Kein Anspruch auf höhere Altersrente unter Gewährung eines höheren Freibetrages "West" bei der Anrechnung einer Rente aus
der Unfallversicherung; Wohnsitz im Ostteil von Berlin und Arbeitsunfall im Westteil; Verfassungsmäßigkeit des Angleichungskonzeptes
West-Ost
Tatbestand:
Der Kläger begehrt (noch) für den Zeitraum vom 1. Februar 2005 bis 30. Juni 2011 die Gewährung einer höheren Altersrente unter
Gewährung eines höheren Freibetrages (Freibetrag "West") bei der Anrechnung seiner Rente aus der Unfallversicherung auf die
Altersrente.
Der 1935 geborene Kläger war bis zum 31. August 1998 bei der M GmbH & Co KG (B) als Ausgangs-Kontrolleur beschäftigt. Am 18.
Mai 1990 und noch heute hat er seinen Wohnsitz im Beitrittsgebiet (B). Wegen eines am 23. August 1993 erlittenen Arbeitsunfalles
gewährte ihm die G Berufsgenossenschaft (G BG) mit Bescheid vom 13. Dezember 1995 eine Dauerrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung
nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H.
Auf seinen im Februar 1998 gestellten Antrag gewährte ihm die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 13. August 1998
in der Fassung des Bescheides vom 1. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 1999 Altersrente
für langjährig Versicherte mit Rentenbeginn am 1. September 1998.
Mit Bescheid vom 22. Februar 2006 setzte die GBG den Grad der MdE des Klägers mit Wirkung ab 1. Februar 2005 auf 30 v. H.
fest und gewährte ihm ab diesem Zeitpunkt eine Unfallrente in Höhe von monatlich 387,62 Euro.
Hierauf erließ die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid vom 14. März 2006, mit dem sie die Rente des Klägers für die
Zeit ab 1. Februar 2005 neu berechnete. Für die Zeit ab 1. Mai 2006 ergab sich ein monatlicher Zahlungsanspruch in Höhe von
976,48 Euro und für die Zeit vom 1. Februar 2005 bis 30. April 2006 eine Überzahlung in Höhe von 522,85 Euro. Insoweit machte
die Beklagte gegenüber dem Kläger einen Erstattungsanspruch in Höhe von 34,80 Euro geltend. Den Restbetrag in Höhe von 488,05
Euro erstattete die G BG. Hinsichtlich der Bruttorente legte die Beklagte folgende Daten und Berechnungen zu Grunde:
Monatlicher Rentenanspruch: 1.111,29 Euro
Rente aus der Unfallversicherung 387,62 Euro
abzüglich Freibetrag in Höhe der Grundrente gemäß §§ 31, 84a BVG 104,00 Euro
Summe der Rentenbeträge: 1.394,91 Euro
Ermittlung des Grenzbetrages nach §
93 Abs.
3 SGB VI Jahresarbeitsverdienst 23.257,15 Euro 70 % von einem Zwölftel dieses Betrages 1.356,67 Euro Vervielfältigt mit dem Faktor
1,0000
Ergibt den Grenzbetrag von 1.356,67 Euro
Differenz zur Summe der Rentenbeträge (s. o.) 38,24 Euro
Ergebnis: Minderung der Rente aus der Rentenversicherung um 38,24 Euro auf 1.073,05 Euro.
Gegen den Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 5. April 2006 Widerspruch ein und machte geltend, dass der Freibetrag
"Ost" nicht zur Anwendung kommen dürfe, weil er zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls bereits Bundesbürger gewesen und zudem in
West-Berlin beschäftigt gewesen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2006 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte zur Begründung
aus, dass die Anrechnung der Unfallrente der gültigen Sach- und Rechtslage entspreche. Nach der rückwirkend zum 1. Januar
1992 in Kraft getretenen gesetzlichen Klarstellung gelte bei der Anrechnung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung
auf die Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in den neuen Bundesländern weiterhin ein niedrigerer Freibetrag.
Hiergegen hat der Kläger am 16. November 2006 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt
hat.
Mit Gerichtsbescheid vom 3. Dezember 2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
ausgeführt: Nach der rückwirkend zum 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Gesetzeslage sei bei der Anrechnung einer Rente aus
Unfallversicherung ein Freibetrag in Höhe der Grundrente "Ost" vorgesehen, wenn der Betreffende, wie der Kläger, am 18. Mai
1991 (richtig: 1990) seinen Wohnsitz im Beitrittsgebiet hatte. Darauf, dass sich der Arbeitsunfall im Rahmen einer Beschäftigung
in den alten Bundesländern nach dem 18. Mai 1990 ereignet habe, käme es nicht an. Maßgeblich sei allein der Wohn- bzw. gewöhnliche
Aufenthaltsort zum Zeitpunkt des Stichtags.
Gegen den dem Kläger am 9. Dezember 2010 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich seine am 4. Januar 2011 eingelegte Berufung,
mit der er eine höhere Regelaltersrente nur noch für den Zeitraum vom 1. Februar 2005 bis 30. Juni 2011 begehrt und zur Begründung
ergänzend vorträgt: Die Vorschrift des § 84a BVG beträfe nur Personen, die am 18. Mai 1990 im Beitrittsgebiet gewohnt und bereits zu diesem Zeitpunkt eine Unfallrente bezogen
hätten. Dies treffe in seinem Fall nicht zu. Im Zeitpunkt der gesundheitlichen Beschädigung aufgrund des Arbeitsunfalls vom
23. August 1993 sei er bereits Bürger der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Er hätte zu diesem Zeitpunkt bereits Entgeltpunkte
"West" erarbeitet. Demzufolge setze sich seine Rente ausweislich des Rentenbescheids vom 13. August 1998 aus einem Monatsteilbetrag
in Höhe von 262,65 DM errechnet aus den persönlichen Entgeltpunkten (West) sowie einem Monatsteilbetrag von 1.640,09 DM errechnet
aus den persönlichen Entgeltpunkten (Ost) zusammen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 3. Dezember 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides
vom 14. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2006 zu verpflichten, die Regelaltersrente für
den Zeitraum vom 1. Februar 2005 bis 30. Juni 2011 unter Berücksichtigung eines nicht für das Beitrittsgebiet abgesenkten
Freibetrages neu zu berechnen, sowie zu verurteilen, für den genannten Zeitraum entsprechend höhere monatliche Rentenbeträge
zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung
war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom
14. März 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht
in seinen Rechten. Er hat für den Zeitraum vom 1. Februar 2005 bis 30. Juni 2011 keinen Anspruch auf eine höhere Altersrente.
Gemäß §
93 Abs.
1 Nr.
1 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB VI) wird die Rente dann, wenn für denselben Zeitraum Anspruch auf eine Rente aus eigener Versicherung und auf eine Verletztenrente
aus der Unfallversicherung besteht, insoweit nicht geleistet, als die Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge vor Einkommensanrechnung
den jeweiligen Grenzbetrag übersteigt.
Gemäß §
93 Abs.
2 Nr.
2a SGB VI in der Fassung des (rückwirkend) zum 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Artikels 1 Nr. 19 des Gesetzes zur Sicherung der
nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RVNG) vom 21. Juli 2007 (BGBl. I, 1791) bleibt bei
der Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge bei der Verletztenrente aus der Unfallversicherung u.a. der
Betrag unberücksichtigt, der bei gleichem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente nach § 31 in Verbindung mit § 84a Satz 1 und 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) geleistet würde.
Nach § 31 BVG besteht ein Anspruch auf eine Grundrente ab einem Grad der Schädigungsfolgen (MdE) von 30 v. H.
Der durch den Einigungsvertrag (Anlage I, Kapitel VIII, Sachgebiet K, Abschnitt II) eingefügte § 84a BVG in der maßgeblichen und rückwirkend ab dem 1. Januar 1991 bis zum 30. Juni 2011 geltenden Fassung des Artikel 01 des Gesetzes
zur Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes vom 19. Juni 2006 über einen Ausgleich für
Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet (BGBl. I, 1305) bestimmte insoweit Folgendes:
1Berechtigte, die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet hatten, erhalten vom 1. Januar 1991 an Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz mit den für dieses Gebiet nach dem Einigungsvertrag geltenden Maßgaben; dies gilt auch vom Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts, frühestens vom
1. Januar 1991 an, wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in das Gebiet verlegen, in dem dieses Gesetz schon
vor dem Beitritt gegolten hat. 2Satz 1 gilt entsprechend für Deutsche und deutsche Volkszugehörige aus den in § 1 der Auslandsversorgungsverordnung
genannten Staaten, die nach dem 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet begründet haben.
Nach dem Einigungsvertrag sind insoweit folgende Maßgaben zu beachten (Anlage I, Kapitel VIII, Sachgebiet K, Abschnitt III Nr. 1):
a) Die in den §§ 14, 15, 26 c Abs. 6, § 31 Abs. 1 und 5, § 32 Abs. 2, § 33 a Abs. 1, § 35 Abs. 1, § 36 Abs. 1 und 3, §§ 40,
40 b Abs. 3, § 41 Abs. 2, §§ 46, 47 Abs. 1, § 51 Abs. 1 bis 3 und § 53 in der jeweils geltenden Fassung genannten Deutsche
Mark-Beträge sind mit dem Vomhundertsatz zu multiplizieren, der sich aus dem jeweiligen Verhältnis der verfügbaren Standardrente
(§
68 Abs.
3 des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet zur verfügbaren Standardrente in dem Gebiet, in dem das Bundesversorgungsgesetz schon vor dem Beitritt gegolten hat, ergibt ... Der in § 15 Satz 2 genannte Multiplikator ist ebenfalls mit dem in Satz 1 genannten Vomhundertsatz zu multiplizieren ... Die sich ergebenden
Beträge sind auf volle Deutsche Mark abzurunden, und zwar bis 0,49 Deutsche Mark nach unten und von 0,50 Deutsche Mark an
nach oben ... l) Die in den Buchstaben a bis k genannten Maßgaben gelten für Berechtigte, die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz
oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet hatten. Satz 1 gilt entsprechend für Deutsche
und deutsche Volkszugehörige aus den in § 1 der Auslandsversorgungsverordnung genannten Staaten, die nach dem 18. Mai 1990
ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet begründet haben. m) Das Bundesversorgungsgesetz findet in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet mit den vorgenannten Maßgaben vom 1. Januar 1991 an Anwendung.
Vorstehende Vorschriften sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom
14. März 2000 - 1 BvR 284/96 u. a. - (BVerfGE 102, 41) § 84a BVG i. V. m. Anlage I, Kapitel VIII, Sachgebiet K, Abschnitt III Nr. 1 a) des Einigungsvertrages mit Artikel
3 Absatz
1 des
Grundgesetzes (
GG) unvereinbar und nichtig erklärt hat, soweit die Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BVG auch nach dem 31. Dezember 1998 im Beitrittsgebiet anders berechnet wird als im übrigen Bundesgebiet, erfasst die Nichtigerklärung
die genannten Vorschriften nur insoweit, als diese die Gewährung einer abgesenkten Beschädigtengrundrente für Kriegsopfer
vorsehen. Dies ergibt sich maßgeblich aus den Entscheidungsgründen, die zur Auslegung des Tenors herangezogen werden dürfen.
Danach hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der genannten Vorschriften nur im Hinblick auf die Schlechterstellung
der Kriegsopfer in den neuen Bundesländern gegenüber den Kriegsopfern in den alten Bundesländern geprüft (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 13. November 2008 - B 13 R 129/08 R -, Urteil vom 23. Oktober 2013 - B 5 RS 6/12 - juris). Die Verletzung des Artikels 3 Abs. 1
GG für die Zeit ab 1. Januar 1999 hat es maßgeblich damit begründet, dass bei den "Kriegsopfern Ost" eine Anpassung der Renten
auf Westniveau aufgrund ihres Lebensalters und der stagnierenden wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Ländern nicht mehr
zu erreichen sei, womit die durch § 84a BVG angestrebte Ungleichbehandlung auf Zeit zu einer Ungleichbehandlung auf Dauer werde. Die genannten Gründe können aber für
andere Versorgungsleistungen, insbesondere für die hier in Streit stehende Anrechnung der Rente aus der Unfallversicherung
auf die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, keine Gültigkeit beanspruchen, da diese nicht typischerweise davon
geprägt sind, dass die Berechtigten bereits ein fortgeschrittenes Lebensalter erreicht haben. Ein Verstoß gegen Artikel
3 Abs.
1 GG aus sonstigen Gründen ist ebenfalls zu verneinen. Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 14. März 2000 (aaO.) grundsätzlich
festgestellt, dass das vom Gesetzgeber gewählte Angleichungskonzept West-Ost unter Berücksichtigung der unterschiedlichen
wirtschaftlichen Verhältnisse in den alten und neuen Bundesländern verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist und hat insoweit
u. a. ausgeführt: "Im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesversorgungsgesetzes in den neuen Ländern und in den folgenden Jahren lagen hinreichend gewichtige Gründe für die durch § 84 a BVG bewirkte Ungleichbehandlung vor. Dies gilt auch für die vom Gedanken eines immateriellen Opferausgleichs mitgeprägte Beschädigtengrundrente
nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BVG ... a) Der Gesetzgeber hat die Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz zum 1. Januar 1991 auf das Beitrittsgebiet erstreckt, bestimmte Geldleistungen aber nach Maßgabe des § 84 a BVG den Berechtigten in den neuen Ländern nicht sofort auf dem gleichen Niveau wie in den alten Ländern gewährt. Dazu ist er
nicht durch Art.
3 Abs.
1 GG verpflichtet gewesen. Er hatte bei der Bemessung der Geldleistungen einen weiten Spielraum, weil im Zuge der Wiedervereinigung
große finanzielle Lasten auf die öffentlichen Haushalte zukamen. Es genügte den verfassungsrechtlichen Anforderungen, wenn
er durch geeignete Regelungen sicherstellte, dass die durch § 84 a BVG bewirkte Ungleichbehandlung der Kriegsopfer Ost und West nicht auf Dauer angelegt war und angesichts der damaligen Unterschiede
in den Lebensverhältnissen noch mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtung vereinbar blieb. Das ist zunächst
geschehen. Bei den laufenden Versorgungsleistungen sollte die in dieser Vorschrift vorgenommene Verknüpfung der Höhe von Grundrente
und Kleiderverschleißpauschale mit der Entwicklung der Standardrenten Ost und West für eine zügige Anpassung sorgen (vgl.
BTDrucks 11/7817, S. 154). Der gewählte Weg war nicht von vornherein ungeeignet, gleiche Leistungsverhältnisse schrittweise
und in einem überschaubaren Zeitraum herbeizuführen. b) Auch das Anpassungskonzept selbst ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts zu entscheiden, ob der Gesetzgeber dabei das zweckmäßigste
oder sachnächste Kriterium für die Anpassung gewählt hat. Die Maßstäbe dafür zu bestimmen, ist zunächst Sache des Gesetzgebers
(vgl. BVerfGE 89, 132 (141 f.); 81, 156 (206)). Es war jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Art.
3 Abs.
1 GG nicht sachwidrig, die Höhe der Geldleistungen an Kriegsbeschädigte nach dem Bundesversorgungsgesetz an die Entwicklung der Standardrenten und damit - über die Anpassung der Altersrenten in der gesetzlichen Rentenversicherung
- an die Entwicklung der Arbeitsentgelte zu knüpfen. Damit wurde auch eine gewisse soziale Symmetrie von Arbeitseinkommen,
Versichertenrenten und steuerfinanzierten staatlichen Versorgungsleistungen sichergestellt. aa) Der Gesetzgeber hat im Zuge
der Wiedervereinigung bei sozialrechtlichen Regelungen, die direkt oder indirekt auf das Einkommen (Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen)
und die Lebenshaltungskosten der Leistungsberechtigten bezogen sind, wegen der wirtschaftlichen Unterschiede in West und Ost
allgemein niedrigere Werte für das Beitrittsgebiet festgelegt. Dies gilt für die Pflichtversicherungs- und Beitragsbemessungsgrenzen,
den aktuellen Rentenwert in der Rentenversicherung, die Jahresarbeitsverdienstgrenze in der Unfallversicherung, die Bezugsgrößen
für die Lohnersatzleistungen nach dem Arbeitsförderungsrecht, die Bedarfsbemessungsgrenzen und Einkommensanrechnungen beim
Kindergeld, Wohngeld und bei der staatlichen Ausbildungsförderung, die besonderen Regelungen für Zuzahlungen in der Krankenversicherung,
den Einsatz eigenen Einkommens bei der Sozialhilfe und bei der Hinterbliebenenrente, die Zuverdienstgrenzen in der Rentenversicherung
sowie die Bezugsgrößen für die Globalsteuerung im Gesundheitsreformgesetz und im Gesundheitsstrukturgesetz (vgl. Bieback, Das Sozialrecht im vereinigten Deutschland - Strukturprobleme, verfassungsrechtliche Fragen und Perspektiven,
NZS 1994, S. 193 (194)). Es ist nicht von vornherein sachwidrig, sich daran auch bei Leistungen der Kriegsopferversorgung zu orientieren "
Vorstehende Erwägungen gelten erst recht für die Rente aus der Unfallversicherung, der überwiegend Lohnersatzfunktion zukommt.
Da der Grund der Ungleichbehandlung von Versorgungsempfängern, die am Stichtag 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz in den neuen Bundesländern
hatten, die wirtschaftlichen Unterschiede in West und Ost sind, ist die Ungleichbehandlung grundsätzlich so lange gerechtfertigt,
wie diese Unterschiede bestehen. Im hier maßgeblichen Zeitraum Februar 2005 bis Juni 2011 waren die wirtschaftlichen Verhältnisse
in den alten und neuen Bundesländern noch unterschiedlich. Nach der Veröffentlichung des Statistischen Bundesamts aus dem
Jahr 2010 "20 Jahre Deutsche Einheit - Wunsch oder Wirklichkeit" haben sich die wirtschaftsstrukturellen Unterschiede zwischen
Ost und West zwar mehr und mehr angeglichen. Ausweislich der veröffentlichten Einzelaufstellungen kann jedoch im hier streitigen
Zeitraum nicht von einheitlichen wirtschaftlichen Verhältnissen ausgegangen werden. So hat etwa das Verdienstniveau in den
neuen Ländern im Vergleich zum früheren Bundesgebiet noch im Jahr 2009 bei lediglich 75,5 % des Westniveaus gelegen und das
verfügbare Einkommen der privaten Haushalte noch im Jahr 2008 im früheren Bundesgebiet 19 838 Euro betragen, während es sich
in den neuen Ländern einschließlich Berlin lediglich auf 15 536 Euro belaufen hat (BSG, Urteil vom 23. Oktober 2013 - B 5 RS 6/12 - aaO. m. w. N.).
Dies spiegelt sich auch in dem unterschiedlichen Rentenniveau wider. So entwickelte sich die für den Zeitraum ab 1. Januar
2005 maßgebliche Standardbruttorente im Sinne des §
154 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 SGB VI in der ab diesem Zeitpunkt geltenden Fassung in dem Zeitraum Februar 2005 bis Juni 2011 wie folgt (vgl. Rentenversicherungsbericht
2008, BT-Drucksache 16/11060, S. 40, Rentenversicherungsbericht 2010, BT-Drucksache17/3900, S. 39, den Bekanntmachungen im
Bundesanzeiger kommt insoweit als Wissenserklärungen keine Rechtsverbindlichkeit zu, vgl. BSG, Vorlagebeschluss vom 7. September 2010 - B 5 RS 12/09 - juris Rn. 96):
Stichtag
|
Alte Bundesländer
|
Neue Bundesländer
|
Verhältnis
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1. Juli 2005
|
1.176 Euro
|
1.034 Euro
|
87,9 %
|
1. Juli 2006
|
1.176 Euro
|
1.034 Euro
|
87,9 %
|
1. Juli 2007
|
1.182 Euro
|
1.039 Euro
|
87,9 %
|
1. Juli 2008
|
1.195 Euro
|
1.050 Euro
|
87,9 %
|
1. Juli 2009
|
1.224 Euro
|
1.086 Euro
|
88,7 %
|
1. Juli 2010
|
1.224 Euro
|
1.034 Euro
|
88,7 %.
|
Entgegen der Auffassung des Klägers führt bei ihm die Anwendung des §
93 Abs.
2 Nr.
2a SGB VI auch zu der Rechtsfolge der Berücksichtigung des abgesenkten "Freibetrag Ost" nach § 84a BVG i. V. m. Anlage I, Kapitel VIII, Sachgebiet K, Abschnitt III Nr. 1 a) des Einigungsvertrages bei der Anrechnung seiner Unfallrente auf die Rente aus der Rentenversicherung. Er ist Berechtigter im Sinne des § 84a Satz 1 1. Halbsatz BVG, weil er am 18. Mai 1990 seinen Wohnsitz in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet hatte. Allein hierauf kommt es maßgeblich an.
Berechtigter im Sinne des § 84a BVG ist demnach nicht nur derjenige mit Wohnsitz im Beitrittsgebiet, der im Beitrittsgebiet bereits am 18. Mai 1990 eine Schädigung
erlitten oder einen Versorgungsanspruch erworben hatte. Vielmehr erfasst die Vorschrift auch ehemalige DDR-Bürger, die erst
nach dem 18. Mai 1990 eine Schädigung erlitten oder einen Versorgungsanspruch erwarben. Als Berechtigte im Sinne des § 84a BVG gelten also alle Antragsteller, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt am 18. Mai 1990 im Beitrittsgebiet hatten
(vgl. Sailer in Wilke/Fehl/Förster/Leisner/Sailer, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Auflage, 1992). Dieses Verständnis liegt
insbesondere auch den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) zum sozialen Entschädigungsrecht zu Grunde (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2004 - B 9 VG 1/03 R -, Beschluss vom 28. April 2005 - B 9a/9 VG 15/04 B - jeweils juris).
Für diese Auslegung spricht, dass es sich bei der Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem BVG und anderer Gesetze wie z. B. dem
Opferentschädigungsgesetz oder dem Bundesseuchengesetz bzw. nunmehr Infektionsschutzgesetz (anders aber beim Dienstbeschädigtenausgleich, der an die Stelle der Dienstbeschädigtenteilrente für Anspruchsberechtigte
aus einem Sonderversorgungssystem nach Anlage 2 des AAÜG getreten ist, siehe dazu BSG, Urteil vom 31. Juli 2013 - B 5 RS 7/12 R - juris) nicht um die Überleitung von bereits in der ehemaligen DDR erworbenen Ansprüche handelt. Vielmehr handelt es sich
um Ansprüche, die frühestens am 1. Januar 1991 erstmals entstehen konnten (vgl. BSG, Urteil vom 10. August 1993 - 9 RV 4/93 -, Urteil vom 16. Dezember 2004 - B 9 VG 1/03 - juris).
Darüber hinaus ist der Zusammenhang der Stichtagsregelung des § 84a BVG mit dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, und Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (WWSUG) und dem dazu erlassenen Gesetz vom 25. Juni 1990 zu berücksichtigen.
Dazu hat das BSG Folgendes ausgeführt (Urteil vom 9. April 2007 - B RV 13/96 - juris):
"Art
3 Abs.
1 GG ist ferner nicht deshalb verletzt, weil mit dem Stichtag 18. Mai 1990 Übersiedler aus der DDR in das alte Bundesgebiet versorgungsrechtlich
schlechter gestellt worden sind als Berechtigte, die vor dem Stichtag umgezogen waren. Letztere hatten mit dem Umzug die -
bis dahin fehlenden - persönlichen Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 BVG (Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes) für einen vollen Versorgungsanspruch erfüllt. § 84a BVG ist Ausdruck des allgemein geltenden Grundsatzes, dass mit dem Datum des Vertragsschlusses über die Schaffung einer Währungs-,
Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR die bis dahin für Übersiedler aus der DDR
geltenden Eingliederungsvorschriften nicht länger anzuwenden sind. § 84a BVG fügt sich damit in die bereits im Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der DDR (WWSUVtr) auf den Gebieten des Renten- und des Unfallversicherungsrechts getroffenen Regelungen ein
(Art 23 § 1 Abs 2, Art 24 § 1 Abs. 2 WWSUVtr), wonach für Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Beitrittsgebiet
am Stichtag 18. Mai 1990 auch bei späterem Umzug in die alten Bundesländer nicht länger das Fremdrentenrecht gilt. Die individuelle
Eingliederung von Übersiedlern aus der DDR nach Fremdrentenrecht wurde damit per Stichtag 18. Mai 1990 abgelöst durch eine
- finanziell ungünstigere - allgemeine Überleitung ihrer Ansprüche nach Vereinigungsrecht (vgl BSG SozR 3-5050 § 5 Nr 2)."
Auch die Erläuterungen zu den Anlagen zum Einigungsvertrag (BT-Drucksache 11/7817 S. 154) sprechen dafür, dass § 84a BVG nicht nur diejenigen erfasst, die bereits am 18. Mai 1990 laufende Versorgungsleistungen nach den Vorschriften der ehemaligen
DDR erhielten. Dazu wird ausgeführt:
"Das Bundesversorgungsgesetz sowie die zu seiner Durchführung erforderlichen Rechtsvorschriften werden mit dem gesamten Leistungsspektrum zum 1. Januar
1991 auf das in Artikel 3 des Vertrages genannte Gebiet übertragen, wobei sich die Leistungshöhe für diejenigen Berechtigten,
die am 18. Mai 1990 in diesem Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatten, an den jeweiligen dortigen wirtschaftlichen
Verhältnissen orientiert. Das wird bei laufenden Versorgungsleistungen dadurch erreicht, dass sich das Leistungsniveau nach
dem jeweiligen Verhältnis der verfügbaren Standardrente in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet zur verfügbaren Standardrente in dem Gebiet, in dem das Bundesversorgungsgesetz bereits vor dem Beitritt gegolten hat, richtet. Damit wird auch für das beigetretene Gebiet der bewährte Anpassungsverbund
zwischen Sozialrentnern und Versorgungsberechtigten hergestellt.
Bei der Überleitung des
Opferentschädigungsgesetzes ebenfalls zum 1. Januar 1991 wird auch für die Opfer von Gewalttaten nach den gleichen Gesichtspunkten verfahren."
Aus dem ersten Satz der vorstehend wiedergegebenen Erläuterungen ist der Wille des Gesetzgebers zu entnehmen, dass die sich
die Leistungshöhe der ab 1. Januar 1991 zu gewährenden Leistungen nach dem BVG für diejenigen Berechtigten, die am 18. Mai 1990 im Beitrittsgebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatten, generell
- also unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalles - an den jeweiligen dortigen wirtschaftlichen Verhältnissen
zu orientieren hat. Der zweite Satz enthält insoweit lediglich eine Konkretisierung, in welcher Weise bei der Bestimmung der
Leistungshöhe den wirtschaftlichen Verhältnissen im Beitrittsgebiet Rechnung zu tragen ist.
Schließlich besteht kein sachlicher Grund, den Kläger im Vergleich zu dem Personenkreis der "Umzügler" von Ost nach West (§
84a Satz 1 2. Halbsatz BVG) besser zu stellen, die ebenfalls wie der Kläger Entgeltpunkte West erwirtschaftet haben. Weder §
93 Abs.
2 Nr.
2a SGB VI noch § 84a BVG gebieten eine Differenzierung danach, ob der Arbeitsunfall in den alten oder neuen Bundesländern stattgefunden hat. Eine
solche Differenzierung ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten. Maßgeblich ist allein, wo der Berechtigte am 18. Mai 1990
seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Soweit die Beklagte in ständiger Verwaltungspraxis den höheren Betrag der "BVG-Grundrente (West)" als Absetzungsbetrag berücksichtigt, wenn der Arbeitsunfall nach einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthaltes
in das alte Bundesgebiet eingetreten ist (Gemeinschaftskommentar zum Recht der Gesetzlichen Rentenversicherung - KomGRV -
SGB VI §
93 Rn. 15), mag dies darin seine Berechtigung finden, dass dadurch der Schutzzweck des § 84a Satz 1 2. Halbsatz BVG, Wanderungsbewegungen von Ost nach West zu provozieren, nicht beeinträchtigt wird. Unabhängig von der Frage, ob diese Verwaltungspraxis
rechtmäßig ist, kommt jedenfalls eine solche Ausnahmeregelung für den Kläger nicht in Betracht, da er seinen Wohnsitz auch
zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls im Jahr 1993 im Beitrittsgebiet hatte. Der Umstand, dass sich sein Arbeitsplatz im alten
Bundesgebiet befand, kann insoweit nach den genannten einschlägigen gesetzlichen Vorschriften keine Berücksichtigung finden.
Einwendungen gegen die Rentenberechnung im Einzelnen hat der Kläger nicht erhoben; Rechtsfehler sind insoweit auch nicht zu
erkennen. Insbesondere ist der abgesenkte Freibetrag Ost und der Grenzbetrag nach §
93 Abs.
3 SGB VI zutreffend ermittelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere kommt dem Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu, da er mittlerweile ausgelaufenes
Recht betrifft. Denn § 84a BVG in der ab 1. Juli 2011 geltenden Fassung des Gesetzes vom 20. Juni 2011 (BGBl. I S. 1114) bestimmt nunmehr, dass Anlage I, Kapitel VIII, Sachgebiet K, Abschnitt III Nr. 1 a) in Verbindung mit Artikel 3 des Einigungsvertrages ab 1. Juli 2011 nicht mehr anzuwenden ist. Eine außer Kraft getretene Rechtsvorschrift kann aber nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (vgl. u. a. Beschluss vom 26. April 2007 - B 12 R 15/06 B -, Beschluss vom 17. Juni 2013 - B 10 EG 6/13 B -, jeweils mit weiteren Nachweisen, zitiert nach juris) in aller Regel keine grundsätzliche Rechtsfrage aufwerfen. Vorliegend
gilt nichts anderes. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass im Hinblick auf die vorliegend aufgeworfene Rechtsfrage
noch eine erhebliche Anzahl von Fällen zu entscheiden sind.