Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Zu Unrecht hat das Sozialgericht ihren Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
vollumfänglich abgelehnt. Die schwangere und nicht reisefähige Antragstellerin hat - zumindest - während der Zeit der Schutzfrist
nach dem
Mutterschutzgesetz aus humanitären Gründen einen Aufenthaltsstatus und damit auch einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen.
Die am 2000 geborene Antragstellerin, die bulgarische Staatsangehörige ist, ist zurzeit ohne festen Wohnsitz. Mit Schreiben
des Bezirksamtes L von B - Abteilung Stadtentwicklung, Soziales, Wirtschaft und Arbeit - Amt für Soziales - vom 10. September
2019 ist ihr für die Zeit vom 10. September 2019 bis zum 17. September 2019 ein Einzelzimmer in der Unterkunft "F F", E Straße
, B zugewiesen worden. Der Tagessatz für diese Unterkunftskosten inklusive Heiz-/Energiekosten beträgt 29,90 EUR.
Die Antragstellerin, die im März 2019 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, ist ausweislich eines Auszuges aus
dem Mutterschutzpass schwanger. Der zunächst auf den 21. September 2019 errechnete Geburtstermin ist durch die Klinik für
Geburtsmedizin der C mit Arztbrief vom 8. August 2019 auf den 27. September 2019 korrigiert worden. Daraus errechnet sich
gemäß §
3 Abs.
1 Mutterschutzgesetz ein Beginn der Mutterschutzfrist am 9. August 2019 und gemäß §
3 Abs.
2 S. 1
Mutterschutzgesetz ein voraussichtliches Ende der Mutterschutzfrist am 27. November 2019.
Am 6. Juni 2019 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, den der Antragsgegner mit Bescheid vom 7. Juni 2019 unter Hinweis darauf, dass Ausländer, die sich ausschließlich zum Zweck
der Arbeitssuche in Deutschland aufhalten und weder über ein anderweitiges Aufenthaltsrecht noch über einen nachgehenden Arbeitnehmerstatus
aus einer früheren Beschäftigung verfügen würden, gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen seien, ablehnte. Einen weiteren Antrag vom 16. August 2019 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid
vom 16. August 2019 ebenfalls ab. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 20. August 2019 Widerspruch
ein und beantragte gleichzeitig beim Sozialgericht Berlin die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Sie trug insoweit vor,
sie sei hilfebedürftig, ihr sei es aufgrund ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft gegenwärtig nicht zumutbar in ihr Heimatland
zurückzureisen, ihr stehe ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, hilfsweise jedenfalls nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu.
Mit Schreiben vom 15. August 2019 beantragte die Antragstellerin beim Bezirksamt L von B - Amt für Soziales - Fachstelle Wohnungsnotfälle
- die Zuweisung in eine Obdachloseneinrichtung sowie die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII und reichte am 11. September 2019 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht bezüglich einer weiteren
Unterbringung in einer Obdachloseneinrichtung ein.
Mit Beschluss vom 2. September 2019 lehnte das Sozialgericht Berlin den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
sowie auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ab und verwies im Wesentlichen darauf, dass die Antragstellerin gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sei, da sie lediglich ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche habe. Anhaltspunkte für ein anderes
Aufenthaltsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU oder dem begrenzt subsidiär anwendbaren Aufenthaltsgesetz, dass der Anwendung dieser Vorschrift entgegenstünde, bestünden nicht.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin am 11. September 2019 Beschwerde zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
eingelegt. Sie ist weiterhin der Ansicht, dass ihr Leistungen nach dem SGB II, hilfsweise Leistungen nach dem SGB XII zustünden, da sie hilfebedürftig und gegenwärtig nicht in der Lage sei, in ihr Heimatland zurückzureisen. Zur Untermauerung
dieses Anspruchs übersandte sie unter anderem eine ärztliche Bescheinigung der Dr. W, Fachbereichsleitung und Fachärztin für
Frauenheilkunde und Geburtshilfe beim Bezirksamt F-K von B - Abteilung Familie, Gesundheit und Personal - Gesundheitsamt -,
die unter dem 3. September 2019 unter anderem ausführte, um eine Gefährdung der mütterlichen und kindlichen Gesundheit zu
vermeiden, sei aus ärztlicher Sicht von einer Verlegung des Lebensmittelpunktes zum jetzigen Zeitpunkt der Schwangerschaft
dringend abzuraten. Des Weiteren übersandte sie Arztbriefe bzw. Entlassungsberichte der Klinik für Geburtsmedizin der C B
vom 8. August 2019 über einen stationären Aufenthalt vom 4. August 2019 bis zum 9. August 2019 sowie der zentralen Rettungsstelle
des V Klinikums N über Vorstellungen am 22. und 26. Juli 2019. Die Vorstellungen erfolgten unter anderem wegen vaginaler Blutung
während der Schwangerschaft, es wurde im Wesentlichen die körperliche Schonung angeraten.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. September 2019 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung
zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem SGB II zu gewähren sowie
ihr Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst
Anlagen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin hat im Zeitraum vom 20. August 2019 (Eingang
des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht Berlin) bis zum 30. November 2019 (Ablauf der Mutterschutzfrist
nach voraussichtlicher Geburt ihres Kindes) Anspruch auf Gewährung von Leistungen durch den Antragsgegner. Dabei lässt der
Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes offen, ob dieser endgültig zur Leistungstragung verpflichtet sein wird,
er ist jedenfalls vorliegend nach §
43 Abs.
1 S. 1 des
Ersten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB I) als erstangegangener Träger zur vorläufigen Leistungserbringung zu verpflichten. Auf eine Beiladung des Bezirksamts hat
der Senat wegen der besonderen Dringlichkeit des Falles verzichtet. Es steht dem Antragsgegner insoweit frei, Erstattungsansprüche
anzumelden.
Gemäß §
86 b Abs.
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Voraussetzung hierfür ist regelmäßig,
dass sowohl ein Anordnungsanspruch im Sinne der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen
Leistungsanspruchs als auch ein Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
gemäß §
86 b Abs.
2 Satz 4
SGG i. V. m. §
920 Abs.
2 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) glaubhaft gemacht sind, wobei umso geringere Anforderungen an den Anordnungsgrund zu stellen sind, je größer die Erfolgsaussichten
sind. Sofern dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, so ist anhand
einer Folgenabwägung zu entscheiden, wobei die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen
sind (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, zitiert nach Juris).
Jedenfalls im Rahmen der Folgenabwägung ergibt sich ein Anspruch, da der greifbaren Gefährdung der Gesundheit von Mutter und
(ungeborenem) Kind bei Ausbleiben einer für sie günstigen Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur fiskalische
Interessen entgegenstehen. Diese wiegen hier schon deshalb nicht schwer, da unzweifelhaft schon aus verfassungsrechtlichen
Gründen (Menschenwürde i.Vm. dem Sozialstaatsprinzip) ein Anspruch der Antragstellerin besteht. Streitig kann allein sein,
ob der Antragsgegner oder das Bezirksamt leisten muss.
Soweit der Antragsgegner vorträgt, die Antragstellerin sei gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen, weil sie lediglich ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche habe, steht dem entgegen, dass die
Antragstellerin wegen der Schwangerschaft und der damit verbundenen Mutterschutzfrist aus humanitären Gründen in diesem eng
begrenzten Zeitraum ausnahmsweise nicht dazu verpflichtet ist, auszureisen um Leistungen in ihrem Heimatstaat in Anspruch
zu nehmen (zur Rückreiseverpflichtung siehe Beschluss des erkennenden Senats vom 23. Oktober 2017, L 31 AS 2007/17 B ER, zitiert nach juris).
Gesetzlich geregelt ist der Leistungsanspruch für EU-Ausländer in einer solchen Fallgestaltung wohl nicht. Ein Anspruch ergäbe
sich gegen den Antragsgegner dann, wenn ein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitssuche bestünde. Ein solches dürfte
aber, wie das Sozialgericht insoweit zu Recht ausgeführt hat, nicht bestehen. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass wegen
der Schwangerschaft (welche im vorliegenden Fall auch noch körperliche Schonung verlangt und deshalb einer Aufenthaltsverlegung
entgegensteht) innerhalb der Mutterschutzfrist aufenthaltsbeendigende Maßnahmen rechtlich nicht möglich sind.
Welche Konsequenzen aufenthaltsrechtlicher und leistungsrechtlicher Art sich im Falle eines Aufenthaltes im Bundesgebiet aus
humanitären Gründen für Drittstaatsangehörige (keine EU-Bürger) ergeben, ist jedoch jedenfalls für von Abschiebung bedrohte
Ausländer in § 60 a Aufenthaltsgesetz i.V.m. §
1 Abs.
1 Nr.
4 Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Danach kann eine Duldung (vorübergehende Aussetzung der Abschiebung) einem Ausländer erteilt werden (§ 60 a Abs. 2 S. 3 Aufenthaltsgesetz), wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit
im Bundesgebiet erfordern. Ein solches zeitweises inlandsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 a Aufenthaltsgesetz aus humanitären Gründen stellt die Reiseunfähigkeit einer Schwangeren innerhalb der aus dem errechneten Geburtstermin folgenden
Mutterschutzfrist im Sinne des
Mutterschutzgesetzes dar (vergleiche zum Ganzen ausführlich: VG Würzburg, Beschluss vom 25. April 2019, W 8 S 19.50295, zitiert nach Juris, dort
Rn. 13 und 14 mit weiteren umfangreichen Nachweisen).
Wäre die Antragstellerin somit als Drittstaatsangehörige von einer Abschiebung bedroht, könnte sie gemäß § 60a Abs. 2 S. 3 Aufenthaltsgesetz eine Duldung erwirken, die gemäß §
1 Abs.
1 Nr.
4 Asylbewerberleistungsgesetz dazu führen würde, dass sie einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz hätte.
Es kann im Ergebnis also nicht sein, dass eine EU-Bürgerin, die nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU mit viel weitergehenden Rechten
ausgestattet ist als sonstige Drittstaatsangehörige schlechter steht als solche.
Eine Duldung im Sinne des § 60 a Aufenthaltsgesetz, die dann in entsprechender Anwendung des §
1 Abs.
1 Nr.
4 Asylbewerberleistungsgesetz zu Leistungen führen würde, kann der Antragstellerin aber vorliegend deshalb nicht erteilt werden, weil in ihrem Fall nicht
gemäß § 5 Abs. 4 S. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (Recht auf Freizügigkeit)
festgestellt worden ist, sodass Sie sich weiterhin erlaubt im Bundesgebiet aufhalten kann und nicht von Abschiebung (§ 7 Abs.
1 S. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU) bedroht ist. Dem Senat ist auch aus einer erst kürzlich durchgeführten Fortbildung durch den
Leiter der B Ausländerbehörde bekannt, dass die Ausländerbehörde des Landes B jedenfalls in der Regel keine Verlustfeststellung
des Freizügigkeitsrechts von EU-Ausländern sowie gegebenenfalls Abschiebungen ins EU-Ausland vornimmt, weil dies aus rein
praktischen Gründen sinnlos ist, da EU-Ausländer bis auf wenige Ausnahmen (§ 6 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU)
das Recht hätten, unverzüglich in die Bundesrepublik Deutschland erneut einzureisen. Deshalb kann die Antragstellerin jedenfalls
im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht darauf verwiesen werden, zunächst die Verlustfeststellung zu betreiben, um
dann gegebenenfalls Leistungen in analoger Anwendung des
Asylbewerberleistungsgesetzes in Anspruch zu nehmen.
Es ist verfassungsrechtlich unter dem Aspekt der Menschwürde i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip schlichtweg undenkbar, dass
wegen eines Abschiebungshindernisses die Ausreise rechtlich nicht verlangt werden kann, gleichzeitig der Antragstellerin aber
kein Leistungsanspruch zuerkannt wird, so dass sie ihr Kind ohne Krankenversicherungsschutz sozusagen "auf der Straße" zur
Welt bringen müsste. Gestritten werden kann nur darüber, ob der Antragsgegner oder das Bezirksamt leistungspflichtig ist.
Diese Situation regelt §
43 Sozialgesetzbuch /Erstes Buch (
SGB I).
Aus alledem folgert der Senat, dass der Antragstellerin vorliegend für den Zeitraum vom 20. August 2019 (Eingang des Antrages
auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht Berlin) bis zum 30. November 2019 (voraussichtliches Ende der
Mutterschutzfrist wäre unter Zugrundelegung eines Entbindungstermin am 27. September 2019 der 27. November 2019; im Rahmen
des einstweiligen Rechtsschutzes hat der Senat jedoch keine Bedenken Leistungen bis zum Monatsende zu gewähren) Leistungen
zu gewähren sind. Dabei ist es vorliegend offen, ob eine solche Leistungsgewährung nach dem SGB II oder nach dem SGB XII zu erfolgen hätte, sodass vorliegend gemäß §
43 Abs.
1 S. 1
SGB I der Antragsgegner vorläufig zur Leistungsgewährung zu verpflichten ist.
Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung, der gegenwärtig
lediglich für den Zeitraum vom 11. bis zum 17. September 2019 der Höhe nach festgestellt werden kann, denn in diesem Zeitraum
sind täglich 29,90 EUR angefallen. Der Antragsgegner ist jedoch dem Grunde nach verpflichtet, die anfallenden Kosten der Unterkunft
und Heizung im Zeitraum vom 20. August 2019 bis zum 30. November 2019 zu gewähren. Darüber hinaus hat die Antragstellerin
einen Anspruch auf Gewährung der Regelleistung, die in Ihrem Fall 424,00 EUR beträgt. Um eine vollständige Vorwegnahme der
Hauptsache im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu verhindern, gewährt der Senat hiervon lediglich 80 %, mithin 339,20
EUR. Dies entspricht im Monat August einem Betrag i.H.v. 124,37 EUR (339,20 EUR durch 30 × 11). Etwaige Mehrbedarfe und Freibeträge
berücksichtigt der Senat nach seiner ständigen Rechtsprechung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG und folgt dem Ergebnis des Verfahrens.
Die Anträge auf Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren und das Beschwerdeverfahren waren wegen der zusprechenden
Kostenentscheidung abzulehnen (§
73a SGG i. V. m. §
114 ZPO).
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde zum Bundessozialgericht nicht statthaft (§
177 SGG).