Vergütung von Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren; Erforderlichkeit eines zusätzlichen Literaturstudiums
Gründe:
I.
In dem am Sozialgericht München anhängigen Rechtsstreit R. F. gegen BKK Mobil Oil mit Az.: S 44 KR 1216/08 ist der Antragsteller und hiesige Beschwerdeführer mit Beweisanordnung des Sozialgerichts München vom 24.06.2009 gemäß §
106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt worden. Zu klären war insbesondere die Frage, ob im Rahmen eines Off-Lable-Use
die Gefahr eines vorzeitigen Aborts hat vermindert oder beseitigt werden können bzw. welche Risiken für Mutter und Kind aufgrund
des Off-Lable-Use bestanden haben.
Der Beschwerdeführer hat für sein Gutachten vom 09.09.2009 insgesamt 2.457,75 EUR in Rechnung gestellt, die sich wie folgt
aufschlüsseln:
- Aktenstudium (ca. 120 Seiten)
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9,5 Stunden
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- Abfassung (27 Seiten)
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13,5 Stunden
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- Korrektur
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5,5 Stunden
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28,5 Stunden á 85,00 EUR =
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2.422,50 EUR
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- Schreibgebühren für 46.084 Anschläge
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35,25 EUR
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2.457,75 EUR
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Der Kostenbeamte des Sozialgerichts München hat mit Nachricht vom 20.11.2009 lediglich 1.947,75 EUR bewilligt. Insgesamt seien
nur 22,5 Stunden à 85,00 EUR pro Stunde = 1.912,50 EUR zu vergüten, weil sich der objektiv erforderliche Zeitaufwand wie folgt
aufschlüssele: Aktenstudium 1,20 Stunden, Abfassung des Gutachtens 17,50 Stunden und Diktat und Durchsicht insgesamt 3,50
Stunden. Zuzüglich der Schreibgebühren wie beantragt in Höhe von 35,25 EUR ergäbe sich eine Gesamtvergütung von 1.947,75 EUR.
Das Sozialgericht München hat mit Beschluss vom 23.12.2009 die Vergütung des Beschwerdeführers für sein Gutachten vom 09.09.2009
auf 1.947,75 EUR festgesetzt und die Entscheidung des Kostenbeamten des Sozialgerichts München bestätigt, weil die Recherche
und das Literaturstudium nicht mit 8,3 Stunden gesondert zu vergüten seien. Ausgehend von der üblichen Schreibweise von 30
Zeilen à 60 Anschlägen pro Seite bei insgesamt 21 berücksichtigungsfähigen Seiten könnten 3,5 Stunden angesetzt werden.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde vom 23.01.2010 ging am 27.01.2010 beim Sozialgericht München und am 05.02.2010 beim Bayerischen
Landessozialgericht (BayLSG) ein. Zur Begründung hob der Beschwerdeführer hervor, dass die Thematik des Gutachtens komplex
und überdurchschnittlich anspruchsvoll gewesen sei. Er habe 16 Quellen recherchieren und verwenden müssen. Die Kürzung um
gerundete 6 Stunden sei nicht gerechtfertigt. - Leider sei in keiner Weise darauf eingegangen worden, dass eine vorherige
Information über die Vergütungsregelungen geholfen hätte. In Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Hinweise würden sich
auch nach der geänderten Kostennote vom 23.01.2010 2.457,75 EUR errechnen, weil 28,2 Stunden zu vergüten seien, die sich wie
folgt aufschlüsseln: Aktenstudium 1,2 Stunden, Abfassung 17,5 Stunden, Diktat und Durchsicht 3,5 Stunden sowie Literaturrecherche
und Anforderung relevanter Zusatzinformationen bei dem betreuenden Frauenarzt mit Auswertung derselben 6 Stunden.
- Weiterhin sollte vorab auf die Abrechnungsmechanismen hingewiesen werden, damit Sachverständige weiterhin bereit seien,
Gutachten zu erstellen, ohne sich über Gebühr im Nachhinein erklären lassen zu müssen, wie viel Zeit sie für welche Tätigkeit
hätten maximal verbringen dürfen.
Von Seiten des 15. Senats des BayLSG als Kostensenat wurden die erstinstanzlichen Streit- und Kostenakten beigezogen. Der
Beschwerdegegner wurde mit Nachricht vom 10.02.2010 entsprechend in Kenntnis gesetzt.
II. Die gemäß §§
172 Abs.1, 173
SGG in Verbindung mit §
4 Abs.3 JVEG zulässige Beschwerde erweist sich teilweise als begründet. Die Vergütung des Beschwerdeführers für sein Gutachten
vom 09.09.2009 ist gemäß § 4 Abs.1 JVEG auf 2.330,25 EUR festzusetzen. Dem Beschwerdeführer sind 382,50 EUR nachzuentrichten.
Das BayLSG hat mit Grundsatzentscheidung vom 19.03.2007 - L 14 R 42/03.Ko - die Vergütung ärztlicher Sachverständiger mit Wirkung für die Zukunft grundlegend neu geregelt. In Beachtung dieser
Rechtsprechung hat der Präsident des BayLSG mit Weisung vom 25.05.2007 "Neue Bemessungskriterien für die Feststellung der
Vergütung für in erster Linie medizinische Gutachten nach dem JVEG" erlassen:
- Für das Aktenstudium 100 Blatt pro Stunde einschließlich der Fertigung von Notizen und Exzerpten bei mindestens 25 % medizinisch
gutachtensrelevantem Inhalt. In allen anderen Fällen dagegen erscheinen 150 bis 200 Blatt pro Stunde angemessen. Das von der
Rechtsprechung des Kostensenats im Einzelfall zugebilligte und davon abweichende Aktenstudium bleibt natürlich davon unberührt,
z.B. nur 1 bis 2 Stunden bei einem testpsychologischen Zusatzgutachten nach dem JVEG.
- Anamnese und rein körperliche Untersuchung wie beantragt, soweit nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zur z.B.
Anwesenheitszeit des Klägers stehend oder sonstige begründete Zweifel bestehen.
- Für die Abfassung einer Seite der Beurteilung und Beantwortung der gestellten Beweisfragen 1 Stunde, wobei jeweils für eine
ganze Seite von 1.800 Anschlägen (30 Zeilen x 60 Anschläge nach DIN 1422) ausgegangen wird.
- Für Diktat und Durchsicht 1 Stunde für je 6 Seiten, wobei auch hier jeweils für eine ganze Seite 1.800 Anschläge (30 Zeilen
x 60 Anschläge) zugrunde gelegt werden.
- Die Anerkennung von zusätzlich notwendigem Literaturstudium ist weiterhin nur in besonderen Fällen möglich.
Hiervon ausgehend ist nicht auf die erforderliche Zeit im konkreten Einzelfall abzustellen, die ein Sachverständiger für die
Erstellung eines Gutachtens benötigt. Zur Ermittlung des objektiv erforderlichen Zeitaufwandes im Sinne von § 9 Abs.1 Satz
1 JVEG sind nach der vorstehend auszugsweise zitierten Rechtsprechung des 15.Senats des BayLSG als Kostensenat hier vielmehr
folgende Zeiten zu vergüten:
- Bei insgesamt 120 Aktenblatt ist ein Aktenstudium von 1,20 Stunden anzunehmen.
- Die Beurteilung und Beantwortung der gestellten Beweisfragen erstreckt sich hier auf die S.8 bis 25 des Gutachtens vom 09.09.2009.
In Berücksichtigung der Absätze können nicht 18 Seiten, sondern nur 17,5 Seiten als angemessen erachtet werden (vgl. vor allem
S.21, 23 und 24). Insoweit sind daher auch 17,5 Stunden zu vergüten.
- Nachdem das Gutachten insgesamt 28 Seiten einschließlich Beweisfragen, Aufzählung des Akteninhalts sowie des Literaturstudiums
umfasst, sind insoweit 4,7 Stunden in Ansatz zu bringen. Zum einen müssen auch die Beweisfragen und der Akteninhalt diktiert
und durchgesehen werden. Zum anderen ist auch das Literaturverzeichnis zu berücksichtigen, wenn aktenkundig die recherchierten
Passagen und vor allem Tabellen in das Gutachten eingearbeitet worden sind. Denn anders als viele sonstige Sachverständige
hat der Beschwerdeführer hier wissenschaftlich korrekt die von ihm recherchierten und eingearbeiteten Quellen zitiert und
in dem Literaturverzeichnis wiedergegeben.
- Belegt ist weiterhin, dass sich der Beschwerdeführer an den behandelnden Gynäkologen Prof.Dr.W. W. gewandt und dieser ihm
mit Schreiben vom 30.07.2009 Unterlagen betreffend die Klägerin übersandt hat. In freier Beweiswürdigung (§
202 SGG in Verbindung mit §
287 ZPO) nimmt der 15. Senat des BayLSG als Kostensenat hierfür einen Zeitaufwand von 1,5 Stunden an (vgl. korrigierte Rechnung vom
23.01.2010). Dies ist für das Sozialgericht München in dieser Form nicht erkennbar gewesen.
- Die Anerkennung von zusätzlich notwendigem Literaturstudium erscheint hier mit 2 Stunden angemessen. Zum einen hat der Beschwerdeführer
nicht nur aktuelle Literatur recherchiert und ausgewertet, sondern auch ältere Unterlagen, die ihm als Sachverständigen grundsätzlich
hätten geläufig sein müssen. Zum anderen ist im Hinblick auf die hier doch sehr speziellen Beweisfragen auch die Sichtung
der aktuellen Literatur notwendig gewesen. Zum Dritten darf nicht übersehen werden, dass der Beschwerdeführer die von ihm
recherchierte Literatur vor allem in Form von Schaubildern zum besseren Verständnis in das Gutachten eingearbeitet hat. Ein
höherer zeitlicher Aufwand als 2 Stunden für ein Literaturstudium auch in komplexen Fällen wie hier entspricht jedoch nicht
der Erfahrung des 15. Senats des BayLSG als Kostensenat.
Zu vergüten sind daher insgesamt 26,90 Stunden, gerundet gemäß § 8 Abs.2 JVEG 27 Stunden à 85,00 EUR (Honorargruppe M3) =
2.295,00 EUR. Zuzüglich der geltend gemachten Schreibauslagen (§ 12 Abs.1 Nr.3 JVEG) in Höhe von 35,25 EUR ergibt sich eine
Gesamtvergütung von 2.330,25 EUR.
Abzüglich der bereits bewilligten 1.947,75 EUR sind dem Beschwerdeführer 382,50 EUR nachzuentrichten.
Soweit der Beschwerdeführer gerügt hat, er sei nicht vorab entsprechend informiert worden, lässt sich dies den Akten des Sozialgerichts
München in dieser Form nicht entnehmen. Denn nach Aktenlage ist dem Beschwerdeführer mit Beweisanordnung vom 24.06.2009 auch
ein entsprechendes "Merkblatt für den Gutachter" übersandt worden.
Nach alledem ist der Beschwerde des Beschwerdeführers zum großen Teil stattzugeben gewesen, nicht jedoch in vollem Umfang.
Hierüber hat das BayLSG gemäß § 4 Abs.7 Satz 1 JVEG als Einzelrichter zu entscheiden gehabt. Eine Übertragung auf den Senat
gemäß § 4 Abs.7 Satz 2 JVEG ist nicht geboten gewesen, zumal der Senat mit Beschluss des BayLSG vom 19.03.2007 - L 14 R 42/03.Ko in Senatsbesetzung in dem nämlichen Sinne entschieden hat.
Die Entscheidung ist gemäß §
177 SGG endgültig. Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§
4 Abs.8 JVEG).