Gründe:
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsgegner (Kläger im Hauptsacheverfahren) bei dem Verkehrsunfall am 13.10.2002
eine Verletzung erlitten hat, die Ursache für eine ab September 2003 aufgetretene Hörstörung auf dem linken Ohr, einer inzwischen
an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit, ist. Einen solchen Zusammenhang verneinte die im Verwaltungsverfahren begutachtende
HNO-Ärztin Professor Dr. S. zunächst im Gutachten vom 30.03.2005. Sie revidierte jedoch ihre Meinung in dem auf Antrag des
Antragsgegners gem. §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) im anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten vom 16.11.2007. Im letzten Gutachten vertrat sie die
Auffassung, beim Antragsgegner müsse es zu einer sogenannten Fensterruptur gekommen sein, auf Grund der sich nach und nach
die Hörstörung von einer Schwerhörigkeit bis zur Taubheit einhergehend mit Gleichgewichtsstörungen entwickelt habe. Auf das
in ihrem früheren Gutachten vom 30.03.2005 als maßgeblich angesehene Argument, gegen einen Unfallzusammenhang spreche, dass
der Antragsgegner die Taubheit unmittelbar nach dem Unfall nicht bemerkt habe, ging sie nicht weiter ein. Das Sozialgericht
verurteilte die Antragstellerin mit Urteil vom 14.10.2008, dem Antragsgegner ab 01.10.2003 Rente nach einer Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH und ab 01.07.2007 nach einer MdE um 25 vH zu gewähren. Es stützte sich ausschließlich auf
das Gutachten der Professor Dr. S. vom 16.11.2007.
Dagegen legte die Antragstellerin am 14.01.2009 Berufung ein mit dem Antrag, das Urteil aufzuheben und die Klage gegen ihren
Rente ablehnenden Bescheid vom 29.04.2005 i. d. F. des Widerspruchsbescheids vom 01.12.2005 abzuweisen. Sie führte zur Begründung
aus, allein die Widersprüchlichkeit der beiden Gutachten von Professor Dr. S. mache deutlich, dass das Urteil nicht auf das
spätere Gutachten hätte gestützt werden dürfen. Hinzukomme, dass der unfallbedingte Erstschaden in Form einer Fensterruptur
im Vollbeweis hätte bewiesen werden müssen. Hierzu reichten die Feststellungen nicht aus.
Am 11.02.2009 beantragte die Antragstellerin, die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts München vom 14.10.2008 durch
einstweilige Anordnung auszusetzen. Ihre Berufung habe hinreichende Aussicht auf Erfolg, wie sich aus ihrer Berufungsbegründung
ergebe. Zudem sei nicht sicher, dass vor Beendigung des Berufungsverfahrens geleistete Zahlungen vom Antragsgegner zurückgezahlt
würden bzw. wieder beigetrieben werden könnten. Es bestehe ein berechtigtes Interesse, mit der Ausführung des Urteils bis
zur Entscheidung über die Berufung zuzuwarten.
Der Antragsgegner erwiderte, ein besonderer Grund, die Vollstreckung auszusetzen, sei nicht zu erkennen. Die Behauptung, es
sei nicht sicher, dass er die an ihn geleisteten Zahlungen wieder zurückzahlen werde, sei völlig unsubstantiiert. Es handle
sich um eine bloße Verdachtsäußerung. Er beantragt, den Antrag kostenpflichtig zurückzuweisen.
II. Nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens sind die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung aus dem Urteil
des Sozialgerichts vom 14.10.2008 nicht erfüllt. Der statthafte und zulässige Antrag ist nicht begründet.
Der Antrag scheitert daran, dass bei pflichtgemäßer Abwägung der Interessen beider Beteiligter ein nicht zu ersetzender Nachteil
der Antragstellerin infolge der Fortzahlung der Urteilsrente nicht zu begründen ist.
Gem. §
154 Abs.
2 SGG hat die Berufung eines Versicherungsträgers nur insoweit aufschiebende Wirkung, als Zahlungen vor Erlass des angefochtenen
Urteils zu leisten sind. Für die Zeit nach Erlass des Urteils hat ein hierzu verurteilter Versicherungsträger Rente, sogenannte
Urteilsrente, zu zahlen. Wird das Ersturteil auf Berufung oder Revision aufgehoben, so hat der Kläger diese vorläufigen Zahlungen
wieder zurück zu erstatten. Nach §
199 Abs.
2 SGG kann der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats die Vollstreckung aus dem Urteil durch einstweilige Anordnung
aussetzen, soweit die Berufung gem. §
154 Abs.
2 SGG keine aufschiebende Wirkung hat.
Es kann dahinstehen, ob die Vorschrift ein sogenanntes Kompetenz-Kann oder ein Ermessens-Kann beinhaltet (BSG Beschluss vom
06.08.1999 - B 4 RA 25/98 B). Gegebenenfalls sind über §
198 Abs.
1 SGG die Vorschriften der
Zivilprozessordnung (
ZPO) über die Vollstreckung heranzuziehen, insbesondere §
719 Abs.
1 i. V. m. §
707 ZPO. Danach ordnet das Gericht die Einstellung der Zwangsvollstreckung an, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu
ersetzenden Nachteil bringen würde und zwar gegebenenfalls auch dann, wenn ein überwiegendes Interesse des Gläubigers dem
entgegensteht. Dieser Rechtsgedanke ist im sozialgerichtlichen Verfahren heranzuziehen, weil §
199 Abs.
2 SGG keine weiteren Voraussetzungen nennt und keine widersprechenden Grundsätze enthält. Demnach muss der Vollstreckungsschuldner,
hier die Antragstellerin, darlegen und glaubhaft machen, dass ihr durch die Vollstreckung ein nicht zu ersetzender Nachteil
entstehen würde, obwohl ein überwiegendes Interesse des Gläubigers (hier des Antragsgegners) der Aussetzung entgegensteht.
Ein nicht zu ersetzender Nachteil liegt nur vor, wenn der durch die Vollstreckung eintretende Schaden nachträglich nicht mehr
rückgängig gemacht und nicht ausgeglichen werden kann (BSG aaO.).
Solche Gründe wurden von der Antragstellerin nicht vorgetragen und noch weniger glaubhaft gemacht. Allein die Begründung,
es sei ungewiss, ob der Antragsgegner nach rechtskräftigem - nicht obsiegendem - Abschluss des Verfahrens die Urteilsrente
und die Zinsen zurückzahlen könne, reicht nicht aus. Welche Gründe für die von ihr angestellten Mutmaßung erkennbar seien,
führt sie nicht weiter aus. Der Antragsgegner bestreitet, dass seine Rückzahlungsunfähigkeit zu vermuten sei. Damit lassen
sich keine Umstände feststellen, die zum Schluss zwingen würden, die vor Abschluss des Berufungsverfahrens gezahlten Rentenleistungen
würden gegebenenfalls vom Antragsgegner nicht an die Antragstellerin zurückgezahlt werden.
Es mag durchaus der Erfahrung der Antragstellerin entsprechen, dass das Beitreiben einer zu Unrecht gezahlten Urteilsrente
in vielen Fällen auf Schwierigkeiten stößt. Jedoch ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber diese Schwierigkeit bekannt
war. Ansonsten hätte er von dem Grundsatz abgesehen, dass die Berufung eines Versicherungsträgers gem. §
154 Abs.
2 SGG nur insoweit aufschiebende Wirkung hat, als es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils
nachgezahlten werden müssen und ansonsten kein Aufschub eintritt. Würde man bei bloßer Vermutung, die Rückforderung der Urteilsrente
könne auf Schwierigkeiten stoßen, einem Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung aus einem erstinstanzlichen Urteil stattgeben,
so würde dies zu einer Umkehr der vom Gesetzgeber eindeutig gewollten Rechtsfolge führen. Der Senat hält demnach daran fest,
dass konkrete Gründe vorliegen und glaubhaft gemacht werden müssen, die einen nachträglich nicht wiedergutzumachenden Schaden
vermuten lassen. Allein die bloße Möglichkeit und die unsubstantiierte Behauptung, bei einer eventuellen Rückforderung könne
man auf Schwierigkeiten stoßen, reicht jedenfalls nicht aus.
Bei der gegenwärtigen Beweislage war der Antrag daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung des §
193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar; sie kann aber jederzeit aufgehoben werden (§
199 Abs.
2 Satz 3
SGG).