Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Kein Anordnungsanspruch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen
Verfahren zur Rechtmäßigkeit des Leistungsausschlusses für arbeitsuchende EU-Ausländer; Kein Arbeitnehmerstatus bei untergeordneter
und unwesentlicher Tätigkeit
Gründe:
Die Antragsteller, die polnische Staatsangehörige sind, haben keinen Anordnungsanspruch im Sinne des §
86b Abs.
2 Satz 4 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) in Verbindung mit §
920 Abs.
2 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht.
Ob eine positive Entscheidung des erkennenden Senates hinsichtlich der Monate Oktober und November 2014 wegen der entgegenstehenden
Rechtskraft des Beschlusses des 18. Senates des Landessozialgerichts vom 26. Juni 2014 (Az. L 18 AS 1567/14 B ER) unzulässig wäre, kann dahinstehen, da eine solche jedenfalls aus den unten dargelegten Gründen aus Sicht des Senates
ebenso wie für die Zeit ab dem 01. Dezember 2014 zu verneinen wäre.
Ein Anordnungsanspruch aus den §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1 SGB II scheitert daran, dass die Antragsteller dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II unterliegen. Danach sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen von Leistungen ausgenommen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Als Unionsbürger dürfen sich
die erwerbsfähige Antragstellerin zu 1) und ihr minderjähriges Kind, der Antragsteller zu 2) gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 bzw. §
3 Abs. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalten. Ein anderes Aufenthaltsrecht ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich
und von den Antragstellern auch nicht geltend gemacht worden. Es ist auch nicht anzunehmen, dass sich die Antragsteller unberechtigt
im Bundesgebiet aufhalten, weil sie ohne ein Freizügigkeitsrecht nach dem FreizügG/EU eingereist wären, um lediglich Sozialleistungen zu beziehen.
Der Senat ist nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 11. November 2014 in der Rechtssache C 333/13 auch davon überzeugt, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II europarechtskonform ist.
Der Bundesgesetzgeber hat § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf die europarechtliche Regelung des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten
frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. L 158 S. 77, 112), gestützt (BT-Drucksache 16/688, S. 13). Nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen
dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls
während des über diesen Zeitraum hinausgehenden längeren Zeitraums der Arbeitssuche nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen
zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens zu gewähren (aaO. RN 65). Damit dürfen die Mitgliedstaaten
einem Unionsbürger die Sozialhilfe versagen, wenn er zum Zwecke der Arbeitsuche eingereist ist. Dies bestätigt die durch den
EuGH in seinem Urteil vom 11. November 2014 (aaO. RN 76) vorgenommene Auslegung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie
2004/38, da diese Regelung nicht erwerbstätige Unionsbürger daran hindern soll, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats
zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch zunehmen. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist damit vom Europarecht gedeckt.
Der Leistungsausschluss aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist auch nicht wegen des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) vom 11. Dezember 1953 (BGBl. II 1956, S. 564) unanwendbar (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Beschluss vom 12. Dezember 2013, B 4 AS 9/13 R; Urteil vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 23/10 R). Polen gehört nämlich schon nicht zu den Vertragsstaaten dieses Abkommens (vgl. www.conventions.coe.int).
Der Anwendbarkeit des Leistungsausschlusses steht auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin zu 1)vorträgt Arbeitnehmerin
zu sein. Für die Zeit ab dem 1. Dezember 2014 gilt dies schon deshalb, weil die Antragstellerin zu 1) ihre Tätigkeit nach
ihren eigenen Angaben im Schreiben vom 28. Januar 2015 zu diesem Zeitpunkt schon wieder beendet hatte und zuvor nicht wenigstens
ein Jahr beschäftigt gewesen war. Denn diese Umstände führen gerade nicht dazu, dass die Antragstellerin zu 1) im Sinne des
§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in der Bundesrepublik Arbeitnehmer bzw. aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt geworden wäre. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU bleibt das Aufenthaltsrecht für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige erst dann unberührt, wenn nach mehr als einem
Jahr Tätigkeit eine unfreiwillige durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit besteht. Auch der 6-monatige
Schutz der Arbeitnehmereigenschaft nach weniger als einem Jahr Beschäftigung kommt mangels zuvor bestehendem ausreichendem
echten Arbeitsverhältnis nicht in Betracht.
Auch in der Zeit vom 01. Oktober 2014 bis zum 30. November 2014 wäre die Antragstellerin zu 1) zur Überzeugung des Senates
nicht als Arbeitnehmerin anzusehen. In Bezug auf ihre bis 30. November 2014 ausgeübte Tätigkeit hat sie eine Bescheinigung
über den Erhalt eines Aushilfslohns in Höhe von 46,47 € netto für den Monat Juli 2014, also einen nicht streitgegenständlichen
Monat, sowie eine weitere Bescheinigung für den Monat Oktober 2014, in der als "Eintrittsdatum" in die Beschäftigung der "01.09.2014"
eingetragen ist, eingereicht. Nach dieser zuletzt genannten Bescheinigung hat die Antragstellerin zu 1) in den Monaten September
und Oktober 2014 monatlich 139,42 € netto erhalten. Weiter trägt sie vor, das Arbeitsverhältnis habe zum 30. November 2014
geendet. Eine Abrechnung für den Monat November 2014 habe sie noch nicht erhalten.
Zur Überzeugung des Senate begründet diese Tätigkeit keine Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU.
Glaubhaft gemacht hat die Antragstellerin zu 1) eine Tätigkeit für eine Stunde täglich an fünf Tagen pro Woche zu einem monatlichen
Verdienst von 150,00 € brutto. Diese Verpflichtung zur Leistung nur weniger Arbeitsstunden und der geringe Lohn von 150,00
€ brutto bzw. 139,42 € netto, der auch lediglich für die Monate September und Oktober 2014 nachgewiesen ist, sind zunächst
Indizien dafür, dass es sich bei der Tätigkeit nicht um eine tatsächliche und echte, sondern um eine völlig untergeordnete
und unwesentliche Tätigkeit gehandelt hat.
Den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) lässt sich zwar keine bestimmte Grenze in Bezug auf Einkommen
und Arbeitszeit entnehmen, unterhalb derer die Arbeitnehmereigenschaft verneint werden muss. Der EuGH hat vielmehr immer deutlich
gemacht, dass eine vorzunehmende Würdigung der Gesamtumstände letztlich den Gerichten der Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt
(vgl. EuGH, Urteil vom 4. Februar 2010 - Rs. C-14/09). Er selbst hat die unionsrechtlich autonom zu definierende Arbeitnehmereigenschaft eines Musiklehrers mit zwölf Wochenstunden
Unterricht (Urteil vom 3. Juni 1986 - Rs. C-139/85) und einem monatlichen Einkommen von 985 HFL (dies entspricht knapp 500,00 €) sowie die einer Studienreferendarin mit bis
zu 11 Wochenstunden (Urteil vom 3. Juli 1986 - Rs. C-66/85) bejaht. In weiteren Verfahren ging es um eine wöchentliche Arbeitszeit, die zwischen 10 und 25 Stunden lag (vgl. z.B. EuGH,
Urteil vom 24. Januar 2008 - Rs. C-294/06; Urteil vom 14. Dezember 1995 - Rs. C-444/93).
Auch in der nationalen Rechtsprechung finden sich einzelne Entscheidungen zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine
unionsrechtliche Arbeitnehmereigenschaft begründet wird. So wurden beispielsweise eine Tätigkeit von 5,5 Wochenstunden und
später 36 Monatsstunden, sowie ein Entgelt von 154,00 € und danach 252,00 € (OVG Bremen, Urteil vom 28. September 2010 - 1 A 116/09), eine Wochenarbeitszeit von 7,5 Stunden und ein Lohn von 650,00 DM in 1997 (VG München, Urteil vom 2. Februar 1999 - M 21
K 98.750) bzw. eine Wochenarbeitszeit von 7,5 Stunden und ein Lohn von 100,00 € (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R) sowie eine Wochenarbeitszeit von 5,5 Stunden und ein Lohn von 175,00 € (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. März 2011
- OVG 12 B 15.10) als (gerade noch) ausreichend angesehen. Dagegen wurde eine Arbeitszeit von drei bis vier Stunden an einem Arbeitstag pro
Woche "zu einem völlig belanglosen Entgelt" (VG München, Urteil vom 2. Februar 1999 - M 21 K 98.750) und ein monatliches Entgelt
von 300,00€ und eine Wochenarbeitszeit von 10 bis 12 Stunden (VG Darmstadt, Urteil vom 22. Februar 2008, InfAuslR 2008, 344 f.) als völlig unwesentlich angesehen.
Weder den Entscheidungen des EuGH, des BSG oder der anderen nationalen Gerichte lässt sich folglich eine bestimmte Grenze in Bezug auf Einkommen oder Arbeitszeit entnehmen,
oberhalb derer die Arbeitnehmereigenschaft bejaht bzw. unterhalb derer die Arbeitnehmereigenschaft verneint werden muss. Feststellen
lässt sich lediglich, dass die bisher entschiedenen Verfahren alle eine wöchentliche Arbeitszeit betreffen, die - wenn auch
teilweise nur sehr knapp - über derjenigen der Antragstellerin zu 1) liegt.
Betrachtet man das erzielte Einkommen und die vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit, so lässt sich die Tätigkeit
lediglich als völlig untergeordnet und unwesentlich charakterisieren. So belief sich das Einkommen in den beiden nachgewiesenen
Monaten auf 139,42 €, d.h. auf lediglich 12 % des Bedarfes der Antragsteller nach dem SGB II, den die Antragsteller selbst mit 1160,76 € beziffert haben. Die wöchentliche Arbeitszeit ist mit 8 % der Arbeitszeit eines
voll Erwerbstätigen (40 Wochenstunden) ausgesprochen gering. Beides ist nicht ausreichend, um der Antragstellerin die Arbeitnehmereigenschaft
zu vermitteln.
Auch aufgrund einer Gesamtbewertung kann die Tätigkeit trotz der geringen Arbeitszeit nicht ausnahmsweise als tatsächlich
und echt angesehen werden. Die Antragstellerin hat nach den bisher eingereichten Unterlagen im September und Oktober 2014
fünfmal wöchentlich jeweils eine Stunde als Reinigungskraft in der Pizzeria des Herrn I M gearbeitet, bei dem sie bis zum
31. Juli 2014 auch gewohnt hat. Es lässt sich nicht feststellen, dass diese tägliche Arbeitsleistung der Antragstellerin von
einer Stunde für ihren Arbeitgeber von mehr als unwesentlichem wirtschaftlichem Wert war - zumal das Arbeitsverhältnis auch
schon wieder beendet ist.
Nach alledem sind die Beschwerden zurückzuweisen.
Ein Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren besteht nicht, weil es in Anbetracht der oben
dargelegten Gründe an einer hinreichenden Erfolgsaussicht des dem Prozesskostenhilfeverfahren zugrunde liegenden Antrags gefehlt
hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss kann gemäß §
177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.