Leistungen der Grundsicherung
Anspruch auf Entfernung von Kontoauszügen aus Verwaltungsakten
Leistungserheblichkeit von Kontoauszügen
Kontoauszüge als wesentliche Entscheidungsgrundlage für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II
Gründe:
I.
Die 1968 geborene Klägerin steht im laufenden Leistungsbezug bei dem Beklagten. Unter dem 10. Oktober 2013 beantragte die
Klägerin die Entfernung sämtlicher Kontoauszüge aus den sie betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten. Hierauf teilte der
Beklagte mit Schreiben vom 11. Oktober 2013 mit, soweit Kontoauszüge eingereicht worden und Angaben enthalten seien, die die
Höhe des Leistungsbezuges beeinflussten, seien die Voraussetzungen des § 67c Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) erfüllt. Sollten sich in der Akte Kontoauszüge befinden, für die diese Voraussetzung nicht erfüllt sei, würden diese Kontoauszüge
aus der Akte entfernt. Unter dem 6. November 2013 legte die Klägerin gegen dieses Schreiben Widerspruch ein und begehrte weiterhin
die unverzügliche und vollständige Löschung der Daten. Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. Oktober
2013 mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2014 zurück und führte aus: Der zulässige Widerspruch sei in der Sache unbegründet.
Das Speichern, Verändern oder Nutzen von Sozialdaten durch die in §
35 Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (
SGB I) genannten Stellen sei zulässig, mindestens soweit es zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der verantwortlichen Stelle
liegenden gesetzlichen Aufgaben nach diesem Gesetzbuch erforderlich sei und es für Zwecke erfolge, für die die Daten erhoben
worden seien (§ 67c Abs. 1 Satz 1 SGB X). Das Aufbewahren von Kontoauszügen sei insbesondere dann zulässig, wenn sich aus deren Inhalt ein weiterer Ermittlungsbedarf
oder eine Änderung der Leistungshöhe ergebe. Kontoauszüge seien Beweismittel im Sinne des §
60 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 SGB I, welcher sich die Behörde gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 SGB X zur Ermittlung von Sachverhalten, insbesondere der Feststellung von Hilfebedürftigkeit gemäß den §§ 7 ff SGB II bediene. Als begründende Unterlagen für das rechtmäßige Handeln der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende sei die
Aufbewahrung solcher Unterlagen, welche für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben erforderlich sei, unverzichtbar. Andernfalls
bestünde die Gefahr, dass entscheidungserhebliche Informationen verloren gingen, welche Grundlage und Voraussetzung für den
Erlass rechtmäßiger Verwaltungsakte seien. Die Klägerin habe nicht substantiiert vorgetragen, auf welche Kontoauszüge sich
ihr Verlangen beziehe. Es seien keine Tatsachen vorgetragen worden, welche eine Verzichtbarkeit der Kontoauszüge begründen
könnten.
Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen: Das Speichern von Kontoauszügen in der Verwaltungsakte sei zur Aufgabenerfüllung
grundsätzlich nicht erforderlich. Der Beklagte möge darlegen, was er - wem gegenüber - mit den Kontoauszügen konkret beweisen
wolle. Die vorsorgliche Erhebung und Speicherung von Sozialdaten sei unzulässig.
Das Sozialgericht (SG) Cottbus hat die Klage mit Urteil vom 19. September 2017 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei
unbegründet. Der Bescheid vom 11. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2014 sei rechtmäßig und
verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Auch das Feststellungsbegehren sei unbegründet. Ein Anspruch der Klägerin auf
Löschung der von dem Beklagten gespeicherten Daten durch das Abheften der Kontoauszüge finde seine Stütze in § 84 Abs. 2 SGB X. Das Abheften der von der Klägerin zur Verwaltungsakte eingereichten Kontoauszüge sei ein Speichern von Sozialdaten im Sinne
des § 67c Abs. 1 SGB X. Die auf diese Weise nicht nur erhobenen, sondern damit auch gespeicherten Sozialdaten seien nicht iSd § 84 Abs. 2 SGB X unzulässig gespeichert worden. Auf den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 21. Mai 2014 (- L 7 AS 347/14 B ER - juris) werde verwiesen. Anhaltspunkte, wonach hier einzelne Kontoauszüge zu Unrecht zu den Verwaltungsakten genommen
worden seien, seien weder vorgetragen worden noch im Übrigen ersichtlich.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen weiter.
Sie beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Cottbus vom 19. September 2017 sowie des Bescheides vom 11. Oktober
2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2014 zu verurteilen, sämtliche sie betreffende Kontoauszüge
aus den Verwaltungsakten des Beklagten zu entfernen, festzustellen, dass der Beklagte durch die Speicherung der Kontoauszüge
in der Verwaltungsakte das geltende Recht verletzt hat.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten
nebst Anlagen verwiesen.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten des Beklagten (13 Bände) haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Der Senat hat gemäß §
153 Abs.
4 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) die zulässige Berufung der Klägerin durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet
und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl.
§
153 Abs.
4 Satz 2
SGG).
Die Berufung ist nicht begründet.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach §
54 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig (vgl Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 21. März 2006 - B 2 U 24/04 R = SozR 4-13000 § 84 Nr. 1), soweit die Klägerin die Entfernung der Kontoauszüge aus den Leistungsakten erstrebt. Soweit die
Klägerin die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Speicherung begehrt, ist für die hierfür in Betracht kommende, aber generell
subsidiäre (vgl Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. §
55 Rn 18 mwN) Feststellungsklage nach §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG ein Feststellungsinteresse erforderlich, welches über das mit der Verpflichtungsklage zu verfolgende Interesse an der Entfernung
der Kontoauszüge hinausgeht. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtwidrigkeit der Speicherung der Kontoauszugsdaten
ist hier im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr anzunehmen. Von einem Vorrang der Verpflichtungsklage ist
nicht auszugehen, weil der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Entfernen der Kontoauszüge nicht zwingend von der
ursprünglichen Rechtswidrigkeit der Speicherung abhängt (vgl § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Die hier angefochtenen Verwaltungsakte lassen sich indes durchaus dahingehend verstehen, dass der Beklagte auch die Feststellung
der ursprünglichen Rechtswidrigkeit der Speicherung abgelehnt hat. Daher ist auch die Feststellungsklage zulässig.
Ein Anspruch der Klägerin auf Löschung der Daten im Wege der Entfernung der Kontoauszüge aus den Leistungsakten des Beklagten
nach § 84 Abs. 2 SGB X besteht nicht. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind Sozialdaten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Unter Löschen
ist das Unkenntlichmachen gespeicherter Sozialdaten zu verstehen (§ 67 Abs. 6 Satz 2 Nr. 5 SGB X). Hierunter dürfte - neben der physischen Vernichtung - auch das Entfernen von Datenträgern und das Aushändigen an den Betroffenen
fallen. Die Voraussetzungen für eine Löschung nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB X liegen nicht vor, denn die Aufbewahrung der Kontoauszüge in den Verwaltungsakten ist eine rechtmäßige Speicherung von Daten
nach § 67c SGB X. Unter Speichern ist das Erfassen, Aufnehmen oder Aufbewahren von Sozialdaten auf einem Datenträger zum Zwecke ihrer weiteren
Verarbeitung oder Nutzung zu verstehen (vgl. § 67 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 SGB X. Das Bayerische Landessozialgericht (BayLSG) hat, wie schon vom SG wörtlich zitiert, zur Speicherung von Sozialdaten hinsichtlich der Aufbewahrung von Kontoauszügen im Beschluss vom 21. Mai
2014 - L 7 AS 347/14 B ER - Folgendes ausgeführt:
"Das Aufbewahren von schriftlichen Datenträgern in der Verwaltungsakte ist eine Form der Datenspeicherung nach § 67 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 SGB X (vgl. BayLSG, Urteil vom 31.03.2011, L 15 SB 80/06 und BayLSG, Beschluss vom 14.11.2013, L 7 AS 579/13 B ER).
Gemäß § 67c Abs. 1 Satz 1 SGB X ist das Speichern von Sozialdaten zulässig, wenn es zur Erfüllung der in der Zuständigkeit des Leistungsträgers liegenden
gesetzlichen Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch erforderlich ist und es für die Zwecke erfolgt, für die die Daten erhoben
worden sind. Diese Daten dürfen gemäß § 67c Abs. 2 Nr. 1 SGB X auch für andere Zwecke gespeichert werden, wenn sie für die Erfüllung von Aufgaben nach anderen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs
erforderlich sind.
Die Aufbewahrung der Kontoauszüge ist zunächst erforderlich, um die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers zu überprüfen. Die
Kontoauszüge sind sorgfältig auf Einkommen, Vermögen und Bedarf zu prüfen. Eine kurze Einsichtnahme genügt dafür nicht.
Für Kontoauszüge, die Einnahmen enthalten, liegt dies auf der Hand. Das anrechenbare Einkommen festzustellen erfordert komplexe
Berechnungen. Aber auch Kontoauszüge, die kein anrechenbares Einkommen ausweisen, sind leistungserheblich. Der Bedarf - insbesondere
Miethöhe und Betriebskosten der Unterkunft - lässt sich teilweise aus den Kontoauszügen ablesen. Länger dauernde Ausgaben
können zu anrechenbarem Vermögen führen. Die Kontoauszüge der letzten Monate können Anlass für eine Direktüberweisung der
Unterkunftskosten an den Vermieter nach § 22 Abs. 7 Satz 2 SGB II geben. Aus Kontoauszügen ablesbares unwirtschaftliches Verhalten kann zu einer Sanktion nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 SGB II führen. Kontoauszüge sind somit eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für die Gewährung von Leistungen nach SGB II und als solche zu der Verwaltungsakte zu nehmen.
Zu den Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch gehören neben der aktuellen Verbescheidung des nächsten Bewilligungsabschnitts auch
sich eventuell anschließende Widerspruchs- und Gerichtsverfahren. Hinzu kommt die Korrektur von Bescheiden gemäß §§ 44 ff SGB X; nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X kann dabei ein Zeitraum von zehn Jahren betroffen sein. Weitere mögliche Folgeverfahren sind die Geltendmachung von Ersatzansprüchen
nach § 34 und § 34a SGB II. Eine Erbenhaftung nach § 35 SGB II erstreckt sich ebenfalls auf zehn Jahre, wobei der Leistungsträger die Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung nachweisen muss
(Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 35 Rn. 20). Hinzu kommen mögliche Erstattungsverfahren gegenüber anderen Leistungsträgern nach §§ 102 ff SGB X.
Dies macht deutlich, dass sich die Erforderlichkeit der Datenspeicherung keineswegs in der aktuell anstehenden Verwaltungsentscheidung
erschöpft. Die Entscheidungsgrundlagen sind auch für mögliche Folgeverfahren aufzubewahren.
Weil nicht im Vorhinein festgelegt werden kann, welche Entscheidungsgrundlagen für wie viele Jahre benötigt werden, treffen
Aktenordnungen pauschalisierte Regelungen zur Aufbewahrungsfrist. Diese sind als verwaltungsinterne Richtlinien nicht geeignet,
gesetzliche Vorgaben wie die Grenzen des § 67c SGB X zu beseitigen. Der Aktenplan SGB II der Bundesagentur für Arbeit und der gemeinsamen Einrichtungen nach SGB II von 2012 sieht eine regelmäßige Aufbewahrungsdauer von 10 Jahren nach Schließung der Akte bzw. des Vorgangs vor. Vor dem
oben aufgezeigten Hintergrund ist das nicht zu beanstanden.
c) Es besteht auch die erforderliche Zweckidentität nach § 67c Abs. 1 Satz 1 SGB X, da die Daten für den Zweck, für den sie erhoben wurden, der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, gespeichert werden. Soweit es um Folgeentscheidungen geht, handelt es sich zumindest um die Erfüllung von Aufgaben nach
anderen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs nach § 67c Abs. 2 Nr. 1 SGB X."
Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung in vollem Umfang an. Entgegen der Auffassung der Klägerin
genügt zur Erfüllung der Aufgaben des Beklagten die Einsichtnahme in die Kontoauszüge und "ein entsprechender Vermerk" nicht,
da für die korrekte und zügige Erledigung der Aufgaben die vollständige, sichere und schnelle Verfügbarkeit der in den Kontoauszügen
enthaltenen Daten unerlässlich ist (vgl LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. März 2015 - L 31 AS 2974/14 -, juris, speziell auch zur Notwendigkeit, mit der "Schlagzahl" des seinerzeitigen Vertreters der Klägerin "Schritt zu halten").
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Entfernung der Kontoauszüge gemäß § 85 Abs. 2 Satz 2 SGB X. Danach sind Sozialdaten auch zu löschen, wenn ihre Kenntnis für die verantwortliche Stelle zur rechtmäßigen Erfüllung der
in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich sind und kein Grund zu der Annahme besteht, dass durch die
Löschung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, denn die
Kenntnis der in den Kontoauszügen enthaltenen Daten ist aus den oa Gründen auch noch nach Abschluss des jeweiligen Verwaltungsverfahrens,
in dem sie vorgelegt wurden, regelmäßig erforderlich. Selbst wenn ausnahmsweise ein Löschungsanspruch ggf hinsichtlich einzelner
Daten auf Kontoauszügen im Hinblick auf den eingetretenen Zeit - bzw Fristablauf bzw sonstige "erledigende" Umstände in Betracht
käme, so war der Beklagte im Hinblick darauf, dass die Klägerin ihr Begehren mit dem insoweit unbestimmten Löschungsantrag
nicht dahingehend in Bezug auf konkret bezeichnete Kontoauszüge konkretisiert hatte, nicht verpflichtet, von sich aus jeden
Kontoauszug auf den Antrag vom 10. Oktober 2013 entsprechend zu überprüfen. Solange - wie hier - der Umfang des Prüfauftrags
für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens nicht erkennbar ist, ist der Beklagte berechtigt, von einer
weiteren inhaltlichen Prüfung abzusehen. Insoweit kann nichts anderes als im Fall nicht konkretisierter Überprüfungsanträge
nach § 44 SGB X gelten (vgl nur BSG, Beschluss vom 4. Juni 2014 - B 14 AS 335/13 - juris mwN; vgl auch BSG, Beschluss vom 21. Februar 2017 - B 4 AS 379/16 B - zur hinreichenden Bestimmtheit eines Löschungsantrags).
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Speicherung der in den Kontoauszügen enthaltenen
Daten, denn die Speicherung war - wie oben ausgeführt - rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß§ 160 Abs. 2
SGG liegen nicht vor.