Statthaftigkeit der Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
Die Beschwerde, mit der sich die Antragsteller gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
ihres Widerspruches gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin wenden, mit dem diese die Übernahme einer Betriebskostennachforderung
in Höhe von 83,94 Euro abgelehnt und ein fiktives Guthaben in Höhe von 223,67 Euro aus der Warmwasserabrechnung auf die Leistungen
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Monat September 2010 leistungsmindernd angerechnet hatte, ist nicht statthaft.
Nach §
172 Abs.
3 Nr.
1 in Verbindung mit §
144 Abs.
1 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz -
SGG - in der ab 01. April 2008 geltenden Fassung (eingefügt durch Artikel 1 Nr. 29 b Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008, BGBl I Seite 444) sind Beschwerden in Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes u. a. dann nicht statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
in der Hauptsache bei einer eine Geldleistung betreffenden Klage - wie hier - 750,00 Euro nicht übersteigt.
Bei der Prüfung der Statthaftigkeit der Beschwerde ist auf die Beschwer des Beschwerdeführers durch den angefochtenen Beschluss
abzustellen (so auch zur entsprechenden Problematik der Anwendung des §
146 Abs.
4 Verwaltungsgerichtsordnung -
VwGO - idF. des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege v. 11. Januar 1993 -- BGBl I S. 50 -- iVm. § 131 Abs. 2
VwGO: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen 22. Senat, Beschluss vom 17.August 1993, - 22 B 1230/93 -, a. A. auf den tatsächlichen Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens abstellend: Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen 15. Senat, Beschluss vom 11. Juni 1996, - 15 B 1313/96 -). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG, wonach in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes darauf abzustellen ist, ob in der Hauptsache die Berufung zulässig
wäre. Die Zulässigkeit der Berufung einer Hauptsache richtet sich nach §
144 Abs.
1 Nr.
1 SGG und bemisst sich nach der durch das erstinstanzliche Urteil eingetretenen Beschwer für den Berufungsführer. Dass bei der
Prüfung der Zulässigkeit der Beschwerde ebenfalls an die durch den Beschluss eingetretene Beschwer anzuknüpfen ist, entspricht
auch der Intention des Gesetzgebers, die Beschwerdemöglichkeit bei wirtschaftlich nicht relevanten Entscheidungen im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren zur Entlastung der Landessozialgerichte auszuschließen (BT-Drs. 16/7716, Seite 13f. zu 2) c) bb); Seite
22 zu Nr. 29 b)). Die Rechtsschutzmöglichkeit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist nicht gegenüber derjenigen in Hauptsacheverfahren
zu privilegieren.
Davon ausgehend ist die Beschwerde der Antragsteller hier nicht statthaft, weil die durch den angefochtenen Beschluss für
sie eingetretene Beschwer nicht 750 Euro übersteigt.
Die nach ihrem Wortlaut nicht völlig eindeutige Regelung des §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG ist nach ihrer Systematik dahingehend zu verstehen, dass die Beschwerde dann ausgeschlossen - und damit unzulässig - ist,
wenn die Berufung in der Hauptsache nicht Kraft Gesetzes ohne Weiteres zulässig wäre, sondern erst noch der Zulassung bedürfte
(ebenso: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07. Oktober 2009 - L 5 AS 293/09 B ER -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. September 2008, - L 8 SO 80/08 ER; LSG Hamburg, Beschluss vom 1. September
2008 - L 5 AS 79/08 NZB; Hessisches LSG, Beschluss vom 1. Juli 2008 - L 7 SO 59/08 AS ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. Juli 2008
- L 7 B 192/08 AS ER; jeweils zitiert nach juris). Der entgegenstehenden Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 21. Oktober
2008 - L 6 AS 458/08 ER - Juris; sowohl auch Breitkreuz/Böttiger,
SGG, §
172 Rn. 45) folgt der Senat nicht (vgl. ebenso mit ausführlicher Begründung: Hessisches Landessozialgericht Beschluss vom 12.
Januar 2009 - L 7 AS 421/08 B ER - Juris).
Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ist die zum 1. April 2008 in Kraft getretene Beschränkung der Beschwerdemöglichkeit
im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur Entlastung der Landessozialgerichte erfolgt. Dieser Zweck sollte durch die Anhebung
des Schwellenwertes auf 750,00 € und durch die Einschränkung der Beschwerde in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erreicht
werden. Es entspräche daher dem Entlastungswillen des Gesetzgebers nicht, wenn eine fiktive Prüfung möglicher Zulassungsgründe
und eine hierauf gestützte Zulassung der Beschwerde durch die Sozialgerichte oder eine Nichtzulassungsbeschwerde, über deren
Zulässigkeit dann die Landessozialgerichte zu befinden hätten, unter Geltung des neuen Rechts anerkannt würde. Der erstrebte
Entlastungseffekt wird nur dann erreicht, wenn sich die Zulässigkeit der Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
ohne weiteres aus dem Beschwerdewert oder der Art und Dauer der im Streit stehenden Leistungen ergibt (§
144 Abs.
1 SGG). Hinzu kommt, dass die in §
144 Abs.
2 SGG aufgeführten Zulassungsgründe erkennbar auf das Hauptsacheverfahren zugeschnitten und auf das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
nicht übertragbar sind. Eine fiktive Prüfung ist schon deshalb nicht sinnvoll, weil nicht klar ist, ob es ein Hauptsacheverfahren
geben und wie dieses ggf. entschieden werden wird. Die Prüfung der Zulassungsgründe Divergenz (§
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG) und Verfahrensmangel (§
144 Abs.
2 Nr.
3 SGG) sind bereits tatsächlich nicht möglich. Auch eine fiktive Prüfung der grundsätzlichen Bedeutung der Hauptsache (§
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG) ist wegen der unterschiedlichen Funktion von Hauptsache- und Eilverfahren nicht sachgerecht, denn die Entscheidungen sind
weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht deckungsgleich. Da es im einstweiligen Rechtsschutz maßgeblich darum geht,
"vorläufige" Regelungen zu treffen, werden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung gerade nicht abschließend beantwortet.
Schließlich wird in der Regelung des §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG nicht auf die Zulassungsbedürftigkeit der Berufung oder die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§§
144,
145 SGG) verwiesen, was auch regelungssystematisch gegen deren Anwendbarkeit spricht.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs.
1 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§
177 SGG).