Arbeitslosengeld
Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs
Bestimmtheit einer zu erfüllenden Obliegenheit
Gründe:
Die Beschwerde hat im Umfang des Hilfsantrags (Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom
23. Mai 2016) Erfolg.
Die Beschwerde ist zulässig. Allerdings ist das Sozialgericht im Rahmen der umfassenden Abweisung des Antrags davon ausgegangen,
der Antragsteller habe sinngemäß nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs beantragt. Tatsächlich hat
er indes als Hauptantrag ausdrücklich die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 23. Mai 2016 begehrt. Es handelt
sich bei der fehlerhaften Auslegung eines Antrags unter Ausklammerung eines geltend gemachten Anspruchs jedoch um einen Verfahrensfehler
und nicht um einen Fall der Notwendigkeit eines Ergänzungsverfahrens nach §
140 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) vor dem Sozialgericht. Der Senat war daher nicht gehindert, im Rahmen der Beschwerde zu entscheiden (vgl. für Berufungsverfahren
Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 26. August 1994 - Az.: 13 RJ 9/94; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage, 2014, Rn. 2c zu §
140 m.w.N.).
Der Hauptantrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 23. Mai 2016 ist unbegründet. Es kann dahinstehen, ob
der Feststellungsantrag als solcher auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG zulässig ist. Jedenfalls ist er unbegründet. Der Sanktionsbescheid vom 23. Mai 2016 ist nicht nichtig im Sinne des § 40 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Hiernach ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schweren Fehler leider und dies bei verständiger
Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offensichtlich ist. Diese Voraussetzungen liegen offenkundig nicht vor.
Der ausdrücklich hilfsweise gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid
vom 23. Mai 2016 ist zulässig und begründet.
Der Antrag ist statthaft. Nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG kann das Gericht in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende
Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Vorliegend hat der erhobene Widerspruch nach § 39 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes.
Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist das Interesse am Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes
mit dem Interesse des Antragstellers an der Aussetzung des Vollzugs abzuwägen. Das Aussetzungsinteresse überwiegt stets, wenn
sich der angefochtene Verwaltungsakt im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig
erweist oder zumindest ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. zu diesem Maßstab §
80 Abs.
4 Satz 3 der
Verwaltungsgerichtsordnung), weil ein Interesse am Vollzug solcher Verwaltungsakte regelmäßig nicht besteht. Mithin kommt es auf die Erfolgsaussichten
einer gedachten Anfechtungsklage in der Hauptsache an.
In Anwendung dieses Maßstabs ist die aufschiebende Wirkung vorliegend anzuordnen.
Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 23. Mai 2016.
Der Senat lässt offen, ob der Bescheid vom 23. Mai 2016 formell rechtmäßig ist, woran aufgrund der falschen Bezugnahme auf
ein Angebot vom 17. Februar 2016 (tatsächlich: Datum des Beginns der Maßnahme) zumindest Zweifel bestehen.
Die Feststellung des Eintritts einer (aufgrund der vorangegangenen Sanktionsbescheide: weiteren) Pflichtverletzung mit der
Folge des Wegfalls des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II nach § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II kommt hier nur in der Konstellation einer Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II in Betracht. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Antragsteller sich trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen
oder deren Kenntnis eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht angetreten, abgebrochen oder Anlass für den
Abbruch gegeben hat.
Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass die zu erfüllende Obliegenheit im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II ebenso bestimmt zu sein hat, wie das BSG Urteil vom 16. Dezember 2008 - Az.: B 4 AS 60/07 R) dies für Arbeitsgelegenheiten gefordert hat (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24. November
2015 - Az.: L 7 AS 1519/15 B ER). Es muss in beiden Fällen für den Leistungsberechtigten - nach seinem Empfängerhorizont - aus dem Eingliederungsverwaltungsakt
bzw. aus der Zuweisung durch den Träger klar erkennbar und nachvollziehbar sein, was von ihm gefordert wird, d. h. die Maßnahme
muss näher beschrieben werden (vgl. Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Auflage, 2013, Rn. 22 und 48 zu § 31; Sonnhoff in jurisPK, SGB II, 4. Auflage, 2015, Rn. 95 zu §
31). Die (auch) auf die Übertragung seiner Rechtsprechung zum Sperrzeitrecht nach dem
Dritten Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) gestützte Auffassung des BSG findet ihre Rechtfertigung auch darin, dass der Leistungsberechtigte aus Gründen des Rechtsschutzes erkennen können muss,
ob die angebotene Arbeitsgelegenheit den inhaltlichen und formellen Anforderungen an eine zulässige Arbeitsgelegenheit, die
zur Erreichung des Eingliederungsziels geeignet und erforderlich ist, genügt (BSG aaO. Rn. 33 bei Juris). Diese Erwägungen treffen auf Eingliederungsmaßnahmen ebenso zu. Zudem hat das BSG in diesem Zusammenhang auch auf seine Rechtsprechung zum
SGB III verwiesen, dass der Leistungsempfänger durch die Bundesagentur für Arbeit über Ausgestaltung und Ziel der Bildungsmaßnahme
durch ein hinreichend bestimmtes Angebot zu unterrichten sei, damit er auf dieser Grundlage seine Entscheidung über die Teilnahme
an der Maßnahme treffen könne (BSG aaO. Rn. 22). Die hinreichend bestimmten Angaben zu Inhalt und Ziel der Maßnahme haben durch den Grundsicherungsträger nach
dem SGB II selbst zu erfolgen und können nicht dem Maßnahmeträger überlassen bleiben (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen aaO. Rn. 37, wonach
ein Faltblatt des Trägers nicht ausreichen soll).
Dies zugrunde legend bestehen ernstliche Zweifel an einer hinreichend bestimmten Zuweisung bzw. einem Maßnahmeangebot im Schreiben
vom 20. Januar 2016. Der Antragsteller wird durch das Zuweisungsschreiben in Kenntnis gesetzt, dass der Antragsgegner das
Eingliederungsziel einer abhängigen Beschäftigung jedenfalls neben der bisherigen selbstständigen Tätigkeit für geboten erachtet.
Dieses grundsätzliche Ziel ist entgegen der Auffassung des Antragstellers, dessen verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich
dem Grunde nach sanktionierbarer Mitwirkungsobliegenheiten der Senat nicht teilt, nicht zu beanstanden. Das Ziel der konkreten
Maßnahme "PraxisCenter" bleibt jedoch vage. Die Umschreibung als Unterstützung bei Anbahnung und Aufnahme einer sozialversicherungsrechtlichen
Tätigkeit im Zuweisungsschreiben ist nicht konkret. Die Darstellung des Inhalts der Maßnahme im Angebotsschreiben umfasst
eine Vielzahl möglicher Leistungen in abstrakter Form, ohne dass klar wird, welche hiervon der Antragsgegner bei dem Antragsteller
für sachgerecht erachtet und ob sämtliche Inhalte den Antragsteller betreffen. In welchem Verhältnis die einzelnen Leistungen
stehen, wird auch aus dem beigefügten "Flyer" nicht klar. Dieser stellt dar, dass alle genannten Inhalte zum Angebot des Trägers
gehören ("Wir bieten Ihnen ..."). Es werden zudem sechs Berufsfelder angegeben und es wird die Aussage getroffen, dass Berufsorientierung
und -qualifizierung (!) in diesen sechs verschiedenen Feldern geboten würden. Es wird nicht klar, ob die Leistungen kumulativ
oder alternativ erbracht werden. Letztlich bleibt aus Sicht eines objektiven Empfängers unklar, was ihn in dieser Maßnahme
genau erwartet. Außer dem fehlenden Charakter als Vollzeitmaßnahme lässt sich dem Begriff "Teilzeit" auch keine weitere Eingrenzung
des zeitlichen Umfangs entnehmen. Allein die Öffnungszeiten des Trägers stellen eine solche Eingrenzung der konkreten Maßnahme
nicht dar.
Bei dieser Sachlage kann es dahinstehen, ob einer Pflichtverletzung bzw. jedenfalls dem Sanktionsbescheid nicht bereits entgegensteht,
dass zusammen mit dem Angebot dem Antragsteller der Entwurf einer Eingliederungsvereinbarung übersandt worden ist, in dem
die Maßnahme gerade nicht als Obliegenheit des Antragstellers genannt ist. Diese Eingliederungsvereinbarung wurde letztlich
auch als Verwaltungsakt am 19. Februar 2016 erlassen.
Auch auf die Frage der ordnungsgemäßen Ermessensausübung bei der Zuweisung zur Maßnahme kommt es nicht mehr an. Insoweit bestehen
indes ebenfalls Zweifel an der Einbettung in ein Eingliederungskonzept. Zeitgleich mit der Maßnahme sind dem Antragsteller
verschiedene Vermittlungsvorschläge und Stelleninformationen übersandt worden. Insoweit scheint die Maßnahme jedenfalls nicht
als Zugangsvoraussetzung zum ersten Arbeitsmarkt angesehen worden zu sein. Zudem wäre zu erwägen, ob nicht ebenso wie nach
der Rechtsprechung des BSG bei Meldeaufforderungen (BSG, Urteil vom 29. April 2015 - Az.: B 14 AS 19/14 R) nach einer gewissen Anzahl erfolgloser Maßnahmevorschläge ein anderer Weg der Einwirkung durch den Grundsicherungsträger
zu wählen ist.
Die aufschiebende Wirkung war daher anzuordnen. Dementsprechend hat der Antragsgegner nunmehr Leistungen wie mit Bescheid
vom 19./20. Mai 2016 bewilligt für den Sanktionszeitraum zur Auszahlung zu bringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt, dass die Beschwerde weitgehend erfolgreich war. Dem Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit kam weitergehende
wirtschaftliche Bedeutung nicht zu (Rechtsgedanke des § 45 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 1 des Gerichtskostengesetzes).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).