Anerkennung eines Arbeitsunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung; sachlicher Zusammenhang mit verrichteter Tätigkeit
bei tätlicher Auseinandersetzung
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob der vom Kläger am 24.01.2005 erlittene Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Der 1956 geborene Kläger war Betreiber der Gaststätte W. in S./Thüringen. Am 24.01.2005 wollte er mit seinem Unimog seinen
Pkw, der in der Zufahrt zur Gaststätte stand, zur Gaststätte schleppen. Dabei stellte er fest, dass neben seinem Pkw ein VW-Transporter
abgestellt worden war, so dass ein Abschleppen nicht ohne Beschädigung seines Pkws bzw. des VW-Transporters möglich gewesen
wäre. Auf der Suche nach den Besitzern des VW-Transporters fuhr der Kläger bis zur nahe gelegenen Ski-Arena. Auf dem Rückweg
von dieser sah er drei Personen, die auf Befragen bejahten, dass ihnen der VW gehöre. Sie teilten ihm mit, dass der Wagen
defekt sei und sie bereits den ADAC angerufen hätten. Im Weiteren kam es dann zunächst zu verbalen Streitigkeiten, die in
beiderseitigen Handgreiflichkeiten endeten, wobei der Kläger zu Boden ging, nach seinen Angaben noch getreten wurde und dadurch
erhebliche Verletzungen im Mundbereich erlitt.
Mit Schreiben vom 19.04.2005 meldete die AOK Bayern bei der Berufsgenossenschaft (BG) für Fahrzeughaltungen den Unfall vom
24.01.2005 für den Kläger an, wobei als Arbeitgeber die Fa. Omnibus- und Mietwagenverkehr B. H., H.Straße, K., angegeben wurde.
Der Kläger selbst gab in dem entsprechenden Fragebogen vom 19.04.2005 gegenüber der AOK Bayern an, als Geschäftsführer und
Hausmeister für die Fa. H. tätig geworden zu sein. Die BG für Fahrzeughaltungen zog die Akten der Staatsanwaltschaft M. mit
dem Az. 150 JS 11234/05 I/III/1 einschließlich der Beschuldigtenvernehmungen bei, aus denen sich eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens
gemäß §
170 Abs
2 Strafprozessordnung ergab, weil aufgrund der vorliegenden Aussagen aller Beteiligten eine Straftat nicht mit der zur Klageerhebung erforderlichen
Sicherheit nachgewiesen werden konnte.
Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 05.05.2005 mitgeteilt hatte, dass er zum Unfallzeitpunkt für die Gaststätte und das Hotel
W. tätig geworden sei, gab die BG für Fahrzeughaltungen den Vorgang an die Beklagte ab.
Diese lehnte mit Bescheid vom 06.12.2006 die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, da nach Auswertung der polizeilichen Unterlagen
ein für einen Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung bei einem Streit notwendiger innerer Zusammenhang mit
der betrieblichen Tätigkeit nicht vorgelegen habe. Die tätliche Auseinandersetzung sei vom Kläger provoziert worden, da er
sich ohne Anlass besonders provozierend verhalten und damit den Streit gesucht habe, in dessen Folge er sich verletzt habe.
Den hiergegen erhobenen Rechtsbehelf des Klägers vom 29.12.2006 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2007
zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der innere Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit dann
nicht mehr gegeben sei, wenn der Streit sowie die tätliche Auseinandersetzung ihre Ursache wie hier in einem grob provozierenden
Verhalten des Klägers gehabt habe. Letzteres sei dadurch gegeben, dass der Kläger trotz der Information, dass das Fahrzeug
wegen eines Defektes nicht entfernt werden könne und der ADAC bereits verständigt worden sei, daraufhin trotzdem in Rage geraten
sei, die Personen in provozierender Weise verbal attackiert habe und es infolge dessen zu einer tätlichen Auseinandersetzung
gekommen sei. Dadurch sei eine Lösung von der ursprünglichen versicherten Tätigkeit erfolgt.
Auf die hiergegen am 03.03.2007 beim Sozialgericht Würzburg (SG) eingelegte Klage hat das Gericht mit Urteil vom 23.01.2008 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Anerkennung
des Ereignisses vom 24.01.2005 als Arbeitsunfall verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Qualifizierung eines
Unfalls infolge einer Streitigkeit als Arbeitsunfall dann zu bejahen sei, wenn der Streit aus Gründen entstanden sei, die
mit der versicherten Tätigkeit zusammen hängen würden und somit eine auf die Belange des Betriebes gerichtete Handlungstendenz
vorliege, wobei es nicht darauf ankomme, ob der Verletzte den Streit begonnen oder sich auf ihn eingelassen habe. Der Streit
bzw. die tätliche Auseinandersetzung habe keine Lösung von der ursprünglich versicherten Tätigkeit bedingt, weil es dem Kläger
ausschließlich um die Entfernung des Fahrzeugs aus der Zufahrt gegangen sei und an dieser Handlungstendenz auch die Eskalation
des Streites nichts verändert habe, da der Kläger, möglicherweise uneinsichtig, immer nur die Entfernung des Fahrzeugs aus
der Einfahrt gewollt habe. Selbst wenn durch das provozierende Verhalten des Klägers eine selbstgeschaffene Gefahr unterstellt
würde, wäre diese jedoch der versicherten Tätigkeit zuzurechnen.
Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, dass der Zusammenhang mit dem Unternehmen mit
der Ermittlung der Fahrzeugbesitzer und der Verständigung der Pannenhilfe beendet gewesen sei. Das weitere Verlangen des Klägers,
den defekten Wagen zu entfernen, sei nur darauf gerichtet gewesen, den Wagenbesitzer zu provozieren und sei daher keine dem
Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung mehr gewesen. Es sei daher davon auszugehen, dass damit eine Zäsur in der Handlungstendenz
eingetreten sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 23.01.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 23.01.2008 zurückzuweisen.
In seiner Berufungserwiderung führt der Kläger an, dass es zum Streit gekommen sei, weil er sich nicht habe damit einverstanden
erklären wollen, dass der VW-Transporter einfach so in der Einfahrt stehen geblieben sei und dass dadurch der betriebliche
Zusammenhang nicht unterbrochen worden sei. Die Unterstellung der Beklagten, er habe die Wagenbesitzer nur provozieren wollen,
sei eine Hypothese, die durch nichts belegt sei. Auch hätte die Beklagte nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) die Beweislast dafür, dass eine Unterbrechung des betrieblichen Zusammenhangs stattgefunden habe. Im Übrigen müsse es
dabei verbleiben, dass ein Verhalten, mit dem er als Versicherter betriebliche Zwecke verfolge, den Zusammenhang zwischen
der versicherten Tätigkeit und dem Unfall nie ausschließe.
Im Übrigen wird zur weiteren Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie
der beigezogen Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist auch begründet, da der vom Kläger am 24.01.2005 erlittene Unfall nicht als Arbeitsunfall i.S. der gesetzlichen
Unfallversicherung anerkannt werden kann.
Versicherungsfälle i.S. der gesetzlichen Unfallversicherung sind nach §
7 Abs
1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz
nach den §§
2,
3 und
6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse,
die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§
8 Abs
1 SGB VII). Die Anerkennung eines Arbeitsunfalls setzt voraus, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten
Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen
auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen
Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen
aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Die Feststellung eines Arbeitsunfalls setzt demnach regelmäßig voraus, dass das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet
hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und dass diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt
hat. Zunächst muss also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der sog. innere
Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang
ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenzen liegt, bis zu welchen
Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Ein örtlicher oder zeitlicher Bezug zur versicherten Tätigkeit
allein begründet noch keinen Versicherungsschutz. Dem privaten Bereich anzurechnende Tätigkeiten dienen dem Interesse des
Verrichters und nicht dem Unternehmen. Bei diesen "eigenwirtschaftlichen und privaten Tätigkeiten" besteht daher kein Versicherungsschutz.
Es handelt sich um die notwendigen und selbstverständlichen Dinge, denen jeder Mensch völlig unabhängig von seiner beruflichen
Tätigkeit nachzugehen pflegt. Sie werden selbst dann nicht Bestandteil der unter Versicherungsschutz stehenden Arbeit, wenn
sie zugleich für die Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis vielfach sogar unentbehrlich sind.
Bei der somit auch im vorliegenden Fall vorzunehmenden Bewertung, ob der Kläger zur Zeit des Unfalls am 24.01.2005 eine versicherte
Tätigkeit verrichtet hat, stehen Überlegungen nach dem Zweck seines Handelns zu jenem Zeitpunkt im Vordergrund. Maßgebliches
Kriterium für die wertende Entscheidung über den Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Verrichtung zur Zeit des
Unfalls ist die Handlungstendenz des Versicherten (vgl. BSG Urteil vom 12.04.2005 - B 2 U 11/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 14). Denn aufgrund der Handlungstendenz kann beurteilt werden, ob der Versicherte mit seiner konkreten
Verrichtung zur Zeit des Unfalls eine dem Unternehmen dienende und damit unter Versicherungsschutz stehende Tätigkeit ausüben
wollte. Dabei sind typischerweise und i.d.R. unversichert höchstpersönliche Verrichtungen, wie z.B. Essen, oder eigenwirtschaftliche
(private), wie z.B. Einkaufen. Sie führen zu einer Unterbrechung der versicherten Tätigkeit und damit auch i.d.R. zu einer
Unterbrechung des Versicherungsschutzes. Allerdings folgt aus den vorstehend dargestellten Grundsätzen zugleich, dass nicht
jede Unterbrechung des Arbeitsprozesses auch zur Unterbrechung des Versicherungsschutzes führt. Dieser besteht stets dann
fort, wenn die Unterbrechung betriebliche Gründe hat.
Für die tatsächlichen Grundlagen der vorzunehmenden wertenden Entscheidung über den sachlichen (inneren) Zusammenhang ist
der volle Nachweis zu erbringen. Bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für
das Vorliegen der versicherten Tätigkeit als erbracht angesehen werden können. Es muss also sicher feststehen, ob der Versicherte
im Unfallzeitpunkt eine - noch - versicherte Tätigkeit ausgeübt hat (vgl. BSG, Urteil vom 20.02.2001 - B 2 U 6/00 R = EzS 40/267). Zwar ist nicht erforderlich, dass derartige entscheidungserhebliche Tatsachen mit absoluter Gewissheit festgestellt
werden, d.h. es wird keine Überzeugung des Gerichts vorausgesetzt, die jede nur denkbare Möglichkeit ausschließt. Vielmehr
ist ein der Gewissheit nahekommender Grad der Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch notwendig. Die entscheidungserhebliche
Tatsache, dass der Versicherte zum Unfallzeitpunkt einer Verrichtung nachgegangen ist, die zur versicherten Tätigkeit gehört,
ist folglich bewiesen, wenn sie in hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung
des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung
hiervor zu begründen.
Nach diesen Grundsätzen steht zur Überzeugung des Senats mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit
fest, dass der Kläger zum Zeitpunkt der tätlichen Auseinandersetzung nicht mehr einer Verrichtung nachging, die noch der versicherten
Tätigkeit als Betreiber einer Gaststätte zuzuordnen ist.
Zum einen hatte sich der Kläger im Zeitpunkt der tätlichen Auseinandersetzung aus seinem Arbeitsbereich, der Gaststätte mit
ihrer Zufahrt, räumlich entfernt, da die tätliche Auseinandersetzung sich nach den eigenen Angaben des Klägers und nach den
Feststellungen der Polizeiinspektion S. zwischen der Gaststätte/Zufahrt und der Ski-Arena abgespielt hat. Damit bestand schon
kein örtlicher Bezug zur versicherten Tätigkeit als Betreiber einer Gaststätte mehr, so dass schon aus diesem Grund die Anerkennung
als Arbeitsunfall abzulehnen war.
Zum anderen kann nach Würdigung der Aussagen der im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren vernommenen Beschuldigten
A. F. und S. K., die im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden konnten, der volle Beweis dafür, dass im Unfallzeitpunkt
noch eine versicherte Tätigkeit ausgeübt worden ist, nicht erbracht werden, da beide Beschuldigte dem Kläger gegenüber bestätigt
haben, dass der VW ihnen gehört und dass der ADAC bereits verständigt war, um den VW zu entfernen. Das weitere Verhalten des
Klägers ("das ist mir scheißegal, der VW verschwindet sofort, sonst fliegst du den Hang hinunter") und die darauf folgenden
Handgreiflichkeiten sind nicht dazu geeignet, unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des
Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung die volle Überzeugung des Senats davon zu begründen,
dass der Kläger im Zeitpunkt der tätlichen Auseinandersetzung noch eine dem Betrieb der Gaststätte dienende Verrichtung ausüben
wollte bzw. einer versicherten Tätigkeit als Betreiber einer Gaststätte nachgegangen ist. Dies gilt insbesondere, weil keine
Anknüpfungspunkte zur versicherten Tätigkeit (Schneeräumen und Abschleppen von Pkws) mehr bestanden, der Streit aufgrund des
Verhaltens des Klägers kein unfreiwilliger war und der Unfall nicht unmittelbar aus der an und für sich versicherten Tätigkeit
des Schneeräumens bzw. Abschleppens erwachsen ist.
Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 06.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2007 ist daher
zu Recht ergangen. Auf die Berufung der Beklagten war daher das erstinstanzliche Urteil aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG).