Gründe:
I. Die 1990 geborene Antragstellerin ist thailändische Staatsangehörige und kam im Rahmen des Familiennachzugs im Jahr 2006
nach Deutschland. Sie lebte zunächst im Haushalt ihrer Mutter und ihres Stiefvaters in B, danach in einem buddhistischen Tempel.
Seit Mai 2008 wohnt sie mietfrei bei Verwandten in B. Die inzwischen volljährige Antragstellerin ist Inhaberin einer Aufenthaltserlaubnis
bis März 2010, ihr ist die Erwerbstätigkeit gestattet. Der Antragsgegner bewilligte der einkommens- und vermögenslosen Antragstellerin
zunächst Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) in Höhe der Regelleistung - zuletzt mit Bescheid
vom 16. Dezember 2008 bis zum 30. Juni 2009.
Nachdem die Ausländerbehörde dem Antragsgegner mitgeteilt hatte, dass die Mutter der Antragstellerin und ihr Stiefvater im
Zusammenhang mit dem Familiennachzug eine Verpflichtungserklärung hinsichtlich der Übernahme aller Kosten im Zusammenhang
mit ihrem Aufenthalt unterzeichnet hatten, hob der Antragsgegner die gesamte bisherige Leistungsbewilligung auf und stellte
die Zahlung von Leistungen ab Juni 2009 ein. Er begründete dies damit, dass eine Verpflichtungserklärung abgegeben worden
sei, weshalb für die Antragstellerin ab dem Tag ihrer Einreise für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet kein Anspruch
auf Leistungen nach dem SGB II bestehe. Die Entscheidung beruhe auf § 68 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz. Der dagegen erhobene Widerspruch ist noch anhängig.
Am 4. August 2009 beantragte die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Berlin die Gewährung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 359 € ab 1. August 2009. Die
Verpflichtungserklärung stelle kein Einkommen dar. Sie erhalte von ihrer Mutter und dem Stiefvater auch tatsächlich keine
Leistungen. Die Verwandten könnten über die kostenfreie Unterkunft und ein lediglich vorübergehend darlehensweise gewährtes
Taschengeld von 100 € hinaus keine Leistungen erbringen. Hierzu bezog sie sich auf verschiedene Erklärungen.
Das SG wies den Antrag zurück, da kein Anordnungsanspruch bestehe. Leistungen zur Grundsicherung würden nach § 37 SGB II nur auf
Antrag gewährt, ein solcher Antrag sei für die Zeit ab August 2009 nicht gestellt worden.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie geltend macht, sie müsse auf der Grundlage des inzwischen
förmlich am 16. September 2009 gestellten Antrages so gestellt werden, als habe sie diesen Antrag rechtzeitig gestellt. Ein
Leistungsanspruch bestehe dem Grunde nach.
Der Antragsgegner hat mit Bescheid vom 16. September 2009 den Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abgelehnt,
da die Antragstellerin "über eine Verpflichtungserklärung ihrer Eltern verfüge(n)". Die Antragstellerin hat dagegen Widerspruch
erhoben. Außerdem hat sie Bescheide der Kindergeldkasse vom 8. September 2009 eingereicht, aus denen sich ergibt, dass sie
aufgrund der Abzweigung von Mai 2008 bis Mai 2009 (zuletzt 164 € monatlich) einen eigenen Anspruch auf Kindergeld hatte und
mangels Meldung als arbeitsuchend ab Juni 2009 kein Anspruch mehr bestehe.
Die Antragstellerin begehrt mit dem einstweiligen Rechtsschutzantrag Leistungen ab August 2009, also eine über die ihr ursprünglich
mit Bewilligungsbescheid vom 16. Dezember 2008 für den Zeitraum bis Juni 2009 gewährte Rechtsposition hinausgehende Leistung.
Dies kann sie nur mittels einer Regelungsanordnung nach §
86 b Abs.
2 SGG erreichen. Hiernach sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).
Dabei sind die Grundsätze anzuwenden, die das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zum SGB II entwickelt hat (Beschluss
vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 ff.). Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten
in der Hauptsache gestützt werden, wobei Art
19 Abs.
4 Grundgesetz (
GG) besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der
Hauptsache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern
abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens
übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Dies ist im Streit um laufende
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende regelmäßig der Fall, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare
Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach-
und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine
Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert.
Die Sicherung des Existenzminimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende) ist eine grundgesetzliche
Gewährleistung in diesem Sinne (vgl. auch Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 12. Dezember 2006 - L 10 B 1052/06 AS ER -).
An diesen Grundsätzen gemessen sind der Antragstellerin Leistungen nach dem SGB II vorübergehend unter Anrechnung des Kindergeldes
zuzuerkennen. Als Rechtsgrundlage für die geltend gemachten Ansprüche kommt zunächst § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Betracht.
Danach erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 a noch nicht vollendet haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige).
Die Antragstellerin ist danach Berechtigte i. S. des § 7 Abs. 1 SGB II. Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze
noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Sie ist erwerbsfähig i. S. v. § 8 SGB II (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB
II), da dem Sachverhalt keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Krankheit oder Behinderung zu entnehmen sind, die
sie an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens drei
Stunden täglich hindern könnten. Die Antragstellerin hat zur Überzeugung des Senats auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in
der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr.
4 SGB II). Nach §
30 Abs.
3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I), auf den die Gesetzesmaterialien des SGB II ausdrücklich hinweisen (BT-Drucks 15/1516, S 52), hat jemand den gewöhnlichen
Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht
nur vorübergehend verweilt. Sie lebt seit 2006 durchgehend in Deutschland und hat inzwischen auch ein eigenständiges Aufenthaltsrecht.
Individualansprüche nach dem SGB II setzen schließlich voraus, dass Hilfebedürftigkeit besteht. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB
II in Verbindung mit § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den
Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften
und Mitteln, u. a. nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen
erhält. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass sie gegenwärtig keine Leistungen von ihrer Mutter oder von ihrem Stiefvater
erhält. Selbst wenn bürgerlich-rechtliche Unterhaltsansprüche gegenüber ihrer Mutter bestehen, wären diese nicht fiktiv anzurechnen.
Leistet ein Unterhaltsverpflichteter trotz bestehender Unterhaltsverpflichtungen nicht, so besteht Hilfebedürftigkeit; der
Anspruch auf Unterhalt geht nach Maßgabe des § 33 SGB II auf den Grundsicherungsträger über (vgl. Knickrehm in Eicher/Spellbrink
SGB II, 2. Auflage 2008, § 5 Rn. 7). Die Antragstellerin kann auch nicht auf die Verpflichtungserklärung ihrer Mutter oder
ihres Stiefvaters nach dem Aufenthaltsgesetz verwiesen werden. Aus der Verpflichtungserklärung vom 20.12.2005 kann die Antragstellerin selbst keine Ansprüche herleiten.
Diese ist ihrem Wortlaut nach eine Verpflichtungserklärung bezüglich der Haftung für Lebensunterhalt nach § 68 Aufenthaltsgesetz (vergleichbar der früheren Regelung nach § 84 Abs. 1 und 2 Ausländergesetz). Diese Erklärung begründet einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, der der Behörde zusteht, die die öffentlichen
Mittel für den Lebensunterhalt aufgewendet hat. Ein Anspruch des Ausländers selbst, für den die Verpflichtungserklärung abgegeben
wird, wird hierdurch aber nicht begründet. Vielmehr muss die Behörde sich wegen der Erstattung der Sozialhilfe- bzw. Grundsicherungsmittel
mit dem durch die Erklärung Verpflichteten auseinandersetzen, notfalls auch mit Mitteln der Zwangsvollstreckung (vgl. zu der
insoweit wortgleichen Regelung nach § 84 Abs. 2 Satz 2 Ausländergesetz: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Entscheidung vom 19.11.1993 - 6 S 2371/93 - in juris veröffentlicht). In diesem Verfahren müsste dann ggfs geklärt werden, ob die Verpflichtungserklärung im Hinblick
auf den verfestigten Aufenthalt der nunmehr volljährigen Antragstellerin überhaupt noch Wirksamkeit entfaltet. Anders als
nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (hier §
8 Abs.
1) sieht das SGB II auch keinen Leistungsausschluss für den Fall vor, dass der erforderliche Lebensunterhalt auf Grund einer
Verpflichtung nach § 68 Abs. 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes gedeckt wird.
Nicht abschließend geklärt werden kann im vorliegenden Eilverfahren, ob nach § 9 Abs. 5 SGB II die Vermutung gerechtfertigt
ist, dass die Antragstellerin von ihren Verwandten Leistungen erhält, die die Regelleistung entsprechend mindern. Insoweit
liegen zwar Erklärungen, jedoch insbesondere keine Gehaltsbescheinigungen und Vermögensaufstellungen vor, die eine Grundlage
für diese Beurteilung sein könnten. Im Rahmen der Folgenabwägung sind der Antragstellerin Leistungen auch ohne Anrechnung
des nach diesen Angaben nur vorübergehend geleisteten Taschengeldes von monatlich 100 € zuzuerkennen.
Schließlich steht dem Anspruch auch nicht Vermögen der Antragstellerin entgegen. Zwar hat der Antragsgegner mit Schreiben
vom 1. September 2009 - für den Senat wenig verständlich - gegenüber der Kindergeldkasse auf Erstattungsansprüche für den
Zeitraum Mai 2008 bis Mai 2009 bezüglich eines Betrages von 2052 € verzichtet, weshalb die Kindergeldkasse angekündigt hat,
diesen Betrag in voller Höhe an die Antragstellerin auszuzahlen. Es steht jedoch nicht fest, dass dieser Betrag tatsächlich
der Antragstellerin gutgeschrieben wurde und er liegt im Übrigen deutlich unter dem Schonbetrag für das anrechenbare Vermögen.
Auf den danach anzusetzenden monatlichen Bedarf der Antragstellerin von 359 € wird als Einkommen das Kindergeld angerechnet,
das ihr dem Grunde nach zusteht. Zwar hat die Kindergeldkasse mit Bescheid vom 8. September 2009 entschieden, dass die Antragstellerin
nicht mehr arbeitsuchend sei, weshalb weder ihr noch ihrer Mutter ab Mai 2009 ein Anspruch auf Kindergeld zustehe. Es ist
jedoch davon auszugehen, dass die anwaltlich vertretene Antragstellerin vernünftigerweise diese Entscheidung nicht auf sich
beruhen lässt und sich auch weiterhin dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen wird. Anzurechnen ist daher ein eigenes Einkommen
von 134 € (164 € abzüglich der Versicherungspauschale). Soweit die Antragstellerin Leistungen in ungekürzter Höhe verlangt,
war die Beschwerde demnach zurückzuweisen.
Für die Gewährung von Leistungen bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren fehlt es an einem nach
§
86 b Abs.
2 Satz 2
SGG notwendigen Anordnungsgrund. Es besteht für die Monate August und September 2009 keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass
einer einstweiligen Anordnung für die zurückliegenden Zeiträume erforderlich machen würde.
Der Senat sieht Anlass für den Hinweis, dass, sollte sich erweisen, dass diese Anordnung von Anfang an ganz oder teilweise
ungerechtfertigt war, die Antragstellerin verpflichtet ist, dem Antragsgegner den Schaden zu ersetzten, der ihm aus der Vollziehung
dieser Anordnung entsteht (§
86 b Abs.
2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §
945 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des §
193 SGG. Der Antragsgegner hat auch die Kosten für das erstinstanzliche Verfahren zu erstatten. Soweit das Sozialgericht für seine
ablehnende Entscheidung allein auf den fehlenden Antrag nach § 37 SGB II abgestellt hat, hätte es trotz der anwaltlichen Vertretung
erwägen müssen, dass auch in dem - dem Antragsgegner zugestellten - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ein solcher
Antrag liegen könnte.
Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war kein Raum. Im Hinblick auf den im vorliegenden
Beschluss ausgesprochenen Kostenerstattungsanspruch der Antragstellerin für das einstweilige Rechtschutzverfahren besteht
kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).