Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der beklagten Pflegekasse für die Zeit vom 01.09.2001 bis zum Ende der Mitgliedschaft am 14.08.2006
Pflegegeld nach der Pflegestufe I.
Für die 1994 geborene Klägerin wurde erstmals am 24.09.2001 Antrag auf Pflegegeldleistungen gestellt. In seinem Gutachten
vom 18.01.2002 nach Hausbesuch am 07.01.2002 kam der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) zum Ergebnis, bei dem
zum Untersuchungszeitpunkt sieben Jahre acht Monate alten Kind bestehe eine Instabilität der Kniegelenke infolge einer angeborenen
Bandlaxizität. Die Klägerin sei mit Orthesen versorgt und zwar mit Oberschenkel-Spiralschienen beidseits. Diese könnten nur
mit Unterstützung der Mutter an- und abgelegt werden, ebenso die Schuhe. Das Gangbild sei auch ohne Orthesen relativ sicher.
Darüber hinaus bestünden Schmerzen im Rücken. Den Hilfebedarf schätzte der MDK im Bereich der Körperpflege mit 22 Minuten,
der Ernährung mit 4 Minuten und der Mobilität mit 22 Minuten, insgesamt mit 48 Minuten ein. Hiervon zog er 30 Minuten ab,
die auch für die Pflege eines gesunden gleichaltrigen Kindes aufzuwenden seien. Ein Mehrbedarf im Bereich der Hauswirtschaft
bestehe nicht. Somit betrage der Mehrbedarf an Pflege gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind lediglich 18 Minuten. Die
Voraussetzungen für Leistungen nach Pflegestufe I würden nicht erreicht. Die Angaben der Mutter im Pflegetagebuch seien nicht
nachvollziehbar. Die stark abweichenden Pflegezeiten gründeten sich wohl auf eine liebevolle Überversorgung. Erwähnt wurde,
dass ein Mehrbedarf beim Verlassen der Wohnung zur Therapie, beim Wechseln der Orthesen sowie beim Richten der Bekleidung
nach Toilettengang berücksichtigt worden sei. Im Einzelnen wurden für fünfmal tägliches Richten der Bekleidung insgesamt 4
Minuten angesetzt, für Be- und Entkleiden gesamt einmal pro Tag insgesamt 2 Minuten und für An- bzw. Entkleiden des Ober-/Unterkörper
dreimal täglich insgesamt 10 Minuten, also insgesamt für An- und Auskleiden 12 Minuten pro Tag. Für Verlassen und Wiederaufsuchen
der Wohnung zur Krankengymnastik außer Haus einmal pro Woche hielt der MDK umgerechnet auf den Tag 5 Minuten für angemessen.
Mit Bescheid vom 22.01.2002 lehnte die Beklagte Leistungen von Pflegegeld ab. Sie stützte sich auf die Auffassung des MDK.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie bezog sich auf ein Attest der Orthopädischen Kinderklinik A., in der sie regelmäßig,
insbesondere zur Orthesenanpassung, behandelt worden war sowie auf den Bescheid nach dem Schwerbehindertenrecht. Das Amt für
Versorgung und Familienförderung B-Stadt hatte am 29.07.2002 einen GdB um 80 festgestellt. Im Arztbrief der Orthopädischen
Kinderklinik A. vom 14.02.2003 wird angegeben, die Skoliose der Wirbelsäule nehme zu, es sei eine intensive Krankengymnastik
notwendig, um dem entgegen zu wirken. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2003 zurück.
Dagegen wurde Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben mit dem Antrag, ab September 2001 Pflegegeld zumindest nach der Stufe
I zu gewähren. Das Sozialgericht holte Befundberichte des Hausarztes Dr. Z. und des Kinderarztes Dr. R. ein. Unter den Unterlagen
befinden sich Berichte der Orthopädischen Klinik B-Stadt vom 04.03.2002 und der Orthopädischen Kinderklinik A. vom 15.07.2004.
Im letzteren Brief wird ausgeführt, jetzt bestünden auch Beschwerden an den Fingern beim Schreiben, weil auch im Bereich der
Hände eine Bandlaxizität aufgetreten sei.
Das Sozialgericht beauftragte den Internisten Dr. D. mit der Begutachtung. Im Gutachten vom 20.01.2005 nach Hausbesuch am
12.01.2005 führte der Sachverständige aus, die Klägerin müsse Oberschenkel-Spiralorthesen mit Ringschuhfassung tragen. Sie
benötige im Wesentlichen Hilfe beim An- und Ausziehen von Hose und Schuhen, was zwangsweise mit dem An- und Ablegen der Orthesen
verbunden sei. Ansonsten könne sie sich allein an- und ausziehen. Das Gangbild mit Orthesen sei sicher und zügig. Die Klägerin
könne auch treppauf und treppab gehen. Dreimal pro Woche müsse sie zur Krankengymnastik gebracht werden. Die Fahrzeit für
Hin- und Rückweg betrage jeweils 20 Minuten, die Behandlung dauere 30 Minuten. Hilfeleistung hierfür sei jedoch nicht anrechenbar,
weil die Krankengymnastik rehabilitativen Zielen diene. Dr. D. schätzte im Einzelnen den Pflegeaufwand im Bereich der Körperpflege
auf 11 Minuten, nämlich für das Richten der Bekleidung bei Darm- und Blasenentleerung dreimal täglich à 3 Minuten (9 Minuten)
und zweimal täglich à 1 Minute bei der Blasenentleerung am Morgen und in der Nacht ohne Orthesen (insgesamt 11 Minuten). Bei
der Ernährung sei lediglich Unterstützung beim Schneiden von festen Speisen erforderlich, nämlich 1 Minute beim Frühstück
oder sogar weniger, falls nicht regelmäßig Brot verabreicht werde, für Mittagessen drei- bis viermal pro Woche, demnach im
Durchschnitt 0,5 Minuten pro Tag und jeweils 1 Minute für das tägliche Abendessen, so dass sich seiner Meinung nach lediglich
1,5 Minuten ansetzen ließen. Im Bereich der Mobilität benötige die Klägerin Unterstützung beim Aufstehen am Morgen und je
einmal während des Tages und der Nacht, wenn sie keine Orthesen angelegt habe. Hierfür seien pro Tag insgesamt 2 Minuten angemessen.
Für das Ankleiden des Unterkörpers seien 6 Minuten und für das Entkleiden des Unterkörpers 3 Minuten jeweils mit An- und Ablegen
der Orthesen an Hilfe notwendig. Einer Unterstützung beim Gehen bedürfe die Klägerin nicht. Lediglich für Transfers in die
Badewanne bzw. in das Duschbecken seien 0,5 Minuten zehnmal pro Woche, umgerechnet auf den Tag ca. 1 Minute und für Treppensteigen
ohne Orthesen 2 Minuten an Unterstützung angebracht. Dies ergebe im Bereich der Mobilität einen Hilfebedarf von 14 Minuten.
Pro Tag seien 26,5 Minuten an Fremdhilfe plausibel. Unter anderem führte der Sachverständige aus, die Orthesen und die Innenschuhe
würden unter Mithilfe der Mutter angelegt. Den Zeitaufwand hierfür könne er nicht quantifizieren. Die Mutter helfe beim Lösen
der Orthesen vom Innenschuh, wobei beidseits je eine Rendelschraube gelöst werden müsse. Auch beim Ausziehen von Innenschuh
und Herabstreifen der Hose, beim Öffnen und Schließen der Knopfleiste sei Hilfe erforderlich.
Die Klägerin wandte dagegen ein, die vom Sachverständigen genannten Zeiten für die Hilfeleistungen seien zu gering angesetzt.
Darüber hinaus habe sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert. Von der Bindegewebserkrankung seien jetzt auch Finger und
Hände betroffen.
Mit Urteil vom 08.06.2005 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es sah durch das Gutachten des Dr. D. und das nicht stark hiervon
abweichende Gutachten des MDK den zeitlichen Bedarf von mehr als 45 Minuten, wie für Leistungen nach der Pflegestufe I maßgebend,
nicht für erfüllt an.
Dagegen legte die Klägerin Berufung ein. Die Beklagte teilte mit, die Klägerin sei seit 15.08.2006 nicht mehr Mitglied ihrer
Kasse. Die Klägerin legte ein Gutachten des Gesundheitsamtes S. vom 29.01.2007 vor. Darin wird eine Kostenübernahme für den
Besuch der Waldorfschule, für Fahrten zur Orthopädiewerkstatt und Fahrten und Aufenthalte in der Orthopädischen Kinderklinik
A. befürwortet.
Der Senat beauftragte Dr. D., die Klägerin erneut zu untersuchen und zu begutachten.
Im Gutachten vom 05.06.2008 nach Hausbesuch am selben Tage beschrieb die Sachverständige, dass inzwischen an beiden Händen
die Kraft deutlich vermindert und die Muskulatur atrophiert sei. Seit Januar 2008 müssten Handschienen getragen werden. Ein
selbständiges Essen sei der Klägerin nur bedingt möglich. Im Übrigen bestehe eine Bewegungsstörung der Gelenke der unteren
Extremitäten. Das Gehen sei mit Orthesen kurzschrittig, nach vorne gebeugt und leicht hinkend. Das Gangbild wirke steifbeinig
und unsicher. Treppensteigen sei nur mit Hilfe möglich. Auch Aufstehen aus dem Liegen gelinge ohne Orthesen nur mit Hilfe.
Im Bereich der Körperpflege betrage der Hilfeaufwand 72 Minuten, wobei das Richten der Bekleidung vor und nach den dreimal
täglichen Toilettengängen allein 45 Minuten ausmache. Dies sei darauf zurückzuführen, dass bei jedem Toilettengang die Orthesen
aufgeschraubt und abgenommen, der Innenschuh ausgezogen und der Unterkörper entkleidet werden müsse. Nach dem Verrichten der
Notdurft sei Hilfe in umgekehrter Abfolge zu leisten. Die Gutachterin führte aus, sie habe einen solchen Toilettengang vor
Ort beobachtet und mit der Uhr gestoppt. Tatsächlich sei der Vorgang nicht unter 15 Minuten zu bewältigen. Im Bereich der
Ernährung habe sich infolge der Behinderung an den Händen der Hilfebedarf auf 13 Minuten erhöht. Auch bei der Mobilitätshilfe
sei das An- und Auskleiden täglich der aufwendigste Vorgang. Hierfür seien wie beim Toilettengang 15 Minuten, nämlich 8 Minuten
für Anziehen und 5 Minuten für Ausziehen pro Tag anzusetzen. Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung falle derzeit
nicht an, weil eine Krankengymnastik nicht wahrgenommen werde. Dr. D. errechnete nach den jeweiligen Altersstufen 7 bis 8
Jahre, 8 bis 9 Jahre, 9 bis 10 Jahre und über 10 Jahre den jeweiligen täglichen Hilfebedarf. Dabei übernahm sie die Verrichtungen,
die von den Vorgutachtern geschildert worden waren, setzte jedoch für drei Toilettengängen pro Tag für das Richten der Bekleidung
jeweils 15 Minuten, für das morgendliche Ankleiden 8 Minuten und für das abendliche Auskleiden 7 Minuten pro Tag an. Damit
kam sie zum Ergebnis, dass die Klägerin für die Zeit vom 24.09.2001 bis 05.04.2002 (7 bis 8 Jahre) einen Hilfebedarf für Grundpflege
von 92 Minuten, abzüglich 21 Minuten für Pflege eines gleichaltrigen gesunden Kindes, und somit 71 Minuten hatte. Für die
Zeit vom 06.04.2002 bis 05.04.2003 errechnete sie Sachverständige 86 Minuten abzüglich 6 Minuten = 80 Minuten, für die Zeit
vom 06.04.2004 bis 14.08.2006 (älter als 10 Jahre) 84 Minuten ohne Abzug.
Die Beklagte erklärte hierzu, sie sehe sich zu einer Anerkennung von Pflegeleistungen nicht in der Lage. Dr. D. habe ihre
Feststellungen retrospektiv getroffen. Der MDK und der gerichtliche Sachverständige hätten zeitnah und aufgrund persönlicher
Begutachtung einen wesentlich geringeren Hilfeaufwand festgestellt. Die Vorgutachter hätten das Anlegen der Orthesen und Richten
der Bekleidung nach dem Toilettengang sowie Hilfe beim An- und Auskleiden berücksichtigt. Auffallend sei insbesondere, dass
Dr. D. nach persönlicher Inaugenscheinnahme bei der Verrichtung des An- und Auskleidens des Unterkörpers für das Anlegen der
Orthesen einen Zeitaufwand von 6 Minuten und für das Ablegen von 3 Minuten täglich für plausibel gehalten habe. Jedenfalls
seien die Voraussetzungen für Pflegegeld nach der Stufe I für die zurückliegende Zeit bis zum Ende der Mitgliedschaft der
Klägerin am 14.08.2006 nicht erfüllt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 08.06.2005 und des Bescheides vom 22.01.2002 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2003 zu verurteilten, ihr ab Antrag Pflegegeld nach Stufe I bis 14.08.2006 zu
gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.06.2005 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird gemäß §
136 Abs.2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§
143,
151 SGG) und begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf Pflegegeld gemäß §
37 Abs.1 Ziffer 1 des Elften Sozialgesetzbuches (
SGB XI) für die Zeit ab 01.09.2001 bis einschließlich 14.08.2006. Danach erhalten Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe
Pflegegeld, wenn der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche
Versorgung in geeigneter Weise selbst sicher stellt. Das Pflegegeld beträgt je Kalendermonat für Pflegebedürftige der Pflegestufe
I 205,- EUR. Die Zahlung beginnt gemäß §
33 Abs
1 S 2
SGB XI ab Antrag. Vom Beginn des Monats werden Leistungen gewährt, wenn der Antrag später als einen Monat nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit
gestellt wird.
Dass die Klägerin zum Personenkreis des §
14 SGB XI gehört, steht außer Frage. Von dieser Bestimmung werden Personen erfasst, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen
Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens
auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen. Als gewöhnliche
und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen nennt §
14 Abs.4
SGB XI im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung,
im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung und im Bereich der Mobilität das selbständige
Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der
Wohnung. Unter den hauswirtschaftlichen Versorgungsbereich fällt das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln
und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen. Die Höhe der Leistungen hängt von der Zuordnung zu einer Pflegestufe
ab. Hierzu bestimmt § 15 Abs.1 Nr.1 i.V.m. Abs 3 Nr.1, dass der Hilfebedarf für die in § 14 genannten Verrichtungen mindestens
90 Minuten betragen muss, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass
bei Kindern für die Zuordnung lediglich der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend
ist (§
15 Abs.2
SGB XI). Im hier zu beurteilenden Zeitraum war die Klägerin zwischen 7 und 12 Jahre alt. Nach den Begutachtungsrichtlinien - BRI
vom 21.03.1997 in der Fassung vom 11.05.2006 - sind für ein 7- bis 8-jähriges gesundes Kind 21 bis 10 Minuten, für ein 8-
bis 9-jähriges Kind 10 bis 6 Minuten und ab dem 10. Lebensjahr keinerlei Pflege mehr notwendig. Insofern hält der Senat die
detaillierte Einschätzung des Pflegeaufwandes, wie sie Dr. D. im Gutachten vom 05.06.2008 vorgenommen hat, für zutreffend.
Der Senat stimmt der Beklagten insoweit zu, als das Gutachten des MDK vom 18.01.2002 das zeitlich nächste zum Antrag vom 24.09.2001
ist. Insoweit dürfte die dort gemachte Beobachtung auch zutreffend sein. Vergleicht man die Zeiteinschätzung der Sachverständigen
Dr. D. für den Zeitraum vom 24.09.2001 bis 05.04.2002 (Alter 7 bis 8 Jahre) so fällt auf, dass Dr. D. die einzelnen Verrichtungen
im Wesentlichen dem MDK-Gutachten entnommen hat. Geringe Diskrepanzen zeigen sich lediglich insoweit, als Duschen zweimal
wöchentlich und Baden einmal wöchentlich und statt Hilfe beim Kämmen Hilfe bei der Zahnpflege von der Sachverständigen zugrunde
gelegt wurde. Der MDK ging damals von einmal Duschen und zweimal Baden pro Wochen und 3 Minuten täglich für Kämmen aus. Auffallend
ist lediglich die Diskrepanz bezüglich der Einschätzung von Hilfe für das Richten der Bekleidung. Während der MDK von fünfmal
täglich notwendiger Hilfe ausgeht und hierfür umgerechnet pro Tag lediglich 4 Minuten, also weniger als 1 Minute pro Vorgang
ansetzt, hält Dr. D. für Darmentleerung einmal täglich und Blasenentleerung zweimal täglich eine vollständige Übernahme des
Richtens der Bekleidung für notwendig, bei dem auch das An- und Ablegen der Orthesen anfällt. Hierfür hält Dr. D. jeweils
15 Minuten für das komplette An- und Ausziehen des Unterkörpers und das An- und Ablegen der Orthese für zutreffend. Sie stützt
ihre Auffassung darauf, dass sie bei ihrem Hausbesuch den Toilettengang der Klägerin beobachtet und mit der Uhr gestoppt hat.
Im Gutachten des MDK hingegen werden hierzu keine detaillierten Angaben gemacht. Insofern hält der Senat die Angaben von Dr.
D. für überzeugender. Der Hilfebedarf für Richten der Bekleidung im Zusammenhang mit 3 Toilettengängen pro Tag ist damit zumindest
zeitlich zu korrigieren. Statt 4 Minuten täglich sind 45 Minuten und damit 41 Minuten mehr anzusetzen. Allein diese Korrektur
führt zu einem täglichen Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten täglich. Eine geringe Differenz zeigt sich bei den Zeitangaben
für Ankleiden und Auskleiden. Während Dr. D. hierfür insgesamt 15 Minuten annimmt, sah der MDK nur 12 Minuten für erforderlich
an. Hilfe für Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zum Zwecke des Besuchs der Krankengymnastik wurde auch vom MDK berücksichtigt,
allerdings ohne Angabe von Gründen mit 5 Minuten pro Tag bei einmal pro Woche notwendigem Besuch bewertet. Dr. D. setzte hierfür
16 Minuten umgerechnet auf den Tag bei einmal wöchentlichem Krankengymnastikbesuch an. Wenn man die Angaben von Dr. D. heranzieht,
der ausführte, die Fahrt zur Krankengymnastik betrage einfach 20 Minuten und die Behandlungsdauer 30 Minuten, so wird unter
Berücksichtigung der jeweiligen Hilfe für An- und Auskleiden verständlich, dass Dr. D. hierfür 16 Minuten auf den Tag umgerechnet
ansetzte. Im Ergebnis stimmt der Senat daher der Auffassung von Dr. D. zu.
Das Gutachten von Dr. D. datiert vom 20.01.2005 nach Hausbesuch am 12.01.2005. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin bereits
älter als 10 Jahre, so dass ein Abzug für Pflege eines gleichaltrigen gesunden Kindes nicht stattfindet. Zu diesem Lebensalter
führt Dr. D. aus, dass für Waschen, Duschen, Baden keine Hilfe mehr erforderlich war und für Zahnpflege lediglich 3 Minuten.
Eine erhebliche Diskrepanz ergibt sich wiederum bezüglich der Hilfe bei Darm- und Blasenentleerung. Auch hier hält der Senat
die Angaben von Dr. D. für überzeugend und sieht 15 Minuten an Hilfe für Richten der Bekleidung einschließlich Ab- und Anlegen
der Orthesen jeweils für angemessen an. Dem gesamten Hilfebedarf von zweimal 15 Minuten für diese Verrichtungen steht die
Einschätzung von Dr. D. mit 11 Minuten bei fünf Toilettengängen gegenüber. Der Sachverständige war dabei von einer Unterstützung
fünfmal pro Tag und zwar dreimal 3 Minuten und zweimal 1 Minute ausgegangen. Für das An- und Entkleiden jeweils einmal pro
Tag setzte er 6 + 3 Minuten (9 Minuten) an, während Dr. D. 15 Minuten für angemessen hält. Zu Unrecht ging der Sachverständige
Dr. D. davon aus, die Begleitung und Hilfe beim Besuch der Krankengymnastik einmal pro Woche stellten keinen berücksichtigungsfähigen
Hilfebedarf dar. Richtig ist insoweit, was der Senat dem Arztbrief der Orthopädischen Kinderklinik A. vom 10.01.2002 und dem
Bericht der Orthopädischen Klinik K., B-Stadt vom 04.03.2002 entnimmt, dass Krankengymnastik unbedingt erforderlich ist und
war, um ein Fortschreiten der Erkrankung durch Stärkung der Muskeln zu verhindern. Insofern handelt es sich um eine notwendige
Krankenbehandlung zur Verhinderung, dass die Erkrankung fortschreite, also um typische Krankenbehandlung im Sinne von § 11
Abs. 1 Ziff. 2 des Fünften Sozialgesetzbuchs. Daraus folgt, dass dem von Dr. D. gesehenen Hilfebedarf von 26,5 Minuten täglich
bei der Verrichtung Darm-Blasenentleerung 19 Minuten, beim An- und Auskleiden 6 Minuten und beim Verlassen und Wiederaufsuchen
der Wohnung mindestens 16 Minuten - nach seinen Feststellungen bei dreimal wöchentlich notwendigem Besuch der Krankengymnastik
sogar dreimal 16 Minuten - hinzu zu rechnen sind. Demnach ist auch unter Berücksichtigung der Feststellungen von Dr. D. zu
den seinerzeit notwendigen Verrichtungen weiterer Hilfebedarf zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen, dass für die Grundpflege
mehr als 45 Minuten an Hilfe täglich notwendig ist, sind damit auch für diesen Zeitraum ab Januar 2005 erfüllt.
Der Senat kommt demnach zum Ergebnis, dass für den gesamten streitigen Zeitraum und zwar schon ab Beginn des Antragsmonats,
also ab 01.09.2001 die Leistungsvoraussetzungen für Pflegegeld nach Stufe I gemäß §§
33 Abs.1 Satz 3, 37
SGB XI bis zum Ende der Mitgliedschaft bei der Beklagten am 14.08.2006 erfüllt waren. Hauswirtschaftlicher Hilfebedarf kann nach
den BRi bei Pflegestufe I unterstellt werden. Die Beklagte war daher zu verpflichten, der Klägerin für die Zeit vom 01.09.2001
bis 14.08.2006 Pflegegeld in Höhe von 205,- EUR monatlich zu zahlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.2 Nrn.1 und 2
SGG sieht der Senat keine Veranlassung.