Anerkennung der Prellung eines Armes als Arbeitsunfall in der gesetzlichen Unfallversicherung
Tatbestand:
Streitig ist, ob es sich bei dem Ereignis vom 9. Januar 2006 um einen Arbeitsunfall handelt.
Die 1964 geborene Klägerin ist Verwaltungsangestellte der Verwaltungsgemeinschaft C-Stadt. Da am 9. Januar 2006 die Heizung
in dem Büro defekt war, hatte die Klägerin ihren Wintermantel bei der Arbeit an. Beim Aufstehen von ihrem Bürostuhl verhängte
sich der Mantel an der Stuhllehne; die Klägerin stürzte auf den linken Arm. Am Abend habe sie ihren linken Arm nicht mehr
schmerzfrei bewegen können. Trotz eines Taubheitsgefühls an der linken Hand sei sie am nächsten Morgen wieder in die Arbeit
gegangen. Sie habe den Unfall im Personalbüro mündlich gemeldet.
Am 15. Januar 2006 verspürte sie während eines Spaziergangs Ausfallerscheinungen am rechten Bein. Die auftretenden Behinderungen
an der linken Hand hielt die Klägerin, wie sie im Schreiben vom 12. September 2010 mitteilte, für eine Folge ihrer inzwischen
festgestellten Multiple Sklerose (MS)-Erkrankung. Sie wurde vom 16. bis 25. Januar 2006 stationär in der Neurologischen Klinik
des Klinikums A. wegen einer entzündlichen ZNS-Erkrankung, Erstmanifestation einer MS mit Hemiparese rechts und Hemihypästhesie
rechts behandelt.
Eine Unfallanzeige ging erst am 10. August 2010 bei der Beklagten - dem damaligen GUVV - ein. Die Verwaltungsgemeinschaft
C-Stadt teilte am 26. Oktober 2010 mit, erstmalig im Februar 2010 durch den Personalrat von einem angeblichen Sturz erfahren
zu haben. Die Klägerin habe den Unfall nicht gemeldet.
Mit Bescheid vom 7. Februar 2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Sowohl tatsächlich als auch
medizinisch fehle ein Hinweis auf ein Unfallereignis und einen daraus resultierenden Körperschaden. Zur Begründung des Widerspruchs
legte die Klägerin ein Attest der Allgemeinärztin Dr. L. vom 24. März 2011 vor, wonach die Schilderung des Unfalls vom 9.
Januar 2006 glaubwürdig sei. Die Klägerin habe noch Beschwerden in der linken Hand, die vor dem Unfallgeschehen nicht aufgetreten
seien. Aus medizinischer Sicht sei das Unfallgeschehen Auslöser dieser Beschwerden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2011 zurück.
Dagegen hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Augsburg erhoben. Sie hat Kopien ihrer Tagebuchblätter vorgelegt. Dort heißt
es unter dem Datum des 9. Januar 2006 u.a.:
"Bin mit dem Mangel am Stuhl hängen geblieben und stürzte auf linke Seite. Verdammt tat das weh. Zerriss mir dabei das Innenfutter
vom Mantel ..." Ferner hat sie sich auf das Attest der Hausärztin gestützt.
Mit Gerichtsbescheid vom 2. August 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In der Gesamtschau blieben deutliche Zweifel
am Vorliegen eines Unfalls am 9. Januar 2006. Der Tagebucheintrag stamme aus der Hand der Klägerin und sei somit kein objektives
Indiz. Anders als von ihr behauptet habe sie auch den Unfall beim Arbeitgeber nicht zur Anzeige gebracht, sondern erst vier
Jahre später.
Zur Begründung der Berufung hat die Klägerin eine Erklärung ihrer Schwester vom 28. September 2011 vorgelegt. Hierin berichtet
diese, ihre Schwester (die Klägerin) sei am 9. Januar 2006 von der Arbeit nach Hause gekommen. Sie habe den linken Arm nicht
mehr nach hinten bewegen können und habe über Beschwerden am linken Ellenbogen und an der linken Hand geklagt. Sie habe von
dem Sturz im Büro berichtet. Da sie von einer Prellung ausgegangen sei, habe sie - die Schwester - ihr einen Voltarenfolienverband
angelegt und eine Schmerztablette verabreicht. Ferner diagnostizierte der Neurologe Dr. G. am 30. April 2009 einen Verdacht
auf ein Kubitaltunnelsyndrom rechts.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 16. November 2011 die Ansicht vertreten, dass, selbst wenn man ein Unfallereignis annehmen
würde, ein Erstschaden mit der dafür notwendigen Gewissheit nicht zu beweisen sei.
Die Klägerin hat eine Erklärung der Frau C. (Raumpflegerin der Stadt C-Stadt) vom 29. Dezember 2011 vorgelegt. Sie könne sich
erinnern, dass ihr die Klägerin am Abend in ihrem Büro vom Ausfall der Heizung und dem Sturz berichtet habe. Diese habe ihr
den Mantel gezeigt. Das Innenfutter des Mantels sei zerrissen gewesen und die Klägerin habe über Schmerzen am linken Arm berichtet.
Die Beklagte hat ausgeführt, dass die Angaben in gleicher oder ähnlicher Weise bereits mehrfach aktenkundig dokumentiert seien.
Der Nachweis eines Unfallereignisses sowie ein unfallbedingter Erstkörperschaden seien nicht erbracht.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2012 die Zeugin C. gehört. Auf die Niederschrift der uneidlichen
Aussage wird verwiesen. Ferner hat der Senat das Tagebuch im Original eingesehen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 2. August 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 2011 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2011 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 9.
Januar 2006 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß §
136 Abs.
2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§
143,
151 SGG) und begründet.
Streitgegenstand ist die Feststellung des Ereignisses vom 9. Januar 2006 als Arbeitsunfall. Dies lehnte die Beklagte mit dem
streitgegenständlichen Bescheid ab. Ob hieraus Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren sind, bedarf
einer gesonderten Entscheidung durch die Beklagte.
Zulässige Klageart ist eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage auf Vorliegen eines Arbeitsunfalls gemäß §§
54 Abs.
1,
55 Abs.
1 Nr.
3 SGG (BSG SozR 4-2700 §
8 Nr.
12; BSG v. 27.04.2010, Az.: B 2 U 23/09 R).
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit, §
8 Abs.
1 S. 1
SGB VII. Ein Unfall stellt gemäß §
8 Abs.
1 S. 2
SGB VII ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis dar, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod
führt. Die Definition des Unfalls dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden auf Grund von inneren Ursachen sowie zu vorsätzlichen
Selbstschädigungen. Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur
Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem
zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (dem Unfallereignis) geführt hat (Unfallkausalität) und
das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität)
(BSG, aaO.; BSGE 96, 196).
Der von der Klägerin angegebene Sturz ereignete sich nach deren Angabe während der Arbeitszeit im Büro der Verwaltungsgemeinschaft.
Diese Tätigkeit stand in sachlichem Zusammenhang mit ihrer versicherten Tätigkeit. Dabei müssen sowohl ein Unfallereignis
als auch ein primärer Gesundheitsschaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein.
Die Klägerin gibt an, am 9. Januar 2006 während der Bürotätigkeit beim Aufstehen vom Bürostuhl hängengeblieben und auf den
linken Arm gestürzt zu sein. Auffällig ist zwar, dass eine Unfallmeldung beim Arbeitgeber nicht vorliegt. Auch suchte sie
nicht in der Folge wegen dieser Verletzung einen Arzt auf, sondern erst am 16. Januar 2006 wegen Gesundheitsbeeinträchtigungen,
die mit ihrer MS-Erkrankung zusammen hängen und den rechten Arm betrafen.
Allerdings gab die Zeugin C. mit schriftlicher Bestätigung vom 29. Dezember 2011 an, sich an ein Gespräch mit der Klägerin
erinnern zu können, in dem diese ihr den Sturz am 9. Januar 2006 auf den linken Arm im Büro schilderte. Sie habe das zerrissene
Innenfutter des Mantels gesehen. Diese Angaben - außer dem zerrissenen Innenfutter - bestätigte die Zeugin in ihrer Befragung
durch den Senat. Die Klägerin habe ihr am Abend im Büro gesagt, dass sie beim Aufstehen vom Stuhl mit dem Mantel an der Lehne
hängen geblieben und gestürzt sei. Sie schilderte auch glaubhaft die Umstände, warum sie sich noch gut an dieses Gespräch
und ungefähr das Datum erinnern könne. Denn es handelt sich um den letzten Winter, in dem sie im entsprechenden Gebäude arbeitete.
Die Zeugin erscheint insgesamt glaubhaft.
Auch die Schwester der Klägerin bestätigte am 28. September 2011 den damaligen Vorfall, von dem ihre Schwester ihr am Abend
nach der Arbeit berichtete. Als Krankenschwester ging sie von einer Prellung des linken Ellenbogens und der linken Hand aus.
Sie habe diese dann entsprechend versorgt, d.h. ihr eine Schmerztablette gegeben und einen Voltarenfolienverband angelegt.
Die Schwester bestätigte auch einen Riss des Innenfutters des Mantels.
Zutreffend weist zwar die Beklagte darauf hin, dass keine Zeugin das Unfallereignis selbst gesehen hat. Im Rahmen der gebotenen
Gesamtwürdigung sind jedoch die Aussagen dieser Zeuginnen, die über ein Gespräch am Abend desselben Tages bzw. über die durchgeführte
Schmerzversorgung berichten, zu würdigen. Auch wurde in der Folgezeit dieses Unfallereignis durch das akute Auftreten einer
MS-Erkrankung überlagert.
Dabei ist es nach Überzeugung des Senats durch den Sturz während der Arbeit auch zu einem Erstschaden gekommen. Nachgewiesen
ist eine Prellung des linken Unterarms. Dies ergibt sich neben der Schilderung der Klägerin aus der von der medizinisch geschulten
Schwester der Klägerin mitgeteilten Versorgung am Abend des 9. Januar 2006. Eine sichtbare Verletzung war nicht festzustellen.
Die Schwester sprach selbst von einer Prellung. Auch sind entsprechende Schmerzen durch die Angaben der Schwester sowie der
Zeugin C. belegt. Das Vorliegen einer Prellung des linken Unterarms ist für die Annahme eines Erstschadens ausreichend - auch
wenn diese regelmäßig nach wenigen Wochen folgenlos ausheilt -, so dass die Voraussetzungen für die Feststellung eines Arbeitsunfall
nach §§
7,
8 Abs.
1 SGB VII gegeben sind.
Ob weitere Unfallfolgen wie eine von der Klägerin behauptete Schädigung des Nervus-Ulnaris auf das Unfallereignis zurückzuführen
und festzustellen sind, ist gemäß dem Streitgegenstand und Klageantrag nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Dies gilt
auch für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wie insb. einer Verletztenrente nach §
56 SGB VII.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG nicht vorliegen.