Bestimmung des Gegenstandswerts im sozialgerichtlichen Verfahren; Keine Berücksichtigung rechtlicher und wirtschaftlicher
Folgewirkungen bei Geldleistungen des SGB II
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 21. Dezember 2015 wird mit der Maßgabe
als unzulässig verworfen, dass der erstinstanzliche Tenor im Satz 1 lauten muss:
"Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 10. Dezember
2015 bis 31. Dezember 2015 212,80 € und für die Zeit vom 1. Januar 2016 bis 31. Januar 2016 319,20 € zu zahlen. ..."
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die ihm entstandenen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten; im Übrigen verbleibt
es beim erstinstanzlichen Kostenausspruch.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Gunsten des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragsgegners ist als unzulässig zu verwerfen, da sie zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits in der Vergangenheit
liegende Zeiträume betrifft (§
572 Abs.
2 der
Zivilprozessordnung [ZPO] i.V.m. §
202 des
Sozialgerichtsgesetzes [SGG]); insoweit fehlt ihr das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Darüber hinaus überschreitet der Beschwerdewert nicht
750 €.
Das Sozialgericht hat - wie sich aus den Gründen seiner Entscheidung hinreichend deutlich ergibt - den Antragsgegner im Wege
der einstweiligen Anordnung (vorläufig) verpflichtet, dem Antragsteller (!) für die Zeit vom 10. - 31. Dezember 2015 212,80
€ und für die Zeit vom 1. - 31. Januar 2016 319,20 € zu zahlen. Zwar hat das Sozialgericht tenoriert: "Der Antragsgegner ...
wird verpflichtet, dem Antragsgegner ... zu zahlen." Dass es sich hierbei um eine offensichtliche Unrichtigkeit handelt, folgt
aus den Gründen der Entscheidung, wonach eindeutig der Antragsteller begünstigt werden sollte. Insoweit ist nicht vom missverständlichen
Inhalt des Tenors auszugehen, sondern dieser mit Hilfe der Gründe der Entscheidung auszulegen. Vor diesem Hintergrund macht
der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, nach §
142 Abs.
1 i.V.m. §
138 Satz 1
SGG den Tenor im ersten Satz des angefochtenen Beschlusses selbst zu berichtigen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 11. Aufl., zu §
138 Rnrn. 3a, 4, 4a).
Die (einstweilige) Anordnung des Sozialgerichts hat sich erledigt. Der Antragsgegner hat kein rechtlich schützenswertes Interesse
an ihrer Aufhebung. Er war aufgrund dieser Anordnung verpflichtet, vorläufig Leistungen zu erbringen. Soweit es ihm darum
gehen sollte, dementsprechend ausgezahlte Beträge zurückzuerhalten und festgestellt zu wissen, dass er - endgültig - nicht
zur Gewährung dieser Leistung verpflichtet sei, steht das gerichtliche Eilverfahren dafür nicht zur Verfügung. Eine einstweilige
Anordnung ist stets nur ein Rechtsgrund für das vorläufige Behaltendürfen einer daraufhin erbrachten Leistung. Ob dem von
der einstweiligen Anordnung Begünstigten diese Leistung endgültig zusteht, ist gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren zu klären,
sofern die Entscheidung der Behörde nicht ohnehin bestandskräftig wird (so ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. bereits
Beschlüsse vom 4. November 2005 - L 14 B 1147/05 AS ER - und vom 2. Februar 2006 - L 14 B 1307/05 AS ER - im Anschluss an den Beschluss des Thüringischen OVG vom 17. Juli 1997 - 2 ZEO 356/97 -, FEVS 48 [1998], 129 [130];
ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - L 10 B 1144/05 AS ER -; vgl. auch OVG Berlin, Beschluss vom 15. September 1997 - 2 SN 11/97 -, NVwZ 1998, 85).
Die Beschwerde des Antragsgegners ist auch deswegen unzulässig, weil der Beschwerdewert von über 750 € nicht erreicht worden
ist (§ 172 Abs. 3 Nr.
1 i.V.m. §
144 Abs.
1 Satz 1,
2 SGG). Es wird "nur" um Leistungen für zwei Monate i.H.v. insgesamt 532 € gestritten, nicht - wie der Antragsgegner meint - auch
um die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, die dem benannten Betrag hinzuzurechnen seien, weil durch
die (vorläufig) begründete Leistung die Kranken- bzw. Pflegeversicherungspflicht erst begründet werde. Der Senat teilt nicht
die Auffassung des Antragsgegners, dass deswegen die Beschwerde statthaft sei.
Das BSG (Urteil vom 27. Juli 2004 - B 7 AL 104/03 R) hat zum Arbeitslosengeld entschieden, dass bei der Ermittlung des Berufungsstreitwerts die von der Bundesagentur für Arbeit
für den Arbeitslosengeld-Empfänger an andere Sozialversicherungsträger zu entrichtenden Beiträge grundsätzlich nicht zu berücksichtigen
sind (BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 - B 7 AL 104/03 R -). Der Senat mag keinen Unterschied daran zu erkennen, ob in Folge der Bewilligung einer beitragsfinanzierten Sozialleistung
anderweitiger gesetzlicher Versicherungsschutz eintritt oder durch eine rein steuerfinanzierte Leistung. Zum selben Ergebnis
ist schon das BSG beim Kindergeldrecht gekommen. Bei einer Klage auf Gewährung dieser Leistung (im Übrigen eine rein steuerfinanzierte Leistung)
ist der Wert des Beschwerdegegenstandes im Berufungsverfahren (§
144 Abs.
1 SGG) lediglich nach dem Geldbetrag zu berechnen, um den unmittelbar gestritten wird. Rechtliche oder wirtschaftliche Folgewirkungen
der Entscheidung über den eingeklagten Anspruch bleiben außer Ansatz (BSG, Beschluss vom 6. Februar 1997 - 14/10 BKg 14/96 -). Zur Begründung wird angeführt, dass der Festlegung einer festen Streitwertgrenze eine Vereinfachung des Verfahrens angestrebt
wird und es hiermit nicht zu vereinbaren wäre, allein wegen des Streitwerts nach allen Richtungen hin zu prüfen, welche Auswirkungen
das angestrebte Urteil für den Rechtsmittelkläger auch in anderen Bereichen haben könnte. Auch zum Recht der Grundsicherung
für Arbeitsuchende hat das BSG schon entschieden, dass bei der Berechnung des Beschwerdewertes nach §
144 Abs.
1 SGG bei Geldleistungen auf den unmittelbar strittigen Betrag abzustellen ist. Rechtliche oder wirtschaftliche Folgewirkungen
bleiben außer Ansatz (BSG, Beschluss vom 26. September 2013 - B 14 AS 148/13 B -, alle juris).
Prozesskostenhilfe ist dem Antragsteller für das Beschwerdeverfahren nicht zu bewilligen, da er aufgrund der (unanfechtbaren)
Entscheidung über die Erstattung von Kosten in diesem Beschluss in der Lage ist, die Kosten des Verfahrens aufzubringen.
Die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf entsprechender Anwendung des §
193 Abs.
1 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).