ob die
festgestellten Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers zu einem derartigen Ungleichgewicht zwischen den Parteien führten
und inwieweit dieses Ungleichgewicht ggf. durch andere gerichtliche Maßnahmen - etwa nach §
186 des Gerichtsverfassungsgesetzes (
GVG) - behoben werden könnten.
Hiervon ausgehend ist vorab darauf hinzuweisen, dass entgegen der mit Schriftsatz vom 18.02.2009 vertretenen Auffassung nicht
entscheidungserheblich ist, dass die Klägerin ausländische Mitbürgerin ist. Etwaige fehlende Kenntnisse der deutschen Sprache
würden die Hinzuziehung eines Dolmetschers gebieten, jedoch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts.
Vorliegend besteht jedoch ein Ausnahmefall, der es gebietet in Berücksichtigung des Grundsatzes der "Waffengleichheit" der
hiesigen Beschwerdeführerin Prozesskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen. Denn ausweislich
des Befundberichtes von Dr.M. S. vom 27.07.2007 klagt die Beschwerdeführerin über Folgendes: Kopfschmerzen, Schmerzen im Bereich
der gesamten LWS, sämtlicher großer Gelenke, thorakale Beklemmung, sei erschöpft, Schlafstörungen, im familiären Umfeld erhebliche
Probleme, schwerstbehinderte 13-jährige Tochter, noch vier weitere kleine Kinder zu versorgen, finanzielle Sorgen. Die Beschwerden
der Patientin dürften überwiegend im Rahmen einer Somatisierungsstörung bei lang anhaltender Belastung zu sehen sein, belastend
die Versorgung einer schwerstbehinderten Tochter und vier weiteren kleinen Kindern. Zur Linderung habe Dr.M. S. ein Medikament
rezeptiert, wenngleich dies die soziale Situation nicht verbessern könne.
Dies beinhaltet für den erkennenden Senat, dass die Beschwerdeführerin mit ihrer Gesamtsituation völlig überfordert ist, und
sich dies bereits in einer Somatisierungsstörung niedergeschlagen hat, wie von dem Beklagten und hiesigen Beschwerdegegner
bereits mit Teilabhilfe-Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 02.10.2008 festgestellt wurde. Außerdem sind
am Sozialgericht Landshut zwei Verfahren wegen der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung anhängig (S 13 AS 89/08 und S 13 AS 90/08).
In dieser besonderen Situation ist es daher ausnahmsweise geboten, in Beachtung der Vorgaben des BVerfG mit Beschluss vom
22.06.2007 - 1 BvR 681/07 - der Beschwerdeführerin Prozesskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung eines Rechtsanwalts zu gewähren.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist nicht anfechtbar (§§
177,
193 SGG).