Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2103 BKV
Schwingungsbedingte Entstehung einer Arthrose
Kausalität
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine Arthrose des rechten Ellenbogengelenks und des rechten Schultereckgelenks des
Klägers als Berufskrankheit nach der Nr. 2103 (BK 2103) der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) ("Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen")
anzuerkennen sind.
Der 1957 geborene Kläger arbeitete von 1980 bis 1991 in Kroatien in einem Büro und anschließend von 1992 bis März 2011 in
einer Werkstatt für Bremsbeläge. Anschließend wurde er auf einen Schonarbeitsplatz umgesetzt, auf dem er in Teilzeit beschäftigt
war. Einwirkungen im Sinne der BK 2103 war er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr ausgesetzt. Hauptaufgabe des Klägers war das
Entfernen von alten Bremsbelägen von Bremsbacken und -scheiben entweder mit einem Druckluft-Meißelhammer oder auch mit Hammer
und Meißel.
Mit Schreiben vom 02.05.2011 teilte die Arbeitgeberin des Klägers mit, wegen verschiedener Erkrankungen des rechten Armes
und der Wirbelsäule könne der Kläger seine bisherige Tätigkeit als Schlosser nicht mehr ausüben. Ab 01.04.2011 werde er wöchentlich
25 Stunden bei herabgesetztem Stundenlohn für leichtere betriebliche Arbeiten weiter beschäftigt. Die Beklagte leitete daraufhin
Feststellungsverfahren zu den Berufskrankheiten BK 2103, BK 2108 und BK 4103 sowie zu der Frage, ob die verrichteten Arbeiten
an Bremsbelägen zu einer Erkrankung der Schultergelenke geführt habe, die wie eine Berufskrankheit zu entschädigen sei, ein.
Hinsichtlich der BK 2103 kam der Präventionsdienst der Beklagten zu dem Ergebnis, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen
dieser Berufskrankheit erfüllt seien. Der Kläger habe an 4198 Tagen durchschnittlich 4,5 Stunden unter relevanten Schwingungseinwirkungen
mit einem Beschleunigungswert von 12,0 m/S2 gearbeitet. Die Beklagte holte ein Gutachten des Chirurgen Dipl.-Med. W. vom 26.06.2012 ein mit dem Ergebnis, dass auch die
medizinischen Voraussetzungen für eine BK 2103 gegeben seien. Durch die berufliche Einwirkung sei es bei dem Kläger zu einer
leichten Arthrose im körperfernen Drehgelenk zwischen der rechten Elle und Speiche und einer leichten Arthrose beider Ellenbogengelenke
gekommen. Zudem sei von einer beruflich bedingten richtunggebenden Verstärkung der Schultereckgelenksarthrose, insbesondere
rechts, auszugehen.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihrer Beratungsärztin Dr. H. vom 04.09.2012 ein. Sie führte aus, dass die vom Kläger
geschilderten Beschwerden nicht im Zusammenhang mit den festgestellten körperlichen Veränderungen an Ellenbogen und Schulter
stünden. Insbesondere der Ellenbogen sei klinisch nicht symptomatisch, es bestehe weder eine wesentliche Arthrose noch eine
Bewegungseinschränkung. Da auch in den Handgelenken keine Beschwerden angegeben würden, werde die Feststellung einer BK nicht
empfohlen. Der Gewerbearzt Dr. F. nahm am 25.09.2012 dahingehend Stellung, die medizinischen und arbeitstechnischen Voraussetzungen
zur Anerkennung einer BK 2103 seien gegeben. Die Beklagte holte eine ergänzende Stellungnahme des Dipl.-med. W. vom 18.11.2012
ein, der ausführte, er halte aufgrund der Veröffentlichung von Schröter in Orthopädie 2001, 30, die Arthrose im Ellenbogengelenk
und im körperfernen Drehgelenk zwischen Elle und Speiche für berufsbedingt, da nach dieser Veröffentlichung mit knapp 70 %
das Ellenbogengelenk am häufigsten betroffen sei und in etwa 25 % der Fälle eine Arthrose im körperfernen Drehgelenk zwischen
Elle und Speiche bestehe, begleitend in etwa 5 % auch am Schultereckgelenk. Die Kombination einer fast immer initial nachzuweisenden
Arthrose des Ellenbogengelenks mit Beteiligung des körperfernen Drehgelenkes zwischen Elle und Speiche deute auf eine schwingungsbedingte
Entstehung hin, insbesondere wenn zusätzlich eine Mitbeteiligung des Schultereckgelenkes nachzuweisen sei. Eine isolierte
Schultereckgelenksarthrose reiche zur Anerkennung nicht aus. Andererseits müsse er der beratenden Ärztin darin zustimmen,
dass die degenerativen Veränderungen im rechten Ellenbogengelenk und im körperfernen Drehgelenk eigentlich keine Beschwerden
und keine Funktionseinschränkungen hervorgerufen hätten und die angegebenen Beschwerden insbesondere an der rechten Schulter
und speichenseitig am rechten Ellenbogengelenk auf Erkrankungen zurückzuführen seien, die nicht durch die BK 2103 verursacht
worden seien. Daher sei die zunächst mit 10 eingeschätzte MdE zu hoch angesetzt. Letztlich schließe er sich der Beratungsärztin
an.
Mit Bescheid vom 27.02.2013 stellte die Beklagte fest, dass beim Kläger keine BK 2103 bestehe und daher auch keine Ansprüche
auf Leistungen bestünden. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2013
zurück.
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben (S 15 U 61/13).
Mit Bescheid vom 25.09.2012 lehnte die Beklagte es ab, das Impingement-Syndrom und die Schultergelenksarthrose des Klägers
als Berufskrankheit oder wie eine Berufskrankheit anzuerkennen. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 26.03.2013 zurück. Hiergegen hat der Kläger Klage zum SG erhoben (S 15 U 71/13).
Mit Beschluss vom 31.01.2014 hat das SG die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 15 U 61/13 fortgeführt.
Das SG hat ein Gutachten des Unfallchirurgen und Orthopäden Dr. M. vom 21.05.2014 eingeholt mit dem Ergebnis, dass bei dem Kläger
eine Berufskrankheit nach der Nr. 2103 der Anlage 1 zur
BKV vorliege. Der Kläger leide an einer Schultereckgelenksarthrose rechts und einer Ellenbogengelenskarthrose rechts, welche
wesentlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen seien.
Die Beklagte legte eine Stellungnahme ihrer Beratungsärztin Dr. H. vom 19.08.2014 vor, die darauf hinwies, eine altersvorauseilende
Arthrose in den Ellenbogengelenken sei diskussionsfähig, beide Ellenbogengelenke seien aber komplett frei beweglich und beider
Handgelenke seien komplett frei beweglich, so dass kein belastungskonformes Schadensbild vorliege. Die Hauptprädilektionsstelle,
das rechte Schultereckgelenk, sei keine typische Stelle, bei der sich über Vibrationsbelastungen verdeutlichten. Allerdings
ist die Beratungsärztin von einem beidhändig geführten Werkzeug ausgegangen, was ausweislich der Lichtbildaufnahmen in den
Akten unzutreffend ist. Hierzu hat Dr. M. ergänzende Stellungnahmen vom 21.10.2014 und vom 17.11.2014 abgegeben. Er hat sich
dahingehend geäußert, die MdE betrage 0. Insoweit stimme er mit der Beratungsärztin über ein. Der Literatur sei jedoch nicht
zu entnehmen, dass die Schädigung des Ellenbogengelenkes zuerst aufzutreten habe oder am stärksten ausgeprägt sein müsse.
Nachdem die Beklagte ihrer Ansicht noch einschlägige Literatur benannt und ein Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern
vom 20.05.1999 vorgelegt hat, ergänzte Dr. M., die Literatur werde von der Beklagten falsch zitiert. Dass das Ellenbogengelenk
durch niederfrequente Schwingungen besonders belastet werde, bedeute nicht, dass es als einziges Gelenk betroffen sein könne.
Er verbleibe bei seiner gutachterlichen Einschätzung.
In der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2015 hat der Kläger seine Klage gegen den Bescheid vom 25.09.2012 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 26.03.2013 zurückgenommen.
Mit Urteil vom 12.02.2015 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.02.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2013 verurteilt,
die bei dem Kläger vorliegende Schultereckgelenksarthrose rechts und die Ellenbogengelenksarthrose rechts als Berufskrankheit
nach Nr. 2103 der Anlage 1 der
Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.
Die von der Beklagten geforderte pathophysiologische Leistungskette im Sinne einer Erkrankungsreihenfolge mit Ersterkrankung
des rechten Ellenbogens, gefolgt vom rechten distalen Ellen-Speichengelenk, daraufhin rechtes Handgelenk, danach linker Ellenbogen,
gefolgt vom linken distalen Ellen-Speichengelenk, gefolgt vom linken Handgelenk, dann rechtes AC-Gelenk und schließlich linkes
AC-Gelenk könne das SG der unfallmedizinischen Literatur nicht entnehmen. In Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8.
Auflage, werde auf Seite 1171 ausgeführt, dass in Fällen der Berufskrankheit Nr. 2103 am häufigsten das Ellenbogengelenk (70
%), danach das Handgelenk (25 %) und seltener das Schultereckgelenk (5 %) betroffen seien. Von der Notwendigkeit, dass die
Beschwerden nach einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge eintreten müssten, sei dort nicht die Rede. Auch im Merkblatt zur
Berufskrankheit Nr. 2103 (Bundesarbeitsblatt 3/2005, S. 51) sei hierzu nichts zu finden.
Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Der Sachverständige verkenne die Sach- und die notwendige Beweislage. Sein
Literaturverzeichnis enthalte lediglich Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit. Es sei auch nicht
zu erkennen, dass sich der Sachverständige mit der epidemiologischen spezifischen Literatur oder mit patho physiologischen
oder biomechanischen Erwägungen detailliert auseinandergesetzt habe. Die Beklagte hat auf mehrere Veröffentlichungen zu der
BK 2103 hingewiesen. Es treffe nicht zu, dass isolierte AC-Gelenks-Arthrosen vorgekommen seien. Von daher hätte ein weiteres
Gutachten eingeholt werden müssen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.02.2015 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 27.02.2013 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 26.03.2013 abzuweisen, hilfsweise ein radiologisches Sachverständigengutachten einzuholen zu
der Frage, welche radiologischen Veränderungen an den oberen Extremitäten festzustellen sind und ob diese über den alterstypischen
Befund hinaus gehen, ferner ein orthopädisches und biomechanisches Gutachten einzuholen zu der Frage, ob die Schultereckgelenksarthrose
auf die berufliche Einwirkung des vom Kläger verwendeten Meißelhammers mit dessen speziellen Wirkweisen zurückzuführen ist.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Berufskrankheitenakten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
beigezogenen Akten und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 27.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2013 (§
95 SGG).
Die Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.02.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2013 verurteilt,
die bei dem Kläger vorliegende Schultereckgelenskarthrose rechts und die Ellenbogengelenksarthrose rechts als BK 2103 anzuerkennen.
Nach §
9 Abs.
1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) sind BKen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BKen bezeichnet
(Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten
als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht
sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung
ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung einer gefährdenden
Tätigkeit versehen (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK danach
im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu
Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o.ä. auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine
Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende
Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte
Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge
genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG vom 15.09.2011, B 2 U 25/10 R [...] Rn 14; vom 02.04.2009, B 2 U 9/08 R [...] Rn 26 jeweils mwN).
Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen
Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang)
muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen
müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall
auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Bedingung für die Feststellung einer Listen-BK
(vgl. u.a. Bundessozialgericht - BSG -, Urteile vom 02.04.2009 - B 2 U 30/07 R, B 2 U 33/07 R, B 2 U 7/08 R, B 2 U 9/08 R m.w.N.; BSG, Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R m.w.N.).
Hinsichtlich einer BK müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen
einschließlich deren Art und Ausmaß i.S.d. "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen
sein, während für den ursächlichen Zusammenhang zwischen diesen Tatbestandsmerkmalen, der nach der auch sonst im Sozialrecht
geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit - nicht
allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (BSG, Urteil vom 27.06.2006 - B 2 U 20/04 R; Urteil vom 22.08.2000 - B 2 U 34/99 R m.w.N.). Für den Vollbeweis ist keine absolute, jeden möglichen Zweifel und jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließende
Gewissheit zu fordern, vielmehr genügt für die entsprechende richterliche Überzeugung ein der Gewissheit nahekommender Grad
von Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 27.03.1958 - 8 RV 387/55, [...] Rn. 16). Die volle Überzeugung wird als gegeben angesehen, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, d.h. eine Wahrscheinlichkeit
besteht, die nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewissheit gleichkommt, weil sie bei jedem vernünftigen, die Lebensverhältnisse
klar überschauenden Menschen keine Zweifel mehr bestehen lässt (BSG, Urteil vom 27.04.1972 - 2 RU 147/71, [...] Rn. 30; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
128 Rn. 3b m.w.N.). Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss absolut mehr für
als gegen die jeweilige Tatsache sprechen. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit
ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen
Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B, [...] Rn. 4 m.w.N.; BSG, Urteil vom 02.02.1978 - 8 RU 66/77, [...] Rn. 13). Die Beweisanforderungen bei der hinreichenden Wahrscheinlichkeit sind höher als bei der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
(Glaubhaftmachung im Sinne eines Beweismaßes, vgl. dazu BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B, [...] Rn. 5). Überwiegende Wahrscheinlichkeit bedeutet die gute Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei
durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können; dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet (vgl. BSG vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B, [...] Rn. 5 und Orientierungssatz; vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06, [...] Rn. 116; vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, [...] Rn. 36; Keller, a.a.O., Rn. 3d m.w.N.; zum Zivilrecht BGH vom 11.09.2003 - IX ZB 37/03, [...] Rn. 8; vom 15.06.1994 - IV ZB 6/94).
Der Verordnungsgeber hat als BK 2103 "Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig
wirkenden Werkzeugen oder Maschinen" bezeichnet (Bekanntmachung des BMGS, BArbBl 2005 H.3 S. 51). Der Senat stellt auf der
Grundlage der Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten vom 30.01.2012 fest, dass der Kläger durch Arbeit mit einem
druckluftbetriebenen Meißelhammer im Umfang von 4,5 Stunden arbeitstäglich in der Zeit von Januar 1992 bis einschließlich
März 2011 niederfrequenten Schwingungseinwirkungen mit einem Beschleunigungswert von 12,0 m/S2 ausgesetzt gewesen ist. Diese Einwirkungen im Sinne der BK 2103 sind nach dem von den Sachverständigen vermittelten Stand
der medizinischen Wissenschaft geeignet, Erkrankungen der Gelenke herbeizuführen. Ebenso ist im Vollbeweis zur Überzeugung
des Senats aufgrund der übereinstimmenden Gutachten des Dipl.-Med. W. und des Dr. M. erwiesen, dass der Kläger an einer arthrotischen
Veränderung des Ellenbogengelenks und des körperfernen Drehgelenkes zwischen Elle und Speiche sowie des rechten Schultereckgelenkes
leidet. Im Merkblatt zur BK 2103 werden die Arthrose des Ellenbogengelenks und die Arthrose des Schultereckgelenkes als Erkrankungen
im Sinne der BK 2103 benannt.
Zur Überzeugung des Senats sind die arthrotischen Veränderungen des Ellenbogengelenks und des körperfernen Drehgelenkes zwischen
Elle und Speiche nach dem einschlägigen Beweismaß der hinreichenden Wahrscheinlichkeit durch berufliche Einwirkungen von niederfrequenten
Schwingungen im Sinne der BK 2103 rechtlich wesentlich verursacht worden. Hierfür spricht, dass der Kläger ausweislich der
Bilddokumentation durch den Präventionsdienst der Beklagten das Druckluftwerkzeug mit der rechten Hand angedrückt hat und
die Arthrose der betroffenen Gelenke rechts deutlich stärker als links entwickelt ist. Dies erscheint plausibel, insbesondere
wenn man berücksichtigt, dass die linke Hand nur benutzt wurde, um den Meißel am Abrutschen zu hindern, so dass die größte
Schwingungsenergie in den rechten Arm eingeleitet worden ist. Auch die lange Einwirkungsdauer von über 19 Jahren und die vom
Präventionsdienst festgestellten Beschleunigungsenergie von mehr als 12 m/S2 bei kraftschlüssig angedrücktem Werkzeug sprechen deutlich für einen ursächlichen Zusammenhang. Soweit das rechte Schultereckgelenk
betroffen ist, stellt der Senat sachverständig beraten fest, dass die Seitendifferenz bei der Arthrose speziell des Schultereckgelenkes
deutlich dafür spricht, dass die Einwirkungen im Sinne der BK - hinsichtlich des Schultereckgelenks im Sinne einer wesentlichen
Teilursache - diese Gesundheitsschäden verursacht haben. Dies ist angesichts der Einwirkungsdauer und der Einwirkungsenergie
ebenfalls hinreichend wahrscheinlich. Gegen einen Zusammenhang spricht, dass das rechte Handgelenk nicht betroffen ist. Insoweit
stellt der Senat ärztlich beraten fest, dass dies kein Ausschlusskriterium ist, sondern lediglich ein im Rahmen der Beweiswürdigung
zu berücksichtigender Faktor. Insgesamt spricht deutlich mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang.
Soweit die Beklagte einwendet, Dr. M. habe nicht den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft berücksichtigt, kommt
es hierauf nicht an. Denn der von der Beklagten beauftragte Dipl.-Med. W. hat dem Senat den aktuellen Stand der medizinischen
Wissenschaft (im Ergebnis übereinstimmend mit Dr. M.) anhand aktueller wissenschaftlicher Veröffentlichungen erläutert und
insbesondere unter Bezugnahme auf die Veröffentlichung von Schröter dargelegt, dass das Schadensbild beim Kläger dem der BK
2103 entspricht. Die Kombination einer fast immer initial nachzuweisenden Arthrose des Ellenbogengelenks mit Beteiligung des
körperfernen Drehgelenkes zwischen Elle und Speiche deutet demnach auf eine schwingungsbedingte Entstehung hin, insbesondere
wenn zusätzlich, wie vorliegend, eine Mitbeteiligung des Schultereckgelenkes nachzuweisen ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen,
dass die durch die BK bedingten Gesundheitsstörungen so gering sind, dass sie eine MdE von 0 begründen. Dementsprechend diskret
ist auch der von beiden Gutachtern erhobene Befund. Im Zusammenhang mit der Seitenverteilung und den intensiven beruflichen
Einwirkungen ist, wie oben ausgeführt, zur Überzeugung des Senats der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, der für
die haftungsausfüllende Kausalität zu fordern ist, erreicht.
Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität),
ist, wie oben ausgeführt, keine Bedingung für die Feststellung einer Listen-BK.
Den von Beklagtenseite gestellten Hilfsbeweisanträgen war nicht Folge zu leisten, denn sie sind nicht entscheidungserheblich.
Dem Antrag, ein radiologisches Sachverständigengutachten einzuholen zu der Frage, welche radiologischen Veränderungen an den
oberen Extremitäten festzustellen sind und ob diese über den alterstypischen Befund hinaus gehen, ist nicht nachzugehen. Die
Beklagte hat diesen Antrag unter anderem damit begründet, dem Gutachter Dr. M. hätten nicht alle Röntgenbilder vorgelegen.
Damit hat sie keine methodischen Fehler des erstinstanzlich eingeholten Gerichtsgutachtens aufgezeigt, denn Dr. M. ist als
Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie selbst qualifiziert, Röntgenaufnahmen zu befunden. Er hat auch aufgrund der auf
seine Anordnung hin gefertigten Röntgenaufnahmen der Schultergelenke, Ellenbogengelenke, Unterarme und Handgelenke die Diagnosen
Schultereckgelenksarthrose rechts und Ellenbogengelenksarthrose rechts gestellt. Es ist in keiner Weise ersichtlich, weshalb
zur Absicherung dieser Diagnosen ein radiologisches Gutachten erforderlich sein sollte, zumal der von der Beklagten selbst
gehörte Dipl.-med. W. aufgrund der in der Praxis des Orthopäden Dr. S. gefertigten Röntgenaufnahmen der rechten Schulter vom
21.06.2006 und vom 26.11.2010 und der von ihm selbst gefertigten Röntgenaufnahmen beider Schultergelenke, bei der Ellenbogengelenke
und beider Handgelenke zu identischen Diagnosen gekommen ist.
Auch dem Antrag, ein orthopädisches und biomechanisches Gutachten einzuholen zu der Frage, ob die Schultereckgelenksarthrose
auf die berufliche Einwirkung des vom Kläger verwendeten Meißelhammers mit dessen speziellen Wirkweisen zurückzuführen ist,
war nicht zu folgen. Insoweit handelt es sich um eine bloße Beweisanregung. Der Senat ist, wie oben ausgeführt, aufgrund der
bereits vorliegenden Gutachten im Sinne des einschlägigen Beweismaßstabes der hinreichenden Wahrscheinlichkeit davon überzeugt,
dass dies der Fall ist. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass nach den eigenen Ermittlungen des Präventionsdienstes der
Beklagten die Tätigkeit mit dem Meißelhammer zu erheblichen Einwirkungen von niederfrequenten Schwingungen zwischen 8 und
50 Hz im Sinne der BK 2103 geführt und auch eine starke Ankoppelung durch Greif-, Andruck- und Haltekräfte vorgelegen hat.
Angesichts dessen, dass nach dem Merkblatt zur BK 2103 (BArbBl 2005 H.3 S. 51) solche Einwirkungen geeignet sind, Veränderungen
an den Gelenken und Knochen des Hand-Arm-Schulter-Systems zu verursachen, ist es in keiner Weise ersichtlich, weshalb es eines
biomechanischen Gutachtens bedürfte. Gutachten von orthopädischer Seite sind sowohl von der Beklagten selbst als auch vom
SG mit übereinstimmendem und überzeugendem Ergebnis eingeholt worden. Soweit Dipl.-med. W. in seiner ergänzenden Stellungnahme
vom 18.11.2012 sich der Beurteilung durch Dr. H. angeschlossen hat, geschah dies aufgrund der irrigen Annahme, dass den Leistungsfall
auslösende Folgen der berufsbedingten Erkrankung Voraussetzung für die Feststellung einer BK seien, was - wie oben ausgeführt
- nicht der Fall ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich, §
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG.