Arbeitsunfall
Tätliche Auseinandersetzung
Unversicherte Wirkursachen
Sachliche Verbindung mit der versicherten Tätigkeit des Verletzten
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Ereignisses vom 23.08.2013 als Arbeitsunfall.
Der Kläger war als LKW-Fahrer bei der Spedition B., A-Stadt, beschäftigt und in dieser Eigenschaft bei der Beklagten versichert.
Ebenfalls in der Spedition war die Zeugin Frau C. (im Folgenden: S) tätig, die die Ehefrau des Arbeitgebers und Vorgesetzte
des Klägers war. Am Nachmittag des 23.08.2013 kam der Kläger nach vorangegangener Arbeitsunfähigkeit und nachfolgendem Urlaub
auf Aufforderung seines Arbeitgebers in die Geschäftsräume des Betriebs, um dort seine nächsten Arbeitseinsätze zu besprechen
und den Spesenvorschuss abzuwickeln. Nach seiner Ankunft fuhr S mit einem Lkw auf das Betriebsgelände und ging ebenfalls in
die Geschäftsräume. Als sie den Kläger erblickte, ging sie zu ihm hin und machte ihm Vorhaltungen. Dabei schlug sie ihm mit
der linken Hand gegen die rechte Gesichtshälfte. Der Kläger schlug ihr daraufhin seinerseits mit der linken Faust ins Gesicht.
Die tätliche Auseinandersetzung endete, als zunächst ein weiterer Mitarbeiter des Unternehmens und sodann der Arbeitgeber
des Klägers dazwischen gingen. Hintergrund der tätlichen Auseinandersetzung war, dass der Kläger dem Arbeitgeber und weiteren
Betriebsangehörigen von einer Geschäftsreise mit dem Zug berichtet hatte, bei der es in der Nacht des 14.07.2013 zu sexuellen
Handlungen zwischen S und einem weiteren Mitarbeiter der Spedition gekommen sei.
Das Aufeinandertreffen der S mit dem Kläger war das erste, nachdem der Kläger im Betrieb die besagten Äußerungen getätigt
hatte. Noch am 23.08.2013 suchte der Kläger die Fachabteilung Unfallchirurgie des Sana Klinikums A-Stadt zur Notfallbehandlung
auf.
Mit Bescheid vom 13.09.2013 (Widerspruchsbescheid vom 20.11.2013) lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom
23.08.2013 als Arbeitsunfall ab. Die vom Kläger angegebenen gesundheitlichen Beschwerden würden auf einer Streitigkeit aus
ausschließlich privaten Gründen beruhen und somit nicht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen. Hiergegen
hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. In nicht-öffentlicher Sitzung des SG vom 28.10.2014 hat der Kläger angegeben, er hätte es für seine Pflicht gehalten, den Arbeitgeber über das Geschehene aufzuklären,
weil zu ihm aus früherer Zeit eine freundschaftliche Verbindung bestünde. Der Arbeitgeber habe nämlich bei seiner Hochzeit
mit seiner früheren Frau die Hochzeitskutsche gefahren. Er sei mit dem Arbeitgeber auch per Du. Aus dieser freundschaftlichen
Beziehung heraus habe er es für seine Pflicht gehalten, dem Arbeitgeber von dem Geschehen am 14.07.2013 zu berichten.
Mit Urteil vom 16.07.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Seine Entscheidung hat das SG im Wesentlichen damit begründet, dass es für die Anerkennung des Ereignisses vom 23.08.2013 als Arbeitsunfall an dem notwendigen
inneren Zusammenhang zwischen dem tätlichen Angriff der S auf den Kläger und der Verrichtung seiner versicherten Tätigkeit
fehle. Insbesondere hätten sich in dem Angriff keine besondere Betriebsgefahr oder Betriebsumstände verwirklicht.
Gegen die Entscheidung des SG hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Der Senat hat die Akte der Beklagten, die Ermittlungsakten
der Staatsanwaltschaft A-Stadt mit den Az. XXX und zu der tätlichen Auseinandersetzung der S mit dem Kläger sowie die Akten
des LG A-Stadt mit dem Az. XXX betreffend Schadensersatzforderungen des Klägers gegenüber S beigezogen. In der mündlichen
Verhandlung hat der Senat zudem Beweis erhoben durch Einvernahme der S als Zeugin.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 16.07.2015 sowie den Bescheid vom 13.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 20.11.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 23.08.2013 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten, der Ermittlungsakten
der Staatsanwaltschaft A-Stadt mit den Az. XXX und , der Akten des LG A-Stadt mit dem Az. XXX sowie der Gerichtsakten beider
Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung des Ereignisses vom 23.08.2013 als Arbeitsunfall strittig. Mit dem verfahrensgegenständlichen
Bescheid vom 13.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.11.2013 hat die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses
als Arbeitsunfall abgelehnt.
Die Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf Anerkennung des Ereignisses vom 23.08.2013 als Arbeitsunfall. Er ist daher
durch die ablehnende Entscheidung der Beklagten in seinen Rechten verletzt.
Gemäß §
8 Abs.
1 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Nach S. 2 der Vorschrift sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den
Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen
Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes,
von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv
und rechtlich wesentlich verursacht haben (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -, vgl. Urteil vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R, juris Rn. 9 m.w.N. der Rechtsprechung).
Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger war zum Zeitpunkt der tätlichen Auseinandersetzung mit S als Beschäftigter der
Spedition B. bei der Beklagten gemäß §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII kraft Gesetzes versichert. Er hat auch einen Unfall i.S.d. §
8 Abs.
1 S. 2
SGB VII erlitten (siehe dazu 1.). Dieser Unfall ist ein Arbeitsunfall, weil das Ereignis, das zum Gesundheitserstschaden geführt
hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (siehe dazu 2.).
1. Die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. neben der versicherten Tätigkeit und dem Arbeitsunfall auch der Gesundheitsschaden,
müssen im sogenannten Vollbeweis feststehen. Hierfür ist keine absolute, jeden möglichen Zweifel und jede Möglichkeit des
Gegenteils ausschließende Gewissheit zu fordern, vielmehr genügt für die entsprechende richterliche Überzeugung ein der Gewissheit
nahekommender Grad von Wahrscheinlichkeit (BSG vom 27.03.1958 - 8 RV 387/55, juris Rn. 16). Die volle Überzeugung wird als gegeben angesehen, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, d. h. eine Wahrscheinlichkeit
besteht, die nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewissheit gleichkommt, weil sie bei jedem vernünftigen, die Lebensverhältnisse
klar überschauenden Menschen keine Zweifel mehr bestehen lässt (BSG vom 27.04.1972 - 2 RU 147/71, juris Rn. 30; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
128 Rn. 3b m.w.N.).
Für den ursächlichen Zusammenhang - Wirkursächlichkeit - zwischen der versicherten Tätigkeit, dem schädigenden Ereignis und
dem Gesundheitsschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie Folgeschäden (haftungsausfüllende Kausalität) ist demgegenüber
hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen,
muss absolut mehr für als gegen die jeweilige Tatsache sprechen. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher
Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, das ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden
ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B, juris Rn. 4 m.w.N.; vom 02.02.1978 - 8 RU 66/77, juris Rn. 13). Die Beweisanforderungen bei der hinreichenden Wahrscheinlichkeit sind höher als bei der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
(Glaubhaftmachung im Sinne eines Beweismaßes, vgl. dazu BSG vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B, juris Rn. 5). Überwiegende Wahrscheinlichkeit bedeutet die gute Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei
durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können; dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet (vgl. BSG vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B, juris Rn. 5 und Orientierungssatz; vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06, juris Rn. 116; vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, juris Rn. 36; Keller, a.a.O., Rn. 3d m.w.N.; zum Zivilrecht BGH vom 11.09.2003 - IX ZB 37/03, juris Rn. 8; vom 15.06.1994 - IV ZB 6/94).
Das Ereignis vom 23.08.2013 stellt einen Unfall im Sinne des §
8 Abs.
1 S. 2
SGB VII dar.
Zur vollen Überzeugung des Senats hat am 23.08.2013 eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf den Körper
des Klägers stattgefunden, als ihn S mit der linken Hand gegen die rechte Gesichtshälfte geschlagen hat. Diesen Vorgang hat
S bei ihrer Zeugeneinvernahme in der mündlichen Behandlung bestätigt, wobei sie den Schlag als "Klaps auf den Hinterkopf"
bezeichnet hat. Das Vorliegen einer leichten Körperverletzung durch S ergibt sich auch aus den beigezogenen Ermittlungsakten
der Staatsanwaltschaft A-Stadt. Sie wurde zudem von den Angestellten der Spedition B. L. u. S. bei ihrer Zeugeneinvernahme
vor dem LG A-Stadt am 15.10.2014 beschrieben. Wie sich aus dem Sitzungsprotokoll des LG A-Stadt ergibt, haben die genannten
Zeugen den tätlichen Angriff der S als Augenzeugen wahrgenommen.
Ebenfalls im Vollbeweis steht fest, dass beim Kläger unmittelbar nach dem tätlichen Angriff eine HWS-Distorsion nach Quebec-Task-Force
II vorgelegen hat. Diese Feststellung trifft der Senat aufgrund des Befundberichts des Sana Klinikums A-Stadt - Chirurgische
Klinik vom 23.08.2013 sowie des nervenärztlichen Gutachtens des Dr. L. vom 03.09.2015, das dieser im Verfahren für das Landgericht
Hof gefertigt hat und das im Wege des Urkundenbeweises verwertbar ist. Der Kläger hatte das Klinikum A-Stadt noch am 23.08.2013
zur Notfallbehandlung aufgesucht; dort wurde eine HWS-Distorsion ohne pathologische neurologische Anzeichen festgestellt.
Dr. L. hat den am 23.08.2013 vorliegenden Befund anhand der Akten und der Angaben des Klägers als HWS-Distorsionsverletzung
QTF2 eingeordnet.
Die HWS-Distorsion nach Quebec-Task-Force II ist als Gesundheitserstschaden auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf
die beschriebene Einwirkung zurückzuführen. Hierbei stützt sich der Senat wiederum auf den genannten Befundbericht des Sana
Klinikums A-Stadt - Chirurgische Klinik und auf das nervenärztlichen Gutachten des Dr. L ... Des Weiteren nimmt der Senat
Bezug auf das neurochirurgische Gutachten des Professor Dr. M. vom 10.09.2015, das dieser im Verfahren für das Landgericht
Hof gefertigt hat und das ebenfalls im Wege des Urkundenbeweises verwertbar ist. Auch Professor Dr. M. hat die am 23.08.2013
im Bereich der HWS aufgetretenen Beschwerden des Klägers als leichte Irritation im Sinne einer funktionellen Störung nach
dem erlittenen Schlag ohne strukturelle Schädigung mit anhaltenden Beschwerden eingeordnet.
2. Der Unfall ist auch wesentlich ursächlich auf die versicherte Tätigkeit des Klägers zurückzuführen.
Auf der 1. Stufe muss die versicherte Verrichtung iS der "conditio-Formel" eine erforderliche Bedingung des Erfolges (stets
neben anderen Bedingungen) sein. Sie muss Wirkursache des Erfolges gewesen sein, muss ihn tatsächlich mitbewirkt haben und
darf nicht nur als (bloß im Einzelfall nicht wegdenkbare) zufällige Randbedingung anzusehen sein. Ob die versicherte Verrichtung
eine Wirkursache für die festgestellte Einwirkung war, ist eine rein tatsächliche Frage. Auf der 2. Stufe ist festzustellen,
ob sich die durch die versicherte Tätigkeit objektiv verursachte Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten
Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten
Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellt und deshalb die versicherte Tätigkeit "wesentlich" war, ob also sich
durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz
gewähren soll. Die Einstandspflicht des Unfallversicherungsträgers wird nur begründet, wenn die durch die versicherte Verrichtung
objektiv mitverursachte Einwirkung auf den Versicherten eine Gefahr mitverwirklicht hat, gegen die die begründete Versicherung
schützen soll. Andere unversicherte Mitursachen können die rechtliche Zurechnung ausschließen. Das ist der Fall, wenn die
unversicherten Wirkursachen das Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass sie die versicherte Wirkursache verdrängen, so
dass der Schaden "im Wesentlichen" rechtlich nicht mehr dem Schutzbereich des jeweiligen Versicherungstatbestandes unterfällt.
Die versicherten und die auf der ersten Zurechnungsstufe festgestellten unversicherten Wirkursachen und ihre Mitwirkungsanteile
sind in einer rechtlichen Gesamtbeurteilung anhand des zuvor festgestellten Schutzzwecks des Versicherungstatbestandes zu
bewerten (BSG vom 18.06.2013 - B 2 U 10/12 R, juris Rn. 16 ff. m.w.N.).
Dabei stehen Unfälle infolge von Überfällen bzw tätlichen Auseinandersetzungen im inneren Zusammenhang (= wesentlicher ursächlicher
Zusammenhang) mit der versicherten Tätigkeit, wenn die Tätlichkeit am Arbeitsplatz, auf dem Betriebsweg oder auf dem Weg von
oder nach dem Ort der Tätigkeit aus der Betriebszugehörigkeit unmittelbar hervorgegangen ist, ohne dass es eines betriebsbezogenen
Tatmotivs bedarf, und wenn nicht ein Tatmotiv aus dem persönlichen Bereich von Täter oder Opfer zum Überfall geführt hat,
es sei denn besondere Verhältnisse bei der versicherten Tätigkeit (z.B. Dunkelheit, Umgebung) bzw des Weges haben den Überfall
- bzw. die tätliche Auseinandersetzung - erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt (BSG vom 19.12.2000 - B 2 U 37/99 R, juris Rn. 15 m.w.N.). D.h. eine tätliche Auseinandersetzung ist stets als Arbeitsunfall anzuerkennen, wenn diese während
der Ausübung einer versicherten Tätigkeit - sei es auf der Betriebsstätte oder auf einem versicherten Weg - erfolgt. Eine
Ausnahme ist nur zu machen, wenn die Auseinandersetzung in keiner sachlichen Verbindung mit der versicherten Tätigkeit des
Verletzten steht, sondern z.B. aufgrund einer persönlichen Feindschaft erfolgt und keine der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden
Verhältnisse den Überfall wesentlich begünstigt haben (vgl. BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R, juris Rn. 27 zum Vorliegen eines Arbeitsunfalls bei einem Überfall). Das bedeutet, dass es keines betriebsbezogenen Tatmotivs
bedarf, damit überhaupt ein innerer Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit hergestellt werden
kann. Beruht das Tatmotiv allerdings auf Umständen, die in keiner Verbindung mit der versicherten Tätigkeit des Verletzten
(z.B. persönliche Feindschaft oder ähnliche betriebsfremde Beziehungen) stehen, so fehlt es grundsätzlich an dem erforderlichen
inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Für die Beantwortung der Frage, ob zwischen dem Angriff und der versicherten
Tätigkeit ein innerer Zusammenhang besteht, sind daher in der Regel die Beweggründe entscheidend, die den Angreifer zu seinem
Vorgehen bestimmt haben (vgl. BSG v. 19.03.1996 - 2 RU 19/95, juris Rn. 18 m.w.N.; siehe auch schon BSG vom 10.12.1957 - 2 RU 270/55, BSGE 6, 164; BSG vom 28.04.1977 - 2 RU 31/75, juris Rn. 18). Gelangt das Gericht hierbei zu dem Ergebnis, dass betriebliche Vorgänge die wesentliche Ursache zu dem Streit
und den Beweggrund für das Handeln des Schädigers gebildet haben, ist der innere Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis
und der versicherten Tätigkeit zu bejahen (BSG v. 19.06.1975 - 8 RU 70/74, juris Rn. 15 m.w.N.; vgl. auch Ricke in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, §
8 SGB VII, Rn. 105: "Tätlichkeiten sind versichert, wenn sie unmittelbar aus der Arbeit erwachsen."; ebenso Krasney, WzS 2012, S. 133; G. Wagner in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB VII, §
8 Rn. 74).
Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit des Klägers und dem tätlichen Angriff der S liegt vor. Nach
den Feststellungen des Senats übte der Kläger zum Zeitpunkt des tätlichen Angriffs der S, also des Unfalls, seine versicherte
Tätigkeit aus. Der Kläger befand sich aufgrund der Aufforderung seines Arbeitgebers in den Geschäftsräumen des Beschäftigungsbetriebs,
um dort mit diesem seine nächsten Arbeitstätigkeiten zu besprechen. Diese versicherte Tätigkeit hat auch unmittelbar den tätlichen
Angriff der Zeugin S ausgelöst, die beim Erblicken des Klägers spontan auf ihn losgegangen ist.
Auch der wesentliche Zusammenhang, also der notwendige innere Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit des Klägers
und dem tätlichen Angriff der S ist gegeben. Denn dem Angriff der S lagen ganz wesentlich betriebsbedingte Motive zu Grunde.
Zu dieser Überzeugung ist der Senat aufgrund der glaubhaften Angaben der Zeugin S in der öffentlichen Sitzung vom 12.10.2017
gelangt. Zwar hat S angegeben, dass sie sich auch als Frau über die Behauptungen des Klägers, dass sie in der Nacht des 14.07.2013
sexuelle Handlungen mit einem Arbeitskollegen ausgeübt hätte, geärgert habe und ihr diese Behauptungen auch wegen ihres Exmanns
unangenehm gewesen seien. Insbesondere habe sie sich aber darüber geärgert, dass unter den Kollegen im Büro über diese Sache
geredet wurde, zumal sie ja auch die Chefin des Klägers gewesen sei. Sie habe deshalb auch im Betrieb geäußert, dass sie es
dem Kläger geben werde - d.h. ihn zur Rede stellen werde -, auch wenn der Schlag ("Klaps") so nicht geplant gewesen sei. Für
den Senat steht daher fest, dass die tätliche Auseinandersetzung zwischen der S und dem Kläger am 23.08.2013 auch und gerade
deshalb erfolgte, weil sich S aufgrund des Geredes im Betrieb gezwungen sah, sich vor der Belegschaft gegen die aus ihrer
Sicht unwahren Behauptungen zur Wehr zu setzen (s. dazu Krasney, WzS 2012, S. 134). Insbesondere sah sie sich durch diese auch in ihrer Rolle als Chefin herabgesetzt. Wesentlich ursächlich für den Vorfall
am 23.08.2013 und damit Beweggrund für das Handeln der S waren somit betriebliche Vorgänge, nämlich die im Betrieb getätigten
Äußerungen des Klägers, die die S gegenüber der Belegschaft kompromittierten.
Dass der Kläger gegenüber dem Arbeitgeber und Ehemann der S sowie Arbeitnehmern des Beschäftigungsbetriebs von sexuellen Handlungen
zwischen der S und einem Arbeitnehmer des Beschäftigungsbetriebs während einer beruflich veranlassten Bahnfahrt in der Nacht
des 14.07.2013 berichtet hat, steht zur vollen Überzeugung des Senats allein schon aufgrund der Angaben des Klägers in der
nicht-öffentlichen Sitzung vom 28.10.2014 vor dem SG fest. Dass entsprechende Äußerungen vom Kläger getätigt wurden, wurde auch von S bei ihrer Zeugeneinnahme vor dem Senat bestätigt.
Ob die berichteten sexuellen Handlungen tatsächlich stattgefunden haben, ist für die rechtliche Beurteilung im vorliegenden
Fall jedoch ohne Bedeutung.
Wie dargelegt ist bei der Beurteilung, ob zwischen der versicherten Tätigkeit des Klägers und dem tätlichen Angriff der S
ein wesentlicher Zusammenhang bestand, maßgeblich auf die Beweggründe für den Angriff abzustellen. Der Umstand, dass die Äußerungen
des Klägers den privaten Lebensbereich der S zum Gegenstand hatten und er diese gegenüber dem Arbeitgeber aus rein privaten
Gründen getätigt haben will, schließt entgegen der Auffassung des SG einen solchen inneren Zusammenhang nicht aus. Entscheidender Anknüpfungspunkt ist vielmehr, dass der Kläger seine Äußerungen
im Betrieb gegenüber mehreren Betriebsangehörigen getätigt hat. Da dieser Umstand letztlich der Beweggrund für das Handeln
der S war, ist die notwendige Verbindung mit der versicherten Tätigkeit des Klägers zu bejahen.
Dass der Kläger durch seine Äußerungen die Ursache für die Wochen später erfolgte tätliche Auseinandersetzung mit der S gesetzt
hat, also insoweit am Entstehen der Auseinandersetzung maßgeblich beteiligt war, hat auf den inneren Zusammenhang zwischen
versicherter Tätigkeit und dem tätlichen Angriff der S keine Auswirkung. Denn weder stellte der tätliche Angriff der S eine
unmittelbare Reaktion auf ein provozierendes Verhalten des Klägers dar (siehe dazu Keller in Hauck/Noftz, §
8 SGB VII, Rn. 149, wonach es grundsätzlich unschädlich sein soll, wenn der Verletzte am Entstehen des Streits beteiligt war oder diesen
sogar allein verursacht hat; so auch Ricke in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, §
8 SGB VII, Rn. 105, es sei denn, der Verletzte hat sich besonders provozierend verhalten), noch waren das Verhalten des Klägers und
die dadurch verursachten betrieblichen Auswirkungen dem privaten Bereich zuzuordnen.
Nach alledem erfüllt das Ereignis vom 23.08.2013 die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls nach §
8 Abs.
1 S. 1
SGB VII. Das Urteil des SG vom 16.07.2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2013 waren
somit aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 23.08.2013 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG liegen nicht vor.