Ernährungsbedingter Mehrbedarf wegen Fruktoseintoleranz und Laktoseintoleranz
Tatbestand:
Die Klägerin macht im Überprüfungsverfahren einen ernährungsbedingten Mehrbedarf wegen Fruktose- und Laktoseintoleranz für
das Jahr 2014 geltend.
Mit Schreiben vom 27. März 2015 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Bewilligungsentscheidungen des Beklagten ab Juni
2013 wegen der Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs. Sie fügte ein Attest des Dr. J mit ärztlicher Bescheinigung
vom 5. September 2013 bei, nach dem sie an einer nicht heilbaren kombinierten Fruktose- und Laktoseintolerenz leide. Danach
bestehe die einzige Therapie in einer speziellen Ernährungsform.
Mit Überprüfungsbescheid vom 28. April 2015 lehnte der Beklagte die Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs für die
Zeit vom 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2014 ab. Der notwendige Aufwand für eine verträgliche Vollkost sei mit dem im Regelbedarf
enthaltenen Anteil für Nahrungsmittel ausreichend gedeckt.
Dem hiergegen gerichteten Widerspruch blieb mit zurückweisendem Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2015 der Erfolg versagt.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 24. Oktober 2016 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt,
der angegriffene Überprüfungsbescheid des Beklagten vom 28. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli
2015 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie habe keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte die
Bewilligungsbescheide für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2014 abändere und ihr einen ernährungsbedingten Mehrbedarf
gewähre. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) sei ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergebe, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden
sei, der sich als unrichtig erweise, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden seien. Diese Voraussetzungen
lägen nicht vor. Nach § 21 Abs. 5 Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II) erhielten erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürften,
einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Er umfasse Bedarfe, die nicht von der Regelleistung abgedeckt seien. Für die Gewährung
eines Mehrbedarfs sei eine gesundheitliche Beeinträchtigung Voraussetzung, die eine Ernährung erfordere, die kostenaufwändiger
sei, als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall sei (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 100/10 R zitiert nach juris). Die Klägerin leidet zwar unter einer gesundheitlichen Beeinträchtigung (Fruktose- und Laktoseintolerenz).
Diese führe aber nicht zu einer aus medizinischen Gründen kostenaufwändigeren Ernährung. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
den gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung könne nicht gesehen werden.
Nachdem von der Klägerin beigebrachten ärztlichen Attest bestehe die einzige Therapie in dem Weglassen von Laktose- und Fruktosebeimengungen
in der täglichen Ernährung. Das Weglassen von Lebensmitteln führe aber nicht zu höheren Kosten. Die Ernährung werde auch nicht
deshalb im Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II kostenaufwändiger, weil die weggelassenen Lebensmittel durch andere, verträgliche Lebensmittel ersetzt werden müssten. Denn
nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe sei bei einer Erkrankung
mit Fruktose- und Laktoseintolerenz die Ernährung diätisch mit Vollkost angezeigt. Gleichbedeutend zur "Vollkost" könne auch
der Begriff "gesunde Mischkost" verwendet werden. Ausgehend von der Konkretisierung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger
Ernährung in Relation zum Regelbedarf (BSG, Urteil vom 20. Februar 2014 - B 14 AS 65/12 R, zitiert nach juris) sei kostenaufwändiger im Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II eine Ernährung, die von dem vom Regelbedarf umfassten typisierten Bedarf abweiche und von diesem nicht gedeckt sei (BSG, Urteil vom 20. Februar 2014 - B 14 AS 45/12 R; Urteil vom 24. Februar 2011 - B 14 AS 49/10 R; Urteil vom 10. Februar 2011 - B 4 AS 100/10 R alle zitiert nach juris). Unabhängig davon, wie sich letztlich die Vollkost im Einzelnen zusammensetze, unterfalle die
Ernährung mit einer Vollkost nicht § 21 Abs. 5 SGB II. Denn es handele sich nicht um eine spezielle Krankenkost, auf die die Vorschrift abziele, sondern um eine Ernährungsweise,
die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nehme. Damit sei die Vollkost aber aus der Regelleistung zu bestreiten. §
21 Abs. 5 SGB II sei kein Auffangtatbestand für die allgemeine Kritik, eine ausgewogene Ernährung sei aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren
(BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 100/10 R, zitiert nach juris). Das Bestreben, sich ausgewogen und vollwertig zu ernähren, bestimme auch das Leitbild des gesunden
Menschen. Dass diese Ernährung bei kranken Menschen umso wünschenswerter sei, bedeute im Umkehrschluss nicht, dass eine solche
Ernährung dadurch zu einer speziellen Krankenkost werde. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins bildeten zwar kein antizipiertes
Sachverständigengutachten. Sie könnten aber nach den Vorstellungen des Gesetzgebers bei der Bestimmung der Angemessenheit
des Bedarfs herangezogen werden. Das Gericht sehe vorliegend keinen Anlass, von den Empfehlungen abzuweichen. Entgegen der
Auffassung der Klägerin sei dabei auf die Empfehlungen aus dem Jahr 2014 zurückzugreifen. Denn diese repräsentierten den aktuellen
Stand der herrschenden schulmedizinischen Auffassungen. Ein Mehrbedarf lasse sich im Übrigen auch nicht mit der Anschaffung
und Einnahme von Lactrase 12000 FCC begründen. Denn aus dem beigebrachten ärztlichen Attest gehe gerade hervor, dass die Therapie
im Weglassen bestimmter Lebensmittel bestehe.
Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 4. November 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 2. Dezember 2016 Berufung eingelegt
und ihr Begehren weiterverfolgt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Oktober 2016 und den Überprüfungsbescheid vom 28. April 2015 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Leistungen zum Lebensunterhalt gemäß
dem SGB II für das Jahr 2014 in gesetzlicher Höhe zuzüglich Zinsen gemäß §
44 SGB I zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf den Inhalt seiner Bescheide und das seiner Auffassung nach zutreffende Urteil. Der Senat hat ein Gutachten
der Frau Prof. Dr. S, Medizinische Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie, C Centrum für Innere Medizin
mit Gastroenterologie und Nephrologie vom 22. Juli 2019 eingeholt. Im Ergebnis hat die Gutachterin festgestellt, dass mit
hoher Wahrscheinlichkeit bei der Klägerin im Jahr 2014 eine Laktoseintoleranz bestanden habe und auch heute noch bestehe.
Eine Fruktosemalabsorption sei aktuell und für das Jahr 2014 eher unwahrscheinlich. Für eine hereditäre Fruktoseintoleranz
bestehe kein Anhalt.
Mit Schreiben vom 10. Februar 2020 hat der Senat zur Entscheidung durch Beschluss nach §
153 Abs.
4 SGG angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Rechtsausführungen und der Sachdarstellung wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des
Beklagten und auf die Gerichtsakten Bezug genommen. Diese haben bei der Entscheidung des Senats vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Der Überprüfungsbescheid vom 28. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2015 ist rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, da sie keinen Anspruch auf Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II hat. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Berufung ist zulässig, da als Mehrbedarf ein Betrag bis zu 20 Prozent des Regelbedarfs verlangt werden kann (LPK-SGB II, 5. Auflage, § 21, Rn 30). Im Jahre 2014 betrug der Regelbedarf 391 Euro, so dass monatlich 20 Prozent dieses Betrages die Berufungssumme von
750 Euro überschreiten. Hinzu kommt, dass bei einer hereditären Fruktoseintoleranz der Mehrbedarf im Einzelnen zu ermitteln
gewesen wäre (Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, 4. neu erarbeitete
Auflage, 2014, Seite 10).
Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf entsprechende Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 5 SGB II, da sie aus medizinischen Gründen keiner kostenaufwändigen Ernährung bedarf.
Nach dem vom Senat eingeholten Gutachten, welches aufgrund seiner wissenschaftlichen Begründung und der Fachkompetenz der
Gutachterin ohne weiteres überzeugt, steht fest, dass die Klägerin im Jahr 2014 an einer Laktoseintoleranz litt. Nach den
Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, vierte neubearbeitete Auflage
2014, führt die Laktoseintoleranz aber nicht zu einer kostenaufwändigeren Ernährung. Dem folgt der Senat, dies hat auch die
Gutachterin Prof. Dr. S in ihrem Gutachten so ausgeführt, so dass der Senat sich in der Lage sieht festzustellen, dass eine
kostenaufwändige Ernährung für die unter Laktoseintoleranz leidende Klägerin nicht erforderlich ist.
Im Hinblick auf die Fruktosemalabsorption ist auszuführen, dass die Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostenzulagen
in der Sozialhilfe auch für diesen Fall einen Mehrbedarf in der Regel nicht belegen. Ein Anspruch scheitert aber schon daran,
dass bei der Klägerin eine Fruktosemalabsorption nicht nachzuweisen ist. Frau Prof. Dr. S hat ausgeführt, dass eine solche
im Jahr 2014 eher unwahrscheinlich ist. Für die Feststellung einer Erkrankung, die einen Mehrbedarf nach sich zieht, trägt
die Klägerin die Feststellungslast, weil sie aus dieser Feststellung für sich Ansprüche ableiten will. Mit der ärztlichen
Feststellung, dass das Vorliegen einer solchen Erkrankung im Jahre 2014 eher unwahrscheinlich ist, lässt sich schon die Erkrankung
nicht im erforderlichen Vollbeweis feststellen, so dass schon daran der Anspruch scheitert.
Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe führt allein die hereditäre
Fruktuseintoleranz zu einer kostenaufwändigeren Ernährung. Der Mehrbedarf hierzu wäre im Einzelfall zu ermitteln. Nach dem
überzeugenden Gutachten der Prof. Dr. S steht aber fest, dass die Klägerin nicht an einer hereditären Fruktoseintoleranz leidet.
Frau Dr. S hat ausgeführt, dass für eine derartige Erkrankung kein Anhalt besteht. Darauf kann der Senat seine Feststellung
stützen, dass diese Erkrankung nicht vorliegt.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG liegen nicht vor.