Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Neufeststellung seiner Altersrente, und zwar teilweise ohne Berücksichtigung von Verfolgungszeiten.
Der im Jahre 1924 geborene Kläger absolvierte in den Jahren 1946 bis 1951 eine Lehrerausbildung und war ab September 1951
als Oberstufenlehrer und Direktor einer Polytechnischen Oberschule im Beitrittsgebiet beschäftigt. Am 20. Oktober 1967 wurde
ihm Berufsverbot erteilt. Ab November 1967 war er als Leiter der Materialwirtschaft eines Volkseigenen Betriebes (VEB) beschäftigt.
In der Zeit von September 1983 bis Dezember 1984 war er infolge einer weiteren Verfolgungsmaßnahme zunächst als Normer beschäftigt,
danach bis zum Ende seiner beruflichen Tätigkeit als Verkaufsleiter. Bis zu seinem Berufsverbot im Jahr 1967 hatte der Kläger
ein jährlich ansteigendes Einkommen erzielt, welches sich im Jahr 1966 auf 12.160,- Mark der DDR belief. In den Jahren 1967
bis 1972 erzielte der Kläger hingegen Jahresverdienste, die unterhalb der damaligen Beitragsermessungsgrenze (7.200,- DDR-Mark)
lagen. Erst ab November 1972 überschritt er diesen Grenzwert und entrichtete Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung
(FZR).
Mit Bescheid vom 23. August 1995 stellte das Ministerium des Innern des Landes Brandenburg als zuständige Rehabilitierungsbehörde
fest, dass der Kläger als Opfer rechtsstaatswidriger bzw. politischer Verfolgung durch das DDR-Regime zum Ausgleich beruflicher
Benachteiligung für die Verfolgungszeiträume 20. Oktober 1967 bis 31. Dezember 1982 und 1. September 1983 bis 31. Dezember
1984 berechtigt sei. Der Kläger beantragte daraufhin bei der Beklagten die Neuberechnung seiner Sozialversicherungsrente.
Dem entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 22. Juli 1996, der bestandskräftig wurde.
Nachdem das
Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (berufliches Rehabilitierungsgesetz -
BerRehaG) im Jahre 2001 rückwirkend zum 1. Juli 1994 geändert worden war, stellte auf Antrag des Klägers zur Neuberechnung seiner
Rente der Beklagte rückwirkend zum 1. Juli 1994 mit Bescheid vom 3. Mai 2002 fest, dass sich auch durch die Änderung
BerRehaG eine Änderung der Altersrente nicht ergebe. Zwar sei nunmehr das Einkommen in den letzten drei Jahren vor dem Berufsverbot,
also in den Jahren 1964 bis 1966, bei einer Vergleichsberechnung zugrunde zu legen, jedoch habe sich gegenüber der Rentenberechnung
vom 22. Juli 1996 kein günstigerer Betrag für den Kläger ergeben, so dass eine Neuberechnung der Rente nicht erfolgt sei.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2002 zurück: das
BerRehaG bezwecke den Ausgleich von Nachteilen in der Rentenversicherung für solche Personen, die im Beitrittsgebiet infolge von politischer
Verfolgung im Beruf im erheblichen Maße benachteiligt worden seien. Die hierbei anzusetzenden Entgelte seien nach einem pauschalierten,
im Gesetz vorgegebenen Verfahren zu bemessen, so dass für eine individuelle Berechnung kein Raum bleibe.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Cottbus mit Urteil vom 27. Mai 2003 abgewiesen: Die Beklagte sei an den
Rehabilitierungszeitraum gebunden, den die Rehabilitierungsbehörde mit ihrem Bescheid vom 23. August 1995 festgestellt habe.
Dieser Bescheid besitze eine bindende Tatbestandswirkung. Soweit das
BerRehaG auch einen Nachteilsausgleich vorsehe, erfolge dieser nur nach einem pauschalierten Verfahren. Bei festgestellten Zeiten
der Rehabilitierung sei nicht individuell abzuweisen. Gegen dieses ihm am 23. Juli 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger
am 4. August 2003 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Er macht geltend, er habe nach dem 31. Dezember 1972 ein höheres
Einkommen erzielt, als es nach den Vorschriften des
BerRehaG zugrunde gelegt werde und hierauf auch entsprechend Beiträge entrichtet. Deshalb seien die Zeiten bis zum Ablauf des Jahres
1972 als Verfolgungszeiten zu bewerten, die Zeiten ab dem Jahre 1973 hingegen nicht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung
vom 5. März 2009 hat der Kläger seinen Antrag nach §
10 Satz 2
BerRehaG für die Zeit ab dem 1. Januar 1973 ausdrücklich zurückgenommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 27. Mai 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Rente des Klägers unter Änderung
des Bescheids vom 22. Juli 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 1997 rückwirkend zum 1. Januar 1997
ohne Berücksichtigung der Zeit ab dem 1. Januar 1973 als Verfolgungszeit neu festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Auf Veranlassung des Gerichts hat die Beklagte am 30. September 2005 eine hypothetische Vergleichsberechnung zugunsten des
Klägers erteilt, bei der die Zeiten bis zum Jahre 1972 als Verfolgungszeiten bewertet werden, die Zeiten ab dem Jahre 1973
hingegen nicht. Daraus ergibt sich eine für den Kläger höhere Rente.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten
Schriftsätzen nebst Anlagen, die Niederschriften zu den Erörterungsterminen mit dem Berichterstatter vom 27. Mai 2003, 25.
April 2005 und 17. Februar 2006 sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung
vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß §
153 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Sie ist auch in der Sache begründet. Das Urteil des Sozialgerichts sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten waren
aufzuheben, denn dem Kläger steht der aus dem Tenor ersichtliche Anspruch zu.
1. Das Begehren des Klägers ist im Ergebnis darauf gerichtet, zu seinen Gunsten eine Überprüfung des bestandskräftigen Rentenbescheides
vom 22. Juli 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 1997 zu erreichen. Demgegenüber war es während des
gesamten Rechtsschutzverfahrens nicht das Ziel des Klägers, eine Neufeststellung seiner Rente auf der Grundlage des §
13 Abs.
1a BerRehG zu erreichen. Die Einführung des §
13 Abs.
1a BerRehaG durch Art. 7 Nr. 2 Buchst. A nach Maßgabe des Art. 11 des Gesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBL I S. 1939) war lediglich der Anlass dafür, dass der Kläger eine Neuberechnung seiner
Rente begehrte. Nachdem jedoch die Beklagte die Neuberechnung durchgeführt, dabei keine Verbesserung der Rentenhöhe ermittelt
und dementsprechend mit den hier angefochtenen Bescheiden eine Neufeststellung abgelehnt hatte, hat der Kläger im anschließenden
Rechtsschutzverfahren die Berechnung nach §
13 Abs.
1a BerRehaG nicht in Frage gestellt und auch keine Einwände dagegen erhoben, dass aufgrund dieser Vorschrift keine Neufeststellung seiner
Rente erfolgte. Die Einwände des Klägers waren vielmehr von Anfang an darauf gerichtet, dass seine rentenversicherungsrechtlichen
Zeiten ab dem Jahre 1973 nicht als Verfolgungszeiten, sondern als Beitragszeiten entsprechend den tatsächlich entrichteten
Rentenbeiträgen bewertet wurden. Der Sache nach stellte sich dieses Begehren von vornherein nicht als Neufeststellungsbegehren
nach §
13 Abs.
1a BerRehaG dar, sondern vielmehr als Überprüfungsbegehren nach § 44 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X).
2. In diesem Sinne verstanden, ist die Klage zulässig. Dem steht insbesondere auch nicht ein etwa fehlendes Verwaltungsverfahren
nach §
54 SGG entgegen. Zwar hat die Beklagte - ausgehend von der irrigen Annahme, der Kläger greife eine Ablehnung der Neufeststellung
nach §
13 Abs.
1a BerRehaG an - die Vorschrift des § 44 SGB X bei ihrer Prüfung nicht in den Blick genommen und aus ihrer Sicht auch keinen auf § 44 SGB X gestützten Bescheid erteilt. Dies ändert aber nichts daran, dass im hier allein betroffenen Bereich des gebundenen Verwaltungshandelns
nicht die von der Beklagten herangezogene Rechtsgrundlage den Gegenstand des Rechtsschutzbegehrens umschreibt, sondern vielmehr
die vom Kläger begehrte Rechtsfolge. Diese wiederum war und ist darauf gerichtet, für die Zeit ab dem 1. Januar 1973 eine
günstigere Bewertung der rentenversicherungsrechtlichen Zeiten zu erlangen, und die Herbeiführung genau dieser Rechtsfolge
hat die Beklagte in ihren angefochtenen Bescheiden - wenn auch unter Prüfung anderer rechtlicher Voraussetzungen - abgelehnt.
Gleichfalls erstreckt sich auch das erstinstanzliche Urteil auf eben diese Rechtsfolge.
3. Die Klage ist für den nunmehr nur noch geltend gemachten Zeitraum ab dem 1. Januar 1997 auch begründet.
a) Der Bescheid vom 22. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 1997 erweist sich als rechtswidrig.
Der Kläger besitzt einen Anspruch darauf, dass die Beklagte die vorgenannten Bescheide aufhebt und seine ab dem Jahre 1973
zurückgelegten rentenversicherungsrechtlichen Beitragszeiten entsprechend der Höhe der tatsächlich entrichteten Beiträge und
nicht als Verfolgungszeiten im Sinne des
BerRehaG bewertet. Denn die rentenversicherungsrechtlichen Zeiten des Klägers ab dem Jahre 1973 sind keine Verfolgungszeiten im Sinne
der §§
10 ff
BerRehaG.
Nach §
10 Satz 1
BerRehaG ergänzen diese Vorschriften zugunsten des Verfolgten die allgemein anzuwendenden rentenrechtlichen Vorschriften. Der Senat
lässt ausdrücklich offen, ob nicht bereits aufgrund dieser Formulierungen des Gesetzgebers die Bewertung der rentenversicherungsrechtlichen
Zeiten des Klägers ab dem Jahre 1973 als Verfolgungszeiten ausgeschlossen ist. Denn in der Zeit ab dem Jahre 1973 hat der
Kläger tatsächlich höhere Beiträge zur Rentenversicherung einschließlich der FZR entrichtet, als es einer Bewertung der Zeiten
als Verfolgungszeiten entsprechen würde. Es spricht aus Sicht des Senats vieles dafür, dass die Bewertung dieser Zeiten als
Verfolgungszeiten unterhalb der tatsächlichen Beiträge eine den Verfolgten benachteiligende Rechtsfolge ist, die durch die
vom Gesetzgeber gewählte Formulierung "zugunsten" gerade ausgeschlossen werden sollte. Der Einwand der Beklagten, die Anwendung
der §§
10 ff.
BerRehaG "zugunsten" des Verfolgten beziehe sich lediglich auf den gesamten Versicherungsverlauf und lasse es zu, dass der Verfolgte
in einzelnen Abschnitten seines Versicherungsverlaufs durchaus durch die Anwendung der §§
10 ff.
BerRehaG benachteiligt werde, erscheint dem Senat als wenig überzeugend. Jedenfalls hat sie im Wortlaut des Gesetzes keine ausdrückliche
Stütze gefunden. Darüber hinaus ordnet §
14 Abs.
1 BerRehaG an, dass Verfolgungszeiten nur dann als dort näher bezeichnete rentenversicherungsrechtliche Zeiten gelten, "soweit sie nicht
nach den allgemein anzuwendenden Vorschriften Zeiten einer versicherungspflichtigen Tätigkeit oder Beitragszeiten zur FZR
sind". Dies deutet aus Sicht des Senats darauf hin, dass Verfolgungszeiten jedenfalls durch günstigere "echte" Beitragszeiten
verdrängt werden.
Dies bedarf jedoch im Ergebnis keiner Entscheidung, denn zur Überzeugung des Senats ist die Bewertung der rentenversicherungsrechtlichen
Zeiten des Klägers als Verfolgungszeiten ab dem Jahre 1973 jedenfalls durch die Vorschrift des §
10 Satz 2
BerRehaG ausgeschlossen. Hiernach werden Leistungen nach den §§
10 ff
BerRehaG auf Antrag erbracht; im Einzelfall können sie auch von Amts wegen erbracht werden. An einem derartigen Antrag des Klägers
fehlt es für die Zeit ab dem Jahre 1973. Zwar hat der Kläger ursprünglich einen derartigen Antrag gestellt. Diesen Antrag
hat er indessen im späteren Verlauf mehrfach zurückgenommen. So spricht bereits vieles dafür, dass schon im Widerspruch des
Klägers gegen den Bescheid vom 22. Juni 1996 eine sinngemäße Rücknahme des Antrags lag. Jedenfalls hat der Kläger während
des hier streitigen Überprüfungsverfahrens, welches er im Jahre 2001 in Gang setzte, mehrfach sinngemäß und während des Gerichtsverfahrens
schließlich auch ausdrücklich seinen Antrag für die Zeit ab dem Jahre 1973 zurückgenommen. Der Senat hegt keine Zweifel hinsichtlich
der Wirksamkeit dieser Antragsrücknahme. Zwar hat der Kläger seine Antragsrücknahme nur auf einen Teil des ursprünglichen
Antrags - nämlich auf die Zeit ab dem Jahre 1973 - beschränkt. Es findet sich im
BerRehaG indessen kein Hinweis darauf, dass eine Antragsrücknahme nicht teilbar sein soll. Vielmehr spricht die Anknüpfung an einzelnen
rentenversicherungsrechtlichen Zeiten gerade dafür, dass der Antrag nach §
10 Satz 2
BerRehaG gerade auf einzelne, gegebenenfalls auch kurze Zeitabschnitte bezogen, beschränkt und auch zurückgenommen werden kann. Gleichfalls
findet sich im
BerRehaG auch kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber die nach allgemeinen Grundsätzen zulässige rückwirkende Antragsrücknahme gerade
hier ausschließen wollte.
b) Die Neufeststellung der Rente begegnet auch in zeitlicher Hinsicht keinen Bedenken. Der Kläger hat nach richterlichem Hinweis
sein Neufeststellungsbegehren auf Rentenleistungen ab dem Jahre 1997 beschränkt und bewegt sich damit im Rahmen der materiell-rechtlichen
Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X. Die Frage, ob Neufeststellungen außerhalb eines Verfahrens nach § 44 SGB X nach Maßgabe des §
13 Abs.
1a BerRehaG gegebenenfalls auch weiter zurück reichen können (hierzu vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. November
2007, L 21 R 327/05, juris Randnummer 35), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst. Die vom Kläger im Berufungsverfahren nach richterlichem Hinweis
vorgenommene zeitliche Beschränkung seines Begehrens fällt im Hinblick darauf, dass zwischen den Beteiligten die Neufeststellung
dem Grunde nach vorrangig im Streit war, nicht erheblich ins Gewicht.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.